Russlands hybrider Krieg gegen den Westen

Brandsätze, Fake News und Migration als Waffen: Russlands hybride Kriegsführung gegen den Westen dehnt sich aus und erfordert entschlossene Antworten Europas.

Ein durch ein Feuer zerstörtes Fabrikgebäude des Rüstungskonzerns Diehl in Berlin. Das Bild illustriert einen Artikel über Russlands hybride Kriegsführung.
Ein Feuer zerstörte im Mai ein Fabrikgebäude des Rüstungskonzerns Diehl in Berlin – laut Geheimdienstquellen handelte es sich dabei vermutlich um russische Sabotage. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Eskalation. Seit 2022 hat Russland seine hybride Kriegsführung gegen Europa systematisch intensiviert.
  • Wendepunkt. Putins Münchner Rede 2007 markierte den offenen Bruch mit dem Westen, gefolgt von Cyberangriffen und der militärischen Intervention in Georgien.
  • Krym-Schock. Die Annexion der Halbinsel 2014 durch die „grünen Männchen“ ohne Hoheitszeichen demonstrierte Russlands neue Form der hybriden Kriegsführung.
  • Paradigmenwechsel. Seit 2022 bildet die hybride Kriegsführung das Rückgrat einer umfassenden Strategie, die auf Europa direkt als Kontrahenten abzielt.

Seit der Eskalation des Ukraine-Kriegs 2022 hat Russland seine hybride Kriegsführung gegen Europa systematisch intensiviert, um die westliche Unterstützung für die Ukraine zu untergraben und die europäische Ordnung zu destabilisieren. Eine Form der hybriden Einflussnahme Russlands gegen den Westen läuft allerdings seit knapp zwei Jahrzehnten.

Dabei setzt Moskau auf eine immer komplexere Integration nicht-militärischer sowie konventioneller militärischer Mittel und bedroht damit massiv die Sicherheit Europas. Eines ist klar: Für Putin befindet sich Russland und der Westen, also Europa und die USA längst im Krieg. Die Form der Kriegsführung ist für ihn zweitrangig.

Enttäuschte Hoffnungen

Die 1990er Jahre waren von einer Aufbruchsstimmung in Europa geprägt. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion schien es, als könne ein neues Kapitel der Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen beginnen. Die Hoffnung, gemeinsam eine europäische Sicherheitsarchitektur aufzubauen, war groß. Russlands Präsident Wladimir Putin sprach 2001 im Deutschen Bundestag von einer „einheitlichen und sicheren Welt“ und betonte: „Jetzt ist es an der Zeit, daran zu denken, was zu tun ist, damit das einheitliche und sichere Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt wird.“

Doch bereits in den frühen 2000er Jahren begannen sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu trüben. Die NATO-Osterweiterung, die Intervention im Kosovo und die „Farbrevolutionen“ in Georgien und der Ukraine, sowie der Arabische Frühling wurden in Moskau zunehmend als Bedrohung der Regimestabilität wahrgenommen. Aus russischer Sicht stellte sich die westliche Unterstützung für Demokratiebewegungen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten dar und legitimierte russische Reaktionen als Schutzmaßnahme nationaler Interessen. Putin rechtfertigte 2014 diese Politik mit den Worten: „Diesen Ländern wurden Standards aufgezwungen, die in keiner Hinsicht den Lebensweisen, den Traditionen oder der Kultur dieser Völker entsprachen.“

Bruchlinien in den Beziehungen

Ein signifikantes Ereignis für den beginnenden Wandel war Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007. Dort kritisierte er offen die „ungezügelte Militäranwendung“ des Westens und erklärte: „Ich bin der Auffassung, dass das unipolare Modell nicht nur inakzeptabel, sondern in der heutigen Welt auch unmöglich ist.“ Diese Worte markierten einen Bruch in den Beziehungen zum Westen und kündigten eine neue, selbstbewusstere russische Außenpolitik an.

Bereits 2007 wurde Estland Ziel massiver Cyberangriffe, die staatliche Institutionen und die Infrastruktur lahmlegten. In den folgenden Jahren wurden ähnliche Angriffe auf Georgien, die Ukraine und zahlreiche westliche Staaten verübt. Spätestens mit dem Krieg in Georgien 2008 zeigte sich, dass Russland bereit war, militärische Mittel zur Wahrung seiner Interessen im postsowjetischen Raum einzusetzen.

Gleichzeitig wurde von russischer Seite massiv in Fähigkeiten zur Desinformation und der Message-Control investiert. So wurde Russia Today in RT unbenannt und neu ausgerichtet. Waren bis 2008 CNN und BBC ein Vorbild, so ging es seit dem Krieg in Georgien um eine aggressive Verbreitung des russischen Narrativs, bei dem der Wahrheitsgehalt der Informationen nebensächlich ist. Im Bereich der Informationskriegsführung konnten russische Geheimdienste auf Konzepte wie z.B. „Aktive Maßnahmen“ – ein Sammelbegriff für nicht-militärische Interventionen im Ausland des Kalten Krieges – zurückgreifen und in den Cyber-Raum erweitern.

Auf dem falschen Fuß erwischt

Die meisten westlichen Regierungen wurden im März 2014 durch die rasche militärische Besetzung und anschließende Annexion der Krym durch Russland vollkommen überrascht. Die westlichen Staaten hatten sich im Hinblick auf die Majdan-Revolution und den Machtwechsel in Kyjiw auf diplomatische Lösungen und Verhandlungen verlassen und rechneten nicht mit einer offenen Verletzung der Souveränität eines europäischen Staates im 21. Jahrhundert.

Russische Soldaten, die sogenannten „grünen Männchen“, agierten ohne nationale Abzeichen und ermöglichten so eine schnelle und weitgehend unblutige Übernahme der Halbinsel. Parallel dazu liefen massive Desinformationskampagnen in russischen und internationalen Medien, die die Legitimität des Vorgehens unterstreichen sollten. Ein krasses Beispiel war die falsche Behauptung, ukrainische Soldaten hätten in Slowjansk einen dreijährigen Jungen gekreuzigt. Eine angebliche Augenzeugung entpuppte sich später als russische Schauspielerin.

×

Zahlen & Fakten

Im Osten der Ukraine unterstützte Russland gezielt prorussische Separatisten im Donbas, lieferte Waffen und Kämpfer, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren. Wenn die Ukraine schon nicht im russischen Einflussbereich bleiben sollte, so sollte sie zumindest sich nicht nach dem Westen orientieren.

„Gerasimov-Doktrin“ und Hybride Kriegsführung

Um die – „neue“ – russische Form der Kriegsführung zu verstehen und analysieren zu können wurde ein militärstrategisches Konzept aus 2006 herangezogen und weiterentwickelt: Die hybride Kriegsführung (NATO, etc.) bzw. hybride Bedrohungen (Europäische Union). Bis heute besteht keine einheitliche Definition, aber alle Ansätze verstehen darunter

  • den synchronisierten Einsatz unterschiedlicher Machtinstrumente eines Staates,
  • die unterhalb der völkerrechtlich relevanten Schwelle eines Krieges stattfinden,
  • wenn möglich abstreitbar sind und als übergeordnete Ziel auf die Schwächung demokratischer Systeme, die Schwächung der völkerrechtlichen Verpflichtungen und auf die Unterminierung der Kohäsion internationaler Organisationen und Allianzen (EU, NATO, etc.) abzielen.

In einer Rede beschrieb der damalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hybride Kriegsführung wie folgt: „Hybrid ist das dunkle Spiegelbild unseres umfassenden Ansatzes. Wir nutzen eine Kombination aus militärischen und nicht-militärischen Mitteln, um Länder zu stabilisieren. Andere nutzen sie, um sie zu destabilisieren.“

Aus russischer Sicht entspricht seine „nicht-lineare“ Kriegsführung dem westlichen „umfassenden Ansatz“. Ein Artikel des russischen Generalstabschef Waleri Gerassimov aus dem Jahr 2013 beschreibt die westlichen außenpolitischen Aktivitäten und (militärischen) Interventionen der 2000er Jahre, um die Schlussfolgerung zu ziehen, dass sich die Natur des Krieges geändert hat und die russische Föderation sich auf diese einzustellen hätte.

Agenten des Chaos

Der destruktive Ansatz der hybriden Kriegsführung ist ein wesentliches Kennzeichen der russischen Aktivitäten. Es geht dem Kreml weniger um die Stärkung der russischen Wirtschaftsinteressen und des politischen Einflusses durch Vorbildwirkung, sondern um die Destabilisierung und Destruktion politischer und wirtschaftlicher Systeme und der Spaltung von Gesellschaften. Anders formuliert: Russland ist nicht unbedingt besser als der demokratische Westen, aber zumindest ist der Westen schlechter als Russland.

Besonders im Fokus der russischen Aktivitäten nach 2014 standen daher Wahlen und politische Prozesse: So wurden etwa während der US-Präsidentschaftswahlen 2016 gezielte Desinformationskampagnen und Hackerangriffe auf E-Mail-Konten der Parteiführung der Demokraten nachgewiesen. Parallel intensivierte der Kreml europaweite Desinformationskampagnen zur Destabilisierung demokratischer Institutionen und Förderung prorussischer Bewegungen und Parteien.

Während der Corona-Pandemie wurden Regierungskritische Bewegungen in der EU durch die russische Seite unterstützt. In Vorbereitung auf den russischen Angriff auf die Ukraine, wurden durch die russische Führung die hybriden Aktivitäten gegen den Westen eskaliert. Seit 2021 wurden durch die russische und belarussische Regierungen Migranten aus dem arabischen und afrikanischen Raum eingeflogen und dann an die polnische Grenze getrieben. Dieser künstlich erzeugte Migrationsdruck, der zynisch Menschenleben instrumentalisiert, sollte Polen lähmen und die europäischen Staaten beschäftigen.

Neue Phase

Mit dem konventionellen militärischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 ist der Krieg als politisches Mittel auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Diese „Zeitenwende“ ist aber nicht nur eine Eskalation in militärischer Hinsicht, sondern auch ein Paradigmenwechsel in der hybriden Kriegsführung Russlands. Während diese im vergangenen Jahrzehnt noch als Alternative zu offenen Militäroperationen und vor allem der politischen Einflussnahme diente, bildet sie seit 2022 das Rückgrat einer umfassenden Strategie, die Europa direkt in den Konflikt einbezieht.

Die europäischen Staaten müssen sich auf eine konfrontative Zukunft mit Russland einstellen.

Nachrichtendienstliche Analysen deuten darauf hin, dass der Kreml hybride Methoden zunehmend zur Vorbereitung möglicher konventioneller Eskalationen nutzt. Dazu zählen Brandsätze in Paketen, Brandanschläge und Sabotageaktionen. Hybride Methoden werden nicht nur gegen die Führungsfähigkeiten von Staaten, sondern auch zur physischen (Zer-)Störung von kritischen Infrastrukturen und zur Schwächung der Verteidigungsfähigkeit verwendet.

Die europäischen Staaten müssen sich auf eine konfrontative Zukunft mit Russland einstellen. Um die Abwehrfähigkeiten gegen hybride Kriegsführung zu verbessern, muss daher zuallererst ein Umdenken in der Bevölkerung stattfinden.

Die „Friedensdividende“ ist aufgebraucht, in Österreich sind nur 13 Prozent der Bevölkerung bereit auf jeden Fall Österreich mit der Waffe zu verteidigen, nun gilt es den Wehrwillen der Bevölkerung wieder zu stärken. Im Bereich der Bekämpfung der Desinformation muss vor allem die Medienkompetenz verbessert werden. Nicht jede Information im Internet und in Sozialen Medien entspricht der Wahrheit. Darüber hinaus muss die konventionelle militärische Abschreckungsfähigkeit gestärkt werden. Das betrifft nicht nur Investitionen in die Streitkräfte, sondern vor allem auch den politischen Willen diese einzusetzen, sollte es notwendig werden.

Weiterführende Quellen:

Wortprotokoll der Rede Wladimir Putins im Deutschen Bundestag am 25.09.2001

Beitrag Monitor: Imperialistische Großmachtphantasien: Putins aggressive Außenpolitik

Rede von Wladimir Putin auf der Konferenz für Sicherheitspolitik in München am 10. Februar 2007 (Wortlaut)

Pragmaticus-Umfrage zur Verteidigung Europas

×

Conclusio

Illusion. Die Hoffnung auf eine partnerschaftliche Sicherheitsarchitektur mit Russland hat sich spätestens seit den 2000er Jahren als Illusion erwiesen.

Kontrahenten. Stattdessen hat sich das Verhältnis polarisiert, wobei Russland den Westen offen als Gegner betrachtet und hybride Methoden als zentrales Instrument seiner Außenpolitik etabliert hat.

Weckruf. Die Eskalation des Ukraine-Kriegs 2022 markiert nicht nur eine Rückkehr des Krieges nach Europa, sondern einen Paradigmenwechsel: Hybride Kriegsführung ist heute integraler Bestandteil eines umfassenden komplexen russischen Konfrontationskurses.

Mehr zum Thema

Unser Newsletter