Europa: Großmacht oder Schlachtfeld
Bereits 1965 veröffentlichte Otto von Habsburg das Buch „Europa, Großmacht oder Schlachtfeld“. Denn nur die eigenen Fähigkeiten können Europas Sicherheit gewährleisten.

Die mediale und politische Welt wird derzeit von den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA beherrscht. Viele der Spekulationen lassen jedoch außer Acht, dass der nächste US-Präsident mit bestimmten Tatsachen und Entwicklungen konfrontiert sein wird, die den individuellen Handlungsspielraum begrenzen. Dieser Umstand zeigt, dass es nicht so wichtig ist, wer der US-Präsident ist.
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Beschämend für Europa ist die aktuelle Diskussion darüber, was zu tun ist, wenn Donald Trump gewählt wird. Herr Trump hat bereits im Weißen Haus gesessen und war keine Gefahr für Europa. Im Gegenteil, er hat zu Recht – wenn auch nicht unbedingt diplomatisch – auf Bereiche hingewiesen, in denen Europa mehr Verantwortung übernehmen sollte, insbesondere in der Verteidigung.
Das war damals eine wichtige Forderung, die immer mehr an Bedeutung gewinnt. Russlands Krieg in der Ukraine dauert nun schon mehr als zwei Jahre an. Obwohl Kiew und der Westen, als Voraussetzung für ein Friedensabkommen, den Abzug aller russischen Truppen aus dem ukrainischen Hoheitsgebiet fordern, scheint es in letzter Zeit, dass Gespräche über einen möglichen Waffenstillstand mehr Beachtung finden. Eine Trump-Regierung würde sich vielleicht stärker für die Beendigung des Krieges einsetzen, aber auch eine Demokratin im Weißen Haus wird ähnliche Ziele verfolgen.
Glaubwürdige Abschreckung
Die Welt ist geopolitisch gefährlich. Neben den konventionellen Kriegsschauplätzen in Europa, im Nahen Osten und im Pazifik sind neue Gebiete wie der Weltraum und die Arktis hinzugekommen. Eine weitere entscheidende Frage ist die Zukunft Afrikas, Europas nächstem südlichen Nachbarn.
Die größte Sorge der USA wird in Zukunft der pazifische Raum und ihre Beziehungen zu China sein. Sowohl China als auch Russland führen wichtige militärische Aktivitäten nicht nur am Boden durch, wie etwa im Ostpazifik und in Europa, sondern auch an den angesprochenen neuen Schauplätzen.
Russlands Griff nach der Arktis
Europa muss erkennen, dass eine stärkere Beziehung zu Russland für den alten Kontinent unerlässlich ist. Russland ist für die USA ein Problem, sowohl als Verbündeter Chinas als auch wegen seiner Aktivitäten in der Arktis und im Weltraum. Ein Waffenstillstand entlang der derzeitigen Frontlinien in der Ukraine wird von Moskau als Erfolg gewertet. Weitere Forderungen des Kremls, die auf dieser Erfolgswahrnehmung beruhen, können nur durch eine glaubwürdige europäische militärische Abschreckung und durch politischen Willen verhindert werden.
Die törichten Worte, die jetzt in europäischen Hauptstädten zu hören sind – dass sich die Länder auf eine Trump-Präsidentschaft „vorbereiten“ müssen – sind unerträglich. Europa muss sich darauf vorbereiten, den Bedrohungen, denen der Kontinent ausgesetzt ist, glaubwürdig zu begegnen, unabhängig von den USA. Natürlich ist eine Zusammenarbeit mit den USA weiterhin wichtig.
Auf dem jüngsten NATO-Gipfel in Washington bestand die Hoffnung, dass mehr für die Verteidigung getan würde; es wurden Erklärungen abgegeben und Versprechungen gemacht. Es bleibt noch viel zu tun. Aber wird das auch wirklich geschehen? Einige Länder, wie z. B. Polen, haben bereits die notwendigen Schritte unternommen. Doch die erste klare Enttäuschung ist Deutschland, wo Bundeskanzler Olaf Scholz vor zwei Jahren die Zeitenwende hin zu mehr militärischen Anstrengungen verkündete. Seitdem ist jedoch nicht viel geschehen, und der deutsche Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr lässt keine nennenswerten Fortschritte erkennen.
Europa steht vor einer Wahl
Abgesehen von den neuen potenziellen Schlachtfeldern liegen die größten Risiken und Chancen für den alten Kontinent in Russland im Osten und in Afrika und dem Nahen Osten im Süden. Bessere Beziehungen an diesen Grenzen wären wichtig für die Sicherheit und den Wohlstand Europas. Internationale Beziehungen hängen leider nicht nur von Zuckerbrot ab, sondern müssen im Falle von Bedrohungen auch mit der Peitsche verteidigt werden. Die einzige wirksame Peitsche ist eine wirksame militärische Abschreckung. Diplomatische Maßnahmen und Wirtschaftssanktionen, die in der Außenpolitik der europäischen Länder so beliebt sind, reichen nicht aus.
Es ist grotesk, dass mehr als 500 Millionen Europäer (einschließlich des Vereinigten Königreichs) 340 Millionen Amerikaner brauchen, um sich gegen 145 Millionen Russen zu verteidigen.
Der Kontinent braucht die Zusammenarbeit einer Reihe wichtiger Länder in Verteidigungsfragen, einschließlich Beschaffung, Planung und Ausbildung. Dies müsste entweder innerhalb der NATO oder in enger Zusammenarbeit mit dem Bündnis geschehen. Angesichts der ineffektiven, technokratischen Erfolgsbilanz der Europäischen Kommission in diesem Bereich, ist es sehr zweifelhaft, dass sie die richtige Institution ist, um eine glaubwürdige Verteidigung aufzubauen. Auch europäische Länder außerhalb der Union wie Norwegen und Großbritannien sowie die Türkei sind in diesem Bereich wichtige Partner.
Die Lektion aus dem Ukraine-Krieg sollte sein, dass Europa die Wahl hat, entweder eine glaubwürdige Verteidigung aufrechtzuerhalten oder ein Schlachtfeld für verschiedene Aggressoren zu werden. Es ist grotesk, dass mehr als 500 Millionen Europäer (einschließlich des Vereinigten Königreichs) 340 Millionen Amerikaner brauchen, um sich gegen 145 Millionen Russen zu verteidigen.