Frauen werden unsichtbar

Doppelpunkt und Gendersternchen wollen Achtsamkeitszeichen sein. Doch dahinter verbirgt sich der  Wunsch, über den weiblichen Körper verfügen zu können.

Illustration zum Thema Gendern: eine Lawine aus Sternchen droht eine weglaufende Frau zu überdecken.
Werden Frauen durch das Gendern auf ein sprachliches Anhängsel reduziert? © Team Rottensteiner Red Bull
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Auf den Punkt gebracht

  • Frauenfeindlichkeit. Die transaktivistische Sprache reduziert Menschen auf ihren Leib und strotzt vor frauenverachtendem Vokabular. Das ist Misogynie.
  • Pose. Gendern ist kaum mehr als eine komfortable Geste, um das eigene „fortschrittliche“ Weltbild zu signalisieren und andere gängeln zu können.
  • Sprachmagie. Die Vorstellung, man könne die Lebensbedingungen von Menschen durch die Regulierung der Sprache verbessern, ist surreal.
  • Ersatzhandlung. Der Fokus auf die Einhaltung sprachlicher Codes verstellt den Blick auf die tatsächlichen Defizite in der Gleichberechtigung der Geschlechter.

Alles, was man über das Verb „gendern“ wissen muss, steckt bereits in diesem Wort selbst: Ein Begriff, der im Deutschen überhaupt nicht existiert, wird verwendet, um die deutsche Sprache umzukrempeln – inspiriert von fragwürdigen gesellschaftspolitischen Vorstellungen, motorisiert von fundamentaler Unkenntnis in Linguistik, begleitet von der Lust am Zurechtweisen anderer und gekrönt von der Aura des Erhabenen. 

Weil es sich hierbei keineswegs um eine Macke kleiner Kreise oder um einen bloßen Trend im Kulturbetrieb handelt, sondern um Regelungen, die mittlerweile Eingang in den staatlichen Sprachgebrauch gefunden haben, ist auch die Auseinandersetzung hierum längst keine Petitesse mehr. Sie betrifft Universitäten und andere Bildungseinrichtungen, Politik und Verwaltung, den Kulturbetrieb und die sich aufgeschlossen wähnenden gesellschaftlichen Areale ohnehin.

In den 2000er-Jahren tauchte in manchen akademischen Kreisen plötzlich der Unterstrich auf. Er sollte bereits eingeführte, angeblich aber immer noch geschlechtlich zu eindeutige Pluralformen wie „AutorInnen“ aufbrechen, um innerhalb eines Wortes Raum zu schaffen für Vielfalt, die über das Bekannte hinausweisen sollte. 

Der Ursprung der Idee

Diese Idee geht auf einen Artikel zurück, den der von Judith Butler inspirierte Philosoph Steffen Kitty Herrmann, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FernUni Hagen, 2003 in der linksradikalen Berliner Zeitschrift „arranca!“veröffentlicht hatte. Dass der Weg von diesem Publikationsort zu einer Regierungsangelegenheit führen sollte, gehört bereits zum abenteuerlichen Stoff dieser Saga des Sprachverfalls. 

Gendern stand von Anfang an unter dem Banner ideologiegetränkter Frauenfeindlichkeit, die sich
als Achtsamkeit tarnt.

Das „Gendern“ stand von Anfang an unter dem Banner ideologiegetränkter Frauenfeindlichkeit, die sich als Achtsamkeit tarnt. Denn während das Binnen-I, das Feministinnen einst dem generischen Maskulinum anhängten („BürgerInnen“), um damit auf den realen Ausschluss von Frauen hinzuweisen, machte der Unterstrich gerade das weibliche Anhängsel zum Politikum. 

Vom Unterstrich zum Doppelpunkt

Anstatt den Einsatz dieses Sonderzeichens als das zu attackieren, was er ist – die Degradierung von Menschen auf eine Lücke („gender gap“), die sie repräsentieren soll –, begann reihum der Applaus für die vermeintliche Neuerung im Dienste sozialer Gerechtigkeit. Daraus erwuchs der aktuelle Gebrauch des bizarren Verbs „gendern“. Mittlerweile ist offensichtlich, dass es sich hierbei um Bekenntniszwang und forcierte Variation in einem handelt, denn was in der Regel vornehm als „Vorschlag“ offeriert wird, läuft auf langfristige Kontrollversuche hinaus. Bekannt geworden ist etwa der Fall des Studenten Lukas Honemann, dem an der Universität Kassel Punkte in einer Hausarbeit abgezogen wurden, weil er sich geweigert hatte, die angeblich „geschlechtergerechte Sprache“ zu verwenden. 

Dabei verrät sich deren wahre Absicht bereits an den Veränderungen der letzten Jahre. Schon der schnelle Wechsel vom Unterstrich, dessen Lücke dem geschlechtlich Ungedachten im gedruckten wie im gesprochenen Wort einen Ort in der Welt sichern sollte, zum „Gendersternchen“, dessen Name an Astrologie gemahnt, bis hin zum Doppelpunkt, der sich mittlerweile durchgesetzt hat und als dezentere Variante „gendersensiblen“ Schreibens und Sprechens gilt, gibt zu denken. Es wird nicht bei diesen Variationen bleiben, und weitere Abwandlungen werden immer neue Konkurrenz um das moralisch richtige Schreiben und Sprechen hervorbringen.

Abweichler Ungarn und Türkei

Die Macht, die einem Wort dabei zugeschrieben wird, basiert nicht nur auf Übertreibungen, sondern auf grandioser Überschätzung der Wirkung, die das Sprechen als solches hat. Die ungarische und die türkische Sprache kennen keine geschlechtsspezifischen Markierungen; beide Länder müssten eigentlich für freiere und sensiblere Gesellschaften prädestiniert sein. Bekanntlich ist gerade das nicht der Fall.

Ohnehin ist der Wunsch, etwas durch Auslassungen „sichtbar“ machen zu wollen, ein Trugschluss, der aus sprachwissenschaftlicher Unkenntnis resultiert. Helga Kotthoff und Damaris Nübling, Deutschlands wichtigste Linguistinnen, haben nachgewiesen, dass das gezwungene Reden mit Sprechpause – wie etwa bei „Gärtner_in“ oder „Pendler*innen“ – beim Gegenüber keineswegs dazu führt, sich plötzlich ein Individuum in dieser Tätigkeit vorzustellen, das weder Mann noch Frau ist. 

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Zahlen & Fakten

Es ist eine Zumutung, sich von einem Hokuspokus, der den irrlichternden Namen „Gendersternchen“ trägt – mehr Infantilisierung geht nicht –, Suggestionen einflößen zu lassen wie jene, dass die in alle Himmelsrichtungen weisenden Strahlen im Tastatur-Symbol „*“ eine Metapher für das gesamte geschlechtliche Spektrum seien. 

Frauenfeindlichkeit

Der Grund für den Erfolg dieser Entwicklung ist denkbar simpel. „Gendern“ kostet nichts, man kann sich erhaben fühlen und anderen ganz nebenbei, dafür aber penetrant signalisieren, einen sozialen Entwicklungsschritt weiter zu sein und alles richtig zu machen.

Allerdings ist die Diskussion um den frauenverachtenden Charakter dieser Idee etwas in Gang gekommen, seit bekannt ist, welche Ausdrücke es im transaktivistischen Milieu gibt. Vagina heißt in diesen Kreisen beispielsweise „Frontloch“. Das soll geschlechtlich vereindeutigende Begriffe vermeiden, entmenschlicht Frauen aber schlichtweg. Deshalb ist es auch nur scheinbar ein Paradoxon, dass ausgerechnet jene, die das „Gendern“ für einen Akt der Demokratisierung und des gegenseitigen Zugewandtseins halten, Frauen in Wort und Tat auf jahrtausendealte Männerfantasien reduzieren. 

In ihrer kürzlich erschienenen gendertheoretischen Monografie zum Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland machen Annette und Waldemar Vanagas den Vorschlag, wie die globale Unterdrückung von Frauen zukünftig „gendersensibel“ umschrieben werden könne: „Menstruierende, schwangere, gebärende Körper werden gesellschaftlich unterdrückt.“ Hierbei handle es sich um eine Formulierung, an die „geschlechterbinäre wie geschlechterplurale Deutungsmuster zu gleichen Teilen anschließen könnten“, schreiben die beiden. Diese feinfühlig daherkommende Degradierung von Menschen auf ihren Leib ist bestens bekannt. Sie heißt Misogynie – und sie führt bruchlos fort, was das Patriarchat vor den hart erkämpften Errungenschaften der Frauenbewegung hemmungslos ausleben konnte: über den weiblichen Körper zu verfügen.

Männer außen vor 

Der einzige Unterschied zu den historischen Varianten der Frauenverachtung ist, dass es heute Autorinnen sind, die in diesem Ungeist universitär ausgebildet werden, um sodann die Arbeit der männlichen Herrschaft zu verrichten. An deren Komfort gedenkt das „Gendern“ selbstredend nichts zu ändern: Reihum werden nicht etwa Männer-, sondern Frauentoiletten zu Unisex-Klos umfunktioniert; Vergewaltiger, die sich „als Frauen identifizieren“, wie es im nunmehrigen Amtsdeutsch heißt, werden in Frauengefängnissen einquartiert, wo ihnen plötzlich „menstruierende, schwangere, gebärende Körper“ zur Verfügung stehen; einige Frauensportarten sind durch die Zulassung von Trans-Athletinnen zur Farce geworden.

Es geht um einen politischen Code, der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Weltbild signalisieren soll.

Es geht also keineswegs darum, dass Sprache immer im Fluss sei und sich die aktuellen Veränderungen bloß in etwas fügten, dessen einzige Konstante die Veränderung ist, wie die Anhängerschaft des „Genderns“ beharrlich behauptet. Die Vorstellungen hinter diesem Konzept sind bestens bekannt: Es geht um einen politischen Code, der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Weltbild signalisieren soll. Und es geht um den Wunsch, die Gesellschaft nach eigenem Gusto umzustrukturieren.

Islamist*innen-Vormarsch

Wäre es anders, würden nicht überall gut sichtbare Hinweise platziert, die in Deutsch auf Hilfsschulniveau erläutern, worum es geht, um anschließend entsprechend vorzuturnen: „Gendern bedeutet vor allem, so zu sprechen oder zu schreiben, dass alle Geschlechter gleichberechtigt nebeneinander vorkommen und sichtbar werden“, erklärt etwa der Ankündigungstext einer Sendung zum Thema auf ARD Alpha, dem Bildungskanal des öffentlich-rechtlichen Senders. 

Hin und wieder kommt es bei solchen Bemühungen zu besonders hanebüchenen Ergebnissen. Unvergesslich ist etwa die „Tagessschau“-Meldung vom Frühling 2021, die über angebliche „Kommandeurinnen und Kommandeure“ der Terrororganisation Hamas berichtete. Das ZDF überbot dies noch, als es nach dem neuerlichen Triumph der Taliban verkündete: „Die Islamist*innen ziehen in immer mehr afghanische Städte ein.“

Es gab eine Zeit, in der die politische Linke auf komplexe Sachverhalte absolut unbequeme Antworten zu geben wusste, weil sie – mit Hannah Arendt gesprochen – in der Lage war, ohne Geländer zu denken. Wer sich auch nur peripher mit Periodika der 1970er-Jahre beschäftigt hat – ob mit dem „Kursbuch“, dem „Neuen Forvm“ oder mit der „Schwarzen Botin“ –, erkennt diesen Verfall sofort. 

Das Elend der Gefühlslinken

Nichts versinnbildlicht den Niedergang des Abstraktionsvermögens mehr als die Rubrik „Hä, was heißt denn …?“ im genderfeministischen „Missy Magazine“, das seinen erwachsenen Leserinnen in steter Regelmäßigkeit Begriffe näherbringt, die das „Gendern“ umschwirren, darunter etwa „be_hindert“, „Intersektionalität“ oder die unvermeidlichen „Privilegien“. 

Es handelt sich um betreutes Denken, das die Aufstellung immer neuer Denk-Geländer für wichtig hält und dieses mentale Verbarrikadieren auch noch als Fortschritt verkauft. Das ganze Elend der sprachsensiblen Gefühlslinken von heute wird erst dann begreiflich, wenn man sich vor Augen hält, dass in der Arbeiterbewegung einst Marx-Lesekreise üblich waren, deren Teilnehmer selbst nach größter körperlicher Plackerei Bereitschaft zeigten, die kompliziertesten Theorien nachzuvollziehen. Heute meinen die Zöglinge des westlichen Wohlstands, die im höchsten Komfort leben, den es je auf Erden gab, dass Abstraktion und Sprache per se „gewaltsam“ seien. 

Im „Gendern“ manifestiert sich der Unwille, in jene gesellschaftlichen Areale vorzustoßen, wo Armut und Ausbeutung, Gewalt und Ungerechtigkeit bis heute an der Tagesordnung sind. Das ist der banale Grund, warum sich dieses Denken solcher Popularität erfreut: Es ist wenig mehr als eine komfortable Geste. Deshalb versuchen deren Anhänger auch, jeden Einwand als politisch dubios darzustellen. Tatsächlich wehren sich die Leute nur dagegen, dass ihnen von oben herab signalisiert wird, ihre Ausdrucksweise sei unpassend.

Wenn „Gendern“ das gesellschaftlich Verdrängte sichtbar machen soll, ist es besonders aufschlussreich, was durch diese Praxis weiterhin unsichtbar bleibt. 

So offenbart sich an diesen Sprachspielen lediglich die Versöhnung mit den Verhältnissen. Menschen wird eingebläut, dass ein zwischen Wortstamm und Wortendung platzierter Unterstrich, Stern oder Doppelpunkt gleich demokratisch und wichtig sei wie das Wahlgeheimnis, die Reisefreiheit oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit. 

Unsichtbare Schieflagen

Währenddessen kann man in Großstädten wie Berlin alten Frauen und Männern zusehen, wie sie in der Hoffnung auf ein paar Cent den Müll nach Pfandflaschen durchwühlen, weil ihre mickrige Rente zum Leben nicht ausreicht, obwohl sie fünfzig Jahre lang dafür geschuftet haben. Wenn „Gendern“ also das gesellschaftlich Verdrängte sichtbar machen soll, ist es besonders aufschlussreich, was durch diese Praxis weiterhin unsichtbar bleibt. 

Folgte man dem sprachmagischen Weltbild, müssten sich „die Ausgebeuteten“ und „die Armen“ nämlich glücklich schätzen, denn diese Bezeichnungen sind bereits geschlechtsneutral, weswegen die Gemeinten offenkundig auch keine weitere Aufmerksamkeit verdient haben. Der gesellschaftliche Erfolg dieses Denkens hat eben System – und einen sozialen Preis.

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Conclusio

Die Idee, Menschen mit Genderstern oder Doppelpunkt sprachlich sichtbar zu machen, war von Anfang an frauenfeindlich: Frauen wurden zum sprachlichen Anhängsel gemacht. Zudem degradiert die transaktivistische Sprache den Menschen auf dessen Körper. Heute zerstören universitär ausgebildete Autorinnen die Errungenschaften der Frauenbewegung, indem sie ideologisch, sprachlich und faktisch Räume öffnen, die bislang Frauen vorbehalten waren. Dabei beruht die Beliebtheit des Genderns vor allem auf zwei Faktoren. Es bietet eine einfache Möglichkeit, sich selbst moralisch über andere zu erheben und diese zu gängeln. Und vor allem: Es kostet nichts. Denn die sprachlichen Verrenkungen verbergen mehr, als sie sichtbar machen – nämlich die tatsächlichen Defizite in der Gleichberechtigung der Geschlechter.

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