Gemma BILLA? Nicht mit Kopftuch!

In einem Stelleninserat für eine Billa-Filiale war zu lesen, dass „Personal mit Kopftuch in diesem Bezirk nicht erwünscht“ sei. Rassismus-Eklat oder gutes Recht des Arbeitgebers?

Eine Frau trägt ein Plakat mit der Aufschrift „Woman Life Freedom“ bei einer Demonstration im September 2023 in London. Das Bild illustriert einen Kommentar über das Tragen des Kopftuchs.
Woman. Life. Freedom. Unter diesem Motto erinnerten Demonstranten weltweit an Mahsa Amini, die 2022 in einem iranischen Polizeigefängnis starb. Sie war verhaftet worden, weil sie ihren Hijab nicht vorschriftsmäßig trug. Hier im September 2023 in London. © Getty Images

Der Favoritener SPÖ-Bezirksrat Muhammed Yüksek brandmarkte das Inserat auf X als „rassistische Entscheidung“, andere schrieben von einem „Rassismus-Eklat“. Und wie immer in solchen Fällen knickte REWE aus Angst vor einem Shitstorm umgehend ein, entschuldigte sich und schob das Inserat auf ein Missverständnis mit der Personalagentur. „Aktuell werben wir mit Feinkostmitarbeiter:innen mit Kopftuch“, zitiert heute aus einer Stellungnahme des Lebensmittelkonzerns. Vorbildlich integrativ (obwohl offen bleibt, ob Musliminnen in der Feinkostabteilung auch Schinkensemmerl zubereiten müssen), und noch dazu politisch korrekt gegendert: Shitstorm abgewendet! Wir sollten den Anlass dennoch nutzen, um über das Kopftuch zu reden. 

Das Kopftuch im Islam

Theologische Debatten kann man getrost den Mitgliedern der jeweiligen Religionsgemeinschaft überlassen. Uns interessiert weniger der Stellenwert des Kopftuchs im Islam als vielmehr dessen Auswirkung auf alle Frauen und die Integration von Zuwanderern aus islamischen Ländern. An dieser Stelle daher nur ein kurzer Überblick:

Ob das Tragen des Kopftuchs eine religiöse Pflicht darstellt, ist im Islam heftig umstritten. Im Februar 2017 hatte der Mufti (Rechtsgelehrte) der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Mustafa Mullaoğlu, das Kopftuch für Frauen zum religiösen Gebot erklärt. Die Fatwa (Rechtsgutachten) stieß auch innerhalb der Community auf Widerspruch.

Ednan Aslan, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien, sah sich zu einer Stellungnahme veranlasst, in der er davor warnte, den „Geist des 8. oder 9. Jahrhunderts als Grundlage für das religiöse Leben der MuslimInnen in Österreich“ darzustellen. Fortschrittliche Musliminnen wie Seyran Ateş haben die religiöse Verpflichtung immer schon bestritten. Auf der Website der IGGÖ findet sich hingegen nichts, was darauf schließen ließe, dass sie ihre Position zum Tragen des Kopftuchs geändert hätte. Mullaoğlu wurde 2024 als Mufti wiedergewählt.

Die Flagge des Islamismus

Was aber bedeutet das Kopftuch in einer liberalen Gesellschaft? Für die Gründerin des Schweizer Forum für einen fortschrittlichen Islam, Saïda Keller-Messahli, ist jede Form der Verschleierung der Frau ein „Banner des politischen Islams“, an dem das Fortschreiten des Islamismus im öffentlichen Raum sichtbar sei. Das Kopftuch habe im siebten Jahrhundert dazu gedient, die freie muslimische Frau – im Gegensatz zur Sklavin – zu markieren und so vor sexueller Belästigung zu schützen. In dasselbe Horn stößt Alice Schwarzer, die das Kopftuch immer wieder als „Flagge des Islamismus“ geißelte.

Wo Frauen durch Verhüllung als „ehrbar“ markiert werden, werden alle anderen als „nicht ehrbar“ erkannt. Das Kopftuch der einen beschneidet Sicherheit und Freiheit der anderen.

Die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes bezeichnet das Kopftuch als „Symbol einer patriarchalisch fundierten Geschlechterhierarchie, d. h. der Vormundschaft des Mannes über die Frau“ und hält in einem Positionspapier aus dem Jahr 2006 (!) fest: „Terre des Femmes beobachtet, dass sozialer Druck besteht, das Kopftuch zu tragen, um damit u. a. die sogenannten ehrbaren von den nicht ehrbaren Frauen zu unterscheiden.“

Niemand wird behaupten, dass der soziale Druck seit 2006 abgenommen hätte oder die Zahl der Kopftuchträgerinnen zurückgegangen wäre. Wir haben uns nur daran gewöhnt.

Freiheit für alle

Das Kopftuch stellt die liberale Demokratie vor ein Problem: Zum einen soll sich selbstverständlich jede erwachsene Person freiwillig kleiden können, wie sie will – mit der Betonung auf erwachsen und freiwillig. Zum anderen gilt es, gleiche Rechte für alle Frauen und Mädchen zu gewährleisten – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, bzw. der ihrer Familien. Eben deshalb ist der gemeinsame Schwimmunterricht auch für muslimische Mädchen verpflichtend.

Doch die Frage der Verhüllung betrifft nicht nur Musliminnen. Wo Frauen durch Verhüllung als „ehrbar“ markiert werden, werden alle anderen als „nicht ehrbar“ erkannt. Das Kopftuch der einen beschneidet Sicherheit und Freiheit der anderen – unabhängig davon, ob es freiwillig getragen wird oder nicht. Die Freiheit der Hijab tragenden Frau darf nicht die Freiheit jener Frauen bedrohen, die für sich in Anspruch nehmen, sich so frei zu kleiden, wie es für jeden Mann selbstverständlich ist. 

An Schulen hat das Kopftuch nichts verloren.

Von Lehrern in Vierteln mit hohem Anteil an Muslimen erfährt man, dass der Druck auf Mädchen, sich von klein auf „sittsam“ zu kleiden, massiv zunimmt. Nicht nur durch Eltern, Brüder oder Cousins – oft sind es Klassenkameraden, die sich schon als Halbwüchsige zu Hütern der weiblichen Moral und Herren über weibliche Kleidung aufspielen. Was also tun?

Keine Toleranz der Intoleranz 

Ein Kopftuchverbot im öffentlichen Raum ist weder wünschenswert noch durchsetzbar. Allerdings hat der Staat die Pflicht, ihm anvertraute Mädchen vor fundamentalistischen Zumutungen und einer frühkindlichen Sexualisierung durch Männer zu schützen. Zudem hat er das Recht, religiöse Symbole aus der öffentlichen Verwaltung zu verbannen und entsprechende Bekleidungsvorschriften zu erlassen. 

Dem Europäischen Gerichtshof zufolge können sowohl Behörden als auch private Unternehmen das Tragen des Kopftuchs verbieten, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die wohl wichtigste: Es darf keine Religion diskriminiert werden. Fällt das Kopftuch, fallen auch die Kreuze in Schulen und Gerichten. In Österreich wurde das Kopftuchverbot an Volksschulen vom Verfassungsgerichtshof aus ähnlichem Grund gekippt: wenn man den Hijab verbietet, sind auch die jüdische Kippa oder die Patka der Sikhs zu verbieten. 

Die Freiheit zum Kopftuch muss mit der Freiheit vom Kopftuch einhergehen. 

Den politischen Willen vorausgesetzt, ließen sich Schulen und Arbeitsplätze also kurzfristig als Schutzräume für Mädchen und Frauen gestalten, in denen sie sich frei von Gruppenzwang und religiösen Bekleidungsvorschriften bewegen können. Für eine aufrichtige Debatte dieser Frage – Kreuz gegen Kopftuch – fehlt es jedoch an politischem Mut und wohl immer noch an Problembewusstsein. Um es klar zu sagen: An öffentlichen Schulen hat das Kopftuch nichts verloren.

Solange Musliminnen nicht genauso selbstverständlich – auch sexuell – mit Christen, Juden und Atheisten verkehren können wie ihre Brüder, wird das Kopftuch seine religiöse, soziale und moralische Markierungsfunktion behalten. Und solange Frauen in manchen islamischen Ländern ihr Leben riskieren, wenn sie ihr Haar offen tragen, steht es für Pflicht und nicht für Freiheit. Die Freiheit zum Kopftuch muss mit der Freiheit vom Kopftuch einhergehen. 

Kommentare & Kolumnen

Unser Newsletter