Religiöse Askese ist kein Rezept gegen den Klimawandel
Ohne Wiedereinstieg in die Kernkraft wird die Energiewende Deutschland schnurstracks in die Armut führen.

Jetzt steht sie auch noch in unserem deutschen Grundgesetz, die „Klimaneutralität“. Nicht als Staatsziel, schon klar. Aber Verfassungsrang erhält diese Maßgabe eben doch. Zumal mit 2045 auch noch (erstmals!) eine Jahreszahl ins Grundgesetz geschrieben wurde. Damit ist nun konstitutionell festgelegt, dass Deutschland fast genauso tollkühn – oder soll man sagen: wahnsinnig? – ist wie Österreich. Dort will man bereits 2040 die Emissionen von Treibhausgasen auf netto null reduziert haben.
Weitere Standpunkte
Die Tatsache, dass die EU dieses Ziel erst 2050 erreichen will, wird dabei ignoriert. Dabei bedeutet das in einem System des Emissionshandels, dass die Alleingänge unserer Länder – sollten sie sich denn überhaupt realisieren lassen – lediglich dazu führen werden, dass die Preise für CO2-Zertifikate für unsere europäischen Nachbarn sinken. Sie können also günstiger oder mehr CO2 in die Luft blasen, weil Österreich und Deutschland sich enthalten. Das Klima hat davon am Ende exakt: nichts.
Die Folgen aber könnten gravierend sein. Denn zumindest für Deutschland, das im Gegensatz zum glücklichen Österreich kaum über die verlässliche Wasserkraft verfügt, traue ich mir das Urteil zu: Klimaneutralität ohne einen Wiedereinstieg in die Kernenergie bedeutet Deindustrialisierung.
Denn Industrie ist auf zuverlässige und günstige Energie angewiesen – und durch den Einsatz künstlicher Intelligenz wird der Energiebedarf noch einmal enorm steigen. Eine Frage an eine KI kostet zehnmal mehr Energie als eine Old-School- Google-Recherche. Daher wird künftig mehr denn je gelten: Wohlstand und Energieverbrauch sind eng miteinander verknüpft. So etwas wie eine Volkswirtschaft, die wenig Energie verbraucht, aber wohlhabend ist, gibt es bislang nicht auf dieser Erde. Davon weitgehend ungerührt verfolgt Deutschland mit seiner „Energiewende“ einen Kurs programmierter Energiearmut.
Eine aberwitzige Energiepolitik
Das bedeutet dann etwa, dass wir von einem System „von inflexibler Nachfrage und ihr nachfolgender Erzeugung übergehen in ein System flexibler Nachfrage, die variabler Erzeugung folgt“, wie der letzte deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck unlängst beiläufig schrieb.
Deutschland verfolgt mit seiner Energiewende ungerührt einen Kurs programmierter Energiearmut.
Das heißt nichts anderes, als dass Strom in Deutschland primär nur noch dann verbraucht werden soll, wenn er zur Verfügung steht. Und das ist bei einem System, das von Sonne und Wind abhängig ist, ziemlich oft nicht der Fall. Die Waschmaschine zu Hause mag sich noch so einstellen lassen, dass sie sich „smart“ nach dem verfügbaren Angebot an Strom richtet (wobei selbst das bei Dunkelflauten, die auch mal zwei Wochen andauern können, schnell unappetitlich wird). Die Vorstellung, dies könne bei der Industrie der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt gelingen, ist aberwitzig.
So aberwitzig, dass man das Thema bei den Koalitionsverhandlungen vorsichtshalber kaum angetickt hat. Deutschland bleibt auch unter Kanzler Merz im Wesentlichen bei seinem energiepolitischen Kurs. Wie sagte doch Erich Honecker 1989 in seiner Rede zum 40. Jahrestag der DDR, wenige Wochen vor dem Mauerfall? „Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“ Wie sich ein Leben in Energiearmut anfühlt, hat Ulrike Herrmann, Redakteurin der linken taz, in ihrem Bestseller Das Ende des Kapitalismus lakonisch beschrieben.
Der „Wohlstand des Weniger“
Keine Autos mehr, keine Flüge, rationierter und zugeteilter Wohnraum, Wirtschaftsleistung und Konsum halbiert. Verwaltung des Mangels nach dem Vorbild der britischen Kriegswirtschaft – anders werde es in einem Land, das nur noch auf Wind und Sonne angewiesen ist, nicht gehen, so Herrmann. Für diese Ehrlichkeit schätze ich sie, viele Klimaaktivisten wollen uns ja weismachen, mit ein paar Effizienzsteigerungen, einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen und dem Verbot von Privatjets könne eine Industrienation wie Deutschland ihren Energieverbrauch nahezu halbieren.
Das wird dann wohl ein „Wohlstand des Weniger“ sein, wie es die ehemalige grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, unnachahmlich süßlich beschrieb. Es ist sicher kein Zufall, dass sie tief in der Evangelischen Kirche verwurzelt ist. Der deutsche Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels trägt längst religiöse Züge. Unter einer „nicht mehr belebbaren Erde“, die angeblich drohe, machen wir es selten. Wer traut sich im Angesicht dessen noch, mit Dingen wie Technologieoffenheit oder Marktmechanismen anzukommen?
Also verlegen wir uns lieber auf Einkehr, Buße und innerweltliche Askese, wie wir es im freudlosen Protestantismus gelernt haben. Und langsam spüren wir auch ganz konkret im Alltag, was der Verlust an Wohlstand bedeutet. Wenn es etwa für junge Paare, beide Akademiker, beide berufstätig, ohne finanzielle Unterstützung durch die Eltern kaum mehr realistisch vorstellbar ist, Wohneigentum zu erwerben. Wenn ein immer größerer Anteil des verfügbaren Einkommens allein für Heizen, Strom und Mobilität draufgeht. Und man dann beim Urlaub in Spanien, wenn man angesichts der deutlich angezogenen Preise für Hotel und Restaurant schlucken muss, merkt, dass diese für die Familie aus Norwegen, aber auch für die aus den Niederlanden offenbar kein großes Thema sind.
Wenn der Wohlstand flöten geht
Relative Wohlstandsverluste spürt man aber auch dann, wenn Verbesserungen der Lebensqualität, die in wohlhabenden Ländern weltweit in den letzten Jahren selbstverständlicher wurden, bei uns kaum vorstellbar sind. Eine umfassende Klimatisierung von Krankenhäusern etwa, oder – noch vermessener – von Schulen und Pflegeheimen.
Und so arrangieren wir uns schleichend mit einem Leben, das beschwerlicher, immobiler und uninspirierter ist, als es sein müsste. Bald vermutlich auch wieder arbeitsreicher, denn Annehmlichkeiten wie Elternzeit oder Sabbaticals kann sich natürlich nur eine wohlhabende Gesellschaft leisten. Und irgendwann wird das Leben zudem kränker und kürzer sein – denn auch das Niveau des Gesundheitswesens hängt am Wohlstand. So ist das im „Wohlstand des Weniger“. Aber zumindest mit der Klimaneutralität wird es dann schon klappen!