Feministisch – ein Wort wird ein Stigma

Feministische Außenpolitik wird hämisch als Quotenpolitik missinterpretiert – und abgeschafft. Beispiel Schweden. Dass dies möglich ist, liegt auch am Etikett feministisch.

Foto einer Gruppe von Männern in Anzügen und einer Frau, die am Rand steht und ein weißes Kleid trägt. Ein Mann hat der Männergruppe den Rücken zugekehrt und spricht mit der Frau. Diese ist die Premierministerin von Estland, Kaja Kallas. Das Bild ist Teil eines Beitrags über feministische Außenpolitik.
Vor dem Gipfeltreffen der NATO-Mitgliedsstaaten im Juni 2022 in Madrid. Die Premierministerin Estlands, Kaja Kallas im Gespräch mit Justin Trudeau, Premierminister von Kanada. © Getty Images

Erstmals stieß ich auf den Begriff vor rund zehn Jahren, als ich ein Lehrbuch über Internationale Beziehungen zur Hand nahm. Das Thema war im rund 500 Seiten starken Buch auf drei Seiten abgehandelt; damit hatte es sich. Ausdauer haben seine Vertreterinnen jedenfalls bewiesen, denn heute ist der Begriff in aller Munde: die feministische Außenpolitik. Um nicht ganz so militant zu wirken, spricht man offiziell jedoch lieber von der „FAP“, oder noch besser von der „FFP“, der „feminist foreign policy“. 

Mehr Sprachpolitik

Ist das eine Kampfansage? Und mit ihr die Wokeness definitiv in der hohen Politik angekommen? Oder vertritt die FAP ganz einfach legitime Anliegen, die bisher – aus ihrer Perspektive – zu wenig Beachtung fanden? 

Mir ist zugegebenermaßen der Begriff weniger sympathisch als das Konzept – obwohl ich keine Sekunde zögere, mich selbst als Feministin zu bezeichnen. Einen Politikbereich mit diesem Etikett zu versehen fällt mir schwer. Konsequenterweise müssten wir dann auch von einer feministischen Bildungs-, Energie-, Verkehrs-, Gesundheitspolitik etc. sprechen.

Das aber wäre nichts anderes als die Explizierung des vielerorts bereits praktizierten Konzepts des „Gender Mainstreaming“: des Grundsatzes, jede Politik auf ihren Gender-Aspekt zu prüfen. Dasselbe ist in der Außenpolitik möglich, ohne sie als feministisch bezeichnen zu müssen.

Mir ist der Begriff feministische Außenpolitik weniger sympathisch als das Konzept.

Vielleicht wäre der Sache mehr gedient, wenn sie diese Bezeichnung nicht trüge. Zum einen sähe sich nicht jeder nachfolgende männliche Außenminister gedrängt, das Konzept samt Vorhaben zu versenken – wie jüngst in Schweden geschehen. Zum andern, weil sich die FFP zwar für die Rechte von Frauen und Mädchen einsetzt, sich aber dennoch als „Außenpolitik für alle“ versteht. 

Außenpolitik für alle

Gerade in einer Zeit, in der sich die Grand Old Lady des Feminismus, Alice Schwarzer, nicht dazu durchringen kann, sich von einem der größten und schlimmsten Machos der Gegenwart – Putin – zu distanzieren, wäre ein präziser kritischer Umgang mit dem Begriff notwendig. Er kann tatsächlich – worüber sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wundert – „triggern“, und zwar nicht nur alte weiße Männer. Denn längst geht es unter dem Stichwort des Feminismus (leider!) nicht mehr nur um die Gleichberechtigung von Frauen, sondern um alle möglichen berechtigten, aber teilweise eben auch erklärungsbedürftigen Anliegen und Vorstellungen von „Aktivist*innen“, die sich als Minderheit mit Sonderrechten verstanden haben wollen.

Abgesehen vom Begriff aber kann ich jedes Wort unterschreiben, mit dem Baerbock im September des Vorjahres ihr Konzept erklärte: Es geht um Rechte, Repräsentanz und Ressourcen, und es geht um die menschliche Sicherheit. Jede ihrer Überlegungen überzeugt, jedes ihrer Beispiele leuchtet ein. So brauchte es Strategie und Mut, den Taliban weitere humanitäre Hilfe zu verweigern, wenn sie Frauen nicht mehr im Gesundheitswesen arbeiten lassen. Das Resultat: Sie willigten ein, Frauen wieder zuzulassen. 

Eine andere Begebenheit: Wäre es einem erfahrenen Architekten ohne Konsultation der Bewohnerinnen eines Dorfs, das von Boko Haram heimgesucht wurde und wiederaufgebaut werden soll, eingefallen, um jedes Haus hohe Mauern zu errichten? Eher nicht. 

Feministisch, aber religionsblind?

Dennoch scheint auch ein klares Bekenntnis zur FFP nicht vor Fehlurteilen zu schützen, selbst wenn es Frauen betrifft. Wie beispielsweise sollte die damalige Aussage der deutschen Außenministerin verstanden werden, wonach die Gewalt gegen iranische Frauen nichts mit Religion zu tun habe? Sollte die Gewalt beendet werden können, ohne das Mullah-Regime in die Wüste zu schicken? Könnte man sich einen islamischen Staat vorstellen, in dem Frauen gleichberechtigt sind? Beides ist angesichts der Tatsache, dass der Islam die Trennung von Kirche und Staat strikt von sich weist, undenkbar. 

Gerade wenn es Baerbock in ihrem Konzept der FFP explizit darum geht, unbequeme Fragen zu stellen und so lange zu bohren, bis eine befriedigende Antwort gefunden ist, wäre es an der Zeit, sich mit dieser Beharrlichkeit auch dem Islam – und zwar nicht nur im Iran und in anderen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas, sondern vor allem auch in Europa – zu widmen. Es ermöglichte die dringend notwendige Einsicht, dass mit ihm ein Patriarchat importiert wird, das eine der Gleichberechtigung verpflichtete Demokratie nicht akzeptieren kann – auch nicht unter dem Titel einer „anderen Kultur“. Nach allem, was Baerbock bereits geleistet hat, traue ich ihr diesen Sinneswandel zu.

Feministische Symbolpolitik

Als Schweizerin hingegen frage ich mich: Hätte eine feministische Außenpolitik, wenn sie denn von Bern postuliert würde, verhindern können, dass sich unsere Botschafterin in schwarzem Tschador an einem schiitischen Wallfahrtsort ablichten lässt? Ich hoffe es!

Eine FFP müsste diplomatische Routinen auf ihre mögliche Symbolkraft überprüfen und entscheiden, was in bestimmten Ländern und spezifischen Situationen richtig ist und was falsch. Die offizielle Begründung, es handle sich bei diesem Ort um eine akademische Institution, die sich dem interreligiösen Dialog widme, unterstreicht die schweizerische Einfalt nur noch einmal.

Annalena Baerbock blickt in weißem Blazer nach oben. Das Bild zeigt die deutsche Außenministerin in einem Beitrag über feministische Außenpolitik.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Tiflis, Georgien, im März 2023. Bei den Gesprächen ging es um den Ukraine-Krieg und den Beitritt Georgiens zur Europäischen Union. © Getty Images

Nicht nur Deutschland verschreibt sich der FFP. Und nicht nur Baerbock tritt seit Beginn des russischen Kriegs unmissverständlich für die militärische Verteidigung der Ukraine ein. Auch Kaja Kallas, Premierministerin Estlands, stellte umgehend klar, dass man gegenüber dem russischen Diktator keine Schwäche zeigen darf. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin wiederum führte ihr Land entschlossen in die NATO. 

Kritiker – wohl nicht zufällig männliche – machen es sich also zu einfach, wenn sie Pazifismus und das Negieren der Staatsräson in die FFP hineinlesen, sie auf eine Quotenpolitik ohne Qualitätsansprüche oder gar auf „Rock“ und „Hormone“ reduzieren. Ihre Häme zeugt eher von Beleidigtsein denn von sachlicher Analyse – möglicherweise sogar von der Angst davor, dass Frauen Außenpolitik auch können, und zwar richtig, aber eben auch ein bisschen anders.

Bleibt die Frage, ob Frauen überhaupt anders Politik betreiben können – ja, ob sie das wirklich sollen. Aber dazu mehr beim nächsten Mal.

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