Verbot der AfD: Signal der Hilflosigkeit
Die Diskussion über ein Verbot der AfD offenbart die Verunsicherung der politischen Mitte. Wie soll man mit einer extremistischen Partei umgehen?

Wer das 1117-seitige Gutachten des Verfassungsschutzes über die AfD in Gänze studiert, sieht zahlreiche Belege, dass die Partei den demokratischen Verfassungsbogen verlassen hat. Da ist von "Messermigration" ebenso die Rede wie von einer kollektiven Rückführung von Menschen mit Migrationshintergrund. Auch das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 enthält verfassungsrechtlich brisante Positionen. Doch würde das ein Verbot rechtfertigen?
Mehr von Florian Hartleb
Die Beobachtung der AfD ist Ausdruck einer wehrhaften Demokratie, aber auch ein Balanceakt zwischen staatlicher Neutralität und verfassungsrechtlicher Schutzpflicht. Ein Parteiverbot jedoch wäre ein äußerstes Mittel: rechtlich möglich, aber politisch und gesellschaftlich hochsensibel.
Ein Verbot der AfD stünde auf schwachen Füßen
Ein kritischer Punkt ist die Beweislage des Gutachtens. Reichen Aussagen aus Reden und Parteitagen, oder gar Postings, Likes und private Kommentare in den Social-Media aus, um systematische Verfassungsfeindlichkeit zu belegen? Die Grenze zwischen Provokation und strategischer Demokratiefeindlichkeit ist schwer zu ziehen. Hinzu kommt: Viele Äußerungen sind bewusst doppeldeutig formuliert, was eine juristische Bewertung schwierig macht. Zwischen rechter Rhetorik, Tabubruch und tatsächlichem Verfassungsbruch verläuft ein schmaler Grat.
Auch die Verhältnismäßigkeit ist fraglich. Ein Parteiverbot ist das schärfste Mittel gegen politische Organisationen. Dass die AfD zu den stärksten Parteien gehört, macht ein Verbotsverfahren politisch besonders brisant. Demokratische Parteien müssen eine politische Antwort auf extremistische Tendenzen finden, eine bloß juristische überzeugt die Wähler nicht. Ein Verbot darf kein Eingeständnis sein, dass man politisch nicht mehr weiter weiß.
Eine weitere Hürde ist die absehbar lange Dauer des Verfahrens, das sich über Jahre hinziehen kann, wie das Beispiel der NPD zeigt. Währenddessen betreibt die Partei weiter Wahlkampf und sitzt in Parlamenten, die politische Unsicherheit steigt: Schließlich kann der schwebende Verdacht eher mobilisierend als entwaffnend wirken. Das alles macht ein Verbotsverfahren zu einem langwierigen, öffentlichen Prozess, dessen Nebenwirkungen nicht vorhersehbar sind.
Heikle Geheimniskrämerei
Besonders heikel ist der Umgang mit dem Gutachten selbst: Es wurde zunächst geheim gehalten, dann selektiv geleakt. Das fördert Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und nährt Verschwörungsnarrative. In einer Demokratie darf der Verfassungsschutz nicht mit politischer Wirkung arbeiten, sondern muss transparente Beweise liefern. Dass ausgerechnet ein zentrales Dokument zur Beurteilung einer Partei mit so weitreichenden Folgen nicht vollständig öffentlich gemacht wurde, ist demokratiepolitisch problematisch. Hier droht ein allgemeiner Vertrauensverlust in die Legitimität demokratischer Verfahren als solche.
Ein Blick auf die gescheiterten NPD-Verbotsverfahren zeigt, wie hoch die Hürden sind: 2003 scheiterte das Verfahren wegen V-Leuten in der Parteiführung, 2017 wurde festgestellt, dass die Partei zwar verfassungsfeindlich, aber politisch irrelevant sei.
Im ersten NPD-Verfahren war die Rolle der Sicherheitsbehörden selbst das Problem: Weil der Verfassungsschutz V-Leute bis in die Spitze der Partei eingeschleust hatte und diese nicht offenlegte, konnte das Bundesverfassungsgericht nicht zwischen eigenem Verhalten der Partei und möglicherweise staatlich induzierter Radikalisierung unterscheiden. Das beschädigte nicht nur das Verfahren, sondern auch das Vertrauen in die Integrität staatlichen Handelns. Die Lehre daraus ist eindeutig: Ein Verbot darf niemals durch verdeckte Einflussnahme kontaminiert sein. Im zweiten Verfahren gegen die NPD stellte das Gericht fest, dass die Partei zwar verfassungswidrige Ziele verfolge, aber zu unbedeutend sei, um die demokratische Ordnung konkret zu gefährden.
Um ein Verbot zu rechtfertigen, müsste die AfD also nicht nur extremistische Ziele verfolgen, sondern auch eine reale Gefährdung für die demokratische Ordnung darstellen. Was schwer zu belegen ist, solange die Partei innerhalb des parlamentarischen Rahmens agiert – auch wenn ihre Rhetorik oft an dessen Grenzen geht. Eine radikale Programmatik allein reicht nicht: Es muss eine aktive, wirkungsmächtige Bedrohung vorliegen. Die parlamentarische Verankerung der AfD und ihre regionalen Wahlerfolge erschweren eine solche Einschätzung.
Wie andere mit Extremismus umgehen
International zeigt sich ein gemischtes Bild: In Griechenland wurde 2020 die rechtsextreme Partei „Goldene Morgenröte“ verboten, nachdem ihre kriminellen Strukturen nachgewiesen wurden. 2023 folgte das Verbot der Nachfolgepartei „Hellenes“. In Frankreich und Spanien gibt es rechtliche Möglichkeiten, gewaltnahe Gruppen oder extremistische Parteien zu verbieten – etwa die baskische Batasuna als politischen Arm der ETA. In beiden Ländern ist der Nachweis konkreter Gewaltverbindungen ausschlaggebend. In Schweden oder Großbritannien hingegen verlässt man sich stärker auf gesellschaftliche Debatten, politische Isolation und öffentliche Gegenrede.
Ein Parteiverbot ersetzt keine politische Debatte.
Der europäische Vergleich zeigt, wie unterschiedlich Demokratien mit extremistischen Parteien umgehen. Während einige den juristischen Weg wählen, setzen andere auf politische Reife und gesellschaftliche Widerstandskraft. In Deutschland ist das Parteiverbot als Instrument der wehrhaften Demokratie zwar vorhanden, wird aber mit großer Zurückhaltung eingesetzt. Was kein Zeichen von Schwäche ist, sondern Ausdruck eines tiefen Verständnisses für die Balance zwischen Freiheit und Schutz.
Zeichen der Verunsicherung
Ein Parteiverbot ersetzt keine politische Debatte. Das Verfahren wäre juristisch heikel, politisch riskant und gesellschaftlich spaltend. Demokratie bedeutet auch, mit Extremen leben zu lernen – und sie im offenen Diskurs zu stellen. Ein Verbot muss Ausdruck demokratischer Souveränität sein, und nicht das Resultat politischer Hilflosigkeit.
Daher braucht es stattdessen eine klare, politisch überzeugende Auseinandersetzung mit den Ursachen des Aufstiegs der AfD: soziale Ängste, Vertrauensverlust in Institutionen, ungelöste Integrationsfragen. Wir sollten diesen Herausforderungen vor allem durch politische Stärke, gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Bildung begegnen.
Ein Parteiverbot ist mehr als ein juristischer Akt, es ist ein Eingriff in den politischen Wettbewerb. Eben deshalb wird darüber nicht nur in Gerichtssälen, sondern auch in Talkshows, Zeitungsartikeln und sozialen Netzwerken gestritten. Wer eine Partei wie die AfD verbieten will, muss nicht nur Recht behalten – er muss auch politisch überzeugen, kommunikativ klar bleiben und gesellschaftlich mehr gewinnen als verlieren.
Die Debatte zeigt, wie tief die Verunsicherung in der politischen Mitte reicht. Die Frage, ob man mit einer Partei wie der AfD überhaupt noch diskutieren, sie politisch isolieren oder verbieten soll, ist Ausdruck einer Demokratie, die unter Druck steht – von außen durch globale Krisen, von innen durch Vertrauensverluste. Umso wichtiger ist es, den Kampf gegen Verfassungsfeinde nicht auf das Verfassungsgericht abzuwälzen, sondern ihn dort zu führen, wo Demokratie lebendig ist: in Schulen, Medien, Parteien, Parlamenten – und in einer selbstbewussten Zivilgesellschaft.