Entkopplung? Wettbewerb ist besser

Weniger Handel ist nicht die Lösung. Wer sich vor geopolitischer Erpressbarkeit schützen will, muss den Wettbewerb stärken – und die wechselseitigen Abhängigkeiten.

Eine Weltkugel mit Europa im Zentrum. Von Europa gehen Verbindungslinien oder Strahlen in die ganze Welt. Das Bild ist Teil eines Beitrags über De-Risking, die Strategie, Risiken der Globalisierung bei Handelsbeziehungen zu minimieren.
Beziehungen auf Augenhöhe in wechselseitiger Abhängigkeit senken die Risiken des internationalen Handels. © Andreas Leitner
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Auf den Punkt gebracht

  • Dereguliert. Institutionen und Regelwerke, die den internationalen Handel absicherten, sind brüchig geworden; Monopolstellungen machen erpressbar.
  • Risiken. Entkopplung der Produktion birgt ökonomische Risiken. Deutschland würde dies im Fall Chinas 60 bis 100 Milliarden Euro jährlich kosten.
  • De-Risking. Forschung und Innovation stärken den Wettbewerb und die wechselseitigen Abhängigkeiten, was den Handel erhält und die Risiken minimiert.
  • Ausgleich. Ein starker EU-Binnenmarkt und ein konsequenter Abbau von Monopolen ist eine Versicherung gegen geopolitische Erpressung.

Nun hat also die deutsche Bundesregierung ihre China-Strategie verabschiedet. Auf 64 Seiten wird dargelegt, dass mit dem Reich der Mitte keine Entkopplung angestrebt wird, sondern ein sogenanntes De-Risking – der Abbau von Risiken, die sich aus einseitiger Abhängigkeit ergeben können.

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Aus volkswirtschaftlicher Perspektive klingt das zunächst gut und richtig. Die Frage, wie ein solches De-Risking konkret erfolgen soll, wird aber nicht beantwortet. Ebenfalls verschwiegen wird die unerfreuliche Tatsache, dass es auch in den internationalen Handelsbeziehungen so etwas wie einen Zielkonflikt zwischen Gewinn und Risiko gibt. In anderen Worten: De-Risking ist nicht zum Nulltarif zu haben.

Ende der Hyperglobalisierung

Seit Ende der 1980er-Jahre ist die globale Vernetzung der Wirtschaft massiv gewachsen. Doch die Phase der „Hyperglobalisierung“ (Dani Rodrik) kam mit Beginn der großen Wirtschafts- und Finanzkrise vor etwa 15 Jahren zu einem Ende. Der Boom bei Freihandelsabkommen ist vorbei, und die multilateralen Institutionen sind in der Krise.

Drei Faktoren sind hierfür wohl hauptverantwortlich: die Unfähigkeit der meisten Regierungen, die zunehmende Ungleichheit innerhalb ihrer Länder zu adressieren; die mit internationalem Transport verbundenen externen Effekte und ihre Missachtung durch Politik und Unternehmen; die Erosion der relativen Macht Amerikas als Garant der internationalen Regeln.

Mit einer effektiven Verteilungspolitik und dem Ausbau der CO2-Bepreisung ließen sich die ersten beiden Probleme lösen. Punkt drei ist schwieriger: Wenn relativ gleich starke Mächte wie China, USA und die EU einander nicht über den Weg trauen (können), dann erscheint die internationale Arbeitsteilung plötzlich gefährlich, weil die damit verbundenen gegenseitigen Abhängigkeiten für machtpolitische Zwecke ge- und missbraucht werden könnten.

80 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung entfallen derzeit auf gerade zehn Länder.

Mit einem De-Risking will sich die deutsche Bundesregierung (und mit ihr auch die meisten Staaten in der EU) gegen solche Strategien immunisieren. Die Handelsstrukturen sollen möglichst gut diversifiziert werden, um Risiken aus dem Ausfall eines einzelnen Beschaffungs- oder Absatzmarktes zu verkleinern.

Doch das könnte schwierig werden: 80 Prozent der (zu laufenden Wechselkursen bewerteten) weltweiten Wirtschaftsleistung entfallen derzeit auf gerade zehn Länder (wobei die EU-27 als Einheit betrachtet wird). Allein China ist für circa zwanzig Prozent der globalen Produktion und Nachfrage verantwortlich. Das entspricht ungefähr auch dem Gewicht Chinas in der Importstatistik Europas.

In einzelnen Gütergruppen ist der Import- oder Exportanteil Chinas noch viel höher. Will man aber bei allen Produkten den China-Anteil auf sein wirtschaftliches Gewicht in der Welt reduzieren, zerstört man damit zwangsläufig die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung. Spezialisierung bedeutet ja nichts anderes als Nicht-Diversifiziertheit der Handelsbeziehungen auf Güterebene.

Die Kosten der Entkopplung

Daher sind Warnungen vor den ökonomischen Kosten einer Entkopplung nicht vom Tisch zu wischen. Aktuelle Modellsimulationen machen klar, dass eine Abkoppelung Europas von China ökonomisch sehr teuer wäre. Würde der bilaterale Handel eingestellt, lägen die kurzfristigen Kosten für Deutschland bei weit über 100 Milliarden Euro pro Jahr; käme es „nur“ zu einem Stopp des Zwischengüterhandels, wären immer noch Schäden von circa 60 Milliarden Euro zu verbuchen.

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Zahlen & Fakten

Foto eines Montagebandes in der Automobilindustrie mit vielen Robotern und wenigen Menschen. Das. Bild ist hier Teil eines Beitrags über die Tücken der Entkopplung der EU-Wirtschaft von China und anderen dominierenden Wirtschaften.
Fertigung von Automobilen in China mit Roboter-Technologie aus Europa. © Getty Images

Importabhängig: Roboter

Materialien und Komponenten für den Exportschlager Industrie-Roboter müssen importiert werden,

Langfristig können sich Unternehmen und Haushalte zwar einigermaßen auf die mit der Entkopplung verbundenen geänderten Umstände einstellen, aber es verblieben immer noch erhebliche jährliche Belastungen ungefähr in der Höhe von 50 Prozent der kurzfristigen Schäden.

Ein De-Risking ist also selbst mit erheblichen ökonomischen Risiken verbunden. Selbst wenn es mit Augenmaß betrieben wird, sind Kosten unvermeidlich. Daher ist es von enormer Bedeutung, über die richtigen politischen Maßnahmen nachzudenken. Jede Art von Politik im Inland wird ökonomische Effekte auch im Ausland auslösen.

Eine Entkopplung Europas oder gar des gesamten Westens vom Rest der Welt würde die wirtschaftliche Entwicklung des globalen Südens behindern, die Armut verfestigen und das Anliegen von mehr Sicherheit und Klimaschutz konterkarieren. Außerdem würde sie handelspolitische Reaktionen auslösen, die die Kosten im Westen weiter erhöhen und die Gräben vertiefen würden.

So wird Wettbewerb gestärkt

Eine sinnvolle Umsetzung der China-Strategie muss das Ziel haben, einen möglichst großen Sicherheitsgewinn zu möglichst niedrigen Kosten zu bewerkstelligen. Damit dies gelingt, sollten drei Prinzipien gelten:

  1. Klar definierte Ziele
    Es wäre keine gute Idee, mit einer Entkopplung von China sozialpolitische oder umweltpolitische Ziele zu verfolgen. Für diese Vorhaben stehen andere, bessere Instrumente zur Verfügung. Geht es hingegen um die Vermeidung von Erpressbarkeit, so kann nicht die Verminderung des Handels insgesamt das Ziel sein, sondern die Förderung einer gegenseitigen Abhängigkeit, sodass der opportunistische Missbrauch unattraktiv wird.
  2. Steueranreize und Forschung
    Staatliches Mikromanagement soll möglichst vermieden werden. Besser wäre, direkt an der Innovationsfähigkeit und an den Bedingungen für Wirtschaftswachstum insgesamt anzusetzen. Dazu gehören die breite Förderung von Forschung und Entwicklung durch Steueranreize und exzellente Hochschulen, die konsequente Stärkung des europäischen Binnenmarktes, vor allem in den Bereichen Kapitalmarkt und Energie, sowie eine vertiefte Zusammenarbeit mit allen Ländern, bei denen opportunistisches Verhalten aus gegenwärtiger Sicht weitgehend ausgeschlossen werden kann.
  3. Stärkung des Wettbewerbs
    Gewinnorientierte Unternehmen sollten nicht aus den mit ihren Aktivitäten verbundenen Risiken entlassen werden. Sonst werden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert. Das Problem besteht hier darin, dass die Monopolstellung einzelner Branchen politisch missbraucht werden kann. Deshalb müssen eine rigorose Verteidigung des Wettbewerbs – auch unter Anwendung des Kartellrechts im Ausland – sowie die Befolgung des oben diskutierten zweiten Prinzips im Zentrum stehen.

China ist ein großes Land mit einer als zunehmend aggressiv wahrgenommenen Außenpolitik. Es ist dennoch nicht zielführend, fast ausschließlich auf China zu blicken. Stattdessen sollte sich die Politik in Deutschland und der EU mit Nachdruck für neue und vertiefte Handelsabkommen einsetzen.

Eine große Schleuse auf einer Wasserstraße mit grünen Hügeln im Hintergrund. Auf der Schleuse stehen Annalena Baerbock, die deutsche Außenministerin und Ilya Espino, die Managerin des Panamakanals. Der Himmel ist bedeckt. Das Bild ist an dieser Stelle dazu da, die Bedeutung vieler Handelspartner zu illustrieren. Es zeigt, was Deutschland in dem Bereich tut.
Panama am 9. Juni 2023: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (links) und die Managerin des Panama Kanals, Ilya Espino (rechts). Bei dem deutschen Staatsbesuch in Panama ging es um globalen Handel und den Klimawandel. © Getty Images

Zum Beispiel würde der Mercosur-Pakt mit Staaten in Südamerika eine Diversifizierung der Lieferketten vor allem im Rohstoffbereich möglich machen. Nach zwanzig Jahren Verhandlungen und nun erfolgten Nachbesserungen muss es im Herbst gelingen, einen Abschluss zu finden.

Leider sieht es nicht gut aus: In Österreich gibt es etwa einen gültigen Parlamentsbeschluss, der die Zustimmung zu Mercosur verbietet. Auch Frankreich scheint unwillig. Ohne gute Alternativen zu China wird ein De-Risking allerdings viel teurer. Neben Südamerika brauchen auch afrikanische Staaten die großzügige Unterstützung Europas. Auch hier sind Handelsabkommen der beste Weg, um Rechtssicherheit herzustellen und den steigenden Einfluss Chinas, wenn schon nicht aufzuhalten, dann doch wenigstens einzudämmen. Schließlich wären da noch die bereits seit Jahren in Verhandlung befindlichen Abkommen mit Indonesien und Indien. Denn letztlich gilt: Wer sich von China abwenden will, der muss anderswo Alternativen aufmachen.

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Conclusio

Sieht man den fehlenden Wettbewerb, Monopole, einseitige Abhängigkeiten und das lax exekutierte internationale Recht als die Hauptursachen für die geopolitische Erpressbarkeit, ist eine Entkopplung von bestimmten Handelspartnern nicht die Lösung. Stattdessen muss sich die Beziehung der Handelspartner in Richtung wechselseitiger Abhängigkeit wandeln. Investitionen in Forschung und Entwicklung, Steueranreize und sozialer Ausgleich würden den Wettbewerb und gleichzeitig den EU-Binnenmarkt stärken. Statt der Globalisierung durch Entkopplung den Rücken zuzukehren, kann die EU sie neu gestalten, indem sie Monopolbildungen kartellrechtlich verfolgt und zugleich möglichst viele neue Handelsbeziehungen knüpft. Je mehr Partner in einem vielfältigen Netzwerk wechselseitig miteinander verbunden sind, umso geringer ist das Risiko, dass ein Handelspartner die Wirtschaft dominiert.

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