Das Drama des Humors

Komödienschreiber haben es schwer: Ihre Geschichten zünden nur, wenn Tragik und Komik perfekt ausbalanciert sind. Literaturpreise gibt es trotzdem nur für witzlose Texte. Warum eigentlich?

Das Bild zeigt eine Skulptur von Aristoteles, die eine Feder in der Hand hält. Rechts davon schwebt ein roter Ballon, auf dem ein Bild von Charlie Chaplin zu sehen ist. Unten rechts steht ein lilafarbenes Nashorn. Ein lachendes Emoji mit Freudentränen liegt in der Mitte. Das Bild illustriert einen Artikel über das Schreiben einer Komödie.
Die Tragödie und die Komödie haben den gleichen Inhalt, er wird nur von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet. © Claudia Meitert

Eine Weihnachtskrippe – Stall, Maria und Josef, das Christkind, Ochs und Esel. Zwei Männer stehen davor. Der eine ein Hippie, der andere ein Bankangestellter. Der Hippie hält eine Pappfigur der Jungfrau Maria in der Hand, der Bankangestellte in jeder Hand ein Plastiknashorn.

Der Bankangestellte tut, als würde er an die Tür klopfen: „Bum, bum, bum!“ Der Hippie trippelt mit der Muttergottes aus der Krippe, barsch: „Was wollt ihr?“ In Schweizerdeutsch – „Wa wändr?“ Der Bankangestellte lässt die beiden Nashörner in seinen Händen sagen: „Wir sind die Heiligen Drei Könige und wollen die Geschenke abholen.“– „Mir sind die Heilig Drü König und wänd d’ Gschänkli abhola.“ Ein Sketch im Schweizer Fernsehen vor vielen Jahren. Mein Freund und ich haben ihn gesehen. Immer, wenn wir uns daran erinnern, brüllen wir vor Lachen.

Was ist daran komisch?

Vorweg: Es gibt nichts Unkomischeres, als über das Komische nachzudenken. Wer einen Witz erklären will, zerstört ihn. – In dem beschriebenen Sketch stimmt gar nichts. Alles ist unangemessen. Die Grundsituation muss als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, damit die Szene funktioniert. Jeder weiß, am 6. Jänner kommen die drei Könige nach Bethlehem, um dem Christkind ihre Reverenz zu erweisen und ihre Gaben zu überbringen, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Darauf baut der Sketch auf.

Anstatt drei Königen sind es aber zwei Nashörner. Anstatt Geschenke zu bringen, wollen sie welche abholen. Anstelle der Mutter Maria, dieser gütigsten, beseelten jungen Frau, spricht eine grantige Bissgurn. Vorgetragen wird die Szene obendrein von zwei Männern, die sich im Leben nichts zu sagen haben. Sie verbindet nur ihre Ernsthaftigkeit.

Liebe und Tod

Aristoteles hat ein wunderbares Büchlein über die Tragödie geschrieben, das sich bis heute leicht lesen lässt. Es ist eine Anleitung für einen Stückeschreiber. Er nannte es ποιητική τέχνη – die „Technik der Poesie“, es wird heute meist schlicht „Poetik“ genannt. Er analysiert darin, wie Betroffenheit beim Publikum erzeugt wird. Sagen wir es deutlich: Er berät den Dichter, wie er die Zuseher zum Weinen bringen kann. Weinen zu evozieren, ist leicht. Ja, das ist es. Wir müssen nur an den Tod denken, und schon würgt es uns unterm Kragen. Liebe und Tod, die beiden Brennpunkte aller Literatur – wenn auf diesen Gebieten etwas schiefgeht, haben wir eine Tragödie. Oder eine Komödie?

Wir unterstellen dem Weinen Tiefe und dem Lachen Oberflächlichkeit.

Im Sketch vor der Weihnachtskrippe wird der Beginn der abendländischen Heilsgeschichte lächerlich gemacht, ins Absurde verkehrt. Das Christkind wird ja immerhin der Erlöser der Welt werden. Die Erlösung aber wird nicht stattfinden unter diesen verkehrten Bedingungen – wenn das keine Tragödie ist! Aber genau das ist auch das Komische daran. Ich schließe daraus: Das Komische bedarf des Tragischen als Vorgeschichte. Das Komische ist die Verunstaltung des Tragischen.

Lachen als Strafe

Charlie Chaplins Filme können für diese These Indizien liefern. Wenn Anton Hynkel, gemeint ist Hitler, in Der große Diktator mit der Weltkugel spielt, einem Luftballon-Globus, dann ist diese Szene komisch, lächerlich, absurd und zugleich rührend, weil sie uns an Kinderspiele erinnert – wenn wir aber wissen, und wir wissen es, dass Hynkel/ Hitler ein Weltzerstörer ist, dann werden wir Zeuge einer grauenhaften Tragödie. Am Ende zerplatzt der Luftballon. Der Globus explodiert.

Die Tragödie und die Komödie haben den gleichen Inhalt, er wird nur von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet – können wir uns auf diese These einigen?

Wenn ja, dann hat es der Komödienschreiber schwerer als sein Kollege, der es auf das Weinen abgesehen hat. Über das Tragische weinen zu machen, dazu benötige ich weder Mut noch allzu scharfe Intelligenz. Das Tragische als etwas Komisches zu zeigen, ohne geschmacklos zu werden, das aber ist höchste Kunst. Damit sage ich nichts Neues, weiß Gott nicht. Das sagen alle. Aber würde beispielsweise beim Ingeborg-Bachmann-Lesewettbewerb ein Autor oder eine Autorin einen lustigen Text vorlesen, ich glaube, er oder sie hätte nicht die geringste Chance, einen Preis zu gewinnen. Warum eigentlich nicht?

Es ist die alte Geschichte: Wir verdächtigen uns selbst, unter unserem Niveau zu lachen und über unserem Niveau zu weinen. Wir unterstellen dem Weinen Tiefe und dem Lachen Oberflächlichkeit. Wir schämen uns für unser Lachen und adeln uns selbst für unser Weinen.

Berühmt ist der Essay über das Lachen von dem französischen Philosophen Henri Bergson. Darin vertritt er die These, Lachen sei immer ein Auslachen. Lachen sei eine Art der Bestrafung. Wenn einer auf einer Bananenschale ausrutscht, bestrafen wir ihn, weil er unvorsichtig war. Wenn wir lachen, sagt Bergson, löschen wir unsere Individualität und überlassen uns dem Kollektiv. Für einen glückseligen Augenblick werden wir zum schnöden Massenmensch. Dafür schämen wir uns.

Über das Komische sich Gedanken zu machen, lohnt sich. Vor allem dann, wenn Beispiele desselben vorgetragen werden. Wer hört nicht gern einen gut erzählten Witz?

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