Eine Kaiserin und ihr politisches Erbe

Kaiserin Cixi regierte China fast 50 Jahre lang. Ihr Ruf wurde jedoch gezielt ruiniert. Das wirkt bis heute nach – zum Nachteil der politischen Macht der Frauen in China.

Eine Frau in aufwändiger Kleidung hält einen Handspiegel und eine Blume. Sie steht in einem prächtig eingerichteten Raum. Das Bild gehört zu einem Beitrag über Kaiserin Cixi.
Kaiserin Cixi um 1898 in einem offiziellen Portrait. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Status Quo. Chinas Kommunistische Partei regiert ohne die Beteiligung von Frauen, im Land bestimmen fast ausschließlich Männer das politische Geschehen.
  • Starke Frau. Kaiserin Cixi regierte fast fünfzig Jahre lang, sie war an vielen Intrigen beteiligt und selbst ein Opfer von Machtspielen.
  • Framing. Das politische Wirken von Kaiserin Cixi ist Gegenstand vieler unterschiedlicher Narrative. Sie war vor allem um den Erhalt der Dynastie bemüht.
  • Schweres Erbe. Für die politische Geltung von Frauen ist fehlende geschichtliche Aufarbeitung ein Problem. Frauen haben in China meist nur informell Einfluss.

Im Herbst 2022 wurde Xi Jinping erneut zum Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gewählt. Das Politbüro und der Ständige Ausschuss, die beiden obersten Entscheidungsorgane der Partei, weisen kein einziges weibliches Mitglied auf.

Wie kommt es, dass die KPCh  ganz auf Männer setzen kann? Neben Gründen, die es  auch in anderen Ländern Frauen besonders schwer machen, bis in die höchsten Etagen der politischen Macht aufzusteigen, gibt es in China interessante historische Präzedenzfälle. Einer davon ist das Wirken der Kaiserwitwe Cixi (1835-1908), die China fast 50 Jahre lang regiert hat und über deren Wirken bis heute nur das Schlimmste erzählt wird.  

Mehr über Frauen und Politik

Cixi war in jungen Jahren als nachrangige Konkubine 1852 an den Hof der Qing-Dynastie gekommen, doch rückte sie bald in der Hierarchie der Nebenfrauen auf, denn sie gebar 1856 dem Kaiser seinen einzigen männlichen Nachkommen.

Zu dem Zeitpunkt befand sich die herrschende Dynastie in großen Schwierigkeiten. Das britische Weltreich hatte China in den Opiumkriegen besiegt, zuletzt 1860 seine Truppen bis in die Hauptstadt geführt und dort den Sommerpalast zerstören lassen. Der Kaiser floh mit seiner Familie und einem Teil des Hofstaats in seine Sommerresidenz nach Jehol.

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Zahlen & Fakten

Foto von zwei Frauen an einem Tisch mit dampfenden Kesseln. Das Bild gehört zu einem Artikel über China und Kaiserin Cixi.
Arbeiterinnen um 1880 in Hongkong: Bearbeitung von Kokons der Seidenraupe. China war im 19. Jahrhundert zur Zeit von Kaiserin Cixi bereits eine globalisierte Wirtschaft. © Getty Images

Eine unterschätzte Größe: Cixi

  • 1836 Cixi wird in Peking als älteste Tochter des in Staatsdiensten stehenden Adeligen Huizeng geboren. Die Familie gehört dem angesehenen Mandschu-Clan an. Ihr Vater besprach mit ihr sehr früh Staatsgeschäfte.
  • 1849 übersiedelt die Familie in die mongolische Region Hohhot, wo ihr Vater Gouverneur ist.
  • 1850 stirbt Kaiser Daoguang, sein Nachfolger wird Xianfeng. Der Tradition entsprechend stellt die Witwe des Kaisers einen Harem aus Haupt-, Nebenfrauen und Konkubinen für den neuen Kaiser zusammen, insgesamt 20 bis 30 Frauen aus unterschiedlichen Clans des Landes.
  • 1851 wird Cixi wird unter hunderten Kandidatinnen als Nebenfrau der niedrigsten Stufe in den Harem des Kaisers aufgenommen und bereitet sich ein Jahr lang auf diese neue Rolle vor.
  • 1854 steigt Cixi eine Stufe höher in den Status einer Konkubine auf.
  • 1856 bringt Cixi ihren Sohn Zaichun zur Welt, er wird der einzige Sohn des Kaisers Xianfeng bleiben. Cixi wird durch diese Geburt zu einer Nebenfrau ersten Ranges befördert und erhält viele neue Privilegien.
  • 1860 im Zuge des Opiumkrieges der im selben Jahr endet, flüchtet der kaiserliche Harem vor den allierten westlichen Truppen nach Jehol. Cixi erfährt von einer Palastintrige des Hofbeamten Shushun, der sich selbst auf den Thron hieven will.
  • 1861 stirbt Kaiser Xianfeng und verfügt auf seinem Totenbett Zaichun zu seinem Nachfolger. Bis zu dessen Volljährigkeit übernehmen die Kaiserin Cian und Cixi die Regentschaft. Die Amtsgeschäfte übernimmt Prinzregent Gong.
  • 1872 übernimmt Cixis Sohn unter dem Namen Tongzhi die Regierungsgeschäfte, interessierte sich allerdings wenig für Politik. Er erkrankt an Syphillis.
  • 1874 übernehmen Cixi und Cian erneut die Regentschaft.
  • 1875 stirbt Cixis Sohn ohne Nachkommen. Cixi macht keinen kaiserlichen Prinzen, sondern ihren minderjährigen Neffen Chun, den Sohn ihrer Schwester, zum Kaiser. Sie herrscht mit Cian an ihrer Seite.
  • 1881 stirbt Mitregentin Cian. Hatte Cixi sich bis dahin für Reformen eingesetzt, um ihr Land mit anderen Imperien konkurrenzfähig zu halten, zeichnet sie sich nun durch konfuzianischen Konservatismus aus.
  • 1889 wird der Thronfolger volljährig, Cixi zieht sich zurück. Als sich Chung für großangelegte Reformen gegen den Konfuzianismus entscheidet, wendet sich Cixi gegen ihn.
  • 1898 übernimmt sie mittels eines Staatsstreichs wieder die Herrschaft und setzt ihren Neffen unter Hausarrest.
  • 1903 erkennt Cixi nach dem Boxeraufstand den Reformbedarf ihres Landes und stellt die Einführung einer konstitutionellen Monarchie in Aussicht.
  • 1908 stirbt Cixi an der Influenza.

Dort erkrankte der Kaiser und verstarb im Alter von nur 30 Jahren. Darauf geschah etwas Ungeheuerliches. Seine Hauptfrau Ci’an und die Mutter seines Sohnes, Cixi, ergriffen die Macht und schalteten die dafür vorgesehenen Männer aus. Cixis Sohn Zichun wurde im Alter von fünf Jahren inthronisiert, doch konnte und durfte er die Regierungsgeschäfte erst bei Erreichen der Volljährigkeit übernehmen.  

Eine reaktionäre Kraft?

Das politische Leben der Kaiserwitwe Cixi begann also mit einem Regelverstoß. Im Gegensatz zu Queen Victoria, die 1837 als einzige Tochter von King Albert nach dessen Tod legitimerweise den Thron bestieg, um das Britische Weltreich zu führen, hatten die beiden Frauen am Hofe der Qing-Dynastie illegitimerweise die Macht an sich gerissen.

Foto einer Frau mit einer großen Pfeife, die auf einem Bett liegt und in die Kamera blickt. Das Foto wurde in China im 19. Jahrhundert aufgenommen.
Eine Opium rauchende Frau in China um 1900. © Getty Images

Die treibende Kraft hinter diesem Putsch scheint Cixi selbst gewesen zu sein, die während der Krankheit ihres Gatten diesem zur Seite gestanden hatte. So war sie in die Regierungsgeschäfte eingeführt worden. Sie entschied sich für eine Zusammenarbeit mit den reformorientierten Kreisen an Hofe. Mit der Hauptfrau des verstorbenen Kaisers war sie seit den ersten Tagen ihrer Anwesenheit an Hofe gut befreundet. Anstatt sie auszubooten, überzeugte sie Ci’an davon, den konservativen Kreisen an der Spitze des Reiches die Stirn zu bieten.

Dass Cixi als Reaktionärin und nicht als Reformerin in die Geschichtsschreibung eingegangen ist, liegt an einer unerwarteten Kehrtwende, die sie im Jahr 1898 vollzog. Ihr eigener Sohn, der Tongzhi Kaiser, war kurz nach der Übernahme der Amtsgeschäfte im Alter von nur 19 Jahren verstorben. Als Nachfolger setzte sie ihren Neffen, den Guangxu Kaiser, ein.

Ringen um Reformen

Nach dessen Amtsübernahme zeigte der junge Kaiser reformerische Neigungen, die von Reformkräften im Land alsbald erkannt wurden. Sie brachten ihn dazu, im Jahr 1898 eine Reformbewegung zu initiieren, deren Ziel es sein sollte, China in eine konstitutionelle Monarchie zu verwandeln. Obwohl Cixi diese Reformen zunächst unterstützte, sahen die „jungen Wilden“ sie als Haupthindernis für die Verwirklichung ihrer Reformen. Sie schmiedeten einen Mordplan, der jedoch vorzeitig bekannt wurde.

Cixi setzte sich, nicht zuletzt um ihr eigenes Überleben zu sichern, an die Spitze einer Gegenbewegung, die alle Reformen zurücknahm und die Familien der inzwischen ins Ausland geflüchteten „jungen Wilden“ streng bestrafte. Was sie dabei nicht bedachte: Die Reformer hatten gute Freunde unter den damals in China ansässigen Journalisten aus Großbritannien und den USA.

Attacken von Innen und Außen

Diese verbreiteten die Geschichte von der reaktionären Cixi, die versucht habe, den jungen Kaiser umzubringen. Cixi sei selbstverliebt, verschwenderisch und ungebildet. Sie verstünde nichts von Politik und sei ein typisches Beispiel für eine machtversessene Frau. Der Beweis für die angebliche Richtigkeit dieser Behauptung folgte auf dem Fuße. Nur zwei Jahre später brach der Boxeraufstand aus.

Gegen wen richtete er sich? Die Journalisten in Peking und Shanghai hatten auf diese Frage schnell eine Antwort. Hier wurde eine Attacke auf den fortschrittlichen Westen lanciert. Unter dem Deckmantel der Bewahrung der chinesischen Traditionen wurden Missionare ermordet und von den Ausländern in China installierte Eisenbahnen beschädigt.

Für Cixi stellte sich die Lage aber ganz anders dar: Sie wusste nicht, ob sie mit den aufständischen Boxern gegen die Arroganz der Ausländer in China vorgehen sollte, oder andersherum, sie die Unterstützung der Ausländer brauchte, um die Boxer zu bekämpfen und ihre eigene Macht zu bewahren.

Cixis erstaunliche Winkelzüge

Zunächst entschied Cixi sich für ein Bündnis mit den Aufständischen, war sie doch beeindruckt von deren Mut und Standfestigkeit.  Doch als die Boxer der Hauptstadt immer näher kamen und acht in Peking durch Botschaften vertretene Mächte, darunter auch Österreich, entschieden, eine gemeinsame Armee zum Schutz des Botschaftspersonals aufzustellen, erkannte Cixi, dass ihre Rechnung nicht aufgegangen war.

Foto von Marinesoldaten auf dem Holzdeck eines Segelschiffs.
Auch das Deutsche Reich schickte Soldaten, um den Boxeraufstand niederzuschlagen. Hier die SMS Gera circa 1901 auf ihrem Weg nach China. © Getty Images

Als die ausländischen Truppen vor den Toren der Verbotenen Stadt angelangt waren, fanden sie diese weitgehend verlassen vor. Der kaiserliche Clan war unbemerkt in den Westen des Landes, nach Xi’an, entkommen. Die ausländischen Soldaten erhielten von ihren Kommandeuren die Erlaubnis, in die Verbotene Stadt einzudringen. Manch einer soll nach der Rückkehr davon geprahlt haben, dass er sich auf den Thron des Kaisers von China gesetzt habe.

Das Gefühl der Überlegenheit angesichts des Sieges über die chinesische Weltmacht hatte neue Nahrung erhalten, die Demütigung des chinesischen Kaiserreiches einen Höhepunkt erreicht.

Reform als Prozess

Cixi zog aus dieser desolaten Situation den Schluss, dass sie eine erneute Kehrtwende vollziehen musste. Noch auf der Flucht nach Xi’an unterzeichnete sie zusammen mit dem Guangxu Kaiser ein Dekret, in dem alle Gouverneure der chinesischen Provinzen aufgefordert werden, dazu Stellung zu nehmen, welche Elemente der traditionellen Regierungsführung erhalten und welche reformiert werden sollten.

Foto von zerstörten Häusern mit einem Löwen aus Stein.
Um 1900: Nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes ist Peking zerstört. © Getty Images

Aus den Antworten entwickelte der Hof unter Cixis Leitung ein Regierungsprogramm, das in vielen Dingen jenem ähnelte, welches Cixi 1898 in der Auseinandersetzung mit den „jungen Wilden“ unmöglich gemacht hatte. China wurde auf den Weg hin zu einer konstitutionellen Monarchie geführt, die Beamtenprüfungen wurden durch ein am japanischen Vorbild orientiertem Bildungssystem  ersetzt und überkommene Sitten wie das Binden der weiblichen Füße abgeschafft. China wurde von der angeblich so reaktionären Kaiserwitwe und ihrem reformfreudigen Adoptivsohn in die Moderne katapultiert.

Geschichte wiederholt sich

Durch das Hin- und Her in ihrer Politik kann die Kaiserwitwe heute von jenen beschimpft werden, die sie für reaktionär halten, aber auch von jenen, die sie mit Chinas Sprung in die Moderne identifizieren und diesen nicht gutheißen. Allen Reformen zum Trotz ist die Qing-Dynastie im Jahr 1912 wenige Jahre nach dem Tod des Guangxu Kaisers und dem wenig später erfolgenden Ableben der Kaiserwitwe Cixi abgetreten. Cixis Ziel, den Untergang der Dynastie zu vermeiden, wurde nicht erreicht.

Angeblich wiederholt sich die Geschichte nicht. Aber wenn politische Führungseliten, wie das in China üblich ist, sich stark an historischen Vorbildern orientieren, kann es durchaus zu Wiederholungen kommen. Der große Reformer Deng Xiaoping schickte 1989 Panzer auf den Tiananmen-Platz in Peking, um die von Studierenden initiierte Reformbewegung blutig zu unterdrücken; drei Jahre später rief er dazu auf, die Reformen der 1980er- Jahre weiterzuführen und Chinas Wirtschaft noch entschiedener als zuvor marktwirtschaftlich umzuorganisieren.

Eine Frau sitzt im Schneidersitz auf dem Erdboden in einer provisorischen niedrigen Behausung und heizt einen Ofen mit Stroh. In dem Beitrag zu dem Bild geht es um Politik und China.
Shanghai 1949: Eine geflüchtete Frau aus dem Norden Chinas bereitet ein Essen. © Getty Images

Von der Reform zur Reaktion und zurück zur Reform. Die Kehrtwenden haben nur einen Sinn: Sie sollen dazu dienen, die Macht der KPCh zu erhalten. Doch wenn Frauen wie Cixi derart Politik machen, wird ihnen diese Orientierung am großen Ganzen in der Öffentlichkeit nicht zugestanden. Sie sind selbstisch, unfähig, jenseits ihrer ureigenen Interessen zu handeln, und Kleingeister, die das Spiel der Politik nicht beherrschen.

Das Bild, das die „jungen Wilden“ zusammen mit einigen wenigen ausländischen Journalisten von Cixi schufen, prägt nicht nur das Bild, das man von ihr in China hat, sondern auch die Erwartungen, die man überhaupt gegenüber Frauen in der Politik hegt.

Mit unterschiedlichem Maß messen

Mao Zedong hat sich in seinem politischen Leben auch viele Kehrtwenden erlaubt. Ihm wurde das als strategische Weisheit ausgelegt, im Falle seiner Ehefrau, die sich einmal selbst als Hund an der Kette ihres Ehemannes bezeichnete, galt das als Intrigantentum in der Politik, als Machtversessenheit und Selbstverliebtheit.

Als sie nach ihrer Entmachtung nur knapp vier Wochen nach Maos Tod mit vielen Männern als einzige Frau vor Gericht gestellt wurde, war sie die einzige, die Widerspruch gegen die vorgetragenen Anklagepunkte erhob. Die Männer anerkannten ihre angebliche Schuld, obwohl auch sie im wesentlichen nach dem Willen Mao Zedongs gehandelt hatten. Die Mao-Witwe Jiang Qing wurde für ihre Unbotmäßigkeit mit dem Tod bestraft, die Vollstreckung der Strafe jedoch ausgesetzt. Der letzte Akt ihres Widerstandes war der Selbstmord.

Frauen sind in der chinesischen Gesellschaft auf eine informelle Art und Weise sehr mächtig. Wenn sie formelle Macht beanspruchen, werden sie dafür bestraft: durch Verunglimpfung oder – wie im Falle von Jiang Qing –sogar mit dem Tod.

Foto von jungen Frauen, die sich gegenseitig fotografieren.
Frauen in Macau im Januar 2023. © Getty Images

Wer diesem Schicksal entgehen will, muss sich zur Helfershelferin der Männer machen, so wie das einzige weibliche Mitglied des Politbüros vor dem 20. Parteitag. Sun Chunlan musste für Xi Jinping die Null-Covid-Politik durchsetzen und eine Stadt nach der anderen dem Lockdown preisgeben. Obwohl sie mit 72 Jahren in den Ruhestand getreten war, blieb es ihr nach dem 20. Parteitag nicht erspart, auch die Kehrtwende in der Null-Covid-Politik zu verkünden!

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Conclusio

Wer verstehen will, warum Frauen in der chinesischen Politik keine Rolle spielen, findet die Muster in der chinesischen politische Geschichte. Die chinesische Kaiserin Cixi führte das Land im 19. Jahrhundert, wurde jedoch von den männlichen Konkurrenten abgesägt. Der Westen spielte in dieser Intrige eine wichtige Rolle. Die Geschichte der Kaiserin Cixi wurde jedoch nie aufgearbeitet. Das trägt zu einer männerdominierten Regierung bei. Frauen sind in China wenn, dann nur informell einflussreich.

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