Nur gemeinsam sind wir stark
Kooperation ist die Architektin der Evolution, Kooperation hat uns geschaffen. Heute ist Zusammenarbeit für unser Überleben unerlässlich.

Unser Sonnensystem entstand vor etwa 4,567 Milliarden Jahren. Ein Gravitationskollaps und zahlreiche Einschläge machten die Erde zu einem heißen Ort. Im jugendlichen Alter von 25 Millionen Jahren kollidierte sie mit einem anderen Planeten von der Größe des Mars. Aus dieser Kollision ging unser – ungewöhnlich großer – Mond hervor. Vor 3,5 Milliarden Jahren war unser Planet eine von Bakterien beherrschte Welt. Seitdem hat sich nicht wirklich viel geändert.
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Wenn Sie wissen wollen, wie viele Zellen es jetzt auf der Erde gibt, brauchen Sie nur die Anzahl der Bakterien zu zählen. Die Antwort lautet 1030, das ist eine Eins mit 30 Nullen (Quintillion). Im Vergleich dazu beläuft sich die Anzahl aller anderen Zellen zusammengenommen auf Kleingeld oder Sandkörner. Es gibt 1018 Sandkörner auf der Erde und 1014 Euro (wenn man alles Geld in diese Währung umrechnet). Das sichtbare Universum umfasst etwa 100 Milliarden Galaxien. Eine typische Galaxie, wie unsere heimelige Milchstraße, enthält 100 Milliarden Sterne. Das entspricht 1022 Sternen. Wir haben also viel mehr Zellen auf der Erde als Sterne am Himmel.
Das Leben ist auch aus einer anderen Perspektive bemerkenswert. Der Urknall fand vor etwa 13,8 Milliarden Jahren statt. Nun könnte man annehmen, dass das sichtbare Universum eine Kugel mit einem Radius von 13,8 Milliarden Lichtjahren um uns herum sei, denn weiter konnte sich das Licht seither nicht bewegen. Aber nicht nur das Licht bewegt sich, sondern auch der Raum selbst dehnt sich aus, was auf die geheimnisvolle Wirkung der dunklen Energie zurückzuführen ist.
Daher hat sich die Materie, aus der das erste Licht entstand, als das Universum 380.000 Jahre nach dem Urknall durchsichtig wurde, in der Zwischenzeit zu Galaxien verdichtet, die 46,5 Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Nach dieser kosmologischen Theorie ist das sichtbare Universum eine Kugel mit einem Radius von etwa 93 Milliarden Lichtjahren, mit uns in der Mitte. Der Durchmesser dieser Kugel beläuft sich auf 1027 Kilometer.
Wie „groß“ ist im Vergleich dazu das Leben auf der Erde? Nehmen wir das gesamte Erbgut, wie es in Form von DNA auf unserem Planeten existiert, jede einzelne Zelle, und richten alle Genome in einer Reihe aus. Die Länge der so entstandenen Molekülkette entspricht dem Zehnfachen des Durchmessers des beobachtbaren Universums. Eindimensional betrachtet, ist das Leben richtig lang.
Brutaler Kampf ums Überleben
Die klassische Evolutionstheorie hat erkannt, dass das Leben auf der Erde nicht statisch ist, sondern sich im Laufe der Zeit verändert. Sie sieht die Natur als gigantischen Züchter, der vor dem Hintergrund des exponentiellen Wachstums, das der britische Ökonom Thomas Malthus beschrieben hat, unweigerlich in die Tragödie führt.
Die Natur hat rote Zähne und Klauen. Sie scheint ein brutaler, hirnloser Kampf ums Überleben zu sein.
Exponentielles Wachstum führt zu begrenzten Ressourcen. Die Populationen expandieren, bis das Ökosystem sie nicht mehr fassen kann. Dann kommt es zur Katastrophe. Die Schwachen gehen zugrunde, und die Starken überleben. Evolution ist Wettbewerb. Jede Zelle kämpft für sich selbst. Tiere fressen Pflanzen, Tiere fressen sich gegenseitig. Mann gegen Mann, Frau gegen Frau, Kind gegen Kind. Jeder gegen jeden. Die Natur hat rote Zähne und Klauen. Anscheinend ist das Drama der Natur ein brutaler, hirnloser Kampf ums Überleben.
Was wir von Mendel wissen
Dabei kennt die Evolution in ihrer klassischen Beschreibung zwei Kräfte. Neben der natürlichen Auslese gibt es die Mutation. Das wissenschaftliche Verständnis der Mutation entstand auf der Grundlage der Arbeit des österreichischen Mönchs Gregor Mendel. Mendels empirische Arbeiten mit Erbsen fanden gleichzeitig mit jenen Darwins statt, aber Darwin ist nie auf sie gestoßen. Mendels Arbeit sollte die Grundlage der gesamten Genetik werden. Sie brachte uns dazu, die Mutation zu begreifen. Die Synthese von Darwin und Mendel führte schließlich zu einem Bild der Evolution, das zwei grundlegende Kräfte anerkennt: Mutation und Selektion. Erstere erzeugt die Variation, während Letztere auf die Variation einwirkt.
Damit beginne ich fast jedes Jahr meine Vorlesung in Harvard. Aber meine Arbeit der letzten Jahrzehnte hat dem gnadenlosen Überlebenskampf von Darwin und seinen Anhängern auch einen Silberstreif am Horizont hinzugefügt. Seit meiner Studienzeit in Wien beschäftige ich mich mit Kooperation. Karl Sigmund, mein Doktorvater, hat mich auf der Turrach in Kärnten zur Kooperation gebracht. Kooperation in der Biologie bedeutet, Kosten für ein anderes Individuum zu zahlen, um selbst einen Nutzen zu erzielen. Kosten und Nutzen werden in Form von Fortpflanzungserfolg, sprich Anpassungsfähigkeit, gemessen. Kooperation ist das dritte Grundprinzip der Evolution.
Die Entdeckung der Kooperation
Doch warum sollte man jemandem – einer anderen Zelle, einer Pflanze, einem Tier oder einem Menschen – im Kampf ums Überleben helfen? Was haben Sie erreicht, wenn Sie Ihren eigenen Erfolg verringern, um den eines anderen zu steigern? Und doch gibt es in der Natur eine Fülle von Kooperationsformen. Wir finden das Phänomen in allen Bereichen des Lebens, auf allen Ebenen der biologischen Ordnung.
Kooperation ist die Architektin des Evolutionsprozesses. Die Entstehung der ersten Zelle erfordert die Zusammenarbeit von Molekülen. Vielzeller sind die Folge der Zusammenarbeit von Zellen. Sämtliche Tierherden beruhen auf Zusammenarbeit. Die menschliche Sprache entwickelte sich als Folge der Kooperation zwischen Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft aushandelten.
Leider ist unsere Gier genauso grenzenlos wie unsere Ahnungslosigkeit.
Tatsächlich ist es die Kooperation zusammen mit der Sprache, die uns ausmacht. Mit der Sprache hat der Mensch eine neue Art der Evolution entdeckt, die nicht mehr auf den genetischen Bereich beschränkt ist. Sie findet auch in der Welt der Ideen, Entdeckungen und Erfindungen statt. Unsere Anpassungsfähigkeit und unser Erfindungsreichtum haben es uns ermöglicht, jedes Ökosystem zu beherrschen und auszubeuten. Leider ist unsere Gier genauso grenzenlos wie unsere Ahnungslosigkeit. Indem wir das globale Ökosystem zerstören, untergraben wir unsere eigene Lebensgrundlage.
Sehen wir uns an, wie die natürliche Auslese von Zusammenarbeit profitiert. Es gibt fünf Mechanismen, die dies ermöglichen.
Der erste ist die direkte Reziprozität, also eine unmittelbare Gegenseitigkeit. Kooperation kann erfolgreich sein, wenn die Interaktion wiederholt wird. Zwei einfache, aber erfolgreiche Strategien sind großzügiges tit for tat (Quid pro quo bzw. „Wie du mir, so ich dir“) und win–stay, lose–shift (gewinnen: bleiben, verlieren: wechseln). Bei Ersterer kooperiert man immer dann, wenn der andere zuvor kooperiert hat, aber man kooperiert manchmal sogar dann, wenn der andere die Zusammenarbeit vorher verweigert hat und damit in der Sprache der Spieletheorie zum „Defektor“ geworden ist. Großzügiges tit for tat kann verzeihen! Und Vergebung ist von großer Bedeutung, andernfalls würden Rachefeldzüge niemals enden.
Win–stay, lose– shift wiederholt den vorherigen Zug, wenn das Ergebnis zufriedenstellend war, und ändert ihn, wenn nicht. Damit kann diese kooperative Strategie gelegentliche Fehler korrigieren. Sie kann sich gegen die Ausbeutung durch kompromisslose Defektoren wehren, umgekehrt aber auch bedingungslos Kooperierende ausnutzen. Letztere Eigenschaft gefällt mir gar nicht.
Wenn der Ruf entscheidet
Der zweite Mechanismus, die indirekte Reziprozität, beruht auf der Reputation. Interaktionen finden in Gegenwart eines beobachtenden Publikums statt. Wenn ich jemandem helfe, kann mein Ansehen als guter Mensch, als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft steigen. Wenn ich meine Hilfe verweigere, kann mein Ansehen sinken. Indirekte Gegenseitigkeit beruht auf sozialen Normen. Einige dieser Normen besagen, dass es gut sei, jemandem zu helfen, der einen guten Ruf hat, es aber schlecht sei, jemandem zu helfen, der einen schlechten Ruf hat. Auch diese Art von sozialem Urteil lehne ich ab, weil sie in eine Katastrophe führen kann. Sie kann eine Gesellschaft der Empörung, der Verbreitung von Lügen und der schnellen Verurteilung zur Folge haben.
Menschen, die über andere urteilen, sind oft blind für ihre eigenen Unzulänglichkeiten. Eine gute und einfache Strategie für indirekte Gegenseitigkeit ist generous scoring (großzügige Bewertung). Ich bin immer bereit, jemandem zu helfen, der einen guten Ruf hat, und ich bin manchmal bereit, jemandem zu helfen, der einen schlechten Ruf hat. In dieser Strategie verschmelzen die Ansätze von großzügigem tit for tat und indirekter Gegenseitigkeit. Wissenschaftler lieben die Vereinheitlichung.
Netzwerke, Gruppen und Familie
Der dritte Mechanismus ist die räumliche oder Netzwerk-Reziprozität. In räumlichen Umgebungen oder in sozialen Netzwerken bilden sich kooperierende Gruppen, die sich gegen Defektoren durchsetzen können. Die Idee ist, mit seinen Freunden zu kooperieren. Wenn Sie kooperativ sind, können Sie Ihre Freunde dazu bringen, Ihrem Beispiel zu folgen. Dann obsiegt die Kooperation.
Viertens gibt es die Gruppenselektion. Gruppen von Kooperierenden gewinnen, wenn sie mit Gruppen von Defektoren konkurrieren. Der Mechanismus funktioniert, hat aber eine Schattenseite: Die gruppeninterne Kooperationsbereitschaft kann mit einer Feindseligkeit gegenüber Gruppenfremden einhergehen. Konflikte zwischen Gruppen sind für viele Gefahren in der menschlichen Geschichte verantwortlich. Sie haben zu Kriegen und zu Völkermord geführt.
Wir müssen bereit sein, jetzt einen Preis zu zahlen, damit künftige Generationen einen Nutzen daraus ziehen können.
Fünftens gibt es noch die Verwandtenselektion, die in Familien gedeiht. Enge genetische Verwandte kooperieren oft miteinander.
Überlebensfrage Kooperation
Zusammenarbeit hat uns stark gemacht. Sie hat uns dazu gebracht, die Erde zu erobern. Aber wo immer es Kooperation gibt, gibt es auch ihr Gegenteil. Der Mangel an Kooperation hat uns schwach gemacht. Wir sind dabei, das globale Ökosystem unseres Planeten rapide zu zerstören. Um das globale Klimaproblem zu lösen, brauchen wir Zusammenarbeit. Aber nicht nur Kooperation innerhalb der Familie, nicht nur Kooperation zwischen Freunden oder Kollegen, wir brauchen globale Kooperation – mit allen Menschen auf der Erde.
Und mehr als das: Wir brauchen die Zusammenarbeit mit zukünftigen Generationen. Anstatt die irreversiblen Schäden auf die Menschen nach uns abzuwälzen, müssen wir bereit sein, jetzt einen Preis zu zahlen, damit künftige Generationen einen Nutzen daraus ziehen können. Wir müssen die Strategie der Kooperation zeitlich ausdehnen. Wie kann dies erreicht werden? Die Antwort auf diese Frage entscheidet über unsere Zukunft.