Brüder im Geiste

Vor fast vierzig Jahren gründete die Muslimbruderschaft einen dschihadistischen Ableger, die Hamas. Beide Gruppen haben bis heute vor allem ein Ziel: die Vernichtung Israels.

Demonstration jordanischer Muslimbrüder in Amman, Oktober 2023. Das Bild illustriert einen Artikel über die Muslimbruderschaft.
Demonstration jordanischer Muslimbrüder in Amman, Oktober 2023. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Muslimbruderschaft. Die globale islamistische Massenbewegung sollte weder als konservativ-islamisch noch als demokratiekompatibel verharmlost werden.
  • Hasan al-Banna. Gründet 1928 in Ägypten die Muslimbruderschaft mit dem Ziel, das Kalifat wiederzuerrichten und die islamische Weltherrschaft einzuleiten.
  • Amin al-Husseini. Großmufti von Jerusalem, Verbündeter Hitlers und Oberhaupt der Bruderschaft in Palästina; leitet ab 1920 Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung.
  • Hamas. Das Oberhaupt der Bruderschaft, Scheich Ahmad Jassin, gründet den dschihadistischen Ableger der Muslimbruderschaft 1987, um Israel zu vernichten.

Immer, wenn der Konflikt im Nahen Osten eskaliert, ist europaweit ein signifikanter Anstieg antisemitischer Übergriffe zu verzeichnen. Seit dem bestialischen Anschlag der Hamas am 7. Oktober hat der Hass auf Juden aber eine Dimension erreicht, die alles Bisherige sprengt. Antiisraelische Demonstrationen ziehen durch europäische Städte, fordern die Vernichtung Israels und bejubeln das Massaker an Juden. In Umkehrung der Schuld werden die Juden selbst für das Massaker verantwortlich gemacht.

Ein Blick in Geschichte und Ideologie des politischen Islam vermag die Ursachen dieses Vernichtungs-Antisemitismus zu erhellen, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ihren Ursprung haben, wenn wir die in der religiösen Überlieferung wurzelnde islamische Judenfeindschaft und ihre Tradierung bis heute hier einmal beiseitelassen.

Die Geschichte islamistischer Terrorgruppen in Palästina ist eng mit der Muslimbruderschaft verwoben und beginnt knapp drei Jahrzehnte vor der Gründung des Staates Israel. Ende des 19. Jahrhunderts waren vermehrt Juden aus Osteuropa und Russland auf der Flucht vor anhaltenden Pogromen in das osmanische Palästina eingewandert, wo sie sich im Umfeld der seit 2.500 Jahren bestehenden autochthonen jüdischen Gemeinden ansiedelten. Die Einwanderung in ihre historische Heimat, die nach der Eroberung durch die Araber im 7. Jahrhundert sukzessive islamisiert worden war, rief Widerstand in Teilen der arabischen Bevölkerung im seit dem Ende des Ersten Weltkriegs unter britischer Verwaltung stehenden Palästina hervor.

Der Großmufti von Jerusalem

1921 war der einer einflussreichen arabischen Familie entstammende Mohammed Amin al-Husseini von der britischen Mandatsverwaltung zum Großmufti von Jerusalem ernannt worden. Als notorischer, von der antijüdischen islamischen Überlieferung geprägter und später mit den Nationalsozialisten kooperierender Judenhasser hatte er bereits 1920 und 1921 gewalttätige Angriffe auf die autochthonen jüdischen Viertel von Jerusalem und Jaffa organisiert. Zu den blutigsten Pogromen dieser Zeit gehören die Massaker in Hebron und Safed im Jahr 1929 mit insgesamt 133 Toten.

Anfänge der Muslimbruderschaft

Im Jahr 1928 gründete Hasan al-Banna in Ägypten die Muslimbruderschaft. Sie setzte sich zum Ziel, das unter Atatürk 1924 abgeschaffte Kalifat wiederzuerrichten und die britische Präsenz in Ägypten zu beenden. Die Realisierung dieser Ziele sollte das utopische Fernziel – die islamische Weltherrschaft – einleiten. Von Beginn an war die Ideologie der Bruderschaft von Antisemitismus durchdrungen, Juden waren ein zentrales Feindbild. So wundert es wenig, dass der „Kampf um Palästina“ zum wichtigen Moment der Mobilisierung werden und letztendlich den Aufstieg der Muslimbruderschaft zu einer globalen Massenbewegung entscheidend mitbestimmen sollte. 

Die Geschichte islamistischer Terrorgruppen in Palästina ist eng mit der  Muslimbruderschaft verwoben.

Die Muslimbruderschaft gründete im Ägypten der 1930er-Jahre einen bewaffneten Arm, der mit Anschlägen auf sich aufmerksam machte und Zellen im Mandatsgebiet Palästina etablierte. Diese beteiligten sich unter Führung des Großmuftis al-Husseini sowohl an den arabischen Aufständen gegen die britische Mandatsmacht als auch an Aktionen gegen die jüdischen Gemeinden. Hasan al-Banna ernannte al-Husseini schließlich persönlich zum offiziellen Oberhaupt der Bruderschaft in Palästina. Von den Briten gesucht, musste al-Husseini aus dem Mandatsgebiet fliehen und erhielt schließlich 1941 Asyl in Nazideutschland.

Ebenso wie der Gründer der Muslimbruderschaft verband al-Husseini die alte, religiös konnotierte Ablehnung der Juden mit dem modernen Antisemitismus: „Dieses Volk ist der Feind der Araber und des Islam seit dessen Bestehen. Der Heilige Koran hat diese alte Feindschaft in den folgenden Worten ausgesprochen: ‚Du wirst finden, dass die den Gläubigen am feindlichsten Gesinnten die Juden sind.‘ Sie versuchten, den verehrungswürdigen Propheten zu vergiften, leisteten ihm Widerstand, waren ihm feindlich gesinnt und intrigierten gegen ihn. Dies war vor mehr als 1.300 Jahren der Fall. Seit jener Zeit haben sie nicht aufgehört, gegen die Araber und Muslime ihre Intrigen zu spinnen.“

Artikel 7 der Charta der Hamas aus dem Jahr 1988 verweist übrigens auf diese Frühzeit der Muslimbruderschaft in Palästina. Die Hamas stellt sich darin explizit in die Kontinuität des Dschihad im Kampf gegen die Juden, der in den 1930er-Jahren von der Muslimbruderschaft begonnen worden sei.

Die Propaganda der Muslimbruderschaft verknüpfte alle historischen und aktuellen negativen Ereignisse mit den Juden.

1938 rief die Muslimbruderschaft zu Ausschreitungen gegen die Juden in Ägypten auf. Der Mob zog unter den Parolen „Nieder mit den Juden“ und „Juden raus aus Ägypten“ durch die Straßen und zerstörte jüdische Geschäfte. In der von der Bruderschaft herausgegebenen Zeitung an-Nadhir (dt.: „der Warner“) erschien regelmäßig eine Kolumne mit dem Titel „Die Gefährlichkeit der Juden von Ägypten“, in der Anfeindungen und Verschwörungstheorien aller Art verbreitet wurden. Die Propaganda der Muslimbruderschaft verknüpfte alle historischen und aktuellen negativen Ereignisse und Entwicklungen mit den Juden. 

Nach dem UN-Beschluss zur Teilung Palästinas im Jahr 1947 rief der Gründer der Muslimbruderschaft seine Anhänger dazu auf, sich auf den Dschihad vorzubereiten. Bewaffnete Gruppen der Muslimbruderschaft griffen angesichts des arabisch-israelischen Kriegs im Zuge der Staatsgründung Israels im Jahr darauf neuerlich in Ägypten lebende Juden und ihre Geschäfte und Einrichtungen an, was zahlreiche Tote und Verletzte forderte. 

Der immer wieder beschworene „Kampf um Palästina“ war und ist in den Augen der Bruderschaft ein Kampf um ein Gebiet, das für den Islam bereits erobert worden war und nun von nicht islamischer „Fremdherrschaft“ befreit werden muss. Diese religiös-revanchistische Sicht bestimmt bis heute islamistische Weltbilder. Sie veranlasste Ali Erbaş, den Chef der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet, nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober von Israel als dem „rostigen Dolch, der im Herzen der islamischen Geografie steckt“, zu sprechen. 

Kampf um Palästina

Die Muslimbruderschaft war seit 1954 in Ägypten mit einem Verbot konfrontiert, das massive Verfolgung und die Hinrichtung vieler Mitglieder nach sich zog. Dieses Verbot betraf auch den Gazastreifen, der damals noch zu Ägypten gehörte. Viele Muslimbrüder flohen nach Europa, wo sie politisches Asyl erhielten. Das sind die frühen Wurzeln der Muslimbruderschaft in Europa.

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Zahlen & Fakten

Die Muslimbruderschaft kann auf ein weltweites Netzwerk ihr nahestehender Gruppen zurückgreifen. In  Ländern, in denen bereits Organisationen mit ähnlichen Zielen agieren, gründet sie keine eigenen. 

PARTEIEN:
Algerien: Movement of Society for Peace (MSP)
Ägypten: Freedom and Justice Party (verboten)
Bahrain: Al-Menbar Islamic Society
Irak: Iraqi Islamic Party (IIP)
Jemen: Al-Islah
Jordanien: Islamic Action Front (IAF)
Katar: Muslim Brotherhood
Kuwait: Islamic Constitutional Movement
Libanon: Jamaa Islamiya
Libyen: Justice and Construction Party (JCP)
Marokko: Justice and Development Party (PJD)
Sudan: National Congress Party
Tunesien: Ennahda
Westbank und Gaza: Hamas

BEWEGUNGEN / VEREINE:
Europa: Federation of Islamic Organisations in Europe (FIOE)
Belgien: Ligue Islamique Inter- culturelle de Belgique (LIIB)
Bosnien und Herzegovina: Asocijacije za kulturu, obrazovanje i sport
Bulgarien: Al Noor Foundation
Dänemark: Dansk Islamisk Råd
Deutschland: Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG), vormals Islamische Gemeinschaft in Deutschland
Finnland: The Islamic Society of Finland
Frankreich: Union des Organisations Islamiques de France (UOIF)
Großbritannien: Muslim Association of Britain (MAB)
Irland: Muslim Association of Ireland (MAI)
Italien: Unione delle Comunità Islamiche d’Italia (UCOII)
Moldawien: Assalam Organisation
Niederlande: Liga van de islamitische Gemeenschap in Nederland (LIGN)
Nordmazedonien: Forum Rinor Islam
Österreich: Liga Kultur Verein
Polen: Qualification Muslim Cultural Society
Rumänien: Liga Islamică și Culturala din România
Schweden: Sveriges Muslimska Råd
Schweiz: Ligue des Musulmans de Suisse (LMS)
Spanien: Islamic League for Dialogue and Coexistence in Spain (LIDCOE)
Tschechien: Všeobecný Svaz muslim ských studentů v ČR (VSMS)
Türkei: Millî Görüş*
Ukraine: Federation of Social Organisations in Ukraine (Alraid)
Ungarn: Iszlam kultur-egyesulet

* Kein Teil der Muslimbruderschaft, verfolgt aber eine ähnliche Ideologie.

Im Sechstagekrieg 1967 eroberte Israel sowohl das Westjordanland als auch den Gazastreifen. Die Reorganisation der Muslimbruderschaft unter diesen völlig neuen Bedingungen fiel Scheich Ahmad Jassin, dem späteren Gründer der Hamas, zu, der zum Führer der palästinensischen Muslimbruderschaft gewählt worden war. Den Muslimbrüdern kam in dieser Zeit zugute, dass die israelischen Behörden sie als das im Vergleich zur PLO kleinere Übel ansahen. Sie hielten sich mit Aktionen gegen Israel zunächst zurück, um die Organisation ungestört wiederaufbauen zu können.

Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wurde bei Hausdurchsuchungen ein Strategiepapier der Muslimbruderschaft aus dem Jahr 1982 gefunden. Dem „Kampf um Palästina“ ist darin ein eigener Abschnitt gewidmet. „Mittels politischer Planung und Dschihad soll sich die palästinensische Sache als Teil des weltweiten Plans zu Eigen gemacht werden – weil sie schließlich die Schlüsselposition zur Renaissance der arabischen Welt im heutigen Zeitalter darstellt“, heißt es darin. In Palästina sollten „Zellen für den Dschihad“ aufgebaut werden. Fünf Jahre später, 1987, gründete die Muslimbruderschaft ihren dschihadistischen Ableger, die Hamas. 

„Komm und töte ihn!“

Bereits in der Präambel ihrer Charta wird die Vernichtung Israels offen als Ziel der Bewegung verkündet, wenn der Gründer der Bruderschaft mit folgenden Worten zitiert wird: „Israel wird entstehen und weiterexistieren, bis der Islam es auslöscht, so wie er ausgelöscht hat, was davor bestand.“ In Artikel 11 wird das „Land Palästina“ als religiös-islamische Stiftung („waqf“) bis zum Tag der Auferstehung bezeichnet, weil es „heiliges islamisches Schenkungsland“ sei. Kein Teil davon dürfe je aufgegeben werden.

Die Charta lässt keinen Zweifel daran, dass damit auch die Vernichtung der Juden gemeint ist, und zitiert ein berühmtes Hadith (darunter versteht man eine dem Propheten Mohammed zugeschriebene Aussage), das bis heute immer wieder zur Legitimierung judenfeindlicher Aktionen bemüht wird:

„Die Stunde wird nicht schlagen, bis die Muslime die Juden bekämpfen und töten, sodass die Juden sich hinter Steinen und Bäumen verstecken. Die Steine oder Bäume sagen jedoch: O Muslim! O Diener Gottes, ein Jude versteckt sich hinter mir. Komm und töte ihn! Nur al-Gharqad [der Salzbusch-Baum] nicht; denn er ist ein Baum der Juden.“

Dieser eliminatorische Antisemitismus wird von Sympathisanten der Hamas auch auf die Straßen Europas getragen, wenn auf Arabisch skandiert wird: „Chaibar, Chaibar, o ihr Juden, Mohammeds Heer kommt bald zurück.“ Hier wird auf einen erfolgreichen Feldzug Mohammeds gegen die von Juden besiedelte Oase Chaibar auf dem Gebiet des heutigen Saudi-Arabiens angespielt, der in der Prophetenbiografie erzählt wird.

In Artikel 22 der Charta findet sich eine antisemitische Verschwörungstheorie, die durchaus an Hitlers „Mein Kampf“ erinnert: „Sie [die Juden] stecken hinter der Französischen Revolution, der kommunistischen Revolution und hinter den meisten Revolutionen, von denen wir gehört haben.“ Auch im Ersten Weltkrieg und in der Gründung des Völkerbundes sieht die Hamas das Werk der Juden. Diese hätten zudem die Medien in ihrer Hand und hätten zahlreiche Geheimorganisationen – wie etwa die Freimaurer, den Rotary- und den Lions-Club – zur Durchsetzung ihrer Interessen gegründet.

Keine Verharmlosung mehr

Die Hamas ist eine Gründung der Muslimbruderschaft und wird von allen ihr nahestehenden Organisationen finanziell oder propagandistisch unterstützt, auch von jenen in Europa. Es ist an der Zeit, die Muslimbruderschaft nicht länger als konservativ-islamische Bewegung oder gar als demokratiekompatibel zu verharmlosen. Das gilt auch für ihre Ableger und Aktivisten in Europa.

Eine friedliche Koexistenz wird mit der Hamas nicht möglich sein. Seit dem 7. Oktober weiß die Welt, was passieren würde, sollte die Hamas jemals ungehindert handeln können: Massenmord und Vertreibung, bis der gesamte Nahe Osten judenfrei ist und auch alle anderen Andersgläubigen, Andersdenkenden und Anderslebenden ausgerottet sind oder sich unterworfen haben. Mit einem solchen Gegner kann man so wenig verhandeln, wie man mit den Nationalsozialisten oder dem IS verhandeln konnte. Er muss zur bedingungslosen Kapitulation gezwungen werden, um den Weg für Frieden zu ebnen.

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Conclusio

Die Muslimbruderschaft wurde 1928 von Hasan al-Banna gegründet, um das unter Kemal Atatürk abgeschaffte Kalifat  wiederzuerrichten und die britische Präsenz in Ägypten zu beenden. Fernziel war die Errichtung einer islamischen Weltherrschaft. Ihr militärischer Arm stand unter dem Befehl des Großmuftis von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, einem engen Verbündeten Adolf Hitlers. Der von Antisemitismus durchdrungene „Kampf um Palästina“ wurde zum wichtigen Motor beim Aufstieg zu einer globalen Massenbewegung. In Ägypten wurde die Muslimbruderschaft 1954 verboten, viele Mitglieder wanderten nach Europa aus. 1987 gründete die Bruderschaft die  Hamas mit dem Ziel der Vernichtung Israels. Mit der Hamas wird es weder Frieden, Zusammenarbeit noch eine Zweistaatenlösung geben können.

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