Land der Nettoempfänger
Die Bevölkerung wächst und altert, doch immer weniger Menschen sind erwerbstätig. Mehr Einwanderung ist nicht die Lösung. Wir werden viel später in Pension gehen müssen.

Auf den Punkt gebracht
- Alterung. Bis 2070 könnte Österreich zehn Millionen Einwohner haben, aber die Zahl der Erwerbstätigen bleibt etwa gleich.
- Imbalance. Der Altenquotient steigt von heute 34 auf 56 ältere Menschen pro 100 Erwerbstätige im Jahr 2070.
- Finanzierungslücke. Österreicher erhalten über ihr Leben 25 Jahreseinkommen vom Staat, zahlen aber nur 20 ein.
- Mythos. Zuwanderung löst die demografischen Probleme nicht, da Migranten ebenfalls Nettoempfänger sind.
Bis 2070 könnten zehn Millionen Menschen in Österreich leben. Doch wegen der Bevölkerungsalterung wird die Zahl der Erwerbstätigen nicht viel höher sein als heute. Unsere Wirtschaft und unser Sozialsystem sind mit der demografischen Entwicklung noch nicht kompatibel. Die aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind bereits Vorboten dieser Veränderungen – zum Beispiel das hohe Budgetdefizit, die Stagnation der Einkommen sowie der Arbeitskräftemangel im Gesundheits- und Bildungsbereich. Diese Probleme werden uns in den nächsten Jahren über den Kopf wachsen. Es sei denn, wir beginnen, sie vorausschauend zu lösen.
Serie „10-Millionen-Österreich“
Schneeballsystem
Demografie erzwingt eine Änderung des Sozialsystems. Aktuell ähnelt der österreichische Sozialstaat einem Schneeballsystem. Bis jetzt kamen immer zusätzliche Beitragszahler hinzu – durch die Babyboomer im Erwerbsalter, die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen und die hohe Zuwanderung. In Kombination mit einer sehr hohen Abgabenquote ließen sich so großzügige Transferleistungen finanzieren.
Aktuell ähnelt der österreichische Sozialstaat einem Schneeballsystem.
Doch mit dem Pensionsantritt der Babyboomer stagniert die Zahl der Beitragszahler, und dafür gibt es immer mehr Menschen, die die Versprechen auf Pension, Gesundheitsleistungen und Pflege einlösen möchten. Der Altenquotient – also die Anzahl der über 65-Jährigen pro 100 Personen im Haupterwerbsalter – wird von heute 34 auf 45 im Jahr 2035 anwachsen. Im 10-Millionen-Szenario für das Jahr 2070 kommen 56 „Ältere“ auf 100 „Jüngere“.
Sicherheit für Jung und Alt
Österreich braucht also dringend eine demografische Strategie, um die daraus folgenden Probleme abzufedern. Wirtschaft, Sozialsystem und Infrastruktur müssen sich ändern, um mit gleich vielen Erwerbstätigen viel mehr Menschen zu versorgen – und nicht nur die Versorgung im Alter zu sichern, sondern auch die Einkommen der jungen Generationen. Andernfalls werden die hohen Ausgaben für Ältere die Gesellschaft zunehmend lähmen, aber dennoch keine adäquate Gesundheitsversorgung oder Pflege sicherstellen und dabei auch noch Investitionen in die Zukunft beeinträchtigen. Die folgende Auswertung von Steuern und Abgaben sowie der erhaltenen Sozialleistungen nach Alter und Geburtsland für den Pragmaticus identifiziert drei große Baustellen:
- niedrige Erwerbstätigkeit der Altersgruppe 60–75
- hohe und steigende Ausgaben für Pensionen, Gesundheit und Pflege
- schlechte Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt
Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen:
Länger arbeiten
Die Erwerbstätigkeit der älteren Bevölkerung ist das zentrale Element, um mehr Arbeitskräfte zu mobilisieren und die Auswirkungen der Alterung abzuschwächen. Legt man alle Beschäftigten auf Vollzeitstellen um, waren in Österreich im Jahr 2022 etwa vier Millionen Personen erwerbstätig. Bleiben die Erwerbsquoten nach Altersgruppen konstant, würde diese Zahl, umgelegt auf Vollzeiterwerbstätige, bis 2035 um etwa 200.000 sinken, während die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um über 200.000 wächst.
Zahlen & Fakten
Wie der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, gibt es bei der Erwerbstätigkeit Älterer enormes Potenzial: Würde Österreich die Erwerbsquote Dänemarks für die Altersgruppe ab 60 Jahren erreichen, wäre die Anzahl der Beschäftigten 2035 sogar höher als heute und könnte den Pensionsantritt der Boomer-Generation ausgleichen. In Dänemark ist bereits etwa ein Drittel der 65- bis 69-Jährigen erwerbstätig, in Österreich nur einer von zehn.
Land der Nettoempfänger
Österreicher erhalten über den Lebensverlauf weit mehr Leistungen vom Staat, als sie selbst einzahlen. Zumindest gilt das, wenn man das aktuelle Altersmuster und die derzeitige Lebenserwartung für eine Berechnung der gesamten Abgabenleistung und aller erhaltenen Leistungen heranzieht.
Österreicher erhalten nach heutigem Stand über den Lebensverlauf weit mehr Leistungen vom Staat, als sie selbst einzahlen.
Mit dem Altersmuster von 2022 bezahlt eine Person in Österreich im Lauf ihres Lebens etwa 20 Jahreserwerbseinkommen (Vollzeit) an den Staat. Neben einer Abgabenbelastung von fast 50 Prozent auf Erwerbseinkommen kommen noch andere Abgaben wie Konsumsteuern hinzu, die hier ebenfalls berücksichtigt sind. Die erhaltenen Transferleistungen belaufen sich aber auf 25 Jahreseinkommen, was vor allem an hohen Pensionen und der Dauer des Altersruhestandes liegt.
Die Steuerleistung und der Bezug staatlicher Leistungen sind eng mit demografischen Merkmalen verknüpft, vor allem mit dem Alter: Bürger im Alter von 45 bis 58 zahlen im Durchschnitt pro Jahr über 30.000 Euro an Steuern und Abgaben. Die weitaus höchsten Transferleistungen vom Staat erhält die Bevölkerung in der Pension, mit rund 40.000 Euro pro Kopf und Jahr.
Dadurch hat die Bevölkerungsalterung besonders hohe Auswirkungen auf das staatliche Transfersystem. Im Jahr 2022 lagen die staatlichen Leistungen bei etwa 106 Prozent des Steueraufkommens, ein Teil wurde durch das Defizit finanziert. Wenn sich an dieser Struktur nichts ändert, würden die gesamten Ausgaben im Jahr 2035 schon mehr als 120 Prozent der Steuern und Abgaben verschlingen.
Die Grafik der Transferleistungen nach Alter zeigt, warum sich die Finanzierungsprobleme des Sozialstaats nicht lösen lassen, indem junge Leute mehr arbeiten. Das würde zwar etwas höhere Steuereinnahmen liefern, reduziert aber nicht die Ausgaben. Die demografische Entwicklung erfordert ein deutlich höheres Pensionsalter – und zwar ohne Ausgleich durch steigende Pensionen.
Migration ist keine Lösung
Zuwanderung wird oft als Möglichkeit betrachtet, die wirtschaftlichen Folgen der Bevölkerungsalterung abzuschwächen. Auf den ersten Blick ist das einleuchtend, weil die meisten Neuankömmlinge zwischen 20 und 35 Jahre alt sind und folglich am Beginn ihres Erwerbslebens stehen. Dadurch kann Immigration mittelfristig die Knappheit an Arbeitskräften beheben. Allerdings wird der wirtschaftliche Beitrag der Zuwanderung aus mehreren Gründen überschätzt.
Erstens ist die Erwerbsbeteiligung bei Immigranten niedriger als in der ansässigen Bevölkerung, und ein großer Teil der Zuwanderer arbeitet in gering bezahlten Jobs. Die durchschnittlichen Erwerbseinkommen der Migranten belaufen sich auf etwa zwei Drittel der Summe, die in Österreich geborene Menschen verdienen. Das wirkt sich natürlich auf die Steuern und Sozialabgaben dieser Gruppe aus, die ebenfalls um etwa ein Drittel geringer sind als jene der in Österreich Geborenen.
Zweitens sind Immigranten auch Konsumenten von knappen Ressourcen. Zum Beispiel erfordert der zusätzliche Wohnraum riesige Investitionen vorab, die Zuwanderer erst einmal erarbeiten müssen.
Und drittens werden natürlich auch Zuwanderer älter und somit zu Nettoempfängern staatlicher Transfers. Bereits im Haupterwerbsalter sind Nettobeiträge – Steuern minus erhaltene Leistungen – zum staatlichen Transfersystem bei Immigranten nur halb so hoch wie in der autochthonen Bevölkerung. Das liegt an der niedrigeren Erwerbsbeteiligung und den niedrigeren Einkommen.
Wir sind gerade dabei, für die ‚Sicherheit der Pensionen‘ unseren langfristigen Wohlstand zu opfern.
Zwar sind auch die ausbezahlten Pensionen an Ausländer viel geringer, außerdem erspart sich der Staat bei ihnen einen Teil der Bildungsausgaben. Dennoch ist der Saldo negativ: Nimmt man die derzeitigen Altersmuster von Steuern und Sozialbeiträgen sowie den erhaltenen Leistungen, leistet ein Zuwanderer im Schnitt Zahlungen im Ausmaß von 17 Jahreseinkommen, erhält aber Leistungen im Ausmaß von 20 Jahreseinkommen. Bei der in Österreich geborenen Bevölkerung ist dieser Wert ausgeglichen, allerdings kommen hier die Bildungsausgaben in Kindheit und Jugend dazu.
Migration ist aktuell also keine Lösung für die Probleme durch Alterung. Sie kann die wirtschaftlichen Konsequenzen demografischer Änderungen nicht beseitigen, sondern höchstens ein wenig in die Zukunft verschieben.
Nicht die Jungen schröpfen
Die „Sicherheit der Pensionen“ ist in der politischen Debatte so etwas wie eine heilige Kuh. Wir sind gerade dabei, ihr unseren langfristigen Wohlstand zu opfern. Die Jungen werden bereits jetzt stark zur Kasse gebeten. Stagnierende Einkommen, hohe Wohnkosten, steigende Abgaben und gekürzte Familienleistungen durch das Sparpaket verschärfen die Lage. Bei einer Geburtenrate von nur 1,3 Kindern pro Frau ist eine zunehmende Umverteilung zur älteren Bevölkerung mit Kürzungen bei den Jungen kein nachhaltiges Modell.
Österreich benötigt eine Strategie, um die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bruchlandung zu vermeiden. Wirtschaft, Infrastruktur und Sozialsystem müssen mit den Szenarien für die demografische Entwicklung abgestimmt werden.
Zugleich gilt es, der Abgabenbelastung junger und kommender Generationen Grenzen zu setzen. Wesentlicher Bestandteil aller Überlegungen muss eine höhere Erwerbsbeteiligung der älteren Bevölkerung sein. Ebenfalls sehr wichtig: eine Reduktion der hohen und steigenden Staatsausgaben für Pensionen, Gesundheit und Pflege sowie eine bessere Integration von Zuwanderern ins Erwerbsleben.
Fehlendes Bewusstsein
Wir müssen heute Entscheidungen treffen, um die Staatsausgaben in zehn Jahren effizient zu reduzieren. Dänemark hat das jüngst mit der Anhebung des Pensionsalters auf 70 Jahre bis 2040 getan. Das aktuelle „Sparpaket“ der österreichischen Regierung enthält so gut wie keine Ansätze, um langfristige Ausgaben zu reduzieren, wie der Think Tank Agenda Austira berichtete.
Auch die Bevölkerung ist sich der Herausforderungen nicht wirklich bewusst: Laut Wissenschaftsbarometer der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sorgt sich die Bevölkerung zwar um die Konsequenzen des demografischen Wandels, lehnt aber eine Erhöhung des Pensionsalters ab. Unser langfristiger Wohlstand hängt aber davon ab, ob wir genau das hinbekommen.
Conclusio
Gesellschaft. deutlich altern. Bleibt das Pensionssystem, wie es jetzt ist, bezieht dann jeder Österreicher 25 Jahreseinkommen an staatlichen Leistungen, zahlt aber nur 20 Jahreseinkommen ein.
Fehlkonstruktion. Schon jetzt führt die Struktur des Sozialsystems zu Budgetdefiziten und einer übermäßigen Belastung der jungen Generation. Weder die Zuwanderung noch mehr Erwerbstätigkeit Jüngerer kann das Problem lösen.
Aufgaben. Österreich muss eine deutliche Erhöhung des Pensionsalters (wie in Dänemark auf 70 Jahre) und eine Steigerung der Erwerbsquote bei den Älteren erreichen. Das Regierungsprogramm wird dem nicht gerecht.