Die richtige Therapie der Inflation

Die hohe Inflation wurde durch Pandemie und den Krieg nur ausgelöst. Die wahren Ursachen liegen in der langjährigen Geldschwemme der Notenbanken. Die richtige Therapie erfordert mutige Politik, die Schmerzen in Kauf nimmt.

Mailand im September 1946: eine große Menschenmenge protestiert gegen stark gestiegene Preise, insbesondere bei Lebensmitteln.
Mailand im September 1946: eine große Menschenmenge protestiert gegen stark gestiegene Preise insbesondere bei Lebensmitteln. Großhandelspreise stiegen rapide und würden sich bis Mai 1947 verdoppeln. Ihre Schilder richten sich gegen Spekulanten und die Regierung in Rom. Dank Budgetdisziplin und internationaler Hilfe stabilisierte sich die Lira wieder. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Auslöser. Krieg und Pandemie haben die Inflation ausgelöst, wahre Ursache ist die jahrelange lockere Geldpolitik.
  • Überhang. Im Euroraum kaufte die EZB 2020 und 2021 mehr Staatsanleihen als die Staaten zur Finanzierung ihrer Defizite emittierten.
  • Therapie. Die Notenbanken müssen sowohl Zinsen heben als auch Anleihen verkaufen, um die Geldschwemme rückgängig zu machen.
  • Schmerzen. Die notwendige Geldpolitik wird vorübergehend Wachstum und Beschäftigung schaden, das müssen Politiker durchhalten.

Vor der Therapie steht die Diagnose. Also: Warum ist die Inflation nach einem Dornröschenschlaf von einem halben Jahrhundert plötzlich wieder hellwach? Die meisten Volkswirte haben auf die Brüche in den Lieferketten aufgrund der Pandemiebekämpfung und die durch den russischen Überfall auf die Ukraine ausgelöste Knappheit an Rohstoffen verwiesen.

Damit lassen sich die anfänglichen Preissteigerungen auch gut erklären. Aber wenn dies allein die Gründe gewesen wären, dann hätte die Inflation schon wieder abklingen müssen. Denn Rohstoffpreise wachsen nicht in den Himmel und Lieferketten reißen nicht immer weiter. Tatsächlich wird die Inflation auch nicht von andauernden Preissteigerungen für einzelne Güter, sondern von der Ausbreitung dieser anfänglichen Preissteigerungen auf andere Güter vorangetrieben. Inzwischen steigen die Preise auf breiter Front und ein Ende der Preiswelle ist nicht abzusehen.

Mehr im Dossier Inflationsbekämpfung

Das deutet auf einen im Hintergrund wirkenden, kraftvollen Inflationstreiber hin: die von den Zentralbanken erzeugte Geldschwemme. „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.“ Dieser berühmte Satz des großen Ökonomen Milton Friedman aus den 1960er Jahren ist nach der langen Phase der niedrigen Inflation seit den 1980er Jahren in Vergessenheit geraten. Die große Mehrheit der Ökonomen und Zentralbanker wiegten sich in Sicherheit und dachten, die Inflation sei tot. Für immer.

Inflation wiedererweckt

Und wenn mal einige Preise aufgrund von speziellen Knappheiten steigen, dann kann der daraus folgende Anstieg des allgemeinen Preisniveaus nur vorübergehend sein, so die Mehrheitsmeinung. Doch zeigt die Geldgeschichte, dass die Inflation zwar lange schlafen kann, aber immer wieder erwacht, wenn die Staaten zur Finanzierung ihrer Ausgaben die Gelddruckerpresse ihrer Zentralbanken heiß laufen lassen. Und genau das ist seit Beginn dieses Jahrzehnts passiert.

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Zahlen & Fakten

Im Euroraum hat der Verbund der Europäischen Zentralbank mit den nationalen Zentralbanken in den Jahren 2020 und 2021 mehr Staatsanleihen aufgekauft als die Eurostaaten zur Finanzierung ihrer Haushaltsdefizite in diesen Jahren emittiert haben. Besonders eifrig war dabei die Banca d‘Italia. In den USA war es ähnlich, wenn auch nicht ganz so kraftvoll. Auf diese Weise ist ein Überhang des Geldangebots über die Geldnachfrage entstanden, wie man es in Europa und Amerika bisher nur aus Kriegszeiten kannte.

Nach den Kriegen wurden diese Geldüberhänge durch hohe Inflation (zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg) und Währungsreformen (nach dem Zweiten Weltkrieg) abgebaut. Heute nährt der Geldüberhang die Inflation nach dem Auslaufen der Lockdowns in der Pandemie. Preissteigerungen von einzelnen Gütern infolge des Bruchs von Lieferketten und des Ukrainekriegs waren nur der Anstoß für die Inflation, die sich jetzt in ganzer Breite entfaltet.

Preismotor auf Hochtouren

Man kann sich den Anschub der Inflation wie das Anlassen eines Benzinmotors vorstellen: Die Preissprünge einzelner Güter wirken wie der elektrische Startermotor auf den Benzinmotor. Er dreht sich. Damit er nun anspringt, braucht es einen Zündfunken. Das sind die Lohnerhöhungen, welche die Arbeitnehmer in Reaktion auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten erzwingen.

In den USA sind die Lohnerhöhungen schon in vollem Gang, in Europa schreiten sie auch voran. So haben sich in Deutschland die Tarifpartner in der Chemieindustrie über eine Lohnanhebung von 13 bis 16 Prozent für die Zeit von Anfang 2023 bis Mitte 2024 geeinigt und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat kürzlich eine Lohnerhöhung von 10,5 Prozent für 2023 gefordert, für Mitarbeiter der Post forderte sie zuletzt sogar 15 Prozent mehr Lohn. Und damit der Motor dann lange läuft, braucht es Benzin im Tank. Das ist die Geldmenge, welche die Zentralbanker im Verbund mit den Fiskalpolitikern erzeugt haben.

2022: Ein Preisschild am Berliner Weihnachtsmarkt am Breidscheidplatz. Ein Glühwein mit Likör kostet 8 Euro.
Am Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz kostet ein Glühwein mit einem Schuss Likör im Jahr 2022 satte 8 Euro. Gegen die Sorgen um die hohe Inflation hilft er dem Vernehmen nach trotzdem. © Getty Images

Schmerzhafte Therapie

Wie bringt man nun den Inflationsmotor wieder zum Stillstand, was also ist die Therapie? Schön wäre es, wenn man einfach die Zündung wieder abstellen könnte. Aber der Zündschlüssel klemmt. Die Arbeitnehmer werden kaum auf Lohnerhöhungen zum Ausgleich des Kaufkraftverlustes verzichten, solange die Inflation anhält. Folglich hilft nur eins: Man muss Benzin aus dem Tank pumpen. Sonst läuft der Motor so lange, bis alles Benzin aufgebraucht ist. Und das kann lange dauern, wenn der Tank randvoll gefüllt wurde.

Soll nicht der private Sektor allein die ganze Last der Kreditverknappung tragen, müssen die Notenbanken ihre Anleihen wieder verkaufen.

Hier kommen nun die Zentralbanken wieder ins Spiel. Heben sie die Leitzinsen an, steigen die Kreditzinsen der Banken und die Kreditnachfrage fällt. Da unser Bankengeld über die Kreditnachfrage entsteht, verschwindet es auch wieder, wenn weniger neue Kredite vergeben als fällige zurückgezahlt werden. Kredit- und Geldbestand sinken im Gleichschritt, das Geld wird knapper.

Doch Zinsanhebungen allein werden nicht reichen. Die Zentralbanken haben auch eine Menge neues Geld für ihre Staaten über den Kauf von Anleihen geschaffen. Soll nicht der private Sektor allein die ganze Last der Kreditverknappung tragen, müssen sie diese Anleihen wieder verkaufen. Also: Zinsanhebungen zur Kreditverknappung für die Privaten, Anleiheverkäufe zur Kreditverknappung für den öffentlichen Sektor. Die Zinsen steigen dann über alle Laufzeiten der Kredite und Anleihen.

Arbeitsmarkt ins Lot bringen

Da Geld zur Güternachfrage gebraucht wird, sinkt diese Nachfrage mit der Geldverknappung. Die geringere Güternachfrage führt zum Rückgang der Inflation. Doch dieser Prozess verläuft nicht ohne Schmerzen. Denn wenn die Güternachfrage fällt, werden viele Leute arbeitslos.

Das tut weh, hat aber auch eine gute Seite. Die Arbeitslosen sind möglicherweise bereit, für geringere Löhne wieder zu arbeiten, wenn die Gewerkschaften sie lassen. Fallen die Löhne, wird der Rückgang der Inflation beschleunigt. Es ist, als ob man den Zündschlüssel aus seiner Verklemmung gelöst hätte.

Kommt dann noch hinzu, dass die anfängliche Knappheit bestimmter Güter durch die Reparatur von Lieferketten und Ausweitung des Rohstoffangebots abgebaut werden, sind alle Voraussetzungen für die Rückkehr zur Preisstabilität wieder gegeben.

Exponierte Staatsfinanzen

Klingt eigentlich ganz einfach. Doch es gibt eine Reihe von Fallstricken auf dem Weg zurück zur Preisstabilität. Da ist zum einen die hohe Verschuldung, die während der langen Phase der niedrigen Zinsen aufgebaut wurde. Steigen die Kreditzinsen, können Schuldner in finanzielle Schieflagen geraten.

Die finanzielle Beinahe-Kernschmelze britischer Pensionsfonds angesichts der Absicht der Bank von England, ihre Staatsanleihen zur Inflationsbekämpfung wieder zu verkaufen, und der Absicht der britischen Regierung, zur Finanzierung von Steuersenkungen neue Staatsanleihen zu emittieren, gab einen Vorgeschmack darauf, was auch anderswo passieren könnte: Nach heftigen Reaktionen der Märkte musste die verantwortliche Premierministerin Liz Truss, keine zwei Monate nach Amtsantritt, wieder zurücktreten.

Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi überreicht eine Glocke an seiner Nachfolgerin Christine Lagarde am 28. Oktober 2019.
Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi überreicht eine Glocke an seine Nachfolgerin Christine Lagarde am 28. Oktober 2019. Die Glocke – das Original ist wesentlich kleiner – dient zu Ordnungsrufen im EZB-Rat. Bis zum Inflationsschock 2022 führte die Französin die ultralockere Geldpolitik ihres Vorgängers fort, die den Euro-Ländern das Schuldenmachen erleichterte. © Getty Images

Wie resilient ist der amerikanische Aktienmarkt gegen Zinsanhebungen und kann die US-Federal Reserve einen Crash an diesem Markt zulassen? Oder muss sie wie die Bank von England die Inflationsbekämpfung aussetzen oder gar abbrechen, wenn der Markt in die Knie geht? Und kann die EZB mit der Inflationsbekämpfung wirklich ernst machen, wenn die Zinsen auf italienische Staatsanleihen so weit steigen, dass dem italienischen Staat die Zahlungsunfähigkeit droht? Man darf gespannt sein.

Mutige Politik notwendig

Da ist zum anderen die Furcht vor einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Natürlich muss der überhitzte Arbeitsmarkt, auf dem die Zahl der offenen Stellen mindestens so groß ist wie die Zahl der Arbeitslosen, abgekühlt werden. Was aber, wenn die Arbeitslosigkeit so stark ansteigt, dass es den Politikern mulmig wird?

Können die Zentralbanker die Zinsen dann so lange weiter erhöhen, bis die Inflation endgültig am Boden liegt? In den 1970er Jahren brauchte es fast ein Jahrzehnt, bis Politiker und Zentralbanker den Mut fanden, den Weg der Inflationsbekämpfung auch bei steigender Arbeitslosigkeit bis zum Ende zu gehen.

Und schließlich besteht die Gefahr, dass die Fiskalpolitiker den Kampf der Geldpolitiker gegen die Inflation konterkarieren. Der Bedarf an Staatsausgaben scheint grenzenlos: zur besseren militärischen Verteidigung, zur Renovierung der maroden öffentlichen Infrastruktur, für die Unterbringung einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen, den Klimaschutz, die Deckelung von Energiepreisen, die direkte Unterstützung sozial Schwacher und so weiter.

Wenn aber die Fiskalpolitik die Nachfrage zusätzlich befeuert, dann muss die Geldpolitik noch stärker bremsen – und die Gefahr von Schulden- und Finanzkrisen steigt. Keine Frage: Heute sind die Dinge noch viel komplizierter als in den 1970er Jahren.

Inflation verlockt zur Entschuldung

Verfolgt man die Entwicklung der Inflation, kommt man sich vor wie beim Schauen einer Netflix-Serie. Die Geschichte nimmt immer wieder neue Wendungen und Folgen reihen sich zu Staffeln. Das Ende ist nicht abzusehen, und man kann nur darüber spekulieren, wie die Geschichte ausgehen könnte. Möglicherweise brauchen wir noch eine geraume Zeit hoher Inflation, um zur Vorbereitung einer ernsthaften Inflationsbekämpfung zunächst die reale Schuldenlast zu verringern.

Leiden wir noch länger an der Inflation, sind wir eher bereit, die Kosten der Inflationsbekämpfung in Form von tiefer Rezession und hoher Arbeitslosigkeit zu akzeptieren.

Denn steigen die Einkommen öffentlicher und privater Schuldner dank Inflation schneller als ihre Schulden, nimmt das Verhältnis von Schulden zu Einkommen ab und Zinserhöhungen sind leichter zu ertragen. Dafür muss der Zins für längere Zeit unter der Inflationsrate liegen. Und leiden wir noch länger an der Inflation, werden wir ihrer noch überdrüssiger und sind eher bereit, die Kosten der Inflationsbekämpfung in Form von tiefer Rezession und hoher Arbeitslosigkeit zu akzeptieren.

Im bequemen Fernsehsessel kann man die Serien genießen, denn man steckt selbst nicht im Geschehen drin. Doch die Inflation hat uns gepackt. Statt Zuschauer sind wir Akteure. Und die Aktion ist noch lange nicht zu Ende.

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Conclusio

Die hohe Inflation wurde durch Russlands Angriff auf die Ukraine sowie unterbrochene Lieferketten ausgelöst. Als Reaktion auf steigende Preise werden Löhne erhöht. Dass die Teuerung jedoch andauert, liegt an der stark gewachsenen Geldmenge, die von Zentralbanken seit der Finanz- und Eurokrise aufgeblasen wurde. Um den Kreislauf zu stoppen, müssen die Notenbanker auf die Bremse steigen, Zinsen anheben und ihre gehorteten Staatsanleihen wieder auf den Markt werfen. Das schadet der Konjunktur kurzfristig, ist mittelfristig jedoch erträglicher als eine galoppierende Geldentwertung.

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