Repression und Widerstand im Krieg
Putin macht Macho-Politik, sagt die Politikwissenschaftlerin Valerie Sperling. Sie untersucht, wie Feministinnen mit der Repression umgehen, die damit verbunden ist.
Sofort mit der Präsidentschaft Putins begannen in Russland Wellen der Repression, die sich inzwischen gegen alles richten, was als „antirussisch“ stigmatisiert wird. Insbesondere Feministinnen stehen im Fadenkreuz der staatlichen Unterdrückung. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Valerie Sperling untersucht in einer Forschungsgruppe mit den Politikwissenschaftlerinnen Laura Henry vom Bowdoin College in Maine und Lisa McIntosh Sundstrom von der University of British Columbia in Kanada, wie es den Aktivisten geht, besonders dann, wenn sie ins Exil gehen müssen.
Frau Sperling, was beschäftigt Sie gerade?
Valerie Sperling: Gemeinsam mit Laura Henry vom Bowdoin College in Maine und Lisa McIntosh Sundstrom von der University of British Columbia in Kanada untersuche ich, wie sich zivilgesellschaftliche Aktivisten aus verschiedenen sozialen Bewegungen an Repression anpassen. Unser Fokus ist Russland. Uns interessieren vor allem feministische Bewegungen und die Umweltbewegung.
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Können Sie die Ausgangslage beschreiben? Sind feministische Bewegungen in Russland bzw. zuvor der Sowjetunion mit jenen im Westen vergleichbar? Mit welcher Art von Repression waren und sind sie konfrontiert?
So etwas wie feministischer Aktivismus begann in der Sowjetunion mit Glasnost und Perestroika in den späten 1980er Jahren, als es nicht mehr so gefährlich war, zivilgesellschaftliche Gruppen zu gründen. Ansätze in den späten 1970er Jahren waren relativ schnell zerschlagen worden. Im Fall der Feministinnen begannen die Frauen mit dem, was man in Deutschland oder den Vereinigten Staaten wohl als Bewusstseinsbildung bezeichnen würde. Eine der ersten organisierten Gruppen, die daraus hervorgingen, war das Moskauer Zentrum für Gender Studies in den 1999ern.
Als die Sowjetunion schließlich zerfiel, erlebte der Feminismus eine Blüte. Plötzlich gab es Zeitungen und auch Geld – unter anderem aus den USA. USAid, das Entwicklungshilfeprogramm, private Stiftungen wie die Ford Foundation; die Republikaner über das International Republican Institute (IRI) und die Demokraten mit dem National Democratic Institute (NDI) unterstützten. Die Finanzhilfen waren teilweise nicht unproblematisch, weil es Kooperationen zwischen den Gruppen eher verhinderte, da sie um dieselben Finanzierungen konkurrierten. Auch ging damit eine gewisse Formalisierung einher: Die Gruppen brauchten plötzlich Vorstände usw.
Das Rückgrat der Demokratie
Nach 9/11 2001 richteten viele Unterstützer ihren Fokus woanders hin, was die finanzielle Situation schwierig machte, Institutionen wie das Petersburger Zentrum für Genderfragen mussten schließlich schließen. Und das Regime unter Putin, der ja 1999 ins Amt kam, wurde im Laufe der Zeit immer repressiver. 2011 brachen nach dem Wahlbetrug bei den Wahlen zur Duma Proteste los, die ein Jahr lang anhielten. 2012 gab es dann die erste Reihe von Gesetzen über ausländische Agenten, sodass Organisationen, die ausländische Zuschüsse erhielten, nicht politisch aktiv sein durften. Was politisch heißt, wurde bewusst nicht definiert, bis heute nicht.
Seit Juli 2022 betreffen diese Gesetze jeglichen Bezug zum Ausland und jeder und jede kann ein ausländischer Agent sein, es muss keine finanzielle Beziehung mehr bestehen. Auch die Corona-Pandemie wurde genutzt, um die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Mit der Vollinvasion in die Ukraine 2022, aber auch schon seit der Annexion der Krym 2014, können Menschen nun schon für sehr kleine Protestaktionen verhaftet und strafrechtlich verfolgt werden. Sasha Skochilenko zum Beispiel, die Anti-Kriegs-Botschaften in Supermärkten in Sankt Petersburg verteilt hat, wurde zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Man hat sie im Sommer in einem internationalen Gefangenenaustausch freibekommen. Heute ist bereits die Verwendung des Wortes „Krieg“ im Zusammenhang mit der russischen Invasion in die Ukraine illegal.
Wie sind die feministischen Gruppen jeweils mit den Repressionswellen umgegangen?
Einige Organisationen haben sich aufgelöst, andere wurden extrem vorsichtig. Ein Krisenzentrum für Frauen in Moskau zum Beispiel bekam etwas finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, achtete aber darauf, nichts zu tun, was als politisch angesehen werden könnte. Allerdings wurden inzwischen auch Netzwerke von Organisationen gegen häusliche Gewalt und ihre Hotlines als ausländische Agenten eingestuft. Organisationen, die es konnten, weil für sie eine Internetpräsenz reicht, sind untergetaucht. Eine letzte Möglichkeit ist dann das Exil im Ausland. Vor allem nach der Invasion in die Ukraine haben viele Russland verlassen, um vom Ausland aus eine soziale Bewegung zu gründen oder aufrechtzuerhalten.
Sind die Aktivisten damit vor Verfolgung sicher?
Wie wir wissen, hat die russische Regierung unter Putin keine Scheu davor, ihre Gegner und Kritiker auch im Ausland zu verfolgen. Hundertprozentig sicher sind sie also nicht.
Ist der politische Aktivismus mit dem Exil beendet?
Das nicht, aber das Exil bringt besondere Herausforderungen. Wenn Sie zum Beispiel häusliche Gewalt als Thema haben, dann wollen Sie die Gesetzgebung so beeinflussen, dass häusliche Gewalt als eine Straftat gilt und die Polizei einschreiten muss, weil es keine private Angelegenheit ist. Darüber hinaus, werden Sie wahrscheinlich dafür kämpfen, dass Notunterkünfte für Frauen finanziert werden und Krisentelefone. Das heißt, soziale Bewegungen brauchen bestimmte Strukturen, um wirksam zu sein, unter anderem zum Beispiel Verbündete im Parlament.
Wenn Sie als Aktivistin erst einmal weg sind, sind sie nicht mehr in der Lage, ihre Regierung zu beeinflussen. Einige der Umweltschützer, mit denen wir gesprochen haben, arbeiten immer noch aus der Ferne mit lokalen und regionalen Stellen zusammen, schreiben Berichte und helfen ihnen bei der Analyse von Daten und anderen Umweltfragen. Ein Ausweg ist dann digitaler Aktivismus, aber das ist nicht ganz ungefährlich. Die russische Regierung stellt Feministinnen im Ausland als ausländische Agenten dar und behauptet, sie lebten dort auf großem Fuß. Ds macht es für Aktivisten schwierig, ihre Botschaft zu verbreiten.
Aber sie können sich mit anderen Aktivisten mit ähnlichen Anliegen zusammenschließen oder gibt es diese Solidarisierung im Exil nicht?
Das ist ebenso interessant wie kompliziert, wie wir für russische Aktivisten in Tiflis und in Berlin herausgefunden haben. Die russischen Aktivisten, die nach Georgien geflohen sind, sind ebenso wie die georgische Opposition Gegner von Putin des Ukraine-Krieges. Sie sind aber Russen. In Georgien haben die russischen Aktivisten ihre Veranstaltungen daher nicht auf Russisch beworben, um nicht „imperialistisch“ zu wirken.
„Die Kunst hilft beim Überleben“
In Deutschland gibt es andere Schwierigkeiten: Dort ist die Linke, wo umweltpolitische und feministische Themen eher eine politische Heimat haben, in Teilen gegen die Unterstützung der Ukraine mit Waffen, was manche der feministischen Aktivistinnen aus Russland aber befürworten. Hinzu kommt, dass viele der russischen Aktivistinnen in Russland strafrechtlich verfolgt wurden und sich ohne feste Wohnung, Arbeitsplatz und Geld in einer ziemlich prekären Lage befinden. Sie stellen das aber nicht in den Vordergrund, weil sie den geflüchteten Ukrainern nichts wegnehmen wollen. Je länger der Krieg dauert, umso repressiver wird auch das System Putin. Aktivisten, die sich in Deutschland etwa für Waffenlieferungen in die Ukraine aussprechen, riskieren, ihre Mitstreiter in Russland in Gefahr zu bringen.
Sind Feministinnen mehr Repression ausgesetzt als Umweltschützer?
Der Feminismus steht immer schon im Widerspruch zu Putins Inszenierung als starker männlicher Führer, die ja auf sehr starren und essenzialistischen Vorstellungen von Männern und Frauen aufbaut. Auch die antiwestliche und antiamerikanische Haltung beruht darauf, Europa als „schwul“ und verweichlicht darzustellen. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine kommt noch die natalistische Politik Putins hinzu und die Emphase auf Bedeutung des Kinderkriegens usw. Feministinnen sagen nun aber, dass es Frauen überlassen sein muss, ob sie Kinder möchten oder nicht. Insofern werden Feministinnen immer mehr zum Ziel von Repressionen. Ich bin mir sicher, dass das mit dem Krieg noch weiter eskaliert.
Über Valerie Sperling
Valerie Sperling ist Professorin für Politikwissenschaften an der Clark University in Worcester, Massachusetts. Spezialisiert auf Russland ist sie die Autorin zahlreicher Bücher zur Geschlechterpolitik in Russland. Für den Pragmaticus hat sie die „Macho-Politik“ Putins analyisiert.
Über diese Serie
„Was beschäftigt Sie gerade?“ ist eine Interviewreihe des Pragmaticus, in der unsere Expertinnen und Experten von ihrer Forschung und allem, was sie beschäftigt, erzählen. Die Themen und der Umfang des Gesprächs sind offen.