Wie man Söldner besiegt

Söldnertruppen wie die Gruppe Wagner ziehen nicht aus Überzeugung aufs Schlachtfeld, sondern aus Profitgier. Mit Geld sind diese Kämpfer schneller zu besiegen als mit Waffen.

Zentralafrikanische Republik, 2023: Kommandant Tijani posiert mit einer von Wagner-Söldnern erbeuteten Kalaschnikow in der Goldminenstadt Ndah
Zentralafrikanische Republik, 2023: Der Kommandant einer Rebellengruppe posiert mit einer von Wagner-Söldnern erbeuteten Kalaschnikow in der Goldminenstadt Ndah. Er leitet eine Einheit zum Schutz der Zivilbevölkerung gegen die Söldner der russischen Miliz und der arabischen Janjaweed-Miliz aus dem Sudan. © Getty Images
×

Auf den Punkt gebracht

  • Privatarmeen. Die Privatisierung des Krieges durch Söldnerarmeen verzerrt die Kriegsführung und kann militärische Auseinandersetzungen verlängern.
  • Brutalität. Das geringe Risiko für die Auftraggeber erhöht die Wahrscheinlichkeit einer verbrecherischen Kriegsführung voller Gräueltaten.
  • Kriegsrecht. Internationales Recht kann weder das Söldnertum eindämmen noch Kriegsverbrechen ahnden. Der Markt für Gewalt widersetzt sich der Verhaftung.
  • Bekämpfung. Um Söldner erfolgreich zu bekämpfen, muss man unternehmerisch denken. Drei Strategien haben sich in der Geschichte bewährt.

Die Söldner sind wieder da, und sie erzeugen aus Profitgier Kriege. Ich muss es wissen – ich war früher selbst privater Auftragnehmer des Militärs. Viele dieser gewinnorientierten Krieger sind den lokalen Streitkräften überlegen und destabilisieren ganze Regionen. Es ist ein wachsender Trend. Niemand weiß genau, wie viele Milliarden Dollar auf dem illegalen Gewaltmarkt umherschwirren, aber das Geschäft boomt, wie auch der Krieg in der Ukraine zeigt. 

Mehr zum Krieg in der Ukraine

Heute kann man ehemalige SEALs und Green Berets, Kampfhubschrauber und Cyber-Söldner mieten. (Die United States Navy SEALs sind eine Spezialeinheit der U.S. Navy, mit „Green Berets“ werden Soldaten der 1st Special Forces Command [Airborne], der dienstältesten Spezialeinheit der U.  S. Army, bezeichnet; Anm.) Ihre Reihen haben sich in den letzten zehn Jahren vergrößert, und ihre Operationen sind immer dreister geworden.

Die Gruppe Wagner ist die zweitstärkste Armee in der Ukraine. Kolumbianische Söldner haben 2022 den Präsidenten von Haiti ermordet, und die Welt weiß immer noch nicht, wer sie angeheuert hat. Sie selbst wissen es auch nicht. Nigeria hat heimlich Söldner angeheuert, um Boko Haram, eine islamische Terrorgruppe, zu beseitigen. Die Vereinigten Arabischen Emirate setzen ehemalige SEALs als Killerkommandos im Jemen ein. Russland hat zum ersten Mal seit den 1980er-Jahren wieder militärische Expeditionen nach Afrika und in den Nahen Osten unternommen, und die Waffen seiner Wahl sind Söldner. 

Südvietnam, 1969: Kambodschanische Söldner in einem Hubschrauber auf dem Weg zu einer Operation
Südvietnam, 1969: Kambodschanische Söldner in einem Hubschrauber auf dem Weg zu einer Operation. Ihr Bataillon names „Mike Force“ wurde von amerikanischen Green Berets angeführt. © Getty Images

Amerikanische Söldner holten Carlos Ghosn, den in Ungnade gefallenen Vorstandsvorsitzenden von Nissan, aus dem Hausarrest in Tokio und schmuggelten ihn nach Beirut, wo er in Freiheit lebt. Libyen erlebte Kämpfe zwischen Söldnern wie im Dreißigjährigen Krieg. Private Militärfirmen kämpfen in Kriegen auf der ganzen Welt: Jemen, Syrien, Ukraine, Berg-Karabach, Venezuela, Nigeria, Irak, Afghanistan, Mosambik, Somalia, Mali und die Kongo-Region sind ihre Einsatzgebiete.

Diese Art der Privatisierung verzerrt die Kriegsführung auf tiefgreifende Art und Weise, die Vier-Sterne-Generäle nicht begreifen. Von den vielen Aspekten will ich hier vier beschrieben. 

1. Es gelten die Marktgesetze

Militär- und Marktstrategie vermischen sich, und die Strategien des Bazars werden auf den Krieg übertragen. Carl von Clausewitz trifft auf Adam Smith. Dass profitorientierte Krieger nicht an politische Erwägungen oder Patriotismus gebunden sind, ist eines ihrer wichtigsten Verkaufsargumente. Sie sind Akteure auf einem Markt, und ihre wichtigste Einschränkung sind nicht die Gesetze des Krieges, sondern die Gesetze der Wirtschaft.

Das hat weitreichende Auswirkungen: Es eröffnet neue strategische Möglichkeiten, die zwar den CEOs bekannt, den Generälen aber fremd sind. Was uns in Gefahr bringen kann. 

×

Zahlen & Fakten

Nubische Söldner auf einem ägyptischen Relief von ca. 1470 v. Chr.
Nubische Söldner auf einem ägyptischen Relief im Totentempel der Königin Hatschepsut, ca. 1470 v. Chr. © Getty Images

Die Geschichte der Söldner: Von der Antike …

  • Das Wort Söldner kommt vom lateinischen merces (Lohn oder Bezahlung) und unterscheidet sich nicht von dem Sold, von dem das Wort „Soldat“ abgeleitet ist.
  • Söldner sind in der Militärgeschichte allgegenwärtig, angefangen bei der Bibel. Im Alten Testament finden sich mehrfach Erwähnungen angeheuerter Krieger.
  • Im Alten Ägypten wurden nubische Söldner in der Ersten Zwischenzeit (2216 bis 2025 v. Chr) zu einem wichtigen Faktor für die Stärkung des Militärs.
  • Karthago stützte sich in den Punischen Kriegen gegen Rom (264-146 v. Chr.) auf Söldnerarmeen, darunter Hannibals 60.000 Mann starke Armee, die mit Elefanten über die Alpen zog, um Rom von Norden her anzugreifen.
  • Alexander der Große marschierte 334 v. Chr. in Asien ein, seine Armee umfasste 5.000 ausländische Söldner. Die gegnerische persische Armee bestand aus 10.000 Griechen.
  • Julius Cäsar wurde 52 v. Chr. in seinem Krieg gegen Vercingetorix in Gallien von berittenen deutschen Söldnern gerettet.
Gemälde von Hannibals Armee mitsamt Elefanten, wie sie den Rhone überqueren
Schwarz-Weiß-Reproduktion des Ölgemäldes „Hannibals Armee überquert die Rhône“ von Henri-Paul Motte, 1894. Das Originalgemälde von 1878 ist in Bagnols-sur-Cèze im Musée Albert-André zu sehen. © Getty Images

2. Rücksichtslosigkeit siegt 

Private Kriegsführung senkt die Eintrittsbarrieren für den Krieg. Söldner ermöglichen es ihren Kunden, zu kämpfen, ohne eigenes Blut einsetzen zu müssen. Das schafft, was Ökonomen „moral hazard“ nennen. Stellen Sie sich dieses „moralische Risiko“ so vor, als würden Sie ein Auto mieten. Manche Leute missbrauchen gemietete Autos bis zum Gehtnichtmehr. Mit Ihrem eigenen Auto würden Sie nie mit 100 km/h auf Bahngleisen fahren, weil das langfristige Schäden verursachen kann. Aber warum sich Sorgen machen, wenn es sich um das Fahrzeug eines anderen handelt? Sie müssen sich nie mit den Folgen auseinandersetzen, und das ermutigt manche Fahrer zu einem rücksichtslosen Umgang. 

Söldner sind Wegwerfmenschen. Ihr Einsatz kann rücksichtlos geführte Kriege auslösen und verlängern.

Mit dem privaten Krieg ist es das Gleiche. Söldner sind gemietete Truppen, und die Kunden gehen vielleicht sorgloser in den Krieg, wenn ihre eigenen Leute nicht bluten müssen. Den Söldnerkapitänen ist das auch egal, solange sie nicht selbst kämpfen müssen und stattdessen andere in den Kampf schicken. Privatkrieger sind Wegwerfmenschen, wie ein Mietwagen, und das ermutigt zu einer Rücksichtslosigkeit, die Kriege auslösen und verlängern kann.

3. Anonymität der Auftraggeber

Söldner ermöglichen ihren Auftraggebern, Kriegsverbrechen glaubhaft zu leugnen, und verringern deren Risiko, zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Gegensatz zu verdeckten Regierungsagenten und Sondereinsatzkräften können Söldner agieren, ohne eine Spur zu hinterlassen. Erwischt man sie, werden sie einfach verleugnet. Das führt zu einer verbrecherischen Kriegsführung voller Gräueltaten: Folter, Ermordung, Einschüchterung, Terrorismus, Massaker an der Zivilbevölkerung, Einsätze mit hohem Kollateralschaden, ethnische Säuberung und Völkermord. Einige Auftraggeber ziehen es deshalb vor, Menschenrechtsverletzungen auszulagern, anstatt ihre Truppen auf frischer Tat zu ertappt zu sehen. 

×

Zahlen & Fakten

Gemälde zum Tod König Gustavs von Schweden im Dreißigjährigen Krieg
Tod König Gustavs II. von Schweden in der Schlacht bei Lützen am 6. November 1632. Das Gemälde von 1855 stammt vom schwedischen Maler Carl Wahlbom und gehört zur Sammlung des Nationalmuseums Stockholm. © Getty Images

… über das Mittelalter …

  • Das Mittelalter war eine Blütezeit des Söldnerwesens. Jeder, der reich genug war, konnte eine Armee anheuern – aus welchem Grund auch immer: Ehre, Überleben, Gott, Diebstahl, Rache oder Vergnügen.
  • Fast die Hälfte der Armee von Wilhelm dem Eroberer, der 1066 bei der Schlacht von Hastings England unterwarf, bestand aus Söldnern.
  • In Ägypten und Syrien war das Sultanat der Mamluken (1250-1517) ein Regime von zum Islam konvertierten Söldnersklaven.
  • Vom späten 10. bis zum frühen 15. Jahrhundert umgaben sich die byzantinischen Kaiser mit nordischen Söldnern, der Varangianischen Garde.
  • Im Jahr 1209 startete Papst Innozenz III. mit Hilfe eines größtenteils aus Söldnern bestehenden Heeres einen Kreuzzug gegen die Katharer, eine häretische Sekte in Südfrankreich.
Mitglieder der Schweizergarde in der Vatikanstadt, April 2023
Mitglieder der Schweizergarde im Vatikan, April 2023. Sie waren einst Söldner: Die ersten 150 Schweizer Soldaten zogen am 22. Januar 1506 auf Geheiß von Papst Julius II. in die Ewige Stadt ein, was heute als Gründungsdatum der Schweizergarde gilt. © Getty Images
  • Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) bestanden die Heere überwiegend aus Söldnern. Der Begriff des Patriotismus war nicht an den Militärdienst gebunden.
  • Zwischen Verträgen begannen arbeitslose Söldner, die Nachfrage für ihre Dienste künstlich zu steigern, etwa indem sie Städte einkesselten und Lösegeld verlangten. Siena in Italien musste sich zwischen 1342 und 1399 ganze 37 Mal freikaufen.
  • Mit dem Entstehen von Nationalstaaten wurde der Markt für Gewalt durch stehende Heere monopolisiert. Gelegentlich vermieteten Staaten ihre Armeen an andere, wie etwa deutsche Fürsten während der Amerikanischen Revolution an König Georg III.
  • Das letzte Mal, dass ein Staat eine Söldnerarmee einsetzte, war 1854 während des Krimkriegs: deutsche, Schweizer und italienische Legionen dienten für Großbritannien.

Das glaubwürdige Leugnen von Übergriffen ist ein Hauptverkaufsargument für Söldner und der Grund, warum sich Auftraggeber zunehmend an sie wenden, von Putin in der Ukraine bis zu den Umstürzlern in Haiti. 

4. Kriege ohne Staaten

Wenn Geld Feuerkraft kaufen kann, dann werden die Superreichen zu einer neuen Art von Supermacht, und das wird alles verändern. Während sich die Staaten zurückziehen, hat das daraus resultierende Machtvakuum eine neue Klasse von Weltmächten hervorgebracht, von multinationalen Konzernen über Super-Warlords bis hin zu Milliardären. Diese Mächte können nun Privatarmeen mieten, sodass Kriege ohne Staaten zu erwarten sind. Dieser Trend wird sich noch verstärken, angeheizt durch einen freien Markt für Gewalt, der Krieg erzeugen, aber nicht regulieren kann. Die Militärs von heute haben vergessen, wie man private Kriege führt, und lassen uns alle ungeschützt. 

Katanga, 1961: Söldner im Sezessionskrieg von Katanga in der ehemaligen Kolonie Belgisch-Kongo.
Katanga, 1961: Söldner im Sezessionskrieg von Katanga in der ehemaligen Kolonie Belgisch-Kongo. © Getty Images

Söldner sind kaum zu stoppen

Wer glaubt, dass internationales Recht das Söldnertum eindämmen könne, ist weltfremd. Selbst wenn wir solide Gesetze hätten (die wir nicht haben), wer würde in die Ukraine gehen und all diese Söldner verhaften? Weder die Vereinten Nationen noch die NATO. Außerdem können Söldner Ordnungskräfte umbringen.

Der Markt für Gewalt widersetzt sich buchstäblich der Verhaftung, weshalb der Beruf des Söldners die zweitälteste Profession der Welt ist. Jetzt sind sie wieder da, und wir müssen Strategien zur Bekämpfung dieser einzigartigen Form der Kriegsführung neu erlernen. Es gibt drei uralte, aus der Geschichte stammende Strategien, um gegen Söldner zu gewinnen. Damit ließe sich das Blatt im Krieg für die Ukraine wenden. Diese Maßnahmen würden die Wagner-Gruppe verkleinern, und sie sind billiger als die Hardware, die wir schicken, um sie zu töten.

×

Zahlen & Fakten

Ein chinesischer Soldat bewacht eine Reihe amerikanischer P-40-Kampfflugzeuge, die mit dem Haifischgesicht-Emblem der Flying Tigers bemalt sind, 1942
1942: Ein chinesischer Soldat bewacht eine Reihe amerikanischer P-40-Kampfflugzeuge mit dem Haifischgesicht-Emblem der Flying Tigers – Söldnern der chinesischen Luftwaffe, die 1941-42 mit Genehmigung des Präsidenten rekrutiert wurden. © Getty Images

… bis zur Gegenwart

  • Die Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg bot vor allem in Afrika reiche Möglichkeiten für Söldner. In der öffentlichen Wahrnehmung verband sich Söldnertum immer stärker mit Kolonialismus, Rassismus und der Verweigerung der Selbstbestimmung. Zahllose Söldner waren an Gräueltaten beteiligt, für die sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden konnten.
  • 1977 wurde Söldnern durch das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Konventionen (1949) der Kombattantenstatus verweigert. Die wichtigste Auswirkung dieser Bestimmung ist die Aberkennung der Straffreiheit, wie sie für reguläre Soldaten gilt: Söldner können wegen des Mordes an Soldaten vor Gericht gestellt werden.
Portugiesische Söldner in Angola, 1975
Portugiesische Söldner in Angola, 1975. Im angolanischen Bürgerkrieg kämpften Söldner auf beiden Seiten des Konflikts. 1976 verurteilte ein angolanisches Gericht drei Briten und einen Amerikaner zum Tode und neun weitere Söldner zu Haftstrafen zwischen 16 und 30 Jahren. © Getty Images
  • 1989 wurde das Internationale Übereinkommen gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern von der UN-Generalversammlung aufgelegt. Bis heute ist kein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats Vertragspartei.
  • Der Fall der Berliner Mauer markierte den Beginn einer weltweiten Schwächung von staatlicher Souveränität. Das erste private Sicherheits- und Militärunternehmen entstand 1989 in Südafrika und nannte sich Executive Outcomes: Seine Söldner bekämpften auf dem ganzen Kontinent Rebellengruppen, eroberten Öleinrichtungen und Diamantenminen und bildeten Militäreinheiten aus.
Uganda, 2005: Sicherheitskräfte eines privaten Sicherheitsunternehmens mit Verbindungen zu Executive Outcomes patrouillieren gemeinsam mit Mitgliedern des ugandischen Militärs einen Bohrplatz von Heritage Oil am Albertsee
Uganda, 2005: Sicherheitskräfte eines privaten Sicherheitsunternehmens mit Verbindungen zu Executive Outcomes patrouillieren gemeinsam mit Mitgliedern des ugandischen Militärs einen Bohrplatz von Heritage Oil am Albertsee. © Getty Images
  • In den 1990er Jahren entstanden weitere private Sicherheits- und Militärfirmen, die ähnlich operieren wie die Kompanien des Mittelalters, darunter die von Briten gegründete Firma Sandline International und das US-amerikanische Blackwater.
  • Mit den Kriegen im Irak und in Afghanistan haben die USA die Söldnerindustrie wieder aufleben lassen. In der Hochphase dieser Kriege machten Söldner über 50 Prozent der US-Streitkräfte im Irak und 70 Prozent in Afghanistan aus.
  • Jeden Tag entstehen neue private Militärkonzerne in Nachahmung des amerikanischen Modells. Neue Kunden tauchen auch überall auf: von Ölkonzernen und Reedereien über Oligarchen und Superreiche bis hin zu autokratischen Regimen.
Kenia, 2005: Mitglieder einer privat finanzierten Anti-Wilderei-Einheit patrouillieren ein Wildtier-Schutzgebiet
Kenia, 2005: Mitglieder einer privat finanzierten Anti-Wilderei-Einheit patrouillieren ein Wildtier-Schutzgebiet. Die meisten Söldner der Einheit gehören dem Stamm der Maasai-Krieger an und haben eine militärische Ausbildung erhalten; die kenianische Regierung hat ihnen die Erlaubnis erteilt, zu schießen, um zu töten. © Getty Images

Kriegslist 1: Abwerbung

Wenn der Konflikt zur Ware wird, gelten die Logik des Marktes und die Bazarmethoden auch für den Krieg. Niccolò Machiavelli schrieb in „Il Principe“, dass Söldner „treulos“ sind, und er sollte es wissen. Seine Heimatstadt Florenz verlor 1506 nämlich gegen das kleinere Pisa, weil Letzteres zehn florentinische Söldnerkapitäne bestochen hatte, damit sie in der Schlacht überliefen. 

Die Loyalität der Söldner ist käuflich. Nach Gesprächen mit Wagner-Kämpfern weiß ich, dass dort niemand glücklich ist. Sie sind Kanonenfutter und wissen es – und das können wir ausnutzen. Mit Fortdauer des Krieges hat sich auch Wagner in zwei Lager gespalten. Die „alte Garde“ wurde vor der Invasion aus professionellen Militäreinheiten in der gesamten ehemaligen Sowjetunion rekrutiert. Sie sind auch nicht alle Russen. Die „neue Garde“ besteht aus Straftätern, die vor kurzem aus Gefängnissen entlassen wurden.

Irak oder Afghanistan, 2007: Ein nepalesischer Soldat, der von der privaten britischen Militärfirma „Armor group“ beschäftigt wird
Irak oder Afghanistan, 2007: Ein nepalesischer Soldat, der von der privaten britischen Militärfirma „Armor group“ beschäftigt wird. Er posiert mit dem Khukuri, dem Symbol der Gurkha – nepalesischen Einheiten, die 1815 vom British Empire angeheuert und 1947 formal ins britische Militär eingegliedert wurden. Sie kämpfen noch immer unter britischer Flagge. © Getty Images

Lasst uns die Wagner-Söldner bestechen, damit sie die Ukraine verlassen! Die alte Garde wird Russland verlassen, um sicherere, lukrativere Aufträge im Nahen Osten oder in Afrika zu erhalten, und die internationale Gemeinschaft kann dies durch nicht tödliche Aufträge zum Schutz der Infrastruktur erleichtern. Das ist zwar nicht ideal, aber besser als jede Alternative: Die überlebenden Söldner werden sich ohnehin nach neuen Aufträgen umsehen, und diese Methode ermöglicht es, sie früher aus der Ukraine zu entfernen und zu überwachen, was sie tun – wie bei Kriminellen auf Bewährung. 

Die Mitglieder der neuen Garde wird niemand anheuern, weil es sich um gefährliche, unqualifizierte Sträflinge handelt. Sie werden jedoch bereitwillig in die Ukraine überlaufen, wenn man ihnen verspricht, sie nicht an Wagner auszuliefern. Verräter werden dort für gewöhnlich grausam mit dem Vorschlaghammer ermordet. Der Westen kann Gefangenenlager der Wagner-Gruppe in der Ukraine oder anderswo finanzieren, wo sie den Krieg sicher abwarten können. Das würde deren Reihen schneller, billiger und humaner ausdünnen als Leopard-Panzer.

Kriegslist 2: Spaltung

Stellen wir uns Soldaten als Ehefrauen und Söldner als Prostituierte vor, die aus der Liebe ein Geschäft machen; das führt zu Spannungen in der Truppe. Im Mittelalter verachteten Ritter und Söldner einander, weil sie das Kriegerethos des jeweils anderen ablehnten. Wenn sie kämpften, nahmen sie selten Gefangene, es sei denn, sie konnten Lösegeld für Hochgeborene erlangen (adelige Söldnerkapitäne waren üblich). Im Jahr 1209 nahmen christliche Ritter und päpstliche Söldner die französische Stadt Béziers ein, woraufhin ein Streit um die Beute entbrannte. Die Ritter behaupteten, die Beute gehöre ihnen zu Recht und verjagten die Söldner. Aus Wut brannten die Söldner die Stadt mitsamt der Beute nieder. 

Es liegt in der Natur der Sache, dass Soldaten des öffentlichen und des privaten Sektors einander nicht mögen, und das kann in der Ukraine gegen sie verwendet werden. Als die Wagner-Gruppe im Jänner die Stadt Soledar einnahm und sich öffentlich damit brüstete, rastete die russische Militärführung aus. Es war der erste russische Sieg seit Monaten, und er brachte die Armee in Verlegenheit. 

×

Zahlen & Fakten

Belgrad, 2023: Auf dem Wandgemälde sind das Logo der Söldnergruppe Wagner und der Slogan der prorussischen Organisation „Narodna patrola“ abgebildet
Belgrad, 2023: Auf dem Wandgemälde sind das Logo der Söldnergruppe Wagner und der Slogan der prorussischen Organisation „Narodna patrola“ abgebildet. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić verurteilte die Gruppe Wagner, nachdem die Söldnereinheit in lokalen Medien Kleinanzeigen veröffentlicht hatte, in denen Serben für den Kampf für Russland in der Ukraine angeworben werden sollten. © Getty Images

Die Gruppe Wagner

  • Putins Schattenarmee ist eine private Organisation, die außerhalb der militärischen Ordnung steht. Als Gründer galt lange Zeit Dimitri Utkin, ein ehemaliger Fallschirmjäger der russischen Armee und Mitglied des Militärgeheimdienstes GRU. Utkins Sympathie für den Nationalsozialismus verdankt die Gruppe ihren Namen: Utkin wählte seinen Kampfnamen „Wagner“, weil Richard Wagner einer von Hitlers Lieblingskomponisten war. Die Gruppe ist nach ihm benannt. 
  • Ebenfalls an der Gründung beteiligt – das genaue Datum ist nicht bekannt, sie erfolgte zwischen 2012 und 2014 – war Jewgeni Prigoschin, dessen Verbindung zur Gruppe Wagner zunächst verschleiert wurde. Mittlerweile tritt er öffentlich als Kopf der Organisation auf. Der Oligarch war in der Sowjetunion wegen Raubs und anderer Delikte zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden und stieg nach seiner Entlassung in Putins Umfeld in St. Petersburg zum Milliardär auf. Neben der Söldnertruppe führt Prigoschin Trollfabriken zur internationalen Desinformation. 
  • Die Gruppe Wagner setzt seit Jahren russische Interessen im Ausland militärisch durch, zum Beispiel in Libyen, Mali, der Ukraine und der Zentralafrikanischen Republik. In Syrien kämpfte sie an der Seite von Assads Armee bei der Sicherung von Raffinerien und Ölfelder im Nordwesten des Landes, wofür sie 25 Prozent der Einnahmen aus jeder gesicherten Anlage bekam. 
  • Über ihre Truppenstärke in der Ukraine gibt es keine verlässlichen Zahlen. Die Armee rekrutiert sich aus ehemaligen Militäreinheiten der ehemaligen Sowjetunion und russischen Strafgefangenen. Wer sich für ein halbes Jahr verpflichtet, kommt frei. „Wer mit mir geht, der kommt frei oder stirbt, geht aber nicht wieder hinter Gitter“, wirbt Prigoschin in den Gefängnissen. 

Das Verteidigungsministerium meldete: „Russische Truppen schließen die Befreiung von Soledar ab“, ohne die Söldner zu erwähnen. Später am Tag wurde eine „klärende“ Stellungnahme herausgegeben, in der den „mutigen und selbstlosen Aktionen der Freiwilligen von Wagner“ gedankt wurde. 

Ein gewiefter Stratege kann diese natürliche Fehde verschärfen, indem er Desinformationen streut, um einen Keil zwischen die beiden Streitkräfte zu treiben wie 1209. Bringen wir Wagner und das russische Militär dazu, gegeneinander zu arbeiten. 

Kriegslist 3: Desinformation

Privatarmeen können zu Prätorianergarden werden und die Geschäftsleute, denen sie gehören, zu Königen. Mittelalterliche Söldnerkapitäne eroberten Regionen und brachten Herrscherdynastien hervor wie die Häuser Sforza („Bezwinger“) in Mailand und Malatesta („Böser Kopf“) in Rimini. Während des Dreißigjährigen Krieges stellte Graf Albrecht von Wallenstein dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Ferdinand II., Leihregimenter zur Verfügung. In dem Maße, in dem Wallensteins Privatarmee wuchs, wuchs auch seine politische Macht. Doch eines Nachts im Februar 1634 wachte Wallenstein mit einer Hellebarde in der Brust auf – mit freundlicher Genehmigung Kaiser Ferdinands.

Südfrankreich, 2005: Ein Mitglied der französischen Fremdenlegion macht Liegestütze
Südfrankreich, 2005: Ein Mitglied der französischen Fremdenlegion macht Liegestütze. Die französische Fremdenlegion besteht aus nicht-französischen Staatsbürgern, die unter falschem Namen eintreten und deren Vorstrafen oft übersehen werden. Nach fünf Jahren Dienstzeit erhalten die Söldner einen französischen Pass mit einem neuen Namen ihrer Wahl. © Getty Images

Eine vergleichbare Situation bahnt sich heute in Moskau an, und vielleicht kann sie beschleunigt werden. Jewgeni Prigoschin ist der Oligarch, dem die Wagner-Gruppe gehört. Vor dem Krieg hielten ihn die Silowiki, Mitglieder der russischen Sicherheitselite, für einen nützlichen Idioten. Jetzt lässt Wagners Erfolg sie als Stümper erscheinen, während Prigoschin sie als „eine Bande von Clowns“ verhöhnt. Jeder weiß, was passieren wird, wenn der Oligarch Putin droht: Hellebarde in der Brust.

Lasst uns heimlich den Eindruck erwecken, dass Prigoschin die Wagner-Gruppe nutzen könnte, um die Macht zu ergreifen und Mütterchen Russland zu retten. Andere Oligarchen und Silowiki vermuten das ohnehin und würden es wahrscheinlich begrüßen. Das könnte Putin dazu bringen, ihn auszuschalten. Der Tod Prigoschins und die Ächtung der Wagner-Söldner würde die russische Truppenstärke um 50.000 Mann verringern.

Denken wir wie Unternehmer

Die Söldner sind wieder da, und ihre Zunahme ist kaum zu verhindern. Das sollte uns nicht überraschen. Dass sie während der letzten 150 Jahre weitgehend nicht existierten, ist eine große Anomalie in der Militärgeschichte. Ihr Wiederauftauchen ist eine Rückkehr zur „Normalität“ im Weltgeschehen.

Wir können die Söldner besiegen, wenn wir aufhören, wie Militärstrategen zu denken.

Das heißt aber nicht, dass die Welt darunter leiden muss. Söldner können, wenn sie die richtigen Anreize erhalten und richtig geführt werden, eine Kraft für das Gute sein, zum Beispiel bei humanitären Interventionen und friedenserhaltenden Maßnahmen. Die Söldner, mit denen ich gesprochen habe, auch innerhalb der Wagner-Gruppe, würden alle lieber für das Gute arbeiten als für Putin. 

Die Situation in der Ukraine muss bewältigt werden, und die gute Nachricht ist, dass wir das könnten – wenn wir aufhörten, wie konventionelle Militärstrategen zu denken. Stattdessen müssten wir wie gewiefte Unternehmer im Konfliktbusiness denken und die Logik des Marktes gegen Söldner und ihre Herren einsetzen.

×

Conclusio

Im Krieg gegen Söldner vermischen sich kriegerische und unternehmerische Strategien, es gelten die Gesetze des Marktes. Um Söldnerarmeen zu besiegen, dürfen wir daher nicht wie Generäle denken, sondern müssen wie Wirtschaftskapitäne agieren. Die Stärken der Söldner sind zugleich ihre Schwächen: Sie arbeiten für Geld, nicht für Ideale. Damit stehen sie in Konkurrenz zu den regulären Truppen, und ihre Führer können den Auftraggebern gefährlich werden. Söldner abzuwerben ist eine bessere und billigere Strategie, als sie auf dem Schlachtfeld zu bekämpfen.

Weiterlesen

Die Illusion vom humanen Krieg

Während Russland gegen die Ukraine einen brutalen Angriffskrieg führt, setzen die USA auf „humane“ Kriege. Doch selbst wenn internationale Regeln befolgt werden, bedeutet der Begriff letztlich nichts als eine Verharmlosung von Gewalt.

Illustration von Sam Moyn
lehrt Geschichte und Recht an der Yale University

Newsletter abonnieren