Die Grenzen der Toleranz

Die Warnungen vor einer Unterwanderung der westlichen Demokratien durch Islamisten fanden wenig Gehör. Die naive Befürwortung offener Grenzen rächt sich jetzt. 

Menschen mit erhobenen Händen bei einer Demonstration. Das Bild illustriert einen Kommentar zum Thema Integration und die Grenzen der Toleranz.
Wer in einer Demokratie Toleranz will – und keine Demokratie kommt ohne Toleranz aus –, muss sagen können, gegenüber was, wem und warum eine demokratische Gesellschaft tolerant sein muss – und vor allem: bis wohin. © Getty Images

Ich werde nie vergessen, wie ich an einer öffentlichen Veranstaltung zum Thema Integration mit meiner Frage, ob denn die Kenntnis der einheimischen Sprache nicht eine Voraussetzung für eine gelingende Integration in eine Demokratie sei, Raunen und böse Blicke erntete. Der Referent, der die Frage – mit äußerst behutsamer Wortwahl – vorsichtig bejahte, – wurde sogleich ausgebuht. Die Meinungen im Publikum waren gemacht: Wer von Migranten das Erlernen der Sprache ihres Gastlands fordert, ist im Grunde ein Rassist. 

Der Abend liegt rund 25 Jahre zurück. Damals arbeitete ich an meiner Dissertation über die Grenzen der Toleranz in pluralen Gesellschaften. Es war die Zeit des Hohelieds auf den Multikulturalismus. Meinungsführer – und auch viele Meinungsführerinnen – in Wissenschaft und Politik priesen die fremden Kulturen und hielten das bunte, friedliche Zusammenleben nicht für eine Utopie, sondern allein für eine Frage des Willens – an dem es vor allem seitens der Einheimischen fehlte. Insofern war meine Arbeit keineswegs nur eine akademische; im Gegenteil: Die Kombination von „Toleranz“ mit „Grenzen“ war an sich schon eine Provokation.

Warum es um den Islam geht

Das Thema blieb mir erhalten, bis heute. Wann immer ein Ereignis die Welt in unseren Breitengraden erschütterte, wollte man von mir wissen, was es denn mit der Toleranz auf sich habe. Meine Botschaft war stets dieselbe: Toleranz ist anstrengend; Toleranz übt man gegen seine Neigung; Toleranz ist nicht gleich Akzeptanz; vor allem aber und zuerst: Jede Toleranz hat – und braucht – Grenzen. Anders gesagt: Wer in einer Demokratie Toleranz will – und keine Demokratie kommt ohne Toleranz aus –, muss sagen können, gegenüber was, wem und warum eine demokratische Gesellschaft tolerant sein muss – und vor allem: bis wohin. 

Die Kombination von „Toleranz“ mit „Grenzen“ war an sich schon eine Provokation.

Dass sich die Diskussion primär auf den Islam konzentrierte, war kein Zufall. Man erinnere sich: Der Angriff auf die Twin Towers des World Trade Center in New York 2001, der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh 2004, der Anschlag auf Charlie Hebdo, auf den Pariser Musikclub Bataclan und die Übergriffe auf Frauen an der Kölner Silvesternacht 2015, der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016, die Anschläge in Wien 2018 und 2020, die beiden Lehrermorde und Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Frankreich. 

Nicht, dass es an Warnungen mangelte: Der deutsch-syrische Politikwissenschaftler Bassam Tibi veröffentlichte 1992, 2000 und 2004 Bücher über den Fundamentalismus im Islam und dessen Gefahr für die westliche Sicherheit und den Weltfrieden. 2018 warf er dem deutschen Staat vor, vor dem Islam zu kapitulieren. Liberale Muslime schreiben sich seit Jahren die Finger wund, um auf das Problem des Islam mit den Werten des Westens hinzuweisen: Er verhindere die Integration (Necla Kelek); er sei nicht mit demokratischen Werten vereinbar (Kacem El Ghazzali); er bringe das Mittelalter zurück nach Europa (Hamed Abdel-Samad); Islamisten verfolgen Ziele, die mit unserer Freiheit und Demokratie inkompatibel sind (Elham Manea), und der Kampfbegriff „Islamophobie“ diene einzig dazu, kritische Stimmen einzuschüchtern, indem sie mit Rassisten in einen Topf geworfen werden (Saïda Keller-Messahli). Sie riskieren ihr Leben wegen Morddrohungen durch Islamisten. 

Das Gleiche gilt für die Imamin Seyran Ateş, deren aufgeschlossene Moschee in Berlin seit ihrer Eröffnung ein Anschlagsziel ist. 2021 erschien Ayaan Hirsi Alis Beute: eine erdrückende Dokumentation der Gewalt muslimischer Männer gegenüber Frauen in Europa, wofür sie sich Zahlen und Berichte mühsam zusammenklauben musste, weil es zu diesem Thema weder gute Statistiken noch neuere Studien gibt. 

In Summe aber ist der Befund eindeutig: Mit der verstärkten Zuwanderung aus dem muslimischen Raum werden Frauen immer häufiger Opfer von verbalen Übergriffen, Nötigungen und Gewalt – und zwar in einem Maße, das ihre Freiheitsrechte ernsthaft bedroht. 

Naive Toleranz

Über ein paar Unerschrockene hinaus fanden diese Stimmen kaum Gehör. Zu sehr hätten Politik und Gesellschaft ihr Plädoyer für offene Grenzen und ihre naive Tolerierung unliberaler Praktiken und Überzeugungen hinterfragen müssen. 

Erst jetzt scheint man sich in Europa allmählich über das Ausmaß der importierten Probleme bewusst zu werden

Vorläufig gekrönt wurde diese Ignoranz mit einer 400-Seiten starken Studie zur „Muslimfeindlichkeit“ in Deutschland, erschienen im Juni 2023 und verfasst von einem unabhängigen Expertenkreis, der die gesamte deutsche Öffentlichkeit – Bevölkerung, Bildung, Medien, Kultur und Politik – systematisch auf „sichtbare“ und „unsichtbare“ Muslimfeindlichkeit abklopfte. Als Fazit fordert die deutsche Innenministerin in ihrem Vorwort, wir „Menschen in Deutschland (…) dürfen Hass und Hetze keinen Raum lassen und müssen uns geschlossen allen Formen von Rassismus, Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entgegenstellen“. 

Spät erwachendes Bewusstsein

Erst jetzt – nach dem Angriff der Hamas auf Israel und den zahlreichen pro-palästinensischen Demonstrationen in westlichen Ländern danach – scheint man sich in Europa allmählich über das Ausmaß der importierten Probleme bewusst zu werden: der Gewaltbereitschaft, des Antisemitismus und der völligen Verachtung liberaler Werte. Dass dabei ein argumentatives Chaos herrscht, wenn Klimaaktivisten (aus antikapitalistischen Motiven) wie Queers (aus der Opferperspektive) Schulter an Schulter Pro-Palästina marschieren, zeigt nur, wie es um die intellektuellen Verirrungen auch in demokratischen Gesellschaften steht. 

Ernsthafte Integration ist eine Bringschuld der Migranten. Wir aber müssen sie fordern.

Die Gründe sind dieselben: eine naive Verklärung alles Fremden, die Entschuldigung nicht-liberaler Praktiken – wie etwa die Unterdrückung der Frau – durch „Kultur“; eine Religionsfreiheit, die mit uns inkompatible Werte bewusst übersieht, und die schlichte Ignoranz oder Verschleierung von Fakten – aus Ideologie, Angst oder Heuchelei.

Es ist Zeit für eine Zeitenwende auch hier. Sie bedeutet nicht, die Zuwanderung zu unterbinden, verlangt aber endlich nach einer Regulierung und vor allem ernsthaften Integration. Und Letztere ist – um nochmals einen liberalen Muslim zu zitieren, Ahmad Mansour – eine „Bringschuld der Migranten“. Wir müssen sie ernsthaft fordern – und konsequent sein.

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