Wie aus dem Lehrbuch

Josephine Cochrane identifiziert ein Problem, entwickelt eine Maschine, um es zu lösen, und findet einen Weg, den neuen Geschirrspüler auf den Markt zu bringen. Damit liefert sie die Blaupause für jeden innovativen Unternehmer.

Josephine Cochrane (1839–1913): Ihre Idee entstand spontan im eigenen Haus, der Erfolg aber kam erst, als sie Unschickliches wagte.
Josephine Cochrane (1839–1913): Ihre Idee entstand spontan im eigenen Haus, der Erfolg aber kam erst, als sie Unschickliches wagte. © mauritius images / IanDagnall Computing / Alamy

Nur wenigen Frauen war es vergönnt, aus einer selbst erdachten Innovation ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Josephine Cochrane, die Erfinderin des Geschirrspülers, war eine dieser wenigen. Ihr Weg von der Identifizierung eines Problems bis zum Markterfolg würde es verdienen, beispielhaft in jedem Lehrbuch für Entrepreneurship & Innovation zu stehen. Doch zunächst: Wer war sie? Und wie wurde sie erfolgreich?

Inspiration beim Abwasch

Josephine Cochrane stammt aus wohlhabenden Verhältnissen. Ihr Ururgroßvater ist der Erfinder John Fitch, der das erste fahrtüchtige Dampfschiff baute. Mit 19 heiratet sie den erfolgreichen Kolonialwarenhändler und Politiker William Cochran, einen der führenden Demokraten in Shelbyville, Illinois (sie fügt später – ein Symbol ihrer Eigenständigkeit – das „e“ am Ende des Namens hinzu).

Man könnte meinen, dass Geschirrspülen für jemanden wie Josephine, die in einer repräsentativen Villa mit zahlreichen Angestellten lebt, kein Problem ist. Doch das Gegenteil ist der Fall: Josephine gibt regelmäßig Dinnerpartys, bei denen sie ihr zum Teil aus dem 17. Jahrhundert stammendes Porzellan benutzt. Und sie ärgert sich darüber, dass beim Abwasch durch das Personal immer wieder wertvolle Stücke zerbrechen. Daraufhin beginnt sie selbst abzuwaschen – jeweils am Morgen nach den Festen. Doch Josephine hasst nichts so sehr wie Geschirrspülen. „Wenn niemand eine Spülmaschine erfindet, dann mache ich es eben selbst“, soll sie in ihrer Verzweiflung ausgerufen haben.

Zwei Monate Entwicklungszeit …

1883 stirbt ihr alkoholkranker Mann und hinterlässt ihr vor allem eines – Schulden. Doch Josephine lässt sich nicht beirren, zieht sich in den Schuppen auf dem Grundstück ihrer Villa zurück und beginnt zu experimentieren. Nach dem ersten Schritt zum erfolgreichen Unternehmertum („Identifiziere ein Problem“) erledigt sie damit schon den zweiten: „Baue ein Minimal Viable Product – einen Prototyp.“

Wenn niemand eine Spülmaschine erfindet, dann mache ich es eben selbst!

Josephine Cochrane

Unterstützt wird sie von George Butters, einem Mechaniker der Eisenbahnen, der sie über ihre gesamte unternehmerische Laufbahn begleiten wird. Nach zwei Monaten funktioniert der Geschirrspüler – und ihre Nachbarschaft ist begeistert. „Ein Segen für die Menschheit“, seufzt – zugegeben etwas übertrieben – einer ihrer Freunde. Am 28. Dezember 1886 erhält sie ihr erstes Patent für eine Geschirrspülmaschine aus einem wasserdichten Kupferkessel, in dem Geschirr mit über Düsen einlaufender Seifenlauge gleichmäßig besprüht wird. Doch ein Patent allein macht noch kein Unternehmen.

Damit kommen wir zur nächsten Regel – dem Beachhead Market. In der Start-up-Welt bezeichnet das ein klar definiertes Marktsegment, das als Brückenkopf dient, um ein innovatives Produkt erfolgreich zu starten und später in weitere Segmente auszurollen.

Und Josephine beweist die dafür notwendige Flexibilität: Ursprünglich will sie ja Hausfrauen das Leben erleichtern – doch sie erkennt, dass die Umstände gegen sie stehen. „Wenn es darum geht, etwas für die Küche zu kaufen, das 75 oder 100 Dollar kostet, beginnt eine Frau sofort, an all die anderen Dinge zu denken, die sie mit dem Geld kaufen kann. Außerdem hat sie nicht das Sagen, wenn es darum geht, vergleichsweise große Summen für den Haushalt auszugeben, und ihr Mann sieht es im Allgemeinen nicht gern, wenn teure Küchenprodukte gekauft werden“, wird sie später in einem Interview sagen.

… und jahrelanges Marketing …

Also verändert sie 1886 ihre Strategie und wendet sich gezielt an große Hotels. In Chicago nutzt sie ihr Netzwerk. Ein Freund, der Gast im Palmer House Hotel ist, verschafft ihr einen Termin mit dem Hotelmanager, dem sie ihre erste Geschirrspülmaschine verkauft.

Der nächste Coup im Sherman House ist schwieriger. Ohne Termin setzt sie sich in die Hotellobby – und wartet auf eine Gelegenheit, mit dem Manager zu sprechen. „Das war fast das Schwierigste, was ich je getan habe“, wird sie in demselben Interview erzählen. „Sie können sich nicht vorstellen, wie es damals für eine Frau war, allein durch eine Hotellobby zu gehen. Ich war noch nie ohne meinen Mann oder meinen Vater irgendwo gewesen – die Lobby kam mir kilometerweit vor. Ich dachte, ich würde bei jedem Schritt in Ohnmacht fallen, aber ich habe es überstanden – und als Belohnung bekam ich einen Auftrag über 800 Dollar.“

1888 bringt sie ihren Geschirrspüler in zwei Modellgrößen auf den Markt. Auf dem Weg zur skalierbaren Company folgt Schritt Nummer vier: Scaling up (die Marktdurchdringung) braucht Zeit. Erst 1893 – mit der Präsenz auf der Weltausstellung in Chicago – erzielt sie ihre ersten größeren Erfolge. Ihre Maschinen werden in den Restaurants der Messe eingesetzt und so einem großen Publikum bekannt.

… führen schließlich zum Erfolg

1898 gründet Cochrane schließlich ihre eigene Fabrik – mit Angestellten, die ihre Ideen ernst nehmen und präzise umsetzen. Dennoch bleibt es ein steiniger Weg bis zum Erfolg. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind Cochranes Spülmaschinen dann in Hotels und Restaurants in den USA und in Mexiko im Einsatz. Sie sparen bis zu 70 Prozent der Arbeitskosten und bringen auch noch einen weiteren Vorteil mit: Da die Geräte kochendes Wasser nutzen, gibt es keine Bakterien mehr auf dem Geschirr; das macht die Maschinen attraktiv für Spitäler und Schulen.

1912 – 14 Jahre nach Eröffnung der Fabrik – gelingt Josephine Cochrane der endgültige Durchbruch: Sie gewinnt Hotels wie das Biltmore und Kaufhäuser wie Lord & Taylor als strahlkräftige Kunden – nur ein Jahr bevor sie stirbt: 74 Jahre alt, wie viele Unternehmerinnen ihrer Zeit an Erschöpfung. Hausfrauen in den USA und Europa werden erst nach dem Zweiten Weltkrieg diesen „Segen für die Menschheit“ entdecken.

Kommentare & Kolumnen

Unser Newsletter