Unsere Industrie ist gefährdet

Die Entwicklung der Industrie ist eine wesentliche Grundlage menschlichen Wohlstands. Nun droht Österreich sowie ganz Europa im immer härter werdenden globalen Wettbewerb eine zunehmende Deindustrialisierung.

Zwei Mitarbeiter stehen an einem Förderband neben einem fast fertig montierten Auto des chinesisches Herstellers Geely.
Zwei Mitarbeiter des chinesischen Autoherstellers Geely im Werk in Changxing legen Hand an. Die Volksrepublik ist der größte Automarkt der Welt. Lokale Marken, losgelöst von Joint Ventures mit ausländischen Autobauern, haben gute Wachstumsaussichten. © Getty Images

Der Krieg in der Ukraine gilt für viele als Konflikt zwischen demokratischen Werten einerseits und einem autokratischen System andererseits. Das sollte uns nicht über eines hinwegtäuschen: Sowohl die bipolare Welt, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte, als auch das Zeitalter der Hegemonie der USA gehören der Vergangenheit an.

Die neue Weltordnung ist multipolar. Und der Aufstieg Chinas, Indiens und anderer Länder bedeutet nach Ansicht des China-Experten Frank Sieren nicht weniger, als dass die Epoche, in der eine Minderheit (der Westen) der großen Mehrheit (also dem Rest der Welt) seine Spielregeln aufzwingen konnte, zu Ende ist. Und Sieren betonte: Nur wenn wir wirtschaftlich stark sind, werden wir in der neuen Weltordnung bzw. bei der Festlegung der Spielregeln des multipolaren Zeitalters überhaupt noch eine Rolle spielen. 

Neuer globaler Wettbewerb

Diese Bedeutungsverschiebungen erleben wir aktuell als geoökonomische Verwerfungen, in denen Rohstoffe und Energie, Lieferkettenunterbrechungen und Produktionsbeschränkungen als Waffen eingesetzt werden. Gleichzeitig werden technologische Entwicklungen, allen voran die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz, nahezu alle Lebens- und Arbeitsbereiche erfassen. Und sie werden die Rahmenbedingungen der globalen Ökonomie verändern. Wir befinden uns in einem neuen globalen Wettbewerb. Dabei geht es um Rohstoffe, Nahrungsmittel, Wasser, Absatzmärkte und Fachkräfte ebenso wie um die Frage, welche Regeln und Werte die Basis der neuen Weltordnung sein sollen. 

Was aber braucht es, um in diesen Zeiten geopolitischer, geoökonomischer und technologischer Umbrüche wirtschaftlich erfolgreich zu sein und damit auch weiterhin die Spielregeln mitbestimmen zu können? Auf jeden Fall eine starke industrielle Basis!

Ein Rückblick

Die Vergangenheit war die längste Zeit gekennzeichnet von Mangel und dem Kampf ums Überleben. Die frühen Jäger und Sammler kannten keinen Besitz außer dem wenigen, was sie tragen konnten. Dies war auch den damaligen Klimabedingungen bzw. wiederkehrenden, teils dramatischen, wenngleich natürlichen Klimaveränderungen geschuldet, die die Menschen zu Wanderungen zwangen.

Die Geschichte der Menschheit war folglich immer eine Geschichte der Migration. Selbst dann, als unsere Vorfahren sesshaft geworden waren und begonnen hatten, Tiere zu domestizieren und Ackerbau zu betreiben. Durch diese Veränderung konnte – zumindest zeitweise – ein Überschuss an Nahrungsmitteln produziert werden. Dadurch stieg auch die Bevölkerungszahl an. Entlang großer Flüsse, etwa am Nil, zwischen Euphrat und Tigris, am Indus sowie am Jangtse und Gelben Fluss entstanden Hochkulturen. Aber es gab auch erstmals soziale Hierarchien.

Bändigung der Natur

Die Sesshaftwerdung des Menschen, bekannt als Neolithische Revolution, war das Ergebnis wichtiger Innovationen. Diese begannen mit der Bändigung des Feuers oder mythologisch mit der Überbringung durch Prometheus. Innovationen reichten von der Nutzung des Speers sowie Pfeil und Bogen, der Nadel, der Töpferei und der Metallurgie bis zur Entwicklung des Rades und des Pfluges.

Die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert begünstigte die wissenschaftliche Revolution und die systematische Wissensproduktion. So gelang die vom Wirtschaftshistoriker David Landes so bezeichnete „Entfesselung des Prometheus“. Gemeint ist die Befreiung der Menschheit aus ihrer Abhängigkeit von der Natur dank technischer Innovationen. Der darauf folgende explosionsartige Anstieg an Erfindungen führte schließlich zur Industriellen Revolution. Sie ermöglichte, mittels fossiler Energieträger sowohl die Muskelkraft von Mensch und Tier als auch die mechanische Kraft von Wind- oder Wassermühlen sukzessive durch Maschinenkraft zu ersetzen.

Allerdings waren die damit verbundenen sozialen Verwerfungen, die als Folge der Erfindung der Dampfmaschine und der daran anschließenden zunehmenden Mechanisierung aller Produktionsprozesse und der zunehmenden Massenproduktion in Fabriken resultierten, in ihrer Dramatik einzigartig in der Menschheitsgeschichte. So steht am Beginn des Industriezeitalters zweierlei. Einerseits entstand der Pauperismus, die Verarmung der Arbeiterschicht. Zum anderen gelang es, die malthusische Falle – wenn zusätzlicher Wohlstand durch Bevölkerungswachstum „aufgefressen“ wird – zu überwinden.

Rauchende Köpfe statt rauchender Schlote

Die erste industrielle Revolution entstieg den rußgeschwärzten Schornsteinen dampfkraftgetriebener Fabrikanlagen, die zweite speiste sich aus der Elektrizität, die dritte kam in Gestalt des elektronischen Mikroprozessors – so die Zusammenfassung des Sozialanthropologen James Suzman. Das nun einsetzende digitale Zeitalter ersetzt die rauchenden Schlote durch rauchende Köpfe. Deshalb gewinnen (Aus-)Bildung und Weiterbildung, das heißt Investitionen in das Humankapital, noch mehr an Bedeutung.

Ein alter Kupferstich eines Stahlwerks aus den Zeiten der frühen Industrialisierung
Der Mensch bändigt die Natur: Ein Stich des französischen Künstlers Ignace-François Bonhommé (ca. 1867) zeigt einen Dampfhammer in einer Stahlgießerei in Le Creusot.

Beginnend mit der Industrialisierung, die ihren Ausgang in England nahm und danach lange von den USA dominiert wurde, bevor inzwischen auch einige asiatische Länder aufgeholt haben, begann eine ungeahnte Wirtschaftsentwicklung, die – umgesetzt unter marktwirtschaftlichen Bedingungen und flankiert durch entsprechende soziale Maßnahmen – die Überwindung von Mangel und Armut möglich machte. Die Voraussetzungen dafür waren neben entsprechenden institutionellen Rahmenbedingungen vor allem Erfindungsgeist, die Ausweitung der Bildung auf breite Bevölkerungsschichten sowie eine breite Rohstoffbasis und Energieversorgung.

Letztere führte zu unstillbarem Hunger nach Kohle, Erdgas, Erdöl und zunehmend von Elektrizität. Diese „pyromanische Entfesselung“ (Peter Sloterdijk), was jedoch wegen des damit verbundenen CO2-Ausstoßes und der davon verursachten Belastung der Erdatmosphäre und steigenden Erderwärmung zunehmend negative Auswirkungen auf Umwelt und Klima hatte, verlangt nach „prometheischer Reue“.

Allerdings basiert trotz der schädlichen Folgen auch heute die weltweite Energieversorgung noch zu über 80 Prozent auf fossilen Energieträgern – eine Abhängigkeit, die sich zudem aufgrund des weiter steigenden Energiebedarfs als Folge der wachsenden Erdbevölkerung, vor allem aber der Digitalisierung, bis zur Jahrhundertwende weiter verstärken dürfte. Dies erfordert technologieoffene Veränderung, weil das Gesetz der Knappheit für den Planeten als ganzes gilt. Mit dem „Net Zero Industry Act“ und dem „Critical Raw Material Act“ versucht die EU eine raschere Umstellung zu ermöglichen.

Ausblick für Österreich

Ungeachtet dieser Herausforderungen, die nur durch eine realitätsbasierte und technologieoffene Energie- und Klimapolitik zu lösen sind, ist es doch die Industrie, die qualifizierte Beschäftigung und eine wesentliche Grundlage unseres Wohlstandes und der Finanzierung unseres weltweit im Spitzenfeld liegenden Sozialstaates schafft. Mit ihren Exporten ermöglicht sie die Abdeckung der notwendigen Importe. Dafür benötigt sie aber wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Diese haben sich sowohl in Europa als auch im Verhältnis zu den USA und China deutlich verschlechtert.

Ein inflationsfördernder monetärer Konfettiregen wurde ausgestreut, gleichzeitig war man zukunftsvergessen knausrig bei der Förderung der Technologien von morgen.

Erschwerend kommt hinzu, dass in Österreich zunehmend als Folge geburtenschwacher Jahrgänge und früherem Pensionsantrittsalter, unzulänglicher Integration und nicht zuletzt eines unzeitgemäßen Bildungswesens Personalnot und Arbeitskräftemangel herrscht. Auch verzeichnen wir trotz geringer Nettolöhne Spitzenwerte bei den Arbeitskosten – vor allem eine Folge der hohen Abgabenbelastung, bei der wir international einen Spitzenrang einnehmen, leiden aber bei einem schwachen Risikokapitalmarkt, steigenden Umweltauflagen und zu langen Bewilligungszeiten aufgrund des herrschenden Regulierungswahns, Vorschriftendschungels und einer überbordenden, gleichzeitig aber entscheidungsunwilligen Bürokratie und ebensolcher Politik, unter wachsender Behinderung.

Problematisch ist auch die übergroße Abhängigkeit von teuren, zudem überwiegend fossilen Energieimporten und den daraus resultierenden hohen Energiekosten. Und obwohl hierzulande entsprechend dem Motto „koste es, was es wolle“ ein inflationsfördernder monetärer Konfettiregen ausgestreut wurde, ist man gleichzeitig zukunftsvergessen knausrig bei der Förderung der Technologien von morgen, etwa im Mikroelektronikbereich oder der Künstlichen Intelligenz. Kein Wunder also, wenn die Innovationsdynamik Österreichs gegenüber der Schweiz, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern deutlich zurückgegangen ist. Um aufzuholen müssen wir endlich die Macht der Innovation erkennen.

Industrie gefährdet

All das bedeutet für viele Industrieunternehmen eine bedrohliche Entwicklung – auch, weil zudem Europa es verabsäumt hat, entsprechende Freihandelsabkommen abzuschließen und einige Länder, allen voran die USA und China, mit enormen Mitteln ihre Industrien unterstützen und eine massive Re-Industrialisierung betreiben.

Wenn wir den bei uns überaus üppigen Sozialstaat nicht umbauen, laufen wir Gefahr, ihn zu verlieren.

Wenn wir unserer wirtschaftlichen Basis, zu der inzwischen auch ganz wesentlich der Digitalbereich gehört, nicht bald wieder vernünftige Rahmenbedingungen schaffen, wozu auch eine umfassende Neuausrichtung des Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungssystems gehört, und sie damit in ähnlich umfassender Weise unterstützen, wie dies andernorts geschieht, wird diese deutlich schwächer werden.

Die Folgen wären wohl eine drastische Wohlstandsminderung und eine notwendige Reduktion unserer Sozialeinrichtungen. Wenn wir den bei uns überaus üppigen Sozialstaat nicht umbauen, laufen wir Gefahr, ihn zu verlieren. Das aber gilt es – nicht zuletzt im Interesse des sozialen Friedens in unserem Land – zu vermeiden. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, ist es daher dringend notwendig, die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie zu gewährleisten.

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