Wie Deutschland scheitert

Woke, durchgeknallt, devot: Henryk M. Broder sieht dem „deutschen Geist“ beim Scheitern zu. Ein Podcast über eine Enttäuschung.

Der Alchemist von Carl Spitzweg (ca. 1850). Das Bild illustriert einen Beitrag über einen Podcast mit Henryk M. Broder  über Deutschland, in dem Broder unter anderem über die Romantik des deutschen Geistes spricht.
Der Alchemist von Carl Spitzweg (ca. 1850). Romantisch, zögerlich und fehleranfällig: Spezifisch deutsch sei die Gründlichkeit, mit der man darauf bestehe, dieselben Fehler immer wieder zu machen, diagnostiziert Henryk M. Broder. © Getty Images

Henryk M. Broder ist enttäuscht, und zugleich fühlt er sich gut unterhalten durch die Politik der deutschen Ampelregierung. Während das Land von einer Lebensangst ergriffen sei, komme der „deutsche Geist“, aka Deutschland, an sein Ziel: zu scheitern. Warum? Seine Regierung sei woke und durchgeknallt, seine Bevölkerung devot.

Der Podcast über Deutschland

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Der deutsche Geist muss sich immer etwas vornehmen, und zwar etwas Großes, an dem er scheitert.

Unser Dossier trägt den Titel Das deutsche Drama in fünf Akten und trifft als solches wohl den Kern des deutschen Problems, wie Henryk M. Broder es sieht. Die Lage sei hoffnungslos, aber nicht ernst, meint er im Podcast: „Wir können uns über Vieles beschweren, nur nicht über den Mangel an Unterhaltungswert dieser deutschen politischen Kultur. Es ist wirklich unterhaltsam, witzig, zwischendurch aufregend, und zwischendurch ist es einem auch zu viel“, erklärt er, der von sich sagt, viele Stunden vor dem Fernseher zu verbringen.

Deutschland will scheitern

Ein Kind der Sponti-Szene (was er abstreitet), diagnostiziert er den Deutschen notorischen Romantizismus. Sie seien Skeptiker und Pessimisten, aber im Kern Romantiker, meint er. „Der deutsche Geist muss sich immer etwas vornehmen, und zwar etwas Großes, an dem er scheitert. Um 1900 war es der deutsche Beitrag zur Bekämpfung der Boxer-Aufstände in China. Da haben wir eine ganze Armee hingeschickt. Ein paar Jahrzehnte später war es die Endlösung der Judenfrage, und die Befreiung des Ostens. Und jetzt es das Klima, wir retten das Klima, und zwar nicht unser eigenes, nein, das Weltklima, und das geht nicht gut.“

Otto von Bismarck, 1871 bis 1890 Reichskanzler des Deutschen Reiches, an einem Kaffeehaustisch im Freien sitzend. Zu seinen Füßen eine seiner Doggen mit kupierten Ohren. Es ist vermutlich Tyras. Auf dem TIsch liegt ein Hut. Bismark, auch Eiserner Kanzler genannt, hält die rechte Hand an sein Revers, eine Geste, die an Napoleon erinnert. Das Bild ist Teil eines Beitrags über einen Pocast mit Henrykk M. Broder zum Thema Deutschland.
Otto von Bismarck in Friedrichsruh mit Tyras I im Jahr 1884: Am „Eisernen Kanzler“ schätzt Henryk M. Broder, dass er die SPD „(...) zeitweise verboten hat. Dafür müsste man ihm heute noch dankbar sein.“ © Getty Images

Die devote Bevölkerung

Das Scheitern, das er beobachtet, lasse ihn an den Roman von Heinrich Mann, Der Untertan, denken und nichts verkörpere den Untertanengeist besser als die Demonstrationen gegen die AfD: „Schauen Sie! Wir haben in den letzten Tagen, Wochen und Monaten Demonstrationen erlebt, in denen Menschen für die Regierung demonstrierten. Also ich meine, in jedem normalen Land der Welt gehen die Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Bei uns waren das Demonstrationen, die von der Regierung initiiert wurden und zugunsten der Regierung stattfanden. Bei einer dieser Demos ist sogar unser Kanzler, der Herr sei mit ihm auf allen seinen Wegen, mit seiner wunderbaren Außenministerin mitgelaufen. Ich hab sowas noch nie erlebt.“

Die durchgeknallte Regierung

Die Debatte um das Verschwinden des Konservatismus in Europa, wie etwa von Politologen wie Herfried Münkler und Thomas Biebricher analysiert, kann er nicht nachvollziehen. „Ich stimme dem nicht zu. Wenn sich etwas verwandelt hat oder geändert hat, dann war das früher die Lebensfreude, und es war die Lust am Reisen, die Lust am nicht Arbeiten, die Lust am Geld ausgeben. Und heute ist es die Angst, die Angst vor Einkommensverlust, vor Einkommenseinbußen, die Angst, ob man sich überhaupt irgendwann noch eine Wohnung leisten kann, die Angst von den explodierenden Preisen. Es herrscht eine Art von Lebensangst, und das ist nicht reine Hysterie.“

Die aktuelle Regierung sei „durchgeknallt“, meint er im Hinblick auf Klimapolitik und das Abschalten der drei Kernkraftwerke. Klimawandel habe es immer schon gegeben: „Also erstmal stelle ich in Frage, gibt es Klimawandel? Klimawandel ist ungefähr so banal wie die Feststellung, wir werden jeden Tag älter, vielleicht geht es Ihnen nicht so, mir schon. Ich werde jeden Tag älter, und jeden Tag gibt es einen Klimawandel. Und die große, bis jetzt unbewiesene, aber mit viel propagandistischem Aufwand betriebene Antwort auf die Frage ist der Klimawandel menschengemacht? Früher war Gott für alles zuständig, jetzt ist es der Mensch.“

Selbst wenn der Klimawandel menschengemacht sei, habe ein einzelnes Land daran einen geringen Anteil: „Wenn wir morgen einbrechen und entfallen würde, würde das Klima es nicht mal bemerken.“ An den Klimawandel könne man glauben, oder auch nicht. Broder sieht den Klimawandel als eine neue Religion, die alle anderen abgelöst habe.

Die woke Demokratie

An die Demokratie glaubt Broder jedenfalls nicht mehr. „Das einzige was man jetzt noch beachtet, ist das, was gerade in der Woke-Bewegung auf der Tagesordnung steht. Man schließt jetzt Koalitionen. Der freie Markt des politischen Wettbewerbs ist aufgehoben. Man hat wieder eine Volksfront.“

Er kritisiert ein „romantisches, idealisiertes Bild von Demokratie“: „Das kann man auf einen Satz bringen: Man ist sich einig. Mein Bild von Demokratie ist natürlich ein anderes. Das ist eine Werkstatt, in der wird gearbeitet, da wird gehämmert und geschleift, und da fliegen Funken, da muss ab und zu auch ausgekehrt werden. Das ist Demokratie. Demokratie ist keine Idylle, wenn man sich gegenseitig auf die Schulter klopft. Demokratie ist Kampf und Streit, und dieses Bild verschwindet in Deutschland.“

Gibt es etwas spezifisch Deutsches? „Spezifisch deutsch ist die Gründlichkeit, mit der man darauf besteht, dass man das Recht hat, Fehler fortzusetzen. Wenn es ein deutsches Motto gäbe, müsste es dieser Satz von Hans Dieter Hüsch sein. Ich sagte immer, wenn ich mal einen Fehler mache, dann mache ich einen zweiten Fehler hinterher, dann sieht es nach Methode aus. Und genau das ist es aber, was die Bundesregierung seit den Merkel-Jahren macht.“

Deutschland und die Vergangenheit

Ein deutsches Nationalgefühl vermisst der Publizist. „Es gibt nur Simulation von Nationalgefühl. Der deutsche Nationalgeist drückt sich darin aus, besser sein zu wollen als die anderen. Der deutsche Nationalstolz, das ist ein Sündenstolz, wie es ein Philosoph mal ausgedrückt hat. Auf deutsch übersetzt könnte man auch sagen, den Holocaust, den soll uns erst mal einer nachmachen. Sie können das Fernsehen nicht einschalten, ohne irgendwas mit Hitler oder Nazis zu sehen, und ich finde es inzwischen bedenklich. Wissen Sie, das dritte Reich wird umso größer, je weiter es zurückliegt, ein einzigartiges Phänomen. Da haben wir, die Deutschen, das Copyright drauf.“

Kann es einen Ausweg aus der deutschen Misere geben? „Die Politiker müssten einfach versuchen, wieder Anschluss an die Realität zu finden, denn den haben sie nicht. Die deutsche Politik lebt im Phantasialand.“

Über Henryk M. Broder

Henryk M. Broder 2012 bei den Dreharbeiten zu „Entweder Broder - Die Europa-Safari!“. Das Bild ist Teil eines Podcasts mit Henryk M. Broder zum Thema Deutschland.
Henryk M. Broder 2012 bei den Dreharbeiten zu „Entweder Broder – Die Europa-Safari!“. © Getty Images

Henryk Marcin Broder wurde 1946 in Katowice (Polen) geboren, ist Publizist und Autor zahlreicher Bestseller. Er lebt in Berlin und schreibt seit 2022 auch für den Pragmaticus. Seine publizistische Karriere begann bei den St. Pauli-Nachrichten und Konkret und führte ihn unter anderem über die Frankfurter Rundschau und Die Zeit zur Welt. Sein erstes Buch hieß Wer hat Angst vor Pornografie? (1970), seine jüngste Publikation ist Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik (2023, gemeinsam mit Reinhard Mohr).

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