3 Missverständnisse über die Glücksforschung
Glück ist zu einem zentralen Thema in unserer Gesellschaft geworden. Die Forschung hat dazu wichtige Ergebnisse geliefert, sie werden jedoch oft falsch interpretiert. Eine Richtigstellung.

Auf den Punkt gebracht
- Ranking. Laut Glückswissenschaft sind Menschen in skandinavischen Ländern und der Schweiz am zufriedensten mit ihrem Leben.
- Faktoren: Fünf Bereiche beeinflussen das Glück wesentlich: Einkommen, Bildung, Beziehungen, Gesundheit und politische Verhältnisse.
- Indikatoren. Bei der Interpretation von nationalen Glücksindikatoren ist Vorsicht geboten, sie können von der Politik verzerrt werden.
- Big picture. Glücksumfragen sollten im Zusammenhang mit weiteren Indikatoren wie Wohlstand und Lebensqualität betrachtet werden.
Glück hat in der heutigen Gesellschaft große Bedeutung erlangt. Über Glück gibt es hunderte populäre Bücher und viele wissenschaftliche Aufsätze. Für die Öffentlichkeit wurde ein „Tag des Glücks“ (der 20. März) verkündet, über den die Medien immer gerne berichten. Die Wissenschaft hat zum Phänomen des Glücks viele wichtige Erkenntnisse geliefert, was dessen große Beachtung erklärt.
Zugang der Glückswissenschaft
Die heutige Glückswissenschaft befasst sich nicht mit der Frage, was „Glück“ letztlich bedeutet. Sie überlässt diese Definition der Philosophie, die sich seit Jahrhunderten mit deren Begrifflichkeit auseinandersetzt. Die empirische Forschung fragt stattdessen direkt eine repräsentative Auswahl von Männern und Frauen, wie glücklich sie sich fühlen.
Konkret lautet die Frage: „Alles in allem genommen, wie zufrieden sind Sie mit dem Leben, das Sie führen?“ Mit dieser Frage wird deutlich, dass eine rein persönliche Antwort erwartet wird und ein allgemeiner, also nicht nur kurzfristiger Zustand gemeint ist. Antworten können auf einer Skala von null bis zehn gegeben werden. Wer null angibt (was äußerst selten vorkommt), ist mit dem eigenen Leben total unglücklich; wer zehn angibt, könnte nicht glücklicher sein.
Große nationale Unterschiede
Die Ergebnisse unterscheiden sich stark nach Ländern. Gemäß dem World Happiness Report des Jahres 2024 sind die Menschen in den skandinavischen Ländern, vor allem in Dänemark, aber auch in der Schweiz am zufriedensten mit ihrem Leben. Österreich, die USA, Deutschland, Frankreich und Italien liegen deutlich dahinter. Sie nehmen die Ränge 14, 23, 24, 27 und 41 ein. Vor allem der 41. Rang der Italiener dürfte manche überraschen, denn wenn man ihnen als Tourist begegnet, wirken die Italiener besonders glücklich. Offensichtlich ist das eine verzerrte Sicht. Ganz am Ende der Liste stehen der Libanon und Afghanistan (Ränge 142 und 143), zwei Länder, in denen bekanntlich Krieg und Repression herrschen.
Die empirische Glücksforschung hat sich intensiv mit den Bestimmungsgründen dieser Unterschiede zwischen Personen und damit auch Ländern befasst. Besonders wichtig sind fünf Faktoren:
- das Einkommen pro Kopf,
- die Ausbildung,
- das Ausmaß an zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Familie und mit Freunden,
- die psychische und physische Gesundheit sowie
- die politischen Verhältnisse, wobei eindeutig Menschen in Demokratien glücklicher sind als solche in autoritären oder diktatorischen Gesellschaften.
Im Folgenden befasse ich mich mit drei dominanten Fehlinterpretationen, die aus der Glückswissenschaft über die Lebenszufriedenheit resultieren.
Glück lässt sich nicht erzwingen
Das erste Missverständnis betrifft die Verwendung der wissenschaftlichen Ergebnisse zum Thema Glück. In vielen populären Zeitungsartikeln und Büchern wird den Leserinnen und Lesern geraten, sich aktiv zu bemühen, „glücklich zu sein“.
Diesen Fehlschluss hat schon vor Jahrtausenden der große Philosoph Aristoteles kritisiert. Es ist verfehlt, das Glück direkt erreichen zu wollen. Vielmehr sollte das verfügbare menschliche und materielle Potenzial so genützt werden, dass man zu einem „guten Leben“ gelangt. Wer diesen Zustand erreicht, wird mit dem Leben zufrieden sein. Es ist somit falsch, am Morgen mit dem Vorsatz aufzustehen, just an diesem Tag glücklich zu werden. Vielmehr können ein gutes Verhältnis zu den Mitmenschen, eine gute Bildung und ein gesundes Leben dazu beitragen.
Politiker machen nicht froh
Das zweite Missverständnis bei der Interpretation der Glücksforschung bezieht sich auf das Verhalten der Entscheidungsträger im politischen Prozess. Dabei wird gefordert, dass die Politiker und die Regierung das größtmögliche Glück für ihre Bevölkerung erreichen sollen. Das hört sich gut an, ist jedoch verfehlt.
Politiker haben ein Interesse, an der Macht zu bleiben und ihre ideologischen Anschauungen durchzusetzen, nicht jedoch, möglichst viele Menschen glücklich zu machen. Darüber hinaus haben sie einen starken Anreiz, die Glücksindikatoren zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Vor Wahlen manipulieren sie den gängigen Glücksindikator, sodass er eine Steigerung anzeigt und damit ihre politischen Maßnahmen rechtfertigt. Glücksindikatoren lassen sich recht einfach verändern, zum Beispiel, indem Ausreißer – etwa Personen, die ihre Lebenszufriedenheit mit „null“ angeben, was wenig wahrscheinlich ist – aus der Datenmenge entfernt werden. Und schon lässt sich nachweisen, dass die Gesellschaft unter der eigenen Regierung gut gefahren ist und deshalb wiedergewählt werden sollte.
Kein Reich des Glücks
Ein dritter Irrtum betrifft das Königreich Bhutan. Die Regierung dieses Landes hat schon vor längerem verkündet, sie verfolge als Ziel vor allem das Glück ihrer Bürger und nicht wie andere Staatschefs ein möglichst hohes Pro-Kopf-Einkommen. Sie propagiert diese Politik höchst erfolgreich, unter anderem in der Vollversammlung der Vereinten Nationen.
Wenig überraschend können sich fast alle Länder mit diesem Ziel identifizieren. Zu verkünden, dass man das Glück der Menschen im Sinn habe, klingt gut und kostet nichts. Denn im Prinzip kann jede politische Maßnahme als glücksbringend interpretiert werden. Im World Happiness Report des Jahres 2017 liegt Bhutan jedoch weit hinten, auf Rang 97. In neueren Ranglisten scheint das Land gar nicht mehr auf. Gründe dafür sind sicher die schlechte wirtschaftliche Entwicklung, die ungleiche Einkommensverteilung und die fehlenden demokratischen Prozesse.
Ursache und Wirkung
Die genannten Glücksindizes sind sicherlich nicht perfekt, sondern weisen verschiedene Schwächen auf: Die kontaktierten Auskunftspersonen können die Frage nach der allgemeinen Zufriedenheit in ihrem Leben unterschiedlich verstehen und beantworten. Die Bestimmungsgründe des Glücks lassen sich überdies nicht einfach ermitteln, weil möglicherweise doppelte Kausalitäten bestehen. Zum Beispiel erweisen sich Personen, die gesünder als andere sind, zugleich als glücklicher, aber umgekehrt sind glückliche Menschen auch gesünder. Wer ein höheres Einkommen bezieht, ist glücklicher, aber glückliche Menschen sind auch wirtschaftlich erfolgreicher. Die relative Bedeutung der verschiedenen Einflüsse richtig abzuschätzen, ist nicht einfach.
Neben der Befragung gibt es sinnvolle Alternativen, die berücksichtigt werden sollten. Dazu gehören vor allem soziale Indikatoren wie die Lebenserwartung, die Zahl der Morde und Selbstmorde, der Zustand der natürlichen Umwelt, die verfügbaren Menschenrechte oder auch die medizinische Versorgung. All das lässt sich objektiv erfassen, aber es bleibt offen, welche Bedeutung die einzelnen Faktoren haben. Je nach Gewicht eines dieser Faktoren verändert sich das Aggregat stark.
Breiter Wohlstand
Eine andere Möglichkeit, dem Glück auf die Spur zu kommen, sind wirtschaftliche Daten wie das Sozialprodukt pro Kopf und die Verteilungsgerechtigkeit, die Arbeitslosigkeit oder die Inflation. Sie beeinflussen die Zufriedenheit der Bürger maßgeblich, wie sich immer wieder bei Aufständen und Demonstrationen in wirtschaftlich schwachen Ländern zeigt. Glück ist also, wie man sieht, ein komplexes Gefühl, das nur ganzheitlich zu erfassen ist. In diesem Rahmen bietet die Glücksforschung einen großen Erkenntnisgewinn.
Conclusio
Glücksfaktoren. Die moderne Glücksforschung untersucht Lebenszufriedenheit durch Umfragen und hat festgestellt, dass Faktoren wie Einkommen, Bildung, zwischenmenschliche Beziehungen, Gesundheit und politische Freiheiten wesentlich zum Glück beitragen.
Missverständnisse. Glück lässt sich nicht erzwingen, Politiker sind nicht primär daran interessiert, Menschen glücklich zu machen, und politische Bekundungen über Glück (wie im Fall Bhutans) bedeuten nicht automatisch tatsächliches Wohlergehen.
Gutes Leben. Glück ist kein Ziel, das man direkt anstreben kann, sondern das Ergebnis eines ganzheitlichen Lebensansatzes, der persönliche Entwicklung, soziale Beziehungen, Gesundheit und gesellschaftliche Rahmenbedingungen umfasst.
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