Javier Milei, die Hoffnung Argentiniens
Nachdem Jahrzehnte des staatlichen Dirigismus Argentinien in den Abgrund geführt haben, kann Javier Milei bei seinem liberalen Kurs auf den Rückhalt der Bevölkerung zählen.
Er ist das neue Schreckgespenst der Linken, das libertäre Enfant terrible auf dem globalen politischen Parkett. Javier Milei, der neue Präsident Argentiniens, ist ein überzeugter Wirtschaftsliberaler; und vielleicht der einzige Ökonomie-Professor weltweit, der eine Kettensäge bedienen kann.
Mehr von Thomas Eppinger
Mileis erste Auslandsreise führte ihn – publikumswirksam mit einem Linienflug – zum Weltwirtschaftsforum (WEF) nach Davos. Dort hielt er ein fulminantes Plädoyer für den Kapitalismus, das jeder Volkswirtschaftsvorlesung zur Ehre gereichen würde: „Kapitalismus und freier Handel sind nicht die Ursache unserer Probleme, sondern unser einziges Instrument, um Hunger, Armut und extreme Armut auf unserem Planeten zu beenden.“
Die Geschichte gibt ihm recht: Seit Beginn des 19. Jahrhunderts haben Industrialisierung und Welthandel 90 Prozent der Menschheit aus extremer Armut geführt. Und nie zuvor ist der Anteil der Weltbevölkerung in extremer Armut so stark gesunken wie in den 30 Jahren vor der Pandemie. Hierzulande hat man kaum etwas über Mileis Rede gelesen. Sie können sie hier nachhören (in englischer Simultanübersetzung).
Neustart für ein verarmtes Land
Nicht nur die Fakten hat Milei auf seiner Seite, sondern auch eine deutliche Mehrheit seines Volkes. Vor allem die Jugend setzt auf den wirtschaftlichen Neustart, den der Präsident verspricht. Kein Wunder: 62 Prozent der Kinder und Jugendlichen leben in Armut, das Land ist abgewirtschaftet.
Dabei war Argentinien noch im 19. Jahrhundert eines der reichsten Länder der Welt. Den Grundstein dafür hatte der liberale Universalgelehrte Juan Bautista Alberdi gelegt, der sich für freie Einwanderung aus Europa, Handelsfreiheit, die Errichtung von Eisenbahnen und eine uneingeschränkte Industrialisierung eingesetzt hatte. Es war im Wesentlichen sein Modell, das Argentinien zwischen 1880 und 1916 in ein goldenes Zeitalter führte, in dem Buenos Aires mit New York und Paris konkurrieren konnte.
Die sozialistische Wirtschafts- und Sozialpolitik im Peronismus führte Argentinien in den Abgrund.
Das Aufkommen des wirtschaftlichen Nationalismus am Beginn des 20. Jahrhunderts leitete den Abstieg ein. Der Betrieb von Eisenbahnen wurde für ausländische Unternehmen eingeschränkt, 1922 wurde die erste staatliche Ölgesellschaft der Welt gegründet. Die Preisgabe der liberalen Grundwerte zugunsten staatlicher Lenkung ebnete den Weg für Juan Perón. Dessen korporatistische Bewegung dominierte seit den 1940er Jahren mit wenigen Unterbrechungen die mehr oder weniger sozialistische Wirtschafts- und Sozialpolitik des Landes – und führte es in den Abgrund.
Der Staat war allgegenwärtig. Diskussionen über Ausgaben und Finanzierung schienen die Öffentlichkeit nie zu erreichen. Der Versuch des aufgeblähten Staatsapparates, die verheerenden Folgen seiner Wirtschaftspolitik mit immer mehr Sozialprogrammen zu kaschieren, beschleunigte die Abwärtsspirale. Heute liegt Argentinien im Index of Economic Freedom auf Rang 144 von 176; die Inflation stieg im Dezember 2023 auf sagenhafte 211,4 Prozent. Aus der einstmals wohlhabenden Nation ist ein verarmtes Land geworden, das seinen internationalen Gläubigern gegenüber immer wieder in Verzug gerät.
Radikales Sparprogramm
Vor diesem Hintergrund versteht man, warum das kapitalistische Wohlstandsversprechen des Präsidenten bei der Bevölkerung verfängt. Milei beruft sich immer wieder auf Alberdi und schlägt – wie im Wahlkampf angekündigt – einen radikalen Sparkurs ein. Die Zahl der Ministerien wurde halbiert, Verträge von tausenden Angestellten im öffentlichen Dienst werden nicht verlängert, Subventionen sollen abgebaut, staatliche Unternehmen wie der Energiekonzern YPF, die Fluglinie Aerolineas Argentin oder die staatlichen Eisenbahnen sollen privatisiert und die Wirtschaft dereguliert werden. Ein zentrales Versprechen ist die „Dollarisierung“ der Währung: Der Peso soll abgewertet und an den Dollar gebunden werden. Dass sich die Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds (IMF) über ein 44-Milliarden-Dollar-Kreditprogramm einigen konnte, darf man als ersten Erfolg betrachten.
Milei macht kein Hehl daraus, dass sein Programm kurzfristig mit Schmerzen verbunden sein wird. Dennoch stimmen argentinischen Medien zufolge mehr als 55 Prozent der Bevölkerung dem harten Sparkurs zu.
Exzentrischer Hoffnungsträger
Aber die Frisur! Die Kettensäge! Und die geklonten Hunde! Im Westen stempelt man Milei gerne zum exzentrischen Irren ab. Verlässt man die Ebene der Küchenpsychologie, bleibt als nüchternes Faktum, dass Milei im Wahlkampf bewiesen hat, dass er versteht, wie man im 21. Jahrhundert Aufmerksamkeit auf sich zieht, die Jugend begeistert und Wahlen gewinnt. Gut möglich übrigens, dass sich Milei beim Einsatz der Kettensäge von Arnold Schwarzenegger inspirieren ließ, der im Wahlkampf zu den Gouverneurswahlen von Kalifornien 2004 seinen zentralen Slogan „to clean house“ gern mit einem Besen veranschaulichte.
Javier Milei gibt sich als überzeugter Verfechter jener Werte, die wir gerne als westlich bezeichnen. Er drängt auf ein Freihandels-Abkommen mit Europa, unterstützt Israel und die Ukraine und zeigt der anti-westlichen Gruppe der BRICS-Staaten die kalte Schulter. Zwischen Milei und den Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro und Donald Trump, mit denen er oft fälschlicherweise verglichen wird, liegen Welten.
„Liberalismus ist die uneingeschränkte Achtung des Lebensentwurfs anderer auf der Grundlage des Prinzips der Nicht-Aggression und der Verteidigung des Rechts auf Leben, Freiheit und Privateigentum“, zitierte Javier Milei den einflussreichen argentinischen Ökonomie-Professor Alberto Benegas Lynch jr. in seiner Antrittsrede. Und machte klar, dass dies „die Essenz des neuen Gesellschaftsvertrags ist, den die Argentinier gewählt haben“.
Niemand sagt eine lebensnotwendige Operation ab, weil er den Wundschmerz fürchtet.
Ob Javier Milei sein Reformprogramm vollständig umsetzen kann, ist fraglich. Zwar scheint er in seinem Kabinett größtenteils kompetente und erfahrene Leute um sich geschart zu haben, jedoch hat seine Vizepräsidentin Victoria Villarruel wiederholt die Verbrechen der Militärjunta (1975–1983) heruntergespielt und relativiert. Und abgesehen davon, dass Kompromissfähigkeit nicht gerade als größte Stärke Mileis gilt, hat auch er selbst einen unübersehbaren Hang zum Autoritären. Sein Plan, hunderte Gesetze am Kongress vorbei mittels Notstandsverordnung für die gesamte Legislaturperiode durchzusetzen, wäre mit Sicherheit verfassungswidrig. Zudem hat Milei naturgemäß mächtige Gegner. Die Peronisten lassen sich ihre Pfründe nicht widerstandslos wegnehmen. Mit einer ersten großen Machtprobe ist der Präsident dieser Tage konfrontiert: Die Gewerkschaften haben für 24. Jänner einen Generalstreik ausgerufen.
Liberale Wirtschaftsreformen sind anfangs immer schmerzhaft, führen aber zu mehr Wohlstand. Die Beispiele von Margaret Thatcher, Ronald Reagan oder Leszek Balcerowicz zeigen: wenn die Regierung ein klares Ziel formuliert und genug Vertrauen genießt, nimmt die Bevölkerung die Schmerzen in Kauf. Niemand sagt eine lebensnotwendige Operation ab, weil er den Wundschmerz fürchtet. Ob Javier Milei Argentinien heilen kann, wird die Zukunft zeigen. Der Westen täte jedenfalls gut daran, ihn bei der Operation zu unterstützen.