Die Dessous-Königin
Die Lehrerin Pauline Zimmerli-Bäurlin heiratet in einen florierenden Familienbetrieb ein. Als dieser am technischen Fortschritt zerbricht, gründet sie ihr eigenes, höchst innovatives Unternehmen, das bis heute besteht.

Eigentlich steht ihr eine gutbürgerliche Zukunft in traditioneller Rollenverteilung bevor, als Pauline Bäurlin im Jahr 1859 Johann Jakob Zimmerli heiratet. Jakob ist Unternehmer, ein Rotfärber, seine Familie seit 400 Jahren in Aarburg im schweizerischen Kanton Aargau ansässig. Er ist Witwer und bringt sechs Kinder mit in die Ehe. Bald kommt auch noch der gemeinsame Sohn Oscar auf die Welt.
Doch das Unternehmen gerät in Turbulenzen. 1868 gelingt es den Chemikern Carl Graebe und Carl Liebermann, Alizarin, den Farbstoff für das intensive Rot, das für das Färben von Garnen und Stoffen verwendet wurde, synthetisch herzustellen. Über Jahrhunderte war das durch Zermahlen von Krappwurzeln in einem aufwendigen Verfahren bewerkstelligt worden. Für die Rotfärber, einen wichtigen Zweig der Frühindustrialisierung, ist das eine disruptive Entwicklung. Auch Bauern, die vom Krappanbau gelebt haben, geraten in Schwierigkeiten. Dafür entsteht ein neuer Industriezweig mit Firmen wie BASF (Badische Anilin- und Soda-Fabrik).
Verflossene Farben
1871 ist Jakob Zimmerli pleite. Die Familie steht vor dem Ruin. Dass der rasante Niedergang nicht aufzuhalten sein wird, hatte sich angekündigt – und Pauline krempelt die Ärmel hoch. Sie kann nähen und stricken, schließlich war dies Teil ihrer Ausbildung zur Lehrerin. So beginnt sie, mit Heimarbeit die Familie über Wasser zu halten.
Eines Tages bringt Stiefsohn Adolf, ein umtriebiger junger Mann, der lieber reist und Gelegenheitsjobs annimmt, als dem Niedergang daheim zuzusehen, eine Basler Zeitung mit einem interessanten Inserat ins Haus. Abgebildet ist die erste handbetriebene Ein-Nadel-Strickmaschine, erfunden vom Amerikaner Isaac William Lamb. Auf der Weltausstellung 1867 in Paris hat er für seine Erfindung eine Goldmedaille erhalten. Pauline ist begeistert und fährt nach Basel, um sich von einem Vertreter Lambs in das Stricken von feinsten Herrenstrümpfen und Socken auf der modernen Maschine einweisen zu lassen.
Geniale Masche
Sie ahnt, dass der Ankauf einer Lamb’schen Strickmaschine eine neue Chance für die Familie ist, und beginnt sofort mit der Produktion. Alle helfen mit, Jakob, der Großvater, die Kinder. In Teamwork verkaufen sie die neuen Waren im ganzen Kanton und darüber hinaus. Das Geschäft läuft so gut, dass Pauline und Jakob 1871 die Firma Zimmerli & Cie Strickwarenfabrik gründen können. Drei Jahre später stirbt Jakob an einem Nierenleiden, und Pauline wird zur alleinigen Unternehmerin. Sie hat nicht nur wirtschaftliches Talent, sie hat auch eine Vision: Feinste, luxuriöse Strümpfe und Unterwäsche aus elastischem Stoff sollen den Erfolg ihres Unternehmens ausmachen.
Rocky im Feinripp
Doch um das zu verwirklichen, braucht Pauline auch eine gehörige Portion technischer Begabung. Denn ihre Herrensocken, zunächst noch rechts auf rechts gestrickt, sind nicht elastisch. Also experimentiert sie herum und zeichnet schließlich Pläne für eine Zwei-Nadel-Strickmaschine, mit der man rechts-links, also gerippt, stricken kann. Dadurch lässt sich ein hochelastischer Stoff erzeugen. Isaac William Lamb, dem Pauline ihre Pläne schickt, ist schnell überzeugt und baut nach ihren Anweisungen die erste Zwei-Nadel-Strickmaschine, die er ihr noch im gleichen Jahr in die Schweiz liefert.
Mit dieser Innovation legt Pauline nicht nur den Grundstein für ihr Weltunternehmen, sondern für die gesamte Schweizer Trikotindustrie.
Pauline hat nicht nur wirtschaftliches Talent, sie hat auch eine Vision.
Sie setzt auf höchste Qualität; verarbeitet wird nur feinste ägyptische Baumwolle, und auch die ständig verbesserten Maschinen, die immer feineren Ripp erzeugen, werden zu Zimmerlis Markenzeichen. Auf der Pariser Weltausstellung von 1878 präsentiert Thomas Edison seine Glühbirne, und Adolf und Oscar Zimmerli, Paulines Stiefsohn und Sohn, zeigen ihre fein gerippte Unterwäsche.
Mit großem Erfolg. Als Erstes steigt das legendäre Warenhaus Le Bon Marché in den Vertrieb der edlen Strickerzeugnisse aus Aarburg ein, ab 1880 füllen sich die Auftragsbücher von Zimmerli durch die Reisen Oscars in die USA, nach Moskau und um die Welt. 1881 werden die Söhne Adolf und Oscar zu Miteigentümern, 1888 wird Zimmerli Aktiengesellschaft mit einem Startkapital von einer Million Schweizer Franken. 1889 baut man eine erste große Fabrik in Aarburg.
Als Pauline 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, stirbt, hat sie ein stabiles, schnell expandierendes Unternehmen geschaffen – mit ihrem starken Willen, disruptive Entwicklungen in Chancen zu verwandeln, ihrem unternehmerischen und technischen Talent und ihrer visionären Firmenphilosophie, für die das Unternehmen bis heute steht. Zimmerli of Switzerland erwirtschaftete zuletzt einen Jahresumsatz von 20 Millionen Franken. „Die beste Unterwäsche der Welt“, lautet ihr Slogan, und gemeint sind damit nach wie vor feingerippte Shirts, anschmiegsame Pyjamas, zarte Dessous.
Der erste Hollywoodstar, der in Schweizer Edel-Wäsche vor der Kamera umherjoggte, war Sylvester Stallone in seiner Rolle als Boxer Rocky Balboa. Es folgten weitere Filmgrößen wie George Clooney und Angelina Jolie.
Auch das war Teil von Paulines Philosophie: Produziert wird nur höchste Qualität, und zwar lokal. Vermarktet wird international – und außer der Mund-zu-Mund-Propaganda zufriedener Kunden (darunter gerne auch Berühmtheiten) braucht es keine Werbung.