Wahl und Qual

EU-Wahlen, Landtagswahlen, Nationalratswahl: Der Beginn des Wahlkampfs verheißt nichts Gutes, auch ein Blick nach Deutschland verbessert nicht die Laune. 

Ein Mann wirft seinen Stimmzettel in die Wahlurne bei der Präsidentschaftswahl in Österreich 2016. Das Bild illustriert einen Kommentar über die anstehenden Wahlen.
Wähler bei der Stimmabgabe zur Präsidentschaftswahl in Österreich 2016. © Getty Images

Als „Zeit fokussierter Unintelligenz“ beschrieb der ehemalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl im Jahr 2005 den Wahlkampf. Im heurigen Superwahljahr wirft die Unintelligenz bereits ihren Schatten voraus, einzig an der Fokussiertheit könnte man zweifeln.

Ein erster Höhepunkt war der Vorschlag der Sozialpartner, jedem Häuslbauer hunderttausend Euro in die Hand zu drücken. Eine sozial ausgesprochen treffsichere Maßnahme, allerdings in dem Sinne, dass die weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten garantiert nicht von ihr profitieren. Dann dürfte nämlich die alleinerziehende Billa-Kassierin, die sonst immer herhalten muss, wenn der Sozialminister Geld braucht, die Villa des örtlichen Sparkassendirektors mitfinanzieren, um die Bauwirtschaft anzukurbeln. Kredit für eine kleine Wohnung bekommt sie trotzdem keinen, das scheitert schon am 20-prozentigen Eigenmittelanteil. Sollen sie halt Häuser bauen, wenn sie sich keine Wohnung leisten können. 

Wählerbestechung

Die Idee ist inzwischen begraben worden, könnte jedoch jederzeit wiederauferstehen: Das Verteilen von Geld, das man den Bürgern unter Strafandrohung abnimmt, um es in der staatlichen Bürokratiemaschinerie unter Einbehalt eines nicht unbeträchtlichen Administrationsanteils – der den mit der Umverteilung Befassten ein einträgliches Leben beschert – wieder unters Volk zu bringen, ist ungebrochen populär. Das Geld anderer Leute lässt sich freilich nur verteilen, solange es genug „andere“ gibt, die sich das gefallen lassen. 

Dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Gewerkschaftsfunktionär eine solche Absurdität in trauter Eintracht mit der Wirtschaftskammer entwickelt, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Und erinnert daran, dass rot-schwarze Koalitionen immer schon teuer waren. Den beiden ehemaligen Großparteien mögen zwar die Wähler in Scharen davonlaufen, aber bei den Sozialpartnern und in den geschützten Werkstätten der Öffentlichen Hand ist ihre Macht ungebrochen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass einem Wahlkampf mit teuren Versprechen eine Regierung folgt, die uns noch teurer zu stehen kommt.  

Reframing 

Die deutsche Ampelkoalition liefert gerade ein gutes Beispiel dafür. In einer Zweier-Koalition müssen wenigstens nur zwei Parteien ihre Wähler bestechen, pardon: Wahlversprechen einlösen, in einer Dreier-Koalition sind es drei. Da wird die Schuldenbremse dann bei Bedarf schnell einmal von „Sondervermögen“ ausgebremst – ein schönes Beispiel für die Liebe der deutschen Regierung zu schönfärbenden Begriffen, die an George Orwell erinnern.

Überhaupt sollten wir alle wieder öfter Orwell lesen. Das würde die Sensibilität gegenüber staatlichen Zumutungen erhöhen. Mir zum Beispiel wird übel, wenn ich vom „Berliner Register“ lese, einem steuerfinanzierten Netzwerk ohne Rechtsgrundlage mit 230 Anlaufstellen, bei denen jeder jeden niedrigschwellig als rechtsextrem denunzieren kann, auch online. 

Repression

„Ein Aufkleber mit der Aufschrift ‚Es gibt nur zwei Geschlechter‘ würde in der Logik des Registers als rechtsextrem eingestuft, wie eine leitende Mitarbeiterin bestätigt. Allerdings nicht in jedem Fall: ‘Wir schauen, von wem der Aufkleber stammt, und wenn er von der AfD ist, dann nehmen wir ihn auf.‘ Man könne ja im Parteiprogramm nachlesen, was die Partei wolle.“ So ein Bericht der NZZ. Rechtsextrem ist inzwischen also auch, wenn die Falschen das Richtige sagen. Das neue Deutschland erinnert immer mehr an ein altes, seit 1990 vergangen geglaubtes. 

Wenn dieses Deutschland nun ein „Demokratiefördergesetz“ auf den Weg bringt, schrillen alle Alarmglocken. Schon der Name klingt nach Neusprech. Und tatsächlich bereitet das Gesetz, das dem Namen nach die Demokratie fördern sollte, einem autoritären Staat den Weg: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Der Satz könnte zwar auch aus einer chinesischen oder russischen Regierungserklärung stammen, steht aber in einer Pressemitteilung des „Bundesministeriums des Inneren und für Heimat“ unter Nancy Faeser (SPD). 

Menschen meines Alters erinnern sich noch an Zeiten, in denen man einigermaßen neidisch auf die großen Nachbarn schaute, als das Niveau des politischen Personals proportional zur Einwohnerzahl höher zu sein schien. Tempi passati. 

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