Islamismus gegen muslimische Vielfalt
Ein unkritischer medialer Diskurs und das Schweigen in muslimischen Familien machten den Islamismus groß und die Vielfalt klein, sagt die Autorin Sineb El Masrar.
An der Ausbreitung des Islamismus seien Medien wie muslimische Gemeinden nicht ganz unschuldig, sagt Sineb El Masrar. Da die Medien den islamistischen Strömungen Reichweite geben und viele Muslime ihren Einfluss zugleich unterschätzen, würden sie vor allem für junge Menschen als vermeintlicher Gegenentwurf zur Mehrheitsgesellschaft immer attraktiver.
Der Podcast über Islamismus mit Sineb El Masrar
Viele Muslime erkennen gar nicht das Ausmaß der Beeinflussung durch den Islamismus in ihrem Leben.
Sineb El Masrar
El Masrar lenkt den Blick unter anderem auf die Biografien von radikalen Islamisten, etwa solchen, die sich, in Deutschland oder Österreich sozialisiert, dem Islamischen Staat angeschlossen haben. „Es sind Biografien, die durch Gewalt innerhalb der Familien geprägt sind. Die Auseinandersetzung über körperliche Gewalt in den Familien findet in der muslimischen Gemeinschaft im Westen keinen Raum. Und das Ventil wird nicht selten in islamistischen Agitation gesucht und gefunden.“
Junge Männer suchten Anschluss an eine Gemeinschaft und auch Struktur. El Masrar kritisiert die Naivität von Eltern, die in der vermeintlichen Hinwendung zur Religion eine Abwendung von Drogen oder anderen Problemen sehen. „Auch in der muslimischen Gemeinschaft ist das Bewusstsein über Islamismus gar nicht so ausgeprägt. Ich muss leider sagen, dass viele Muslime, das Ausmaß des legalistischen Islamismus, nicht kennen und die Einflussnahme in ihrem Leben und ihrer Gesellschaft. Das ist ein Problem, weil wir so nicht über die Probleme in einer so diversen Gesellschaft, wie wir sie in Europa haben, sprechen und nicht aushandeln können, wir wir zu Lösungen und Verbesserungen der hiesigen Demokratie kommen, und sie vor allem bewahren.“
Der unsichtbare Islam
Der aufgeklärte Islam, den viele Muslime leben, ist meist nicht organisiert. Wie in der Lebensrealität von Christen oder Juden gibt es eine Vielfalt muslimischen Lebens, viele Muslime seien nicht in Vereinen oder Verbänden. Diese „stillen Vernünftigen“ wie El Masrar sie nennt, werden daher oft nicht wahrgenommen. Sie suchen nicht die Öffentlichkeit und die Medien haben in der Regel wenig Interesse an ihnen: „Muslime die keinen Herrschaftsanspruch vertreten sind für viele Medienvertreter langweilig und daher auch nicht erwähnenswert. Und das ist ein Problem.“
Von der muslimischen Gemeinschaft erwartet El Masrar eine Auseinandersetzung mit mit problematischen Auslegungen des Islam; eine Enttabuisierung des Sprechens über Sexualität und ein Überdenken der Rolle der Eltern. „Solange das nicht aufgebrochen wird, wird es immer dazu führen, dass die Probleme und die Schuld im Außen gesucht werden. Das führt in die Bekämpfung der Mehrheitsgesellschaft, der nichtmuslimischen Gesellschaft, und das können wir nicht zulassen.“
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Über Sineb El Masrar
Sineb El Masrar ist Publizistin und Autorin. Sie stammt aus Hannover und ist die Tochter marokkanischer Einwanderer. 2006 gründete sie das Frauenmagazins Gazelle, das sie als Herausgeberin leitete. El Masrar war Teil der Arbeitsgruppe „Medien und Integration“ im deutschen Kanzleramt und von 2010 bis 2013 Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz. Über muslimisches Leben der Gegenwart hat sie mehrere Bücher geschrieben, darunter Muslim Men und Emanzipation im Islam. Zuletzt erschien von ihr Heult leise, Habibis im Eichborn Verlag (Ullstein Books).