Mann mit Schubkarre voller Geld geht in eine Bäckerei

Die Gefahren der Teuerung

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Auf den Punkt gebracht

  • Einkommen bedroht. Wegen des Anstiegs der Preise können sich die Menschen für das gleiche Geld weniger leisten.
  • Ungleichheit steigt. Weil ärmere Haushalte einen größeren Teils ihres Einkommens für Miete, Strom oder Essen ausgeben als reichere, leiden sie stärker unter Inflation.
  • Notenbanken schauen zu. Die Zentralbanken unternehmen nichts gegen die Inflation – im Gegenteil: Nullzinsen und Geldspritzen heizen Preise weiter an.
  • Sparer bluten. Auf dem Sparbuch bekommt man schon lange keine nennenswerten Zinsen, dank Teuerung schrumpfen die Ersparnisse immer stärker.

Viele Ökonomen reiben sich derzeit zufrieden die Hände. Die Inflationsraten – insbesondere in den USA – sind nach Ende der Lockdowns und mit dem Anziehen der Wirtschaft deutlich gestiegen. Das Deflationsgespenst – also die von den meisten Experten für viel bedrohlicher gehaltene Gefahr sinkender Preise – wurde spätestens durch den konjunkturellen Aufschwung verjagt. Von einem anderen Geist namens Inflation. Und diesen Geist, den die Zauberlehrlinge der Wirtschafts- und Geldpolitik der Industriestaaten riefen, werden wir nach derzeitigem Stand nicht so schnell wieder los. Die große Frage lautet jetzt: Droht eine massive Entwertung des Geldes?

Brüchige Lieferketten

Hauptgrund der anrollenden Teuerungswelle: Die Konsumenten können endlich wieder Geld ausgeben, kaufen nach der Wiedereröffnung von Geschäften, Gaststätten und Hotels Möbel oder Autos, gehen in Restaurants und auf Reisen. Der Nachholbedarf nach der Pandemie ist enorm, doch die internationalen Lieferketten sind brüchig. Einmal sind es Produktionsengpässe bei Chips, die zum Stillstand von Autofabriken führen, dann fehlt Baumaterial, dann wieder sind Kühlschränke oder Waschmaschinen nicht ausreichend lieferbar. Zudem strömt – aus unterschiedlichen Gründen – zu wenig Gas von Russland nach Europa. Wenn Güter knapp sind, werden sie in der Regel teurer. 

Genau das passiert gerade, und es passiert in einer Zeit, in der noch andere Faktoren die Preise anheizen. Doch dazu später. Die Teuerung hat es jedenfalls in sich und überschreitet in den USA schon seit Mai die Marke von fünf Prozent. Bei der Kerninflation, bei der Nahrungsmittel und Treibstoffe ausgeklammert werden, wurde sogar die höchste Teuerung seit dreißig Jahren gemessen. Für einen Gebrauchtwagen beispielsweise zahlen Amerikaner im Durchschnitt gut 40 Prozent mehr als vor einem Jahr. In Österreich lag die Inflation zuletzt über der Schwelle von drei Prozent, in Deutschland kletterte die Rate im September auf 4,1 Prozent. Das ist der höchste Wert seit 28 Jahren. Zumindest vorübergehend ist mit Teuerungsraten von fünf Prozent zu rechnen.

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Zahlen & Fakten

Das Kernproblem dabei: Die Menschen können fürs gleiche Geld weniger kaufen, die Unternehmen weniger bestellen. Jetzt haben Volkswirte und Wirtschaftspolitiker, die seit der Finanzkrise 2008 mit Erfolg massive Interventionen von Notenbanken und Staaten zur Vermeidung einer Preisspirale nach unten verlangen, Erklärungsbedarf. Denn die gestiegene Teuerung hat vor allem einen Effekt: Sie macht die Menschen faktisch ärmer, weil die Löhne nicht mit dem Preisanstieg mithalten. Dazu kommt die nun schon lange anhaltende Entwertung der Spareinlagen, deren Verzinsung – so überhaupt existent – deutlich unter der Inflation liegt. 

Die Wirtschaftsforscherin Heike Lehner vom Thinktank Agenda Austria spricht eine weitere Folge der Preissteigerungen an: „Wenn eine höhere Inflation erwartet wird, konsumieren die Leute sofort, weil es später teurer wird.“ Die dadurch erzeugte höhere Nachfrage führt natürlich zu höheren Preisen – ein Teufelskreis. 

Wer die Zeche zahlt

Für Unternehmen stellt sich die Problematik ähnlich dar. Hierzu hat die Schweizer Ökonomin Sarah M. Lein ein Beispiel parat: „Wenn eine Tischlerei erwartet, dass Preise steigen, dann schreibt sie in einem längerfristigen Vertrag mit einem Möbelhändler relativ höhere Preise fest. Damit sieht der Möbelhändler schwarz auf weiß, dass die Preise gestiegen sind, und gibt das an den Konsumenten weiter. Dieser verlangt darauf einen höheren Lohn, um sich sein Sofa leisten zu können.“ Damit setzt sich die sogenannte Lohn-Preis-Spirale in Gang.

Die Zeitbombe tickt. Elisabeth Krecké, Luxemburger Expertin und frühere Volkswirtschaftsprofessorin: „In einer boomenden Wirtschaft kann die Inflation außer Kontrolle geraten, wenn die Zinsen nicht angehoben werden.“ Sie zielt mit dieser Aussage auf die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ab, die noch nicht auf die anziehenden Preise reagiert hat. Die Frage ist freilich immer, wer seine Preiserhöhungen tatsächlich durchsetzen kann und wer nicht. Wer also in der Lage ist, sein Problem auf andere abzuwälzen, und wer der Teuerung hilflos ausgesetzt ist und in der Folge den Gürtel enger schnallen muss. 

Wie stark Konsumenten von Inflation betroffen sind, hängt nicht zuletzt von deren Einkaufsverhalten ab. Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, geben einen größeren Teil ihres Einkommens für Benzin oder Diesel aus als Personen im Homeoffice. Während für Familien mit Kleinkindern Windeln und Babynahrung eine große Rolle bei den Ausgaben spielen, haben bei anderen Gruppen Gastronomie oder Reisen ein höheres Gewicht. Genauso macht es einen Unterschied, ob Menschen im Eigenheim leben oder in einer Mietwohnung.

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Zahlen & Fakten

Geringverdiener stärker betroffen

Klar ist, wer zu den Verlierern der Inflation zählt: Ärmere Haushalte leben tendenziell von der Hand in den Mund und haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie Besserverdienende, sich in Zeiten niedrigerer Preise einzudecken. Zudem geben sie von ihrem Einkommen anteilig mehr Geld für Nahrungsmittel, Heizen, Strom oder Treibstoffe aus und sind damit stärker von diesen Preistreibern betroffen.

Eine Studie hat für die USA herausgefunden, dass für einkommensschwächere Haushalte die Teuerung über einen Zeitraum von neun Jahren mit einem Drittel zu Buche schlug. Für Besserverdiener betrug die Inflation in derselben Periode 25 Prozent. Steigende Preise stellen somit nicht nur eine allgemeine Belastung für Verbraucher dar, sondern sind auch ein Verstärker der Ungleichheit. Sie bergen zudem eine ganz andere Explosionsgefahr. Pragmaticus-Expertin Lehner: „In Phasen niedriger Zinsen werden unternehmerische Entscheidungen getroffen, die nicht nachhaltig sind. Denken Sie an ein Bauprojekt, das nur kurzfristig etwas abwirft. Geld fließt in die falschen Richtungen.“ Da rächt es sich, wenn die Zinsen eines Tages wieder anziehen. Alle möglichen Investitionen, ob in Immobilien, Start-ups oder in einen Pkw, sind bei einer Verteuerung der Kredite weniger rentabel, wenn nicht gar gefährdet.

Sachwerte sind gefragt

Heike Lehner führt weiter aus: „Wenn die Firma dann Verluste schreibt, muss die Bank um ihren Kredit zittern.“ Ähnliches gilt für die stark gestiegenen Vermögenspreise – von Aktien über Immobilien bis hin zu anderen Wertanlagen wie Kunst oder Sammlergegenständen. Denn niedrige oder gar negative Zinsen, gekoppelt mit einer beispiellosen Geldschwemme der Notenbanken, haben die Anleger aus Sparbüchern in Sachwerte getrieben. Lehner: „Das viele Geld, das in die Märkte fließt, führt zu hohen Bewertungen. Irgendwann crasht es dann.“

Die Notenbanken spielen mit dem Feuer. Seit dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 versuchen sie, einen Flächenbrand an den Finanzmärkten zu verhindern. Das Kernproblem: Die Europäische Zentralbank, die Federal Reserve oder die Bank of Japan sind auch in der Aufschwungphase erst nach der Finanz- und dann nach der Eurokrise kaum oder gar nicht vom geldpolitischen Gaspedal gestiegen.

Powell und Lagarde begrüßen sich
Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Fed, und seine Amtskollegin von der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, setzen dem Preisschub nichts entgegen. © Getty Images

Notenbanken schießen scharf

Seit Ausbruch der Covid-Pandemie hat die Flutung der Märkte mit gedrucktem Geld noch einmal ungeahnte Ausmaße erreicht: Um 60 Prozent auf 24 Billionen Dollar (umgerechnet rund 20 Billionen Euro) ist deren Bilanzsumme explodiert, was die massiven Wertpapierkäufe der genannten Notenbanken widerspiegelt. Diese Injektionen entsprechen ungefähr der sechsfachen jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands.

Dass die Lage ernst ist, hat auch der US-Ökonom Larry Summers mit eindringlichen Worten skizziert. Die US-Ökonomie sei nicht am Überhitzen, sondern „on fire“, meinte er, also in Flammen. Wenn die Federal Reserve sich weigerte, das Problem anzuerkennen, warnte Summers, könnten die fiskalischen Anreize von Präsident Biden den Weg zu einer neuen, anhaltenden Ära hoher Inflation ebnen. Summers ist übrigens kein konservativer Gegner Bidens, sondern war Finanzminister unter Bill Clinton und Nationaler Wirtschaftsberater unter Barack Obama. Die Interventionen der Notenbanken tragen nun zum Preisschock bei, denn das Geld ruht längst nicht mehr ungenützt auf den Konten der Banken, sondern fließt in den Wirtschaftskreislauf.

Ökonom Thomas Mayer, Direktor am Flossbach von Storch Research-Institute und früherer Chefvolkswirt der Deutschen Bank, bringt diesen Zusammenhang folgendermaßen auf den Punkt: „Wie die Geschichte zeigt, hat eine starke Ausweitung der Geldmenge, insbesondere wenn sie durch Kredite an den Staat getrieben war, immer zum Kaufkraftverlust des Geldes geführt. Bis in die jüngere Vergangenheit hat das Geld vor allem an Kaufkraft für Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien verloren. Jetzt zeichnet sich ab, dass sich der Kaufkraftverlust auf Waren und Dienstleistungen ausweiten dürfte.“

Sparer bluten

Mayers Urteil über die aktuelle Politik der wichtigsten Notenbanker fällt vernichtend aus: „Sie belassen die Zinsen auf historischen Tiefständen und schauen dem Anstieg der Inflation rat- und hilflos zu. Die Geldsparer werden dafür zur Kasse gebeten.“ Die Schweizerin Lein verteidigt hingegen die lockere Geldpolitik: „Damit werden zum Beispiel Arbeitsplätze und damit Arbeitseinkommen gerettet. Es wäre keine bessere Politik, wenn die Geldpolitik restriktiver wäre, um weniger Ungleichheit zu generieren, womit aber im Gegenzug viele Arbeitnehmer ihre Stellen verlieren würden.“

Die intensiven Stützungsaktionen der Notenbanken dienen freilich nicht nur der Konjunkturbelebung, sondern helfen auch den Regierungen. Agenda-Austria-Expertin Heike Lehner verweist auf die hohen Schulden der Staaten und die damit verbundene wachsende Abhängigkeit der Notenbanken von den Regierungen. „Die Staaten finanzieren sich über die Notenpresse. Der Kauf von Staatsanleihen bedeutet letztlich Staatsfinanzierung. Je stärker die Staatsschulden steigen, desto abhängiger wird die Notenbank von den Regierungen.“ Allerdings verleitet die weit geöffnete Geldschleuse die Staaten dazu, ständig neue Schulden zu machen.

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Zahlen & Fakten

Vertrauen gefährdet

Ein gefährliches Spiel, wie die jüngere Geschichte lehrt. Pragmaticus-Expertin Elisabeth Krecké: „Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, wie schnell das Vertrauen in die Kreditwürdigkeit überschuldeter Staaten verlorengehen kann. Die Angst vor einem Zahlungsausfall der griechischen Regierung wurde zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung und drohte die gesamte Eurozone und ihre gemeinsame Währung zu Fall zu bringen.“

Doch statt bei guter Konjunktur die Ausgaben zu reduzieren und staatliche Strukturen zu straffen, verschaffte die EZB den Euroländern weiteren Spielraum zur Verschuldung. Das Geld aus der Notenpresse wurde zur Droge, deren Dosis laufend erhöht wird und die Preise antreibt. Krecké warnt: „Wenn die Staatsanleihenkäufe langfristig praktiziert werden, kann das Vertrauen in die angeblich unabhängigste Notenbank der Welt, also die EZB, erodieren.“ Gerade Krisenzeiten wie eben die Corona-Pandemie könnten zu einem Wendepunkt werden, an dem schon länger keimendes Unbehagen in der Bevölkerung zu einer Flucht in Sachwerte oder zu einem Run auf Banken führten, ergänzt Heike Lehner.

In einer boomenden Wirtschaft kann die Inflation außer Kontrolle geraten, wenn die Zinsen nicht angehoben werden.

Elisabeth Krecké (Finanzexpertin)

Doch wie kommt man aus der Zwickmühle von hoher Inflation und massiver Verschuldung wieder heraus? Pragmaticus-Expertin Heike Lehner nimmt die Notenbanken – allen voran die EZB – in die Pflicht: „Sie sollte dem Ziel der Preisstabilität Vorrang geben, sonst schrumpft das Vertrauen weiter.“

Weckruf an die Staaten

Lehners zweiter Weckruf richtet sich an die Staaten: „Wenn die Staatsschulden überall bei 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gelegen wären, bräuchten wir keine EZB, die Staatsanleihen kauft. Einige Länder wie Schweden haben gezeigt, dass es auch ohne Leben auf Pump geht. Dort wurden die Voraussetzungen geschaffen, um in der Krise gegensteuern zu können.“ Doch in der Realität geht es in die andere Richtung. Die Kosten des Staates, der in weiten Teilen öffentlicher Leistungen als Monopolist auftritt, steigen stärker als jene der Privatwirtschaft. Produktivitätsgewinne muss man mit der Lupe suchen. Die versprochene Digitalisierung und die Beseitigung von Doppelgleisigkeiten in der Verwaltung sind nicht viel mehr als Lippenbekenntnisse. 

Weitere Faktoren sorgen dafür, dass es langfristig zu zusätzlichen Preisschüben kommen dürfte. Da wäre einmal die Alterung der Gesellschaft, die sich langfristig auf die Teuerung auswirkt: Die Babyboomer-Generation, die in den nächsten Jahren in Pension geht, gibt größere Anteile der hohen Ersparnisse aus und stimuliert somit die Nachfrage – und damit die Preise.

Preistreiber Klimaschutz

Der zweite globale Trend, über den nicht so gerne gesprochen wird: Der Klimawandel führt zu höheren Abgaben auf den Energieverbrauch. Deutschland beispielsweise erlebt gerade einen veritablen Preisanstieg beim Strom. Dank CO2-Bepreisung und Umlage für den Ausbau erneuerbarer Energie hat sich das Land beim Strompreis an die Spitze in Europa katapultiert. Daneben gibt es viele weitere Ideen für Klimasteuern. Für Heike Lehner liegen die Folgen einer höheren Belastung von Treibhausgasemissionen auf der Hand: „Natürlich werden dadurch die Preise steigen.“

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Conclusio

Die Inflation ist dank Wirtschaftserholung stark gestiegen und lag zuletzt in den USA schon mehrere Monate lang bei über fünf Prozent. Die Geldentwertung macht Haushalte faktisch ärmer, weil ihre Löhne in der Regel nicht in demselben Ausmaß wachsen wie die Preise. Da Bezieher niedriger Einkommen einen höheren Anteil ihres Geldes ausgeben, sind sie von der Teuerung tendenziell stärker betroffen. Verstärkt wird der Preisdruck durch die Notenbanken, die Billionen in die Märkte pumpen und so die Zinsen weiter drücken wollen. Die Staaten als Quasi-Monopolisten tragen mit steigenden Kosten und Abgaben ebenfalls zur Inflation bei. Sie profitieren doppelt von der Situation, da sie sich billig verschulden können. Das wiederum verstärkt den Anreiz, Politik auf Pump zu machen. Die Rechnung zahlen Verbraucher und Sparer.