Die Erfolgs-Zölibatären

Immer mehr Menschen verzichten freiwillig auf den psychischen Kick, den beruflicher Erfolg verschaffen kann, und das ist gar nicht gut so.

Der 30-jährige Bill Gates neben einem seiner ersten Computer. Das Bild illustriert einen Kommentar von Christian Ortner über den freiwilligen Verzicht auf beruflichen Erfolg junger Berufseinsteiger.
Während sich der junge Bill Gates auf den beruflichen Erfolg von Microsoft konzentrierte, verzichten heutzutage viele junge Berufseinsteiger laut Christian Ortner „auf das Glück, das dieser Erfolg mit sich bringt“ – zugunsten der Work-Life-Balance. © Getty Images

Ein Wiener Architekt, der gerade einen neuen Mitarbeiter für sein Büro sucht, weiß von einem erstaunlichen Phänomen zu berichten: Jede Menge Bewerbungen, aber von 20 Kandidaten sei ein einziger bereit, 38 Stunden die Woche zu arbeiten. Alle anderen legen Wert auf eine Art Halbtagsjob. Dass die meisten Bewerber, durchaus Absolventen angesehener Hochschulen, ihr Ansinnen nicht einmal sprachlich unfallfrei zu formulieren imstande sind, hat den Architekten übrigens auch nicht gerade in Euphorie versetzt.

Solche Episoden sind derzeit aus nahezu allen Branchen zu vernehmen. Ganztagsarbeit scheint ungefähr so beliebt zu sein wie ein Bandscheibenvorfall und gilt durchwegs als neoliberale, menschenverachtende Zumutung profitgeiler kapitalistischer Ausbeuter. Nur völlige Loser und Opfer, so scheint derzeit die Einstellung der meisten Berufseinsteiger angesichts dieses Zeitgeistes zu sein, tun sich das noch an.

Ich halte das für eher sehr befremdlich. Und zwar nicht, weil ich nicht verstünde, dass viele junge Menschen nicht wie oft ihre Eltern als von übermäßiger Maloche ausgebrannte Wracks enden wollen. Und auch nicht, weil das Bedürfnis nach sogenannter Work-Lifetime-Balance nicht bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar wäre. Selbst der bewusste Verzicht auf Konsum und Luxus zugunsten immaterieller Vorteile wie Zeit, sozialer Kontakte und einfach ein wenig Muße mag irgendwie verständlich sein.

Verzicht auf Erfolg

Was ich aber überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist der freiwillige Verzicht auf Erfolg, also eine ungemein wohltuende Seelenlage, die sich einstellt, wenn man ein schwieriges Problem gelöst hat, scheinbar Unüberwindliches überwunden hat oder auch nur eine Idee hatte, die andere für schlau halten.

Erfolg zu verspüren ist vermutlich eine der stärksten emotionalen Bonifikationen, die wir kennen und schätzen. Geld, Macht, hierarchischer Aufstieg sind hingegen nur Kollateralnutzen, der mit Erfolg verbunden ist. Worum es wirklich geht, das ist jener psychische Kick, den Erfolg auszulösen vermag.

Vermutlich ist dies ja auch eines jener Programme, die die Natur tief in uns verwurzelt hat – und die Teil der Erfolgsgeschichte der Spezies sind.

No pain, no gain

Erfolg ist freilich stets mit Arbeit verbunden, und zwar meist nicht zu knapp. Wer freiwillig zum Minderarbeiter wird, bringt sich damit deshalb auch nahezu zwingend um das enorme Glücksgefühl, das beruflicher Erfolg vermitteln kann.

Der asketische Veganer, im Hauptberuf Weltretter, wurde zum Role Model einer Generation.

Wer freiwillig derart erfolgszölibatär lebt, bringt sich also um eine Menge Vergnügen – und die Gesellschaft um jenen Beitrag zum Allgemeinwohl, der grundsätzlich möglich wäre. Kurz, es ist dies eine weit verbreitete Haltung, die sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft insgesamt verarmen lässt; und das nicht nur in materieller Hinsicht, sondern vor allem auch von ihrer mentalen Basis her.

Überraschend kommt das freilich nicht daher. Seit Jahrzehnten lehrt der Zeitgeist gerade die Jüngeren, dass materielles Streben irgendwie uncool, Konsum eine Sünde ist und das wahre Glück in der Enthaltung und der Entsagung liegt. Der asketische Veganer, im Hauptberuf Weltretter mit minimalem CO2-Ausstoß, wurde zum Role Model einer Generation. Wie vom Zeitgeist bestellt, so geliefert, könnte man sagen.

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