Wie teuer müssen Bücher sein?
Die Buchpreisbindung soll kleine Händler vor übermächtiger Konkurrenz schützen und das Kulturgut Buch in all seiner Vielfalt erhalten. Doch das funktioniert offenbar nicht, der Markt stagniert, viele Geschäfte sperren zu. Neue Ideen sind gefragt.

Auf den Punkt gebracht
- Zielvorgabe. Die Buchpreisbindung legt fest, wie viel Literatur mindestens kosten muss – das soll Vielfalt von Büchern als Kulturgut und kleine Händler fördern.
- Zielverfehlung. In den vergangenen 20 Jahren sank der deutsche Umsatz im deutschen Buchhandel inflationsbereinigt um 50 Prozent.
- Zäsur. Ein Gerichtsurteil in Deutschland ermöglichte jüngst einem Online-Händler eine Rabattaktion auf Bücher.
- Zugzwang. Die Branche sollte mit kreativen Methoden, neue Leser gewinnen, dabei können niedrigere Preise helfen.
Die Bedingungen auf dem Buchmarkt werden immer ungemütlicher: Große Anbieter gewinnen ständig an Macht, während kleine stationäre Buchhandlungen an Bedeutung verlieren, zudem wächst der Online-Anteil am Gesamtumsatz. Als Hobby gerät das Lesen gegenüber anderen Angeboten, etwa im Streaming-Bereich, zunehmend ins Hintertreffen. Einige europäische Länder, darunter Österreich und Deutschland, versuchen, mithilfe der sogenannten Buchpreisbindung gegenzusteuern. In Österreich wird damit ein Mindestverkaufspreis festgelegt, während die Regelung in Deutschland exakt vorgibt, wie viel das Buch für den Endkunden kosten muss.
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Ziel der Buchpreisbindung ist gemäß Gesetzesmaterialien „der Schutz von Büchern als Kulturgut, die Sicherstellung eines breiten und qualitätsvollen Angebots von Büchern, die Förderung angemessener Buchpreise sowie die Erhaltung einer großen Zahl von Verkaufsstellen“. So weit, so gut. Das Kulturgut Buch davor zu bewahren, zu Dumpingpreisen verschleudert zu werden, und dem kleinstrukturierten Handel eine Existenzgrundlage zu sichern sind hehre Ziele, die ein Staat durchaus verfolgen kann. Doch angesichts des schlechten wirtschaftlichen Zustands der Branche ist fraglich, ob es sich bei der Buchpreisbindung um das richtige Mittel zur Erreichung dieser Ziele handelt.
Buchhandel taumelt
In den vergangenen 20 Jahren stagnierte der Umsatz des deutschen Buchhandels. Im Jahr 2000 waren es (umgerechnet) 9,42 Milliarden Euro, im Jahr 2022 etwa 9,44 Milliarden. Berücksichtigt man die Inflation in über zwei Jahrzehnten, bedeutet das ein Minus von mehr als 50 Prozent. Wenig überraschend sank parallel auch die Anzahl der Buchläden in Deutschland – und zwar von 7.600 auf 4.500 Standorte. Ähnlich schlecht lief es in Österreich: Die Anzahl der Gewerbeberechtigungen im Buchhandel ging laut Wirtschaftskammer zwischen 2010 und 2022 von 1.900 auf 1.400 zurück. Die Branchenvertretung wandte sich erst vor wenigen Monaten mit einem offenen Brief an den Finanzminister. Titel des Hilferufs: „Buchhandel schlägt Alarm: In immer mehr Buchhandlungen gehen für immer die Lichter aus.“
Was für den einzelnen Händler gut ist, trägt strukturell maßgeblich zur Schwächung der Branche bei.
Die Buchpreisbindung wird in der öffentlichen Diskussion unterdessen kaum hinterfragt. Ohne sie wäre die Situation noch viel schlimmer, heißt es oft. Aber es stellt sich die Frage, ob das so stimmt.
Als Hauptargument für die Buchpreisbindung wird häufig vorgebracht, dass marktbeherrschenden Playern wie Amazon damit das wichtigste Werkzeug im Wettbewerb mit kleinen Unternehmen entzogen werde. Preiskämpfe, bei denen letztlich immer der kleinere Marktteilnehmer den Kürzeren zieht, würden damit unterbunden. Auf der Ebene des einzelnen Buchhändlers hat dieses Argument durchaus etwas für sich. Es stellt tatsächlich einen massiven Vorteil dar, jedem Kunden das Versprechen geben zu können, dass ein Produkt nirgendwo anders – nicht einmal beim allmächtigen Amazon – billiger zu finden ist.
Was für den einzelnen Händler gut ist, trägt strukturell allerdings maßgeblich zur Schwächung der Branche bei: Weil Riesen wie Amazon aufgrund der Buchpreisbindung einen höheren Preis verlangen müssen, als sie zum profitablen Wirtschaften eigentlich benötigen würden, erwirtschaften sie mit jedem verkauften Buch einen Übergewinn. Großunternehmen können sich somit auf einer komfortablen Marge ausruhen, die ihnen per Gesetz niemand streitig machen darf, während der kleinstrukturierte Handel immer mehr in Bedrängnis kommt.
Falsche Lehren gezogen
Befürworter der Buchpreisbindung ziehen in ihrer Argumentation gerne das Beispiel Großbritannien heran. Dort gab es bis zum Jahr 1997 ebenfalls eine solche Regelung. Seit deren Abschaffung ging es mit dem Buchmarkt steil bergab – was oftmals als Beleg für die Effektivität der Preisbindung gesehen wird.
Mit Blick auf die bereits erwähnten Zahlen aus Deutschland und Österreich ist diese Sichtweise so pauschal aber nicht haltbar. Ein Beispiel: In Großbritannien werden 50 Prozent des Buchumsatzes online erwirtschaftet, in Deutschland nur 20 Prozent. Anhänger der Buchpreisbindung erklären: Das ist so, weil die fixen Preise den stationären Handel stützen. Vergessen wird dabei, dass in praktisch allen britischen Handelssparten der Umsatzanteil des Onlinehandels höher ausfällt als in Deutschland. Mit oder ohne Preisgarantie kaufen die Briten einfach gerne online ein.
Buchtipps I: Natur und Kultur
Aus den Zahlen Großbritanniens wird oftmals auch geschlossen, dass die Buchpreisbindung eine größere Vielfalt an Titeln ermögliche. Im freien Wettbewerb würden Bestseller als billige Lockangebote dienen, während unbekannte Titel zum Normalpreis angeboten und dadurch vergleichsweise unattraktiv erscheinen würden. Dies ist ein Argument, mit dem sich auch die deutsche Monopolkommission in einem Gutachten aus dem Jahr 2018 ausführlich auseinandergesetzt hat. In ihrem Fazit plädiert sie für die Abschaffung der Buchpreisbindung. Zum Thema Titelvielfalt hält sie fest: „Die Erfahrungen aus der Schweiz und vor allem Großbritannien sprechen nicht dafür, dass die Buchpreisbindung einen positiven Einfluss auf die Titelvielfalt hat.“
Erstens gebe es in Großbritannien auch seit dem Aus der Buchpreisbindung bei der Anzahl der Neuerscheinungen ein stetiges Wachstum. Zweitens ging in Deutschland die Zahl der Neuveröffentlichungen zwischenzeitlich sogar zurück. Auch die Auswirkungen auf das durchschnittliche Preisniveau seien nicht eindeutig.
Gesucht: ein neues Konzept
Jedenfalls zeigen die Zahlen, dass es für die Zukunft der Buchbranche zu wenig ist, sich auf dem Status als Hüterin eines Kulturguts auszuruhen. Es gilt, die richtigen Antworten auf drängende Fragen zu finden: Wie kann eine wirtschaftlich tragfähige Strategie für den Buchhandel, die Verlage und die Autoren aussehen? Staatliche Unterstützung darf und soll es immer geben, aber im Kern muss die Branche ein ökonomisch schlüssiges Konzept vorweisen können. Dazu bedarf es zuallererst eines Produkts, das für ein breites Publikum wieder attraktiv erscheint.
Die Eintrittsbarriere in die Welt des Lesens ist für Konsumenten heute besonders hoch und die Konkurrenz durch andere Angebote groß. Während ein Standard-Abo des Streamingdienstes Netflix mit tausenden Stunden Angebot in Österreich derzeit für knapp 13 Euro zu haben ist, kostet ein Buch, das in ein paar Stunden ausgelesen ist, häufig mehr als das Doppelte.
Leser gewinnen
Das allein schafft schon eine schwierige Ausgangssituation. In Großbritannien erhöhten sich nach dem Ende der Buchpreisbindung die Ausgaben für Bücher vor allem unter Geringverdienern deutlich, merkt die Monopolkommission in ihrem Gutachten an. Der Grund: Bücher wurden plötzlich in Supermärkten mit hohen Rabatten angeboten. Das Buch wurde durch solche Aktionen für mehr Menschen leistbarer und vor allem sichtbarer.
Ein Streaming-Abo mit tausenden Stunden Angebot gibt es für rund zehn Euro, ein Buch kostet häufig mehr als das Doppelte.
Man kann hier kritisch anmerken, dass eine Verschiebung des Absatzes vom Buchhandel in den Supermarkt nicht unbedingt wünschenswert wäre – schon gar nicht, wenn man am Beispiel Österreich bedenkt, dass annähernd 90 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels von drei Konzernen beherrscht werden. Dem muss allerdings entgegengehalten werden, dass sich der Buchmarkt insgesamt neue Zielgruppen erschließen und damit wachsen könnte, wenn Menschen beim täglichen Einkauf – aber vielleicht auch beim Blick in Postwurfsendungen – häufiger auf Leseangebote stoßen würden.
Befreien wir die Schulen!
Schafft es der Fachhandel, seine Zusatzleistungen gut zu präsentieren, könnte er von diesem Wachstum ebenfalls profitieren. Daneben mangelt es schon jetzt nicht an Innovationen, die dem Buchmarkt künftig neue Impulse geben könnten. Zu erwähnen sei etwa der deutsche Thriller-Autor Sebastian Fitzek, der seine Lesungen zu aufwendigen Bühnenshows vor großem Publikum ausgebaut hat. Ein Trend sind auch „Reading Partys“, die den für gewöhnlich einsamen Akt des Lesens zu einer gemeinsamen Aktivität machen. Nicht zu vergessen das Phänomen BookTok, das der Bücherwelt bei jungen Social-Media-Nutzern eine Plattform gibt.
Urteil mit Folgen
Über die Zukunft der Buchpreisbindung könnte am Ende – wie so oft bei politischen Fragen – die Justiz entscheiden. Schon im Vorjahr fällte das Oberlandesgericht Frankfurt ein wegweisendes, mittlerweile rechtskräftiges Urteil, das der Online-Plattform eBay erlaubte, eine Gutschein-Aktion mit zehn Prozent Rabatt auf Bücher durchzuführen. Da eBay nur die Plattform zur Verfügung stellt, auf der Käufer und Verkäufer einen Vertrag schließen, handelte es sich um eine sogenannte drittfinanzierte Rabattaktion, die nicht gegen das Gesetz verstieß, wie das Gericht in seiner Begründung ausführte.
Damit ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis weitere Anbieter ähnliche Aktionen auf die Beine stellen. Das wäre dann – ganz legal – der Anfang vom Ende der Buchpreisbindung.
Conclusio
Ineffektiv. Die Buchpreisbindung verpflichtet Händler, Bücher nicht unter dem vom Verleger empfohlenen Preis anzubieten. Das soll die Vielfalt von Titeln und Verkaufsstellen fördern. Dennoch schwächelt die Branche seit vielen Jahren.
Beispiel. Als Großbritannien die fixen Buchpreise abschaffte, ging die Titelvielfalt nicht zurück, und Geringverdiener kauften mehr Bücher. Insgesamt verlagerte sich das Geschäft in allen Branchen weg von kleinen Läden zu Online-Händlern.
Schlupflöcher. Ein Gerichtsurteil in Deutschland ermöglichte dem Online-Händler eBay eine Rabattaktion auf Bücher – es naht das Ende der Buchpreisbindung. Und: Vorreiter schaffen es mit kreativen Methoden, neue Leser zu gewinnen.
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