Das schwere Erbe eines Papstes
Vor dem Hintergrund eines drohenden Schismas und weltpolitischer Spannungen stehen 133 Kardinäle vor der Aufgabe, einen neuen Papst zu wählen. Der Kurs, den Papst Franziskus eingeschlagen hat, ist umstritten und polarisiert sowohl innerhalb der Kirche als auch in der internationalen Politik.

Auf den Punkt gebracht
- Konklave. 133 Kardinäle wählen einen neuen Papst. Sie entscheiden, ob der von Franziskus eingeschlagene Kurs beibehalten wird.
- Begehrlichkeiten. Die Vereinigten Staaten und Russland wollen die Wahl beeinflussen, mit gegensätzlichen Zielen.
- Krise. Im Kardinalskollegium stehen einander unvereinbare Positionen gegenüber. Die Einheit der Kirche ist in Gefahr.
- Schisma. Eine Kirchenspaltung droht, wenn die katholische Doktrin vom neuen Papst in Frage gestellt wird.
Auf den 133 Kardinälen, die unter dem Fresko des Jüngsten Gerichts den Nachfolger von Papst Franziskus wählen werden, lastet eine enorme Verantwortung. 108 von ihnen wurden von Franziskus ernannt, viele treffen einander zum ersten Mal. Noch immer stellt Europa (53 Kardinäle) die größte Gruppe, gefolgt von Asien (23), Lateinamerika (21) und Afrika (18). Angesichts der Krise der Kirche und der Gefahr eines weltweiten Krieges ist dieses Konklave von besonderer kirchen- und geopolitischer Bedeutung. Die Meinungen, ob der von Franziskus eingeschlagene Kurs beibehalten, radikalisiert, modifiziert oder revidiert werden sollte, sind im Kardinalskollegium so gegensätzlich wie in der Weltkirche.
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Es könnte also stürmisch zugehen und länger als gewöhnlich dauern, bis weißer Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufsteigt und der neue Papst vor die Gläubigen auf dem Petersplatz tritt. Für die Wahl ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit vorgeschrieben.
Internationale Einflussnahme auf die Papstwahl
Man kann den Beginn des modernen Papsttums auf den Tag genau bestimmen: Es war der 20. September 1870, als das Königreich Italien den Kirchenstaat mit Ausnahme der 44 Hektar großen Vatikanstadt annektierte. Die Gefangenschaft der Päpste in den vatikanischen Mauern endete 1929, als König Viktor Emmanuel II. in den Lateranverträgen die politische und territoriale Souveränität des Vatikans garantierte und Papst Pius XI. Rom als Hauptstadt des Königreichs Italien anerkannte. Der Heilige Stuhl war nicht länger der Einflussnahme durch Italien und die Großmächte ausgesetzt und verfolgte eine eigenständige Außenpolitik, die darauf achtete, Schaden für die Kirche abzuwenden und schlichtend in zwischenstaatliche Konflikte einzugreifen.
Heute gibt es 1,4 Milliarden Katholiken, das entspricht etwa 17,7 Prozent der Weltbevölkerung. In Afrika (273 Millionen) und in Asien (153 Millionen) wächst ihr Anteil stetig, in Afrika sogar schneller als die Bevölkerung. Da Soft Power und Public Dipomacy in den internationalen Beziehungen immer wichtiger werden, kann es sich keine Großmacht leisten, sie zu ignorieren.
Von den rund 80 Millionen Katholiken in den Vereinigten Staaten äußerten sich 80 Prozent positiv über Papst Franziskus, aber 54 Prozent von ihnen wählten Donald Trump. Der amerikanische Präsident nahm in der ersten Reihe der Staatsgäste an den Begräbnisfeierlichkeiten in Rom teil. Er bezeichnet sich als konfessionslosen Christen, seine Frau Melania ist katholisch. Der letzte Gast, den Franziskus vor seinem Tod empfing, war Vizepräsident J. D. Vance, der 2019 zu Katholizismus konvertiert war. Der „Babykatholik“, wie er sich selbst nannte, provozierte erst kürzlich den Vatikan mit einer eigenwilligen Interpretation der „ordo amoris“ (Ordnung der Liebe) des Kirchenvaters Augustinus.
Von den rund 80 Millionen Katholiken in den Vereinigten Staaten äußerten sich 80 Prozent positiv über Papst Franziskus, aber 54 Prozent von ihnen wählten Donald Trump.
Vance zufolge gebe es eine Hierarchie der Nächstenliebe, zuerst komme die Familie, die Gemeinde und das eigene Land, erst dann der Rest der Welt. Papst Franziskus konterte am 10. Februar mit einem Brief an die amerikanische Bischofskonferenz, in dem er sich scharf gegen diese Lesart verwehrte. Die Nächstenliebe umfasse ausnahmslos alle, argumentierte der Papst und zitierte das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
In der Frage der Emigration, um die es hier im Wesentlichen geht, sind die US-Bischöfe gespalten. Franziskus hatte Trumps Emigrationspolitik schon 2016-2020 kritisiert und schlug zuletzt nur noch schärfere Töne an. Alle fünf US-Bischöfe, die er zu Kardinälen erhob, gehören dem liberalen Lager an, sie engagieren sich für Migranten und Randgruppen und verweigern sich dem anti-woken Kulturkrieg. Die MAGA-Bewegung tut, was sie kann, um die Kirche auf ihre Seite zu bringen.
Das Vermächtnis von Papst Franziskus
„Wie viele Divisionen hat der denn?“, verhöhnte Stalin 1935 den Papst. Gleichwohl durchsetzten die Geheimdienste der Sowjetunion und ihrer Satelliten den Vatikan und die Landeskirchen mit ihren Agenten. Bis heute ist der Kreml hervorragend über die Vorgänge in der Kurie informiert und natürlich will auch Putin die Papstwahl beeinflussen. Am 22. April, einen Tag nach dem Tod des Papstes, fand in Moskau ein Gespräch zwischen ihm und dem russischen Patriarchen statt. Ihre Begegnung mit Franziskus, sagte Putin zu Kirill, habe gezeigt, dass es auch im Westen Kräfte gibt, die sich um gute Beziehungen mit Russland und eine Wiederbelebung der Spiritualität bemühen, schließlich basiere auch die westliche Kultur auf einem christlichen Fundament.
Er habe Franziskus mehrmals getroffen und festgestellt, „dass er eine gute Einstellung zu Russland hatte“, was er sich mit den lateinamerikanischen Wurzeln Bergoglios erkläre. Kirill bestätigte Putins Eindruck. Er wisse, dass Franziskus unter starkem Druck stand, sich gegen Russland auszusprechen. „Bringt mich nicht gegen Kirill auf“ – mit diesen Worten habe der Papst einmal seine engsten Mitarbeiter zurechtgewiesen und sich dann abrupt von ihnen abgewendet.
Was immer man von den Aussagen der beiden ehemaligen KGB-Agenten halten mag, wichtig ist die Botschaft, dass Moskau einen Papst will, der den von Franziskus eingeschlagenen Kurs fortsetzt. Dabei waren die Beziehungen zwischen dem römischen Papst, dem russischen Patriarchen und Putin nicht frei von Konflikten. „Der Patriarch kann sich nicht einfach zum Messdiener Putins machen“, sagte Franziskus einmal unverblümt. Am 24. Februar 2022 forderte er die sofortige Einstellung der Kriegshandlungen. Diesen Appell hatte er bis zuletzt Dutzende Male wiederholt. Zugleich kritisierte er die westliche Militärhilfe an die Ukraine, weil sie dazu diene, neue Waffen zu verkaufen und zu testen. Den USA und der Nato unterstellte er eine Mitschuld am Krieg, weil sie „an den Toren Russlands gebellt“ hätten.
Gegen das System
Die politischen Ansichten des Papstes waren stark von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie geprägt. „Diese Wirtschaft tötet“, sagte er, ohne zwischen einer freien Marktwirtschaft und ihrer Verzerrung durch Big Business, Staatskapitalismus und korrupte Seilschaften zu unterscheiden. Er kritisierte mit Recht die „ideologische Kolonisierung“ nicht-westlicher Kulturen durch Säkularismus, Individualismus, Konsumismus und Genderideologie, die lokale Traditionen, Werte und Identitäten zerstören. Weit weniger deutlich sprach er sich gegen die Verfolgung der Christen in Asien, Afrika, im Nahen Osten und in linken lateinamerikanischen Regimen wie Kuba und Nicaragua aus. Er billigte ein Abkommen mit China, das die Kontrolle der chinesischen Bischöfe durch den Staat gewährleistet. Und nicht zuletzt unterschätzte er die Bedrohung durch den Islam und verharmloste die negativen sozialen und kulturellen Folgen der Massenmigration.
Zum ersten Mal nach Jahrhunderten prallen im Kardinalskollegium unterschiedliche Auffassungen über das Wesen des Katholizismus selbst aufeinander.
Seine Neigung zum innerkirchlichen Mikromagnagement, seine autoritären Tendenzen und seine oft vagen Aussagen und widersprüchlichen Maßnahmen verstörten Liberale wie Konservative. Er forderte mehr lokale Autonomie, schwächte aber die Befugnisse der Bischöfe; er erschwerte es ihnen, die traditionelle Messe zu gestatten, er hinderte brasilianische Bischöfe daran, Diakoninnen einzuführen, und deutsche Bischöfe, gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu segnen. Die von ihm eingeführte „Synodalität“ führte zu einem Anwachsen der kirchlichen Bürokratie. Lokale Anliegen mussten nach Rom weitergeleitet werden, wo die Antworten oft auf unbestimmte Zeit verschoben wurden. Die Erfahrungen der Kardinäle mit seinem Pontifikat werden sich mit Sicherheit auf ihr Votum auswirken.
Medien oder Bibel
Zum ersten Mal nach Jahrhunderten prallen im Kardinalskollegium unterschiedliche Auffassungen über das Wesen des Katholizismus selbst aufeinander. Johannes Paul II. und besonders Benedikt XVI. hatten sich bemüht, postkonziliäre Fehlentwicklungen behutsam zu korrigieren, um die Einheit der Kirche und ihrer Lehre wiederherzustellen. Franziskus ging diesen Weg nicht weiter, sondern brachte die Unruhe zurück, die in den 1970er Jahren herrschte.
In Edward Bergers Film Konklave fasst der neue Papst die Selbstermächtigung der radikalen Reformer präzis in einem Satz zusammen: „Die Kirche ist nicht Tradition, die Kirche ist nicht die Vergangenheit, die Kirche ist das, was wir als Nächstes tun“. In Wirklichkeit gehe es nicht um „liberal“ oder „konservativ“, sondern um „orthodox“ oder „häretisch“, glaubt der emeritierte deutsche Kurienkardinal Gerhard Müller.
Benedikt XVI. hatte Müller als Präfekt der Glaubenskongregation eingesetzt, Franziskus lehnte es ab, seine Amtszeit zu verlängern. Es wäre eine Katastrophe, sagte Müller, es drohe sogar ein Schisma, sollte das Konklave einen „häretischen Papst“ wählen, der sich an den Massenmedien orientiert, statt „an den Heiligen Schriften, der Tradition und der Lehre der Kirche“. Sollte wider Erwarten tatsächlich ein orthodoxer Papst gewählt werden, wird er sich zumindest aufs Neue Testament (Judas 3) berufen können: „Setzt euch entschlossen für den Glauben ein, wie er denen, die zu Gott gehören, ein für alle Mal überliefert ist“.
Conclusio
Unruhe. Papst Franziskus hat ein schweres Erbe hinterlassen. Er hatte große Hoffnungen geweckt, am Ende aber Liberale und Konservative gleichermaßen enttäuscht.
Autonomie. Die Kardinäle aller Richtungen müssen auf ihr Gewissen und ihre Urteilskraft vertrauen. Sie müssen ihre Unabhängigkeit bewahren, gegenüber der Politik und den Medien wie gegenüber den Seilschaften innerhalb der Kirche.
Brisanz. Es war noch nie so schwierig, einen Kompromiss zu finden, weil es um nichts weniger als um grundsätzlich gegensätzliche Auffassungen vom Wesen des Katholizismus geht.