Familienplanung mit dem Smartphone

270 Millionen Frauen weltweit fehlt der Zugang zu Verhütung. Digitale Lösungen wie Verhütungs-Apps könnten das ändern – wenn man sie zugänglich macht.

Digitale Verhütung könnte Millionen Frauen zugute kommen.
Digitale Verhütung könnte Millionen Frauen zugute kommen. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Ungleichheit. Trotz Fortschritten bleibt Millionen Frauen der Zugang zu moderner Verhütung verwehrt.
  • Technologie. Verhütungs-Apps wie Natural Cycles bieten eine neue, niedrigschwellige Alternative.
  • Potenzial. Smartphones und Internet sind weltweit verbreitet – ein Hebel für gerechtere Familienplanung.
  • Hürden. Kosten, kulturelle Vorurteile und fehlende Bildung bremsen die Nutzung digitaler Verhütungsmittel.

Rund 270 Millionen Frauen, von denen viele zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen gehören, wünschen sich moderne Verhütungsmittel, haben aber keinen Zugang dazu. Während der relative Anteil der Frauen weltweit, die keinen Zugang zu Verhütungsmitteln haben, zurückgegangen ist, ist die absolute Zahl von 230 Millionen im Jahr 1990 gestiegen. Und das, obwohl bekannt ist, dass der Zugang zu Verhütungsmitteln zu einer gerechteren und produktiveren Gesellschaft führt. Könnten Handy-Apps helfen, dieses humanitäre Problem zu lösen?

Seit 2017 wurde Natural Cycles, eine digitale Verhütungs-App, von der Europäischen Union und anschließend von der US-amerikanischen FDA als Verhütungsmittel zertifiziert und zugelassen. Im Jahr 2021 wurde eine weitere App, Clue, von der FDA ebenfalls als Verhütungsmittel zugelassen. Sie nutzt die Daten der Körpertemperatur und/oder des Menstruationszyklus, um fruchtbare Tage zu ermitteln und vorherzusagen. Die Nutzerin kann dann an unfruchtbaren Tagen ungeschützten Sex haben und an fruchtbaren Tagen auf Sex verzichten.

Verhütung via App ist so gut wie Pille und Kondome

Zwar sind noch weitere Untersuchungen erforderlich, aber die von Natural Cycles und Clue selbst durchgeführten Bewertungen haben ergeben, dass ihre Hilfsmittel bei normaler Anwendung über ein Jahr hinweg zu 92 bis 93 Prozent vor ungewollten Schwangerschaften schützen, bei perfekter Anwendung sogar zu 97 bis 98 Prozent. Zum Vergleich: Kondome haben bei normaler Anwendung eine Wirksamkeit von 82 Prozent über ein Jahr und eine Wirksamkeit von 98 Prozent bei perfekter Anwendung. Die Kupfer- oder Hormonspirale ist bei typischer und perfekter Anwendung zu über 99 Prozent wirksam. Die Pille ist bei normaler Anwendung zu 91 und bei perfekter Anwendung zu 99 Prozent wirksam.

Jede Art der Empfängnisverhütung hat Vor- und Nachteile. Digitale Verhütungsmittel erfordern Abstinenz während des fruchtbaren Zeitfensters. Kondome bieten Schutz vor vielen sexuell übertragbaren Infektionen, aber manche Frauen berichten, dass die Verwendung von Kondomen die sexuelle Lust mindert. Intrauterinpessare können viele Jahre lang eingesetzt werden, sind aber oft schmerzhaft beim Einsetzen und Entfernen und haben in einigen Ländern eine dunkle Vergangenheit. In China zum Beispiel wurde die Entfernung erschwert, um die Ein-Kind-Politik zu forcieren. Die Pille ermöglicht Sex zu jeder Zeit und kann das Risiko von Eierstock- und Gebärmutterkrebs verringern, ist aber mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs und Blutgerinnsel verbunden.

Millionen Menschen fehlt der Zugang zu Verhütung

Aufgrund der Vor- und Nachteile ist es wichtig, die Wahl zwischen verschiedenen Verhütungsmitteln zu haben. Im Idealfall hätte jeder Zugang zu allen Verhütungsmitteln und könnte zwischen ihnen wählen. Heute haben jedoch Millionen von Menschen keinen Zugang zu Verhütungsmitteln.

Apps als Verhütungsmittel könnten deshalb ein wichtiger Teil der Lösung sein. Sie setzen zwar Internet und Smartphones voraus, diese Hürde wird aber immer geringer: Im Jahr 2023 hatten 96 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zu einem mobilen Internetsignal, und 60 Prozent der Frauen in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen besitzen ein Smartphone. Diese Zahlen steigen von Jahr zu Jahr. Internetzugang und Smartphones werden weltweit allgegenwärtig.

60 Prozent der Frauen in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen besitzen ein Smartphone.

Im Gegensatz zu hormonellen Verhütungsmitteln erfordern App-basierte Lösungen keine ärztliche Verschreibung oder Konsultation und sind daher nicht von einem funktionierenden Gesundheitssystem abhängig, sondern eher von der Mobilfunkinfrastruktur. Darüber hinaus verbieten einige religiöse Traditionen, wie der Katholizismus mit seinen rund 1,3 Milliarden Anhängern, die Verwendung von hormonellen und Barriereverhütungsmitteln, erlauben jedoch sogenannte „Rhythmusmethoden“, auf denen die mobilen App-Lösungen basieren.

Leider noch zu teuer

Eine aktuelle Herausforderung für die Ausweitung des weltweiten Zugangs zu digitalen Verhütungs-Apps sind die Kosten. Während ein Thermometer mit zwei Dezimalstellen gerade einmal 1 Dollar kostet, schlägt ein Jahresabonnement für Natural Cycles in den USA mit 80 Dollar zu Buche. Das ist in den ärmsten Gegenden der Welt unerschwinglich. Es gibt jedoch Möglichkeiten, dies zu überwinden. Private oder philanthropische Investoren könnten die Entwicklung alternativer Plattformen zu Natural Cycles und Clue finanzieren, um die Abonnementpreise zu senken. Insbesondere, indem sie Programmierer in weniger industrialisierten Ländern ermutigen, ihre eigene Software zu entwickeln.

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Zahlen & Fakten

Eine andere Möglichkeit wäre, die Abonnementgebühren von Frauen in wohlhabenden Ländern zur Subventionierung der Gebühren für Frauen in den ärmsten Ländern zu verwenden. Bei jedem Ansatz muss sichergestellt werden, dass genügend Gewinnspanne für die Werbung für das Produkt und die Aufklärung der potenziellen Nutzerinnen bleibt. Insbesondere in Regionen, in denen Skepsis gegenüber der Sicherheit und Wirksamkeit von Verhütungsmitteln herrscht.

Der ungleiche Zugang zu Verhütungsmitteln ist eines der größten Probleme unserer Zeit.

Digitale Technologien allein werden jedoch keine umfassende Lösung bieten. Ein besserer Zugang zu hormonellen Methoden und Barrieremethoden in weniger industrialisierten Ländern ist unerlässlich; ebenso wie Investitionen, um hormonelle Verhütungsmittel für Männer Wirklichkeit werden zu lassen. Bestimmte kulturelle Überzeugungen erschweren auch die Übersetzung der Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln in die Anwendung: So wird beispielsweise die Anwendung von Verhütungsmitteln mit Untreue gleichgesetzt oder es wird geglaubt, dass es die Pflicht der Frau ist, Kinder für den Mann zu gebären. Um die Nutzung von Verhütungsmitteln zu erhöhen, ist es wichtig, solche Ansichten infrage zu stellen.

Der ungleiche Zugang zu Verhütungsmitteln ist eines der größten Probleme unserer Zeit. Frauen die Möglichkeit zu geben, ihre Familiengröße selbst zu bestimmen, ist an sich schon wertvoll und gibt ihnen mehr Freiheit, persönliche und berufliche Ziele zu verfolgen. Wenn die finanziellen Herausforderungen digitaler Verhütungsmittel überwunden werden können, könnte ein großer Teil des globalen Problems des Zugangs zu Verhütungsmitteln gelöst werden.

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Conclusio

Zugang. Digitale Lösungen senken die Einstiegshürden für Verhütung, vor allem in Regionen mit schwachem Gesundheitssystem. Sie ersetzen jedoch keine Vielfalt.

Finanzierung. Um Apps global nutzbar zu machen, braucht es kreative Subventionsmodelle und lokal entwickelte Plattformen. Nur so wird der Zugang gerecht.

Bildung. Technische Lösungen greifen nur, wenn auch kulturelle Barrieren abgebaut werden. Bildung und Aufklärung sind entscheidend, um echte Wahlfreiheit zu ermöglichen.

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