Opfer, nichts als Opfer

Gibt es eigentlich noch Menschen, die sich nicht durch irgendwen oder irgendwas benachteiligt fühlen? Kein Opfer sein, das geht heutzutage gar nicht mehr.

Illustration einer Frau, die ein pinkes Schild mit einem Frauensymbol hochhält
Nun geht es auch um Frauenparkplätze – in vielen Städten in klischeehaftem Pink markiert. © Getty Images

In Seoul, der Metropole Südkoreas, hat die Regierung beschlossen, die auch dort üblichen „Frauenparkplätze“ aufzulassen und durch Parkplätze „für Familien“ zu ersetzen. 

Der Entscheidung war eine durchaus emotional geführte öffentliche Debatte vorangegangen, die mir irgendwie typisch erscheint für eine Art von Pandemie, die den ganzen Westen ergriffen hat – zu dem in diesem Kontext auch das tüchtige Südkorea gehört –, nämlich die Neigung, sich völlig in den Streit um Petitessen dritter Ordnung zu verstricken, während immer mehr existenzielle Probleme unerledigt in der Gegend rumlungern. Und, ebenso typisch: Ursache dieser albernen Gewichtung ist die Auflösung unserer Gesellschaften in immer mehr Gruppen vermeintlich benachteiligter Opfer.

In Seoul etwa hat das mit den Frauenparkplätzen lange Zeit klaglos funktioniert. Anders sahen das freilich plötzlich auf Streit gebürstete feministische Gruppen, die behaupteten, Frauenparkplätze seien frauenfeindlich, weil sie unterstellten, Frauen seien irgendwie zu blöd und/oder zu schwach für normale Parkplätze, was diskriminierend sei. Und weil die F-Parkplätze auch noch etwas größer sind, um das Handling von Kinderwagen zu erleichtern, galt dies nunmehr als Unterstellung, Frauen könnten nicht einparken.

Grenzenloser Debattenbedarf

Gerade in Seoul, nur einen Katzensprung von der irren Diktatur im Norden und ihren Nuklearraketen entfernt, sollte man eigentlich andere Sorgen haben, die es wert sind, monatelang erörtert zu werden. Aber genau das ist ja das Problem.

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis diese Diskussion nach Deutschland und in der Folge nach Österreich überschwappt, wo ja der Bedarf an derartigen Genderdebatten in bestimmten Milieus praktisch grenzenlos ist.

„Familienparkplätze“ werfen natürlich sofort die Frage auf, was eine „Familie“ eigentlich ist.

Mit der Lösung, die in Seoul nun gefunden wurde, wird man sich auf dieser Seite des Planeten vermutlich nicht zufriedengeben. Denn „Familienparkplätze“ werfen natürlich sofort die Frage auf, was eine „Familie“ eigentlich ist. Die reaktionäre, ewig gestrige Annahme, darunter seien Paare mit Kindern zu verstehen, kann man von vornherein ausschließen; aber es wird die Frage zu klären sein, welche gefühlten gendermäßigen Spielarten zur Parkberechtigung führen; und natürlich auch, was Kinder in diesem Kontext sind. Fragen über Fragen … und so wenig Antworten.

Was, bitte, ist eine Familie?

Wobei hierzulande natürlich noch zu beachten sein wird, dass auch andere Opfergruppen das Recht haben, gegenüber der sozialen Formation „Familie“ nicht benachteiligt zu werden. Da wird es eine Parkplatz-Quote für alle nichtweißen Hautfarben und alle nur denkbaren sexuellen Orientierungen geben müssen, um Diversität zu leben, und für Migranten sowieso, außer sie kommen aus Gegenden mit mangelndem Opferhintergrund wie Deutschland. (Vorausgesetzt natürlich, sie können nicht auch in Deutschland beanspruchen, Opfer zu sein.) Das wird alles ganz schön kompliziert, aber da müssen wir einfach durch.

Abhilfe könnte freilich der Klimawandel schaffen, ausgerechnet. Denn Autos werden früher oder später aus Europa vertrieben und wohl durch Lastenräder ersetzt werden, weil sich Autos niemand mehr leisten können wird.

Und dann wird auch niemand mehr Parkplätze brauchen, egal für welche Opfergruppe.

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