Unsere fragile Sicherheit

Gibt es Zukunft ohne Sicherheit? Ja, sagt Florence Gaub. Was die Zukunft stiehlt, ist nicht Unsicherheit, sondern Angst. Ein Podcast mit einer Berufsoptimistin.

Ein Frachtschiff auf einem ruhigen Gewässer. Das Bild illustriert einen Beitrag zum Thema Sicherheit mit Florence Gaub.
4. Juni 2022: Ein Frachtschiff bei Sulina am Schwarzen Meer. Klimakrise und Ukraine-Krieg haben die Fragilität der globalen Wirtschaft sichtbar gemacht. Der Transport von Waren und Rohstoffen ist Unsicherheitsfaktor. © Getty Images

Florence Gaub braucht keine Sicherheit. Die Politikwissenschaftlerin ist oft in Talkshows zu Gast, wo sie zu Kriegen, Konflikten und Krisen als Militärstrategin Prognosen abgeben soll. Der Sicherheitsgedanke verstellt den Blick auf die Zukunft, ist ihre Überzeugung. Die Zukunft ist nämlich nichts, das außerhalb von uns ist. Sie ist in uns.

Der Podcast über Sicherheit und Zukunft

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Die Zukunft ist das, was wir denken.

Der Ausgangspunkt der Forschung von Florence Gaub sind daher die Annahmen, die wir über die Welt haben, ohne dass wir uns ihrer bewusst wären. In Bezug auf die Zukunft neigen Menschen aus Angst dazu, allzu viel Nachdenken geradezu zu vermeiden.

„Deswegen ist eigentlich das Nachdenken über die Zukunft in erster Instanz ein Nachdenken über sich selbst. Also was bringe ich mit, welchen Geist bringe ich mit, wie kann ich mit meinem eigenen Denken besser umgehen, was kann ich in Frage stellen und so weiter? Ich glaube, das ist der allererste, wichtigste Schritt – sogar bei uns am College.“

Mehr Sicherheit

Sobald die Vorannahmen, vermeintlichen Gewissheiten und Strukturen bewusst sind, ist der Weg freigeräumt für unvoreingenommene intensive Recherchen. Für Florence Gaub das zweite Element der Zukunftsforschung.

„Wir stehen ja nicht am Tresen und sagen, ich glaube halt, dass es so wird, sondern man muss alles, was man denkt, auch belegen können, sei es jetzt durch Statistiken, historische Analogien, andere Vergleiche, Hochrechnungen. Als Zukunftsforscher sind wir Allesfresser. Man muss sich mit allem möglichen Material versorgen, damit man eine große Datenbasis hat, aus der man dann schöpfen kann.“

Mehr Zukunft

Vergangenheit und Erinnerung

Eine Beobachtung, die Florence Gaub fasziniert und die zugleich Inspiration für ihr Nachdenken über die Zukunft ist, ist die Rolle der Erinnerung. Wer jung ist, hat kaum Vergangenheit, aber sehr viel Zukunft. Doch für gute Prognosen fehlt die Erfahrung.

Dabei ist das menschliche Hirn stets dabei, neue Zukünfte zu entwickeln: Befürchtungen, Ängste, Pläne – vieles, was der Mensch denkt, ist irgendwo jenseits der Gegenwart angesiedelt, gespeist aus der Vergangenheit. „Zukünfte, das sind Szenarien, die unser Geist entwirft.“

Die Ängste über das, das Morgen ist, werden kleiner, je mehr Einfluss man nehmen kann oder je man das Gefühl hat, man hat es selbst in der Hand. Dass sich die meisten vor dem was weltpolitisch noch passieren könnte, fürchten ist vor diesem Hintergrund verständlich, denn kaum jemand, der nicht Politiker ist oder sich engagiert, hat Einfluss auf das politische Geschehen und Entscheidungen.

Über die Gegenwart hinaus denken

Ein besonderes Politikfeld ist der Klimawandel, der Entscheidungen verlangt, die über eine Generation hinausgehen. Die gegenwärtigen Generationen, die politisch entscheidend sind tragen viel Verantwortung. Sind die westlichen Demokratien mit ihren kurzen Wahlzyklen dem überhaupt gewachsen?

„Zukunftsfähigkeit liegt nicht so sehr daran, ob ein System eine Demokratie oder Autokratie ist, sondern wie sehr eine Regierung sich der Zukunft verschreibt. Die Europäische Kommission anschauen, dann hat sie ja ein sehr dezidiertes Versprechen gemacht zum Thema Klimawandel, das über die eigene Legislaturperiode hinausgeht. Da sieht man gut, dass Einzelne über ihre eigene Lebensspanne hinaus denken können. Der Hauptunterschied zwischen zukunftsfähigen Gesellschaften und solchen, die das nicht sind, ist tatsächlich eine Führungsriege, die sagt, ich verschreibe mich der Zukunft als Aufgabe. Wie gesagt, wir sehen das in der EU, wir sehen das aber weniger in Österreich oder auch in Deutschland. Dort wird kurzfristiger gedacht.“

Schadet Pessimismus unser Zukunft?

Während gefährliche Kipppunkte des Klimasystems erreicht werden, fällt es auch Wissenschaftlern zunehmend schwer, nicht negativ über die Entwicklung des Klimas zu sprechen. Die Korallenriffe, der Amazonas Regenwald und die Atlantic Overturning Circulation (AMOC) sind derzeit die Kipppunkte, die am häufigsten in den Medien diskutiert werden. Florence Gaub sieht aber genau das als ein Problem.

„Das ist interessant. In Europa wird die Klimadebatte nur negativ geführt. Ich würde sagen: Hört auf mit dem Verlust-Narrativ oder Katastrophen-Narrativ. In Saudi-Arabien, wo ich im letzten Jahr war, wird ein Wandel beziehungsweise wie man damit umgeht als eine positive Vision formuliert, nämlich: In der Zukunft sind wir alle gesünder, weil wir kein Fleisch mehr essen, unsere Luft wird sauber sein und nicht mehr so stinken, weil wir keine Benzinautos mehr fahren. Da sind viele positive Elemente in einer Zukunft, in der wir uns CO2 abgewendet haben. Das fehlt in unserer europäischen Debatte. Vielleicht ist es auch mit dem Grund, warum es vielen Leuten schwer fällt, sich damit anzufreunden, dass Veränderungen kommen müssen.“
 

Über Florence Gaub

Florence Gaub im Fernsehstudio des ZDF vor einer Sendung.
Florence Gaub. © Getty Images

Florence Gaub ist Politikwissenschaftlerin und forscht zu den Themen Sicherheit, Zukunft und Militärstrategien. Sie ist die Forschungsdirektorin des NATO Defence College in Rom und Autorin des Buches Zukunft. Eine Bedienungsanleitung, das im Verlag dtv erschienen ist.

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