Sicherheit in einer unsicheren Welt
Bringt Abschreckung heute noch Sicherheit? Der Politikwissenschaftler Carlo Masala über die Eskalation im Nahen Osten und entstehende neue Weltordnungen.
Hinter den aktuellen (staatlichen) Kriegen und Konflikten stehen die Auseinandersetzungen um eine neue Weltordnung – so erklärt der Politikwissenschaftler Carlo Masala die Zunahme an kriegerischer Gewalt.
Der Podcast mit Carlo Masala
Kriege haben immer politische Gründe.
Carlo Masala
Diese neue Weltordnung, so Masala, entstehe seit Jahrzehnten konflikthaft und gewaltsam, nur wurde dies in der Öffentlichkeit nordwestlicher Staaten nicht so wahrgenommen. Die relative Macht der USA sei geschwunden, eine neue Ordnung habe sich noch nicht etabliert. „Wir befinden uns in einer gewalttätigen Auseinandersetzung, die Teil der politischen Auseinandersetzung um eine neue Weltordnung ist.“
Eine Kostenrechnung
Staaten engagierten sich nur dann im Krieg, wenn sie annehmen, dass dieser Krieg nicht lang andauert, so die These von Masala: „Kriege haben immer politische Gründe. Darum sind Staaten auch bereit, unglaubliche Kosten für diese Kriege in Kauf zu nehmen. Staaten beginnen nur dann Kriege, wenn sie erwarten, dass sie von kurzer Dauer sein werden und die eigenen Verluste gering sind.“
Gezielte Tötungen im Völkerrecht
Israel etwa habe zu Beginn des Gaza-Krieges nicht erwartet, dass dieser so lang andauern werde, sagt Masala, der vor allem innenpolitische Gründe für die Aufrechterhaltung des Krieges sieht. Benjamin Netanjahu geht es um den Erhalt der eigenen Macht. Sollte die Regierung mit den rechtsextremen Parteien zerfallen, wird Netanjahu seine politische Macht verlieren und sich möglicherweise vor Gericht verantworten müssen – für Korruption und das Versagen der israelischen Armee am 7. Oktober 2023, als die Hamas das Massaker verübte.
Eine verfehlte Strategie
Bei der gezielten Tötung von Fuad Shukr, einem hochrangigen Offizier der Hisbollah, in einem Vorort von Beirut, bei der zwei Kinder ums Leben kamen und über siebzig Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, und von Ismail Haniyya, dem politischen Führer der Hamas, in Teheran verfolge Israel eine riskante und aus Sicht von Masala verfehlte Strategie: Die Eliminierung von Entscheidungsträgern trage nicht zur erwünschten Schwächung des Gegners bei. Die Strategie sei zudem riskant, da die Botschaft des „Wir kriegen Euch, egal, wo ihr seid“, nun nicht unbeantwortet bleiben könne.
Israel und Völkermord
Hamas und Hisbollah gelänge es dabei, den Preis für einen Frieden immer weiter in die Höhe zu treiben und Israel weiterhin in einen langfristigen Konflikt zu drängen. Zu bedenken sei, dass sich nicht zwei Staaten gegenüberstünden, sondern bewaffnete Terrororganisationen und ein militärisch starker Staat. Ob dieser Konflikt weiter eskaliert, hänge von der Reaktion des Iran ab. Hamas und Hisbollah seien Israel jedenfalls militärisch unterlegen und in diesem Sinne habe die militärische Abschreckung bisher funktioniert.
Als im April 2024 die Botschaft des Iran in Damaskus bombardiert wurde, blieb eine bedrohliche Reaktion des Iran aus. In diesem Sinne sei es außerdem nicht so, dass die Dynamik der Konflikte im Nahen Osten ein gegenseitiges Aufschaukeln sei. „Es ist völkerrechtlich gesehen kein offener Krieg, aber schon seit Jahrzehnten ein Schattenkrieg. Es ist nicht unbedingt ein gegenseitiges Aufschaukeln. Der Iran hatte bisher auch keine Interesse daran, die Situation zu eskalieren.“
Lehren für Europa
Verhandlungslösungen seien grundsätzlich dann möglich, wenn eine Fortführung eines Krieges mehr Verluste als Gewinne bringt. Ein militärisches Ende sei zum Beispiel im Krieg Russland und Ukraine nicht möglich. Die Ukraine könne Russland nicht militärisch besiegen, deshalb sei das Ziel, das es zu erreichen gelte, die russische militärische Logik umzukehren. „Das ist dann der Zeitpunkt für Verhandlungen.“
Waffen stabilisieren nicht.
Carlo Masala
Das Prinzip der Aufrüstung und der Abschreckung funktioniere nur begrenzt, indem es sich nicht zur Stabilisierung einer prekären konfliktreichen Situation eigne. So wirke die mögliche atomare Bewaffnung Israels zwar abschreckend, trage aber nicht zur Stabilität in der Region bei. Die Situation im Nahen Osten habe lang einem kalten Frieden entsprochen.
Auf Bewaffnung und militärische Stärke zu verzichten, sei keine Option. „Pazifismus kann realpolitisch naiv sein. Aber natürlich können die meisten Konflikte ohne Gewalt reguliert werden“, so Masala mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit Europas. Die USA würden in Zukunft nicht mehr selbstverständlich der Sicherheit Europas Priorität geben. Ihre Orientierung sei klar auf den Konflikt mit China ausgerichtet und Europa täte gut daran, sich mehr in der Nato zu engagieren.
„Die Europäer werden auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, sich allein gegen eine russische Bedrohung oder andere Arten der militärischen Bedrohung zu verteidigen. Europa sollte aber in der Lage sein, einen größeren Beitrag in der Nato zur Verteidigung des eigenen Kontinents zu leisten. Man muss auch in der Lage sein, mit Konflikten in der Nachbarschaft umzugehen. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Amerikaner wie in den 1990er Jahren die Hauptlast tragen. Man muss sich auch darüber unterhalten wie man das dann finanziert.“
Über Carlo Masala
Carlo Masala ist Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Bundesakademie für Sicherheitspolitik sowie der Enquete-Kommission zum Afghanistan-Einsatz Deutschlands. Er ist der Mitherausgeber der Zeitschrift für Politik (ZfP) und der Zeitschrift für Internationale Beziehungen (ZIB). Für den Pragmaticus schätzte Carlo Masala im April 2024 die Lage in Nahost ein, nachdem der IDF eine Bodenoffensive in Rafah begann. Im Brandstätter Verlag erschien in der Reihe Auf dem Punkt sein Buch Warum die Welt keinen Frieden findet.
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