Die unverheiratet Glückliche
Maria Kunigunde verschmäht einen werdenden Kaiser als Ehemann, wird selbst Landesherrin und schafft in den Männerdomänen Straßenbau und Eisenverhüttung erheblichen Wohlstand.

Sie schweigt. Kein Wort. Dabei ist ihr Zusammentreffen mit Joseph II. im Oktober 1764 im böhmischen Bad Teplitz von äußerster Wichtigkeit, soll doch der seit dem Tod seiner ersten Frau Isabella Untröstliche wieder heiraten. Und nun hat er eine gehemmte, schweigsame und zudem – wie böse Gerüchte schon im Vorfeld anmerkten – hässliche Prinzessin von Polen, Litauen und Sachsen aus dem Hause der albertinischen Wettiner vor sich! Joseph lehnt ab, und Maria Kunigunde von Sachsen – nun mit dem schlechtestmöglichen Ruf ausgestattet – bleibt ohne Ehering.
Josephs Mutter Maria Theresia fühlt sich schuldig und versucht, ihrer mit dem Haus Habsburg verwandten Nichte (die für Prinzen und Prinzessinnen eligible Gesellschaftsschicht ist stets untereinander verwandt) wenigstens in einer standesgemäßen kirchlichen Institution unterzubringen, was schließlich (man hört den Seufzer der Chronisten) auch gelingt.
Schweigen als Schachzug
So weit die Rezeptionsgeschichte zur letzten Fürstäbtissin von Essen. Welch schreckliches Schicksal, dachte auch ich mir stets.
Andererseits heißt es, die Prinzessin sei außerordentlich durchsetzungsfähig und überaus selbstbewusst gewesen, sie habe mannigfaltige Talente besessen, Klavier derart exzellent (und mit großem Temperament) gespielt, dass sie sogar vor großen Gesellschaften auftrat. Außerdem habe sie es als gute Jägerin zur Schützenkönigin gebracht. Wie bitte? War ich vielleicht der jahrhundertelangen männlichen Geschichtsschreibung auf den Leim gegangen? So war es in der Tat, das ergibt eine neuerliche Beschäftigung mit der Materie. Ja, sogar das Schweigen beim Teplitzer Treffen erscheint nun in neuem Licht. So habe die – im Übrigen gar nicht hässliche – 24-Jährige, wie der Historiker Marco Heckhoff berichtet, ihr Schweigen einfach strategisch dafür eingesetzt, nicht heiraten zu müssen. Sie schwieg also aus Selbstbewusstsein – dem werdenden Kaiser gegenüber!
Sie hat sich aus allen adeligen Lebensformen die Rosinen herausgepickt.
Das muss man erst einmal hinkriegen. Mehr noch, jene Maria Kunigunde hat sich, liest man die Quellen neu, aus allen adeligen Lebensformen die Rosinen herausgepickt; offenbar war sie auch noch klug und unabhängig. Und sie wurde dabei zur Unternehmerin, eine der wenigen in Hochadelskreisen.
Nach der geplatzten Hochzeit zieht Maria Kunigunde erst einmal zu ihrem Lieblingsbruder Clemens Wenzeslaus, der als Erzbischof und Kurfürst von Trier – und damit regierender Landesherr – einen prächtigen Hof in Koblenz unterhält und eine „First Lady“ gut gebrauchen kann. 1776 wird sie (wie wir bereits wissen: durch Maria Theresias Schuldgefühle) Fürstäbtissin der Reichsstifte Essen und Thorn, also ebenso regierende Landesherrin. Das Amt bringt Sitz und Stimme im Reichstag, ansehnlichen Grundbesitz und zahlreiche landesherrliche Aufgaben, etwa Steuern eintreiben, Zölle erheben und Gesetze erlassen.
Dass es mit dem Stift Essen – eigentlich dem vornehmsten im Heiligen Römischen Reich – wirtschaftlich nicht zum Besten steht, kann Maria Kunigunde bei ihrem prunkvollen Einzug im Oktober 1777 selbst in Augenschein nehmen. Die Stiftsmauern sind feucht, die Stadt ist klein und provinziell, ein Kulturleben kaum vorhanden. Also zieht sie es vor, den überwiegenden Teil ihrer Zeit bei ihrem Bruder zu wohnen und das Stift aus der Ferne zu regieren.
Eiserne Lady
Doch anders als ihre Vorgängerinnen setzt sie sich das Ziel, mehr Geld zu erwirtschaften als auszugeben. Als sich die Landstände (zu denen das Damenkapitel des Stiftes gehört) gegen den Bau einer Chaussee, einer wichtigen Verkehrsader durch das Stiftsterritorium, stellen, nimmt sie eine Anleihe auf und baut die Straße selbst – mit großem wirtschaftlichem Gewinn, kann sie damit doch 1.700 Reichstaler im Jahr an Mautgebühren einheben. 1803 verkauft sie die Straße schließlich für 45.000 Reichstaler an das Königreich Preußen.
Außerdem erkennt sie das große Potenzial der Eisenverhüttung im Emscherbruch. 1787 beteiligt sie sich an der Hütte „Gute Hoffnung“, 1791 erhält sie mit der gemeinsam mit der Hofkammer des Stifts gegründeten Gesellschaft zur Verhüttung des Eisensteins die Erlaubnis, eine eigene Eisenhütte zu errichten – so entsteht die Hütte „Neu-Essen“. Und 1796 kauft sie auch noch die Hütte „St. Antony“.
Es geht nicht nur um Investitionen, sondern sie interessiert sich ganz persönlich für die Technik der Eisenerzeugung. Als Hüttenvorsteher holt sie sich einen der Besten, Gottlob Jacobi aus Koblenz, dessen Vater schon für Clemens Wenzeslaus die „Sayner Hütte“ geleitet hat. 1799 wird Jacobi sogar Anteilseigner. Nach der Säkularisierung des Reichsstifts 1803 – sie betreibt die Hütten als Privatunternehmerin, weshalb ihr Vermögen von der Säkularisierung nicht betroffen ist – verkauft Maria Kunigunde die Hütten für 23.800 Reichstaler an die Haniel-Brüder (siehe hier).
Maria Kunigunde wird heute also nicht zu Unrecht als Pionierin des Ruhrgebiets bezeichnet. Diese Industrieregion par excellence hat im 19. Jahrhundert viele berühmte Männer hervorgebracht, die wir – dank der männlichen Rezeptionsgeschichte – besser kennen als diese erfolgreiche Frau.
Gutes Geld fürs Personal
Die letzte Fürstäbtissin von Essen und Thorn stirbt 1826 in Dresden. Ihr erst 2001 wiederentdecktes Testament lässt noch einen weiteren Blick auf sie zu – als durchaus soziale Unternehmerin: So sind in ihrem letzten Willen zahlreiche Personen aus ihrer Amtszeit in Essen, etwa der Obristhofmeister, die Köchin, die Leinwandsverwalterin, der Hofkoch, der Leibarzt und sogar der Kutscher mit Zuwendungen bedacht, die der Haupterbe, ein Neffe Maria Kunigundes, „in gutem Gelde“ auszuzahlen hatte.
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