Hayek und die Anmaßung von Wissen
Die Politik hätte von der Wissenschaft gern klare Antworten. Doch Wissenschaft kann sich der Wahrheit nie gewiss sein. Eine zu enge Verbindung von Politik und Wissenschaft birgt Gefahren.
Nichts ist gefährlicher als die Gleichzeitigkeit von Ignoranz oder Fehlurteilen und einer Anmaßung von Wissen, vor der Hayek gewarnt hat. Am schlimmsten ist das bei Wissenschaftlern, deren Aufgabe der Erkenntnisfortschritt ist, die dafür auch noch bezahlt werden. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Anmaßung von Wissen sind die Klimawissenschaftler während des kalten Krieges. Einige von ihnen erwarteten bald eine neue Eiszeit. Sie schlugen deshalb vor, dass die beiden nuklearen Supermächte gemeinsam die Pole bombardieren sollten, damit die Pole teilweise schmelzen und eine neue Eiszeit verzögert oder verhindert wird. Statt einer Weltregierung oder eines Mächtekonzerts herrschte aber die Rivalität der Supermächte.
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In der Annahme, dass die heutigen Klimawissenschaftler gescheiter als ihre damaligen Kollegen sind, können wir froh sein, dass die Klimawissenschaftler damals mit ihren Ideen kein Gehör fanden. Obwohl naturwissenschaftliche Erkenntnisse in der Regel besser fundiert sind als sozialwissenschaftliche, könnten die Klimawissenschaften noch zu den relativ unsicheren Wissenschaften mit besonderer Anfälligkeit für Anmaßung von Wissen gehören.
Nach Popper ist Gewissheit über den Besitz der Wahrheit für Menschen nicht erreichbar. Was wir tun können, ist uns unserer Irrtumsanfälligkeit bewusst zu bleiben, unsere Theorien falsifizierbar zu formulieren, möglichst gründlich zu testen und immer wieder kritisch zu hinterfragen. Unglücklicherweise verlangen die Politiker von der Wissenschaft klare und eindeutige, möglichst auch einvernehmliche statt kontroverser Antworten auf Fragen. Letzten Endes suchen sie Legitimation für ihre Entscheidungen. Deshalb ist eine allzu enge Zusammenarbeit von Politikern und Wissenschaftlern, wie beim Weltklimarat, eine Gefahr für die Integrität der Wissenschaft.
Eine Frage der nationalen Sicherheit
Die nationale Sicherheit ist ein anderes Gebiet, wo die Anmaßung von Wissen gleichzeitig häufig und gefährlich ist. Dort muss man sowohl die militärischen Fähigkeiten als auch die Absichten des Gegners beurteilen. Man kann den Krieg in der Ukraine als Beispiel nehmen. Putin und seine Berater haben die lang anhaltende Widerstandsfähigkeit der Ukraine sicher unterschätzt. Schlimmer noch, die meisten westlichen Beobachter haben das auch getan. Bisher haben der Krieg und die damit verbundenen Fehleinschätzungen ungefähr eine halbe Million Menschenleben ruiniert.
Noch schwieriger wird es bei der Beurteilung von Absichten. Wer weiß schon, was und wie Putin denkt? Im Westen wird oft argumentiert, dass wir die Ukraine aufrüsten und unterstützen müssen, damit Putin nicht bald die baltischen Staaten oder Polen bedroht. Das kann sein. Es kann aber auch sein, dass Putin in Anbetracht der russischen Opfer im Krieg und der Unfähigkeit der Russen, das grenznahe Charkiw einzunehmen, die zweitgrößte Stadt des Landes, die in der Vergangenheit mal Verwaltungssitz für das ganze Land war, zu dem Schluss kommt, künftig Kriege zu vermeiden.
Jede dieser beiden Unterstellungen muss unsicher bleiben. Allerdings müssen westliche Politiker bei der Entscheidung, der Ukraine Waffen zu liefern oder auch nicht, implizit die eine oder die andere Einschätzung unterstellen.
Zentralplanung weist den Weg ins Elend
Im wirtschaftlichen Bereich sind wir etwas besser dran als bei Fragen der nationalen Sicherheit. Obwohl wir auch hier nicht Gewissheit über den Besitz der Wahrheit erreichen können, obwohl wir noch nicht alles darüber wissen, wie sichere Eigentumsrechte und wirtschaftliche Freiheit Wohlstand und Wachstum fördern, haben wir doch einige nützliche Erkenntnisse.
Tatkräftige Versuche Zentralplanung durchzusetzen, endeten immer als Tragödie.
Von Adam Smith können wir lernen, dass die Hoffnung auf den Erwerb von Eigentum einen wesentlichen Anreiz zu harter Arbeit schafft. Ludwig von Mises hat hinzugefügt, dass der Privatbesitz von Produktionskapital – also Land, Fabriken und Unternehmen – entscheidend dafür ist, dass es zu Knappheitspreisen und einer rationalen Ressourcenallokation kommen kann. Friedrich August von Hayek verdanken wir die Einsicht, dass nur freie und dezentrale Entscheidungen die Nutzung des auf Millionen von Köpfen zerstreuten und nicht zentralisierbaren Wissens erlauben. Zusammen laufen diese Argumente darauf hinaus, dass Zentralplanung den Weg ins Elend weist.
Tatkräftige Versuche Zentralplanung durchzusetzen, endeten immer als Tragödie. Der schlimmste und konsequenteste Versuch war der „große Sprung nach Vorn“ unter Mao Zedong (auch Mao Tse-tung) mit mehr als 40 Millionen Hungertoten. In einem kleinen Land wie Kambodscha sind solche Zahlen undenkbar, aber unter den Roten Khmer sind vielleicht ein Viertel oder sogar ein Drittel der Bevölkerung umgekommen. Für die Sowjet-Union, einschließlich der Ukraine, wo bei der Kollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin rd. vier Millionen Bauern verhungerten, variieren die Schätzungen zwischen 20 und 60 Millionen Opfern. Zusammen überschreiten die Opfer des Kommunismus die Grenze von 100 Millionen.
Wenn man sich international vergleichende ökonometrische Studien ansieht, kommt man zu ähnlichen Ergebnissen. Wirtschaftliche Freiheit oder eine kapitalistische Wirtschaftsordnung korrelieren mit Wohlstand und tragen zum Wirtschaftswachstum bei. Besser noch: Die wirtschaftliche Freiheit in manchen Ländern nutzt nicht nur denen, die sie genießen, sondern auch jenen, denen ihre Regierung sie noch verwehrt.
Dass Hunderte von Millionen Chinesen im letzten halben Jahrhundert bitterer Armut entkommen sind, verdanken sie auch den Vorteilen der eigenen Rückständigkeit („advantages of backwardness“) gegenüber dem Westen, die ohne die wirtschaftliche Freiheit im Westen nicht existiert hätte. Denn die Chinesen konnten westliche Technologie übernehmen, unsere Betriebsorganisationen und Geschäftsmodelle imitieren und dann kaufkräftige Märkte im Westen bedienen. Nach meiner Ansicht ist das alles Evidenz zugunsten der Zweige der Ökonomik, die am kritischsten gegenüber Planung und Sozialismus sind, also der österreichischen und der Public Choice Schule.
Bevorzugte Instrumente der Industriepolitik sind Protektionismus und Subventionen.
Die kommunistische Zentralverwaltungswissenschaft ist der Extremfall der Anmaßung von Wissen. Schwächere Varianten derselben Anmaßung findet man bei der westlichen Industriepolitik, die ja auch viel Wissen bei den Regierenden und im bürokratischen Apparat unterstellt. Bevorzugte Instrumente der Industriepolitik sind Protektionismus und Subventionen.
Protektionismus erlaubt eine Importsubstitutionspolitik, die viele Länder für einen Entwicklungspfad genutzt haben, der die komparativen Kostenvorteile missachtet. Arme und volkreiche Länder verfügen über wenig Kapital und kaum über qualifizierte Arbeiter, die man für den Aufbau einer Schwerindustrie braucht. Dennoch haben viele Entwicklungsländer hier Prioritäten gesetzt.
Subventionen für begünstigte Unternehmen setzen voraus, dass der Staat die Marktchancen besser als die Unternehmer abschätzen kann. Das ist nicht plausibel. Warum sollen Politiker und Beamte, die bei Fehleinschätzungen die Kosten auf den Steuerzahler abwälzen können, das besser machen als Unternehmer, die die Folgen ihrer Entscheidungen persönlich tragen?
Je mächtiger ein Politiker oder Beamter ist, desto eher kann er sich dagegen wehren, seine Fehler zu korrigieren und einfach weiter machen. Private Unternehmen und Wettbewerb schützen eine kapitalistische Wirtschaft nicht davor, dass Fehler gemacht werden, aber Fehler von privaten Unternehmern sind leichter korrigierbar als staatliche Fehlentscheidungen. Subventionen und Protektionismus weiten die Staatsaufgaben aus und fördern die Bürokratisierung. Wie Mises in den 1940ser Jahren erkannte, bedeutet Bürokratisierung das Festhalten an Regeln und Prozeduren anstatt Innovation oder Kostendämpfung.
Probleme der Klimapolitik
Trotz der engen Verflechtung von Politik und Klimawissenschaft bleibt vorstellbar, dass die Mehrheit der Klimawissenschaftler damit recht hat, dass CO2-Emissionen, für die der Mensch verantwortlich ist, das Klima aufheizen. Wenn man das unterstellt, dann impliziert die Verbrennung fossiler Stoffe eine negative Externalität, was staatliche Eingriffe rechtfertigt. Wirtschaftlich am sinnvollsten wären entweder eine globale CO2-Steuer oder der weltweite Verkauf von und Handel mit Emissionszertifikaten. Falls einige Länder dabei nicht mitmachen, besteht die Gefahr der Produktionsverlagerung von schmutzigen Industrien aus umweltbewussten Ländern in solche, denen Umwelt und Klima egal sind.
Das grüne Bürokratiemonster
Natürlich kann man die Anreize zur Verlagerung schmutziger Industrien dadurch ausschalten, dass man Grenzausgleichszölle erhebt. Unglücklicherweise fördert das den Protektionismus und Verteilungskämpfe. Vielleicht führt es sogar zu einem bürokratischen Albtraum. Es ist kaum vorstellbar, dass sich reiche und arme Länder auf eine globale CO2-Steuer oder weltweite Emissionszertifikate einigen. Um die Chancen auf eine Einigung zu erhöhen, könnte man daran denken, zunächst nur die reichen Länder dafür heranzuziehen.
Aber zumindest die beiden größten Emittenten China und die USA müssten dabei sein. Selbst das arme Indien als volkreichstes Land der Welt mit viel und immer mehr Kohle-Verbrennung muss mitmachen. Schon vor der Wahl Trumps war eine Einigung zumindest der großen Emittenten unwahrscheinlich. Jetzt kann man das vergessen. Deshalb haben die Europäer, die sich mehr als andere um das Klima Sorgen machen, ein Problem.
Das Resultat der deutschen Klimapolitik sind besonders hohe Energiepreise, zunehmende Belastung der Wirtschaft durch Bürokratie und eine Krise der deutschen Industrie verbunden mit wenig Klimaschutz.
Weil der Anteil der EU an den weltweiten Emissionen unter 10 Prozent liegt und sinkt, reicht kollektives Handeln auf europäischer Ebene nicht aus. Noch weniger reicht es, wenn ein Land wie Deutschland, als dritt- oder viertgrößte Wirtschaftsmacht, versucht, im Alleingang zur Problemlösung beizutragen. Der deutsche Anteil an den globalen Emissionen war vor kurzem nur 1,8 Prozent.
Dennoch wollen die deutschen Politiker das Klima nicht nur durch Teilnahme am Zertifikate-Handel der EU schützen, der bisher allerdings nicht die ganze Breite der Wirtschaft abdeckt, sondern sie intervenieren darüber hinaus noch gern zusätzlich, etwa mit der vorrangigen Einspeisung von grünem Strom in die Netze zu für die Erzeuger günstigen Preisen, selbst dann wenn der Strom gerade nicht gebraucht wird, weil mal zu viel Sonne scheint oder Wind bläst.
Außerdem ist Deutschland unvernünftigerweise aus der Atomenergie vor der Kohle ausgestiegen, obwohl Kohle das Klima stark und Atomenergie es kaum belastet. Vor allem ist Atomenergie nicht so volatil wie Wind und Sonne. Das Resultat dieser Politik sind besonders hohe Energiepreise, zunehmende Belastung der Wirtschaft durch Bürokratie und eine Krise der deutschen Industrie verbunden mit wenig Klimaschutz. Trotz der schädlichen Auswirkungen glaubte die Regierung Scholz-Habeck bis zu ihrem Ende zu wissen, was nötig und machbar sei. Es ist zu befürchten, dass auch nach den kommenden Wahlen eine Regierung Merz mit grünem oder sozialdemokratischem Juniorpartner keine echte Wende einleitet.
Mit Kernkraft gegen den Klimawandel
Was getan werden sollte
Wenn man annimmt, dass von Menschen verursachte CO2-Emissionen für eine gefährliche Aufheizung der Atmosphäre verantwortlich sind, dann muss etwas getan werden. Obwohl globales kollektives Handeln wünschenswert bleibt – Trumps Rückkehr zur Macht und geopolitische Rivalitäten machen das unwahrscheinlich.
Man könnte auch die Hoffnung haben, dass die entwickelten Länder etwas tun, ohne auf Beiträge der armen Länder zu warten. Aber auch das ist unwahrscheinlich. Die bürokratisch-interventionistische Pionierrolle, der sich Deutschland verschrieben hat, ist schon als die weltweit dümmste Energiepolitik erkannt worden und schreckt eher von Maßnahmen zum Klimaschutz ab, als Vorbildwirkung zu entfalten.
Die einzige Hoffnung, die bleibt, ist der technologische Fortschritt. Der hat in den USA mit dem Fracking zum Ersatz der schmutzigen Kohle durch das etwas saubere Gas geführt. Mit der Atomenergie in Frankreich oder China hat auch anderswo ein Umstieg auf emissionsärmere Energiequellen begonnen. Weitere Erforschung der Kernenergie könnte nützlich sein. Weder von der „critical race theory“ noch von der Genderwissenschaft ist irgendetwas zu erhoffen. Technologischer Fortschritt braucht weder kollektives Handeln noch Planung. Unilaterale Entscheidungen reichen. Die Politik muss nur Forschungsgeld bereitstellen. Technologischer Fortschritt kann sogar von geopolitischer Rivalität begünstigt werden. Man überlasse es der Forschung, die günstigsten und saubersten Energiequellen zu finden.
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