Die Gründerin mit Haltung

Als im Stich gelassene Mutter zweier kleiner Kinder entwickelte Anita Roddick – gleichsam aus Notwehr – einen Kosmetikkonzern. Noch dazu einen, der die Welt zu einem besseren Ort machen sollte.

Anita Roddick 1984 in einer Londoner Filiale von The Body Shop.
Anita Roddick (1942–2007) Mit The Body Shop wurde sie Vorreiterin des Sustainable Entrepreneurship. Das Bild entstand 1984 in einer Londoner Filiale. © Getty Images

Interessant, wie wichtig selbst noch in den 1970er-Jahren die Absenz der Männer dafür war, dass Frauen ihr Potenzial entfalten und zu Unternehmerinnen werden konnten. So war es auch bei der Gründerin von The Body Shop, Anita Roddick. Ihr Mann hatte sich auf einen Selbstfindungstrip zu Pferd von Brasilien nach New York begeben, während sie sich um die zwei kleinen Kinder kümmern und Geld verdienen musste.

„Es war eine Frage des Überlebens, aber Frauen sind eben gut darin, aus ihren Interessen etwas zu machen, mit dem sich Geld verdienen lässt“, sagte die Unternehmerin wider Willen über ihre Anfänge. Das klingt praktisch und wenig besonders. Dabei ist ihre Geschichte außergewöhnlich. Sie wurde in kürzester Zeit zu einer Pionierin für nachhaltiges und sozial verantwortliches Unternehmertum und ein Vorbild für viele Existenzgründerinnen. Doch wie kam es dazu? Lag es an ihrer Bereitschaft, alles anders zu machen als üblich?

Mit Geschichten von Großmüttern …

„Sie war einzigartig. Mutiger als alles, was es heute gibt“, sagt ihre Tochter Sam. Und damit meint sie wohl auch, dass The Body Shop in der Zeit ihrer Mutter kein normales Unternehmen war. Vielmehr war es eine Bewegung, eine Gemeinschaft Gleichgesinnter, die sich für eine menschlichere Welt einsetzte und – fast nebenbei – eine neue Beautywelt für Frauen erfand. Aber der Reihe nach.

Damals, als Anita Roddick mit dem Rücken zur Wand stand, besann sie sich ihrer ausgedehnten Reisen als Hippie nach Tahiti, Australien, Madagaskar, Polynesien, Mauritius und Südafrika sowie auf die Pflanzen, die die Frauen in den Dörfern für ihre Körperpflege einsetzten. Einige getrocknete Samen, Früchte und Blätter, die sie damals in ihre Taschen gestopft hatte, besaß sie noch immer. Und sie erinnerte sich an die Geschichten, die ihr Mütter und Großmütter über Heilpflanzen, über Geburt und Tod, Kindererziehung und das Altwerden erzählt hatten.

Ihre Leidenschaft für das Reisen, das Wissen der indigenen Völker und für die Produkte der Natur erweckte sie nun zu neuem Leben, indem sie Cremes, Bodylotions, Shampoos und Körperöle mit ungewöhnlichen Namen zu mischen begann und damit 1976 den ersten Body Shop eröffnete.

So wurde The Body Shop zu einem Vorreiter für eine ganze Industrie – natürliche Kosmetik und nachhaltige Marktethik.

Ihrer Geschäftsidee lag von Anfang an eine ganz bestimmte Weltanschauung zugrunde – eine Form des Caring Capitalism. Sie setzte auf Fair Trade, arbeitete ohne Tierversuche und Konservierungsstoffe, verpackte ihre Kosmetikprodukte so wenig wie möglich und verkaufte sie mit den Geschichten der Mütter und Großmütter, die sie inspiriert hatten.

So wurde The Body Shop zu einem Vorreiter für eine ganze Industrie – natürliche Kosmetik und nachhaltige Marktethik. Im Marketing kommunizierte sie authentische Geschichten und sammelte damit auch noch Auszeichnungen. „Ich habe nie einen Penny für Werbung ausgegeben. Dennoch haben wir 17 Jahre lang jeden Marketingpreis bekommen. Als wir eine professionelle Agentur beauftragten, gewannen wir hingegen nichts mehr.“ Zu diesem Zeitpunkt war The Body Shop zu einer globalen Kette mit über 2.000 Filialen in 52 Ländern geworden.

… und einem Spruch von Mahatma Gandhi …

Das „Social Franchise“-Unternehmen war dann die Idee ihres Mannes, der nach seinem Selbstfindungstrip bei seiner Frau ins Geschäft eingestiegen war. Die Roddicks wählten ihre Franchisenehmer sorgfältig aus, beispielsweise, indem sie Marcel Prousts berühmten Fragebogen beantworten mussten. (Welche Lieblingsblume haben Sie? Was bringt Sie zum Weinen? Etc.) Denn sie wollten – mehr noch als ihr Unternehmen skalieren und Geld damit verdienen – eine Community von ähnlich denkenden und handelnden Menschen formen.

„Die Treffen mit unseren Franchisenehmern waren große Feste, sie wurden unsere Freunde, unsere Best Buddies. Wir waren fast wie eine religiöse Gemeinschaft, aber mit der Agenda, Menschlichkeit in die Geschäftswelt zu bringen“, sagte Anita Roddick. Damit hat sie nicht einfach ein Unternehmen nach ihren Leidenschaften gegründet, sondern eine Bewegung für Menschenrechte, gegen Armut und Kinderarbeit, für fairen Handel. Dafür wurde sie von der Queen zur Dame des britischen Königreichs ernannt.

Ihre Formel – ein Unternehmen aus Leidenschaft für eine bessere Welt zu formen und mit sozialer Verantwortung zu führen – ist zeitlos, ja aktueller denn je.

„‚Ich definiere Spiritualität als Dienst an den Schwachen und Gebrechlichen‘, dieses Gandhi zugeschriebene Zitat sah ich auf einer Hauswand in einem Dorf.“ Und in diesem Moment hatte Roddick ihren inneren Kompass gefunden. Die The-Body-Shop-Leute gingen gemeinsam auf die Straße, um für die Rettung der Wale zu demonstrieren, oder arbeiteten während des Krieges als freiwillige Helfer in Bosnien. Auf dem Höhepunkt ihrer Arbeit als Aktivistin eröffnete der Dalai Lama eine von Roddicks Konferenzen für Menschenrechte, und Bruce Springsteen beendete sie mit einem Konzert.

… zum Vorbild geworden

Die Message ist größer als die Unternehmensidee, das wusste die Gründerin, und dazu hatte sie The Body Shop geformt. Da war sie bereits unheilbar krank, Hepatitis C, übertragen durch eine Bluttransfusion bei der Geburt ihres Kindes. Sie verkaufte The Body Shop, das längst zum börsennotierten Unternehmen avanciert war, für 944 Millionen Euro an L’Oréal und zog sich zurück. 2007 starb sie mit knapp 65 Jahren.

Irgendwann ist dann die Zeit über The Body Shop hinweggefegt; es gab eine ganze Flut von ähnlichen Kosmetikfirmen, die Naturprodukte verkauften. Ohne Roddicks überzeugende Geschichten und ihren Kampf für eine bessere Welt war das Unternehmen nur noch eine Naturkosmetikfirma unter vielen. Und doch, ihre Formel – ein Unternehmen aus Leidenschaft für eine bessere Welt zu formen und mit sozialer Verantwortung zu führen – ist zeitlos, ja aktueller denn je. Und sehr nachahmenswert!

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