Regulieren gegen den Wohlstand

Die USA regulieren ihre Wirtschaft immer stärker und schmälern somit ihren Wohlstand. Vor allem junge Unternehmen leiden darunter.

Eine Illustration von einer Frau im Forscherkittel, die ein Paragrafensymbol auf dem Rücken schleppt, während um sie herum Zettel wehen.
Forschung und Entwicklung werden von Vorschriften und Bürokratie gehemmt – vor allem junge, innovative Unternehmen leiden unter Überregulierung. © Francesco Ciccolella
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Auf den Punkt gebracht

  • Alarmsignal. Die Arbeitsproduktivität in den USA verzeichnete im Vorjahr den stärksten jährliche Rückgang seit 1974.
  • Bremse. Während die Produktivitätsgewinne schrumpften, dehnte sich die staatliche Regulierung der Wirtschaft aus.
  • Fehlanreiz. Große Unternehmen investieren immer mehr Zeit und Geld darin, politische neue Vorschriften zu ihren Gunsten zu prägen.
  • Wettbewerbsnachteil. Neue, innovative Unternehmen werden durch hohe bürokratische Hürden ausgebremst.

Inwieweit die Vereinigten Staaten eine wirtschaftliche „Stagnation“ erlebt haben, wird heftig debattiert, ebenso, was genau das sinkende Produktivitätswachstum erklärt. Unbestreitbar sind jedoch die schädlichen Auswirkungen des expansiven amerikanischen Regulierungsstaates auf das Unternehemertum und damit auch auf die wirtschaftliche Dynamik.

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Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit richtet derzeit verständlicherweise auf die hohen Inflationsraten, den Krieg in der Ukraine und die sinkende Erwerbsbeteiligung. Auch die steigenden Zinssätze deuten auf eine bevorstehende Rezession hin. So beunruhigend diese Herausforderungen auch sein mögen, ein hartnäckigeres und grundlegenderes Problem ist die dramatische Abwärtstrend des Produktivitätswachstums in den USA in den letzten zehn Jahren. Das US-Bureau of Labor Statistics (BLS) sieht darin „eines der folgenreichsten wirtschaftlichen Phänomene der letzten zwei Jahrzehnte“.

Weniger effizient, weniger Wohlstand

Nach Angaben des BLS wuchs die Arbeitsproduktivität zwischen 1998 und 2005 mit einer durchschnittlichen Rate von 3,3 Prozent jährlich, fiel danach aber auf nur noch 1,3 Prozent – ein Rückgang um 60 Prozent. Besonders schwach waren die Jahre zwischen 2010 und 2018, als die Produktivität auf magere 0,8 Prozent sank. Die Verlangsamung bedeutet für die Wirtschaft einen kumulierten Verlust von 10,9 Billionen Dollar.

Die jüngsten Zahlen sind besonders beunruhigend: Die Arbeitsproduktivität sank 2022 um 1,7 Prozent. Das ist der stärkste jährliche Rückgang seit 1974. Die Produktivität ist wichtig, weil sie die wirtschaftliche Effizienz misst. Produktivitätszuwächse bedeuten, dass die Wirtschaft mit weniger Input mehr Output produziert, also mehr Wohlstand für Unternehmer, Arbeitnehmer und Verbraucher generiert. Umgekehrt spiegelt ein Produktivitätsrückgang Effizienzverluste wider, was sich in einem niedrigeren Lebensstandard und einem Verlust an Wirtschaftskraft niederschlägt.

Die Last fällt unverhältnismäßig stark auf junge Unternehmen.

Über die Ursache des Rückgangs sind sich die Experten nicht einig. Einige gehen davon aus, dass die USA Anfang der 2000er-Jahre die außergewöhnlichen Effizienzgewinne des Technologiebooms ausgeschöpft hatten. Andere behaupten, dass das beschleunigte Wachstum der 1990er und frühen 2000er-Jahre die Ausnahme und nicht die Regel war und der Rückgang daher eigentlich eine Rückkehr zur Normalität darstellt. Höchstwahrscheinlich hat ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren eine Rolle gespielt – nicht zuletzt die zunehmende Regulierung der Wirtschaft durch den Staat und die Unterdrückung des Unternehmertums.

Regulieren fällt zur Last

Die Kosten der Regulierung wirken sich auf die gesamte Wirtschaft aus, verzerren die Investitionen und behindern Innovation – alles wichtige Komponenten der unternehmerischen Tätigkeit und des Produktivitätswachstums. Die Last fällt unverhältnismäßig stark auf junge Unternehmen, die nur über begrenzte Einnahmen verfügen, um Anlagen und Prozesse zu ändern, und denen es an Fachwissen fehlt, um sich in den komplexen Vorschriften zurechtzufinden. Ein gewisses Maß an Regulierung ist notwendig, aber heute werden Tausende von Regeln nach Lust und Laune der Regierenden erlassen.

November 2017: sechs dicke Bände mit allen Regeln zur Einkommensbesteuerung in den USA stapeln sich auf einem Tisch der zuständigen Arbeitsgruppe im Senat.
Im November 2017 befasste sich der US-Senat mit einer Reform des komplexen Einkommenssteuerrechts – die Vorschriften umfassen sechs dicke Bände. Ein Großaufgebot an Lobbyisten versuchte den Prozess zu beeinflussen. © Getty Images

Der „U. S. Code of Federal Regulation“ umfasst sämtliche von den Behörden erlassenen Verordnungen und hat sich seit 1990 auf 185.984 Seiten fast verdoppelt. Die bürokratische Belastung des Privatsektors beläuft sich derzeit auf 10,4 Milliarden Stunden pro Jahr und kostet 142,5 Milliarden Dollar. Und die Verwaltung all dieser Bürokratie kostet den Steuerzahler eine Menge Geld; die Biden-Regierung hat für das Geschäftsjahr 2021 79,8 Milliarden Dollar für die Verwaltung und Durchsetzung aller Vorschriften veranschlagt, was einem Anstieg von 220 Prozent gegenüber dem Geschäftsjahr 2000 entspricht (in aktuellen Dollar).

Und es ist noch viel mehr geplant. Die Liste der von Präsident Joe Biden zu erledigenden Vorschriften umfasst 2.678 Maßnahmen, darunter 200, die als „wirtschaftlich relevant“ eingestuft werden, das sind Vorschriften, von denen erwartet wird, dass sie jährliche Auswirkungen auf die Wirtschaft von 100 Millionen Dollar oder mehr haben.

Profitables Regulieren

Je mächtiger der Regulierungsstaat geworden ist, desto größer ist der Anreiz, dass Unternehmen damit Geld verdienen, sich mit staatlicher Hilfe gegen die Marktkräfte durchzusetzen. Bei geschätzten zwei Billionen Dollar an Regulierungskosten, die auf dem Spiel stehen, ist politischer Einfluss unerlässlich. Das Ergebnis: 12.137 registrierte Lobbyisten, die im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz von 3,7 Milliarden Dollar erzielten, und fast 9.000 politische Aktionskomitees, die allein im letzten Wahlzyklus 13 Milliarden Dollar ausgaben. All dies stellt enorme Kosten für Unternehmertum und Produktivität dar.

In den Worten des Wirtschaftswissenschaftlers Russell S. Sobel: „Je mehr sich der Staat in die Wirtschaft einmischt und je mehr Einfluss er auf die Zuteilung von Ressourcen und Einkommensströmen hat, desto größer ist der Anreiz für talentierte Personen, ihre Zeit und ihre Karriere dem politischen Sektor (und folglich nicht dem privaten Sektor) zu widmen.“

Der schlechte Stand des Unternehmertums

Unternehmertum ist ein zentraler Wert des amerikanischen Ethos und verkörpert den freien Willen, die Eigentumsrechte und die Chancengleichheit. Außerdem trägt es in erster Linie zur Innovation und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Regierungsdaten zufolge produzieren kleine Unternehmen 16-mal mehr Patente pro Mitarbeiter als größere Firmen. Und während die meisten Neugründungen nicht lange überleben, expandieren diejenigen, die sich durchsetzen, schnell und schaffen einen unverhältnismäßig hohen Anteil an Arbeitsplätzen.

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Zahlen & Fakten

Wenn also die unternehmerische Aktivität nachlässt, müssen die Alarmglocken schrillen. Die Selbstständigenquote beispielsweise gibt den Anteil der US-Arbeitnehmer an, die sich aus unzähligen Gründen für eine selbstständige Tätigkeit entschieden haben. Nicht alle sind per se Unternehmer, aber die Selbstständigkeit ist ein notwendiger Schritt zur Gründung eines Unternehmens. Die Selbstständigenquote ist von gesunken (Siehe Grafik).

Alternde Firmenwelt

Auch die Zahl der Neugründungen ist zurückgegangen. Nach Angaben des Congressional Budget Office ist die jährliche Rate der Unternehmensgründungen zwischen 1982 und 2018 um 20 Prozent gesunken. Gleichzeitig ging auch die Rate der Firmenpleiten zurück. Infolgedessen ist der Anteil neuer Unternehmen an der Gesamtzahl der Firmen von 38 Prozent im Jahr 1982 auf 29 Prozent im Jahr 2018 gesunken. Auch der Anteil neuer Unternehmen an der Beschäftigung ging zwischen 1982 und 2018 um 36 Prozent zurück.

Vor allem das Beschäftigungswachstum bei Start-ups ist deutlich zurückgegangen, von einem Höchststand von 4,7 Millionen im Jahr 1998 auf 2,5 Millionen Arbeitsplätze im Jahr 2010 – ein Rückgang von 49 Prozent. Die Beschäftigung in der Startup-Branche erholte sich 2018 teilweise auf 3,1 Millionen, blieb aber 35 Prozent niedriger als 1998.

Diese Trends zusammengenommen bedeuten verlangsamten Umschlag von Arbeitskräften und Kapital von älteren, oft weniger effizienten Unternehmen zu neueren, in der Regel effizienteren Unternehmungen, was auf eine geschwächte unternehmerische Tätigkeit und ein geringeres Produktivitätswachstum hindeutet.

Regulierung untergräbt Unternehmertum

Es liegt in der Natur der Sache, dass Regulierung die Kosten für die Geschäftstätigkeit erhöht, seien es höhere Energiepreise aufgrund fragwürdiger Programme gegen den Klimawandel, übermäßige Gesundheits- und Sicherheitsstandards, die Innovationen behindern, Beschränkungen der Kreditvergabe, lästige Vorschriften für die Vergütung von Mitarbeitern und unzählige andere Auflagen.

Das US-Regulierungssystem ist gerade deshalb so reformresistent, weil es ein politisches Ausbeutungssystem ist.

Die zusätzlichen Kosten können von den etablierten (d. h. großen) Unternehmen leichter getragen werden, und der regulatorische Vorteil trägt dazu bei, ihre Dominanz zu sichern. In Wirklichkeit ist das US-Regulierungssystem gerade deshalb so reformresistent, weil es ein politisches Ausbeutungssystem ist – eines, bei dem verschiedene Sonderinteressen von der Gunst der Regierung profitieren.

Weil Regulierung die schmalen Gewinnspannen für Start-ups weiter aushöhlen, gibt es weniger Anreize, sich unternehmerisch zu betätigen. Der Fokus wandert darauf, aus politischem Einfluss zu profitieren – im Wesentlichen die Umverteilung von Vermögen – wird dadurch attraktiver. Und wie der Wissenschaftler Joseph Tainter feststellte, je größer die bürokratische Komplexität ist, desto mehr wird dafür ausgegeben, um weniger zu erreichen.

Das Congressional Budget Office schätzt, dass der Rückgang des Unternehmertums das Produktivitätswachstum um drei bis vier Prozent verringert hat. Dies schlägt sich in höheren Preisen und weniger neuen Arbeitsplätzen nieder. Forscher haben auch gezeigt, dass Unterschiede im Wirtschaftswachstum einzelner Länder zur Hälfte von der jeweiligen unternehmerischen Dynamik abhängt. Sofern Unternehmen mit Regulierungskosten belastet werden, untergräbt dies die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.

Regulierungsstaat entmachten

Es gibt noch keine endgültige Erklärung für den steilen Rückgang des Produktivitätswachstums in den USA im letzten Jahrzehnt. Zweifelsohne spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Regulierung eine massive finanzielle Belastung für die gesamte US-Wirtschaft darstellt, die das Unternehmertum und seinen Beitrag zum Produktivitätswachstum untergräbt. Durch Vorschriften werden Arbeit und Kapital von der Innovation und der Schaffung von Arbeitsplätzen auf die Erfüllung staatlicher Vorgaben verlagert.

Am stärksten trifft die Belastung neue Unternehmen, was die Vorherrschaft der etablierten Firmen sichert. Untragbare Kosten für die Einhaltung von Vorschriften treiben auch Fusionen voran und führen zu einer weiteren Machtkonzentration auf den Märkten.

Es reicht nicht aus, einzelne Vorschriften aufzuheben oder den Prozess der Regulierung zu optimieren. Um sinnvoll zu sein, müssen die Politik dem Regulierungsstaat die Macht entziehen, die verfassungsmäßigen Schranken für die Regierung wiederherstellen, die die wirtschaftliche Freiheit schützen, und den amerikanischen Unternehmergeist wiederbeleben.

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Conclusio

Seit nunmehr über einem Jahrzehnt schwächelt die wirtschaftliche Dynamik in den meisten Industriestaaten. Auch die größte Volkswirtschaft der Welt, die USA, erlebte zuletzt deutliche Rückgänge beim Produktivitätswachstum. Gleichzeitig steigt die bürokratische Belastung der Privatwirtschaft. Das führt dazu, dass Unternehmen immer mehr Ressourcen aufwenden, um Vorschriften zu erfüllen, aber auch diese zu ihren Gunsten zu prägen, um frische Konkurrenz zu verhindern. Darunter leidet die Innovationskraft der gesamten Wirtschaft.

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