Der Wunsch nach ewiger Jugend

In der Literatur sind die Jungen stets die Guten, wer altert, wird runzelig bis widerwärtig. Doch der Wunsch nach ewiger Jugend geht bei den großen Poeten nie in Erfüllung. Unsterblichkeit kann dennoch gelingen.

Die Illustration zeigt einen jungen Mann, der auf ein Bild zugeht, in dem das Gesicht eines älteren Mannes zu sehen ist. Das Bild illustriert einen Kommentar über den Wunsch nach ewiger Jugend.
Wir können weit in der Geschichte zurückschauen, überall werden wir dem Wunsch begegnen, für immer jung zu sein. © Claudia Meitert

Versuchen wir aufzuzählen, was für die Jugend spricht: zuerst einmal, dass der Tod in weiter Ferne zu sein scheint – aber eben nur scheint. Dass die Energien von Körper und Geist uns auf ihrem Höhepunkt begegnen – gerade deshalb aber werden sie oft nicht sinnvoll eingesetzt oder gar vergeudet. Dass die sexuelle und erotische Spannkraft jener des Alters weit überlegen ist – was aber dazu führen kann, dass die Fantasie auf diesem Gebiet (zu) wenig aufgerufen wird …

Die Aufzählung könnte mehrere Seiten füllen, und wenn – wie in unserem Fall – der Autor nicht nur nicht mehr jung, sondern gnadenlos alt ist, würde jedem Vorteil der Jugend ein gewichtiger Nachteil gegenübergestellt werden, sodass am Ende der Liste herauskommt: Es ist besser, alt zu sein als jung. Nur: Wäre die Liste so lang wie der Erdumfang, würde es doch niemand glauben. Wir können weit in der Geschichte zurückschauen, überall werden wir dem Wunsch begegnen, für immer jung zu sein – forever young!

Wobei die Wünsche nach ewigem Leben und ewiger Jugend nicht in eins fallen müssen. Wer ewig jung sein möchte, dem könnten vierzig Jahre genügen, er möchte vielleicht gar nicht länger leben als jeder andere, nur innerhalb seiner Spanne ewig jung sein. Ein anderer vergisst in seiner Gier nach Unsterblichkeit, sich zugleich unverwundbare Jugend zu wünschen. Ein mehr komisches als tragisches Beispiel ist die Geschichte von Tithonos.

Er gefiel der Göttin Eos so gut, dass sie ihn zum Gemahl nahm. Eos ist die Morgenröte – lateinisch Aurora –, Homer beschreibt sie als die Rosenfingrige, Safrangewandete, die Schönste im Olymp. Sie bittet Zeus, er möge ihrem Geliebten ewiges Leben schenken, vergisst aber hinzuzufügen, bei ewiger Jugend. So altert der arme Tithonos, vertrocknet und schrumpft auf die Größe einer Zündholzschachtel zusammen, seine Stimme wird piepsig und so unangenehm, dass ihn Zeus schließlich in eine Zikade verwandelt – erzählt uns Ovid.

Der Traum der ewigen Jugend …

In Oscar Wildes einzigem Roman Das Bildnis des Dorian Gray wünscht sich der titelgebende Held, dass sein Porträt, das ein Maler von ihm anfertigt, in Zukunft alle Zeichen des Alters und des Lasters auf sich nehme, während er selbst vom Leben unversehrt bleibe. Sein Wunsch wird erfüllt. Bald bemerkt er an dem Gemälde erste Spuren von Alterung und charakterlicher Verderbnis, während sein Spiegelbild nichts weiter als unberührte Jugend zeigt. Das animiert Dorian zu Ausschweifung bis zum Verbrechen.

Er wird zum Mörder. Das Gesicht auf dem Bildnis wird zur Fratze. Am Ende sticht er in einem Anfall von Paranoia auf die Leinwand ein – und sinkt tot zu Boden. Seine Leiche zeigt, wie Oscar Wilde schreibt, „ein verderbtes, runzeliges, widerwärtiges Gesicht“. Das Bildnis aber strahlt „in vollem Glanz seiner köstlichen Jugend und Schönheit“.

Jugend ist schön und gut, Alter hässlich und böse.

Interessant ist, dass der Dichter Alter und Hässlichkeit, aber auch Alter und Verderbtheit als sich gegenseitig bedingend sieht. Jugend ist schön und gut, Alter hässlich und böse. Oscar Wilde ist nicht der Einzige und bei Gott nicht der Erste, der Schönheit als moralisch gut und Hässlichkeit als schlecht dargestellt hat. Dem Bösen wurden immer wieder auch körperliche Merkmale der Krankheit zugewiesen.

William Shakespeares Richard III. hat einen Buckel und ein grimmiges Gesicht. Das Phantom der Oper, wie es zum ersten Mal in dem Roman des französischen Schriftstellers und Journalisten Gaston Leroux erscheint und dann im Theater, im Film und in Comics, ist von Geburt an entstellt. Es sehe aus, heißt es im Roman, wie „eine Leiche ohne Nase“. Erik, der Mann hinter der Maske, ist gezeichnet vom Unglück, also böse. Er entführt Christine, die er liebt, und hält sie gefangen.

Ich kenne kein Beispiel aus der Literatur, in dem der Wunsch nach ewiger Jugend und ewigem Leben nicht bestraft würde. Wir zahlen drauf, weil die Natur es so will. Was bleibt uns lernfähigen Versagern anderes übrig, als diese Sehnsucht, die in jedem steckt – bei manchen tiefer, bei manchen weniger tief –, zu sublimieren? Arbeit soll machen, was die Natur nicht kann. „Meine Werke sollen mich überleben!“ Erinnerung schaffen!

… und was uns Sterblichen wirklich bleibt

Wenn wir fragen, was ist Fortschritt und warum gibt es überhaupt so etwas wie Fortschritt, zumal wenn alle zufrieden sind – hier könnte die Antwort liegen: Niemals und unter gar keinen Umständen wollen wir der Natur recht geben, wenn es uns an den Kragen geht. Wir wissen, wie wir den Tod, das Alter, die Krankheit und die Hässlichkeit überwinden können: indem wir neben die Wirklichkeit, wie sie ist, eine zweite bauen, nämlich eine, wie sie sein könnte.

Unsere Werke, wie immer sie aussehen mögen – ob Kunst oder Straßenbau, KI oder das Häkeln von niedlichen Tischdecken –, sollen die Natur mit ihrem unerbittlichen Wandel in die Schranken weisen. Wir finden in der Erde Artefakte, die uns bestätigen: Es war einmal. Die Venus von Willendorf mit ihren fast 30.000 Jahren auf dem Buckel ist ewig jung, und wenn wir sie nicht schön finden, dann liegt es nicht an ihr, sondern an uns. – Ich übrigens finde sie sehr schön …

Oscar Wildes: Das Bildnis des Dorian Gray

William Shakespeare: Richard III.

Gaston Leroux: Das Phantom der Oper

Weiterlesen

Mehr Pragmaticus