Iran-Konflikt: Chance für die Türkei?
Donald Trump strebt rund um den Iran-Konflikt eine Neuordnung des Nahen Ostens an. Die Türkei soll hierbei Washington Hilfe leisten – auch als Gegengewicht zu Israel.

Auf den Punkt gebracht
- Initiative. Die Türkei will als Friedensvermittler im Iran-Konflikt fungieren, während sie gleichzeitig iranische Stellvertreter-Milizen im Irak bekämpft.
- Belohnung. Washington bietet Ankara lukrative Rüstungsaufträge und die Aussicht auf eine Rückkehr ins F-35-Programm.
- Atompoker. Erdoğan kündigte bereits 2019 an, dass die Türken ebenfalls Atomwaffen entwickeln könnten.
- Rivalität: Sowohl Israel als auch die Türkei sehen sich gegenseitig als große Bedrohung.
Nach scheinbar kurzer Bedenkzeit gab Präsident Donald Trump den Befehl, zum ersten Mal schwere bunkerbrechende Waffen gegen den Iran einzusetzen. Vielen Kommentatoren erscheinen die USA dadurch wie reine Handlanger Israels. Tatsächlich steckt dahinter ein komplexeres Kalkül:
Was sich in diesen Wochen im Nahen Osten abspielt, ist Ausdruck eines strategischen Umbruchs: Die Trump-Doktrin des sogenannten „Offshore Balancing“ gewährt regionalen Akteuren wie Israel und der Türkei größere Freiheiten. Die Vereinigten Staaten halten sich militärisch zurück, während sie ihre Interessen indirekt durch loyale – aber nicht harmonische – Partner durchsetzen lassen. Israel operiert offensiv in Gaza und im Westjordanland, Ankara dehnt seine Präsenz in Syrien und im Nordirak aus. Die Rivalität zwischen beiden Staaten wird dabei von Washington nicht als Hindernis, sondern als nützliche Spannung betrachtet.
Zahlen & Fakten

Die Türkei ist seit 73 Jahren NATO-Mitglied. Im Kalten Krieg diente ihr Beitritt, neben dem Norwegens, dazu, die Sowjetunion durch direkt angrenzende Staaten unter Druck setzen zu können. Die Türkei bleibt ein zentraler Akteur durch ihre strategische Lage, die Kontrolle über den Bosporus und die wachsende einheimische Verteidigungsindustrie. In den vergangenen 25 Jahren sind die Spannungen zwischen der Türkei und der restlichen Allianz jedoch gewachsen. Unter US-Präsident Trump zeichnet sich eine Versöhnung ab. Ein kurzer zeitlicher Überblick:
2001: Die Türkei beteiligt sich an der NATO-geführten ISAF-Mission in Afghanistan.
2009: Beginn der türkischen Beteiligung an der NATO-Operation im Golf von Aden, um Piraterie zu bekämpfen.
2014: Die Türkei setzt bei der Verteidigung der syrisch-kurdischen Stadt Kobanê gegen den IS keine direkte militärische Unterstützung ein, was Spannungen mit anderen NATO-Partnern auslöst, da die USA die kurdischen YPG-Milizen unterstützen.
2018: Die Türkei marschiert in die syrische Region Afrin ein, mit russischer Erlaubnis, um gegen die YPG-Milizen vorzugehen, die von den USA unterstützt werden. Dies führt zu Spannungen innerhalb der NATO.
2019: Die Türkei kauft das russische Luftabwehrsystem S-400, was zu erheblichen Konflikten mit NATO-Partnern führt, insbesondere mit den USA, die die Türkei daraufhin aus dem F-35-Programm ausschließen.
2019: Frankreichs Präsident Macron bezeichnet die NATO als „hirntot“ und kritisiert insbesondere die türkischen Alleingänge, wie die Offensive in Nordsyrien gegen kurdische Milizen.
2022: Die Türkei blockiert zunächst den NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens, fordert stärkere Maßnahmen gegen die PKK und die Gülen-Bewegung. Nach Verhandlungen hebt sie das Veto gegen Finnland auf.
2023: Die Türkei verzögert weiterhin Schwedens NATO-Beitritt, unter anderem wegen innenpolitischer Motive und Verhandlungen über F-16-Kampfflugzeuge aus den USA.
2024: Die Türkei ratifiziert Schwedens NATO-Beitritt am 23. Januar unter anderem im Austausch für die Aussicht auf F-16-Lieferungen aus den USA.
2025: Nach dem NATO-Gipfel im Juni zeigt sich Erdoğan zuversichtlich, wieder in das F-35-Programm der USA aufgenommen zu werden. Außerdem soll der kommende Gipfel 2026 in Istanbul ausgetragen werden.
Vielmehr sieht die Trump-Administration wichtige Schritte getan, um die Türken wieder in die westliche NATO-Allianz zurückzuführen. Washington hat nicht nur umfangreiche Aufträge an türkische Rüstungsfirmen vergeben, sondern stellt eine Rückkehr Ankaras in das F-35-Programm des Lockheed Martin Tarnkappenjets in Aussicht. Hinzu kommt der größere Einfluss Ankaras im Nahen Osten in Abstimmung mit Washington und auch ihre Vermittlerrolle im Irankonflikt.
Verhandlungspläne im Iran-Konflikt
Gemeinsam verfolgten Ankara und Washington unter Trump den Plan, eine Friedenskonferenz zwischen Iran und Israel zu initiieren – ein außenpolitisches Novum, das in Istanbul stattfinden sollte. Dass der Plan scheiterte, lag nicht an mangelnder Vorbereitung: Sowohl Präsident Trump als auch Vizepräsident J. D. Vance und der Nahostbeauftragte Steve Witkoff hatten laut US-Nachrichtenagentur Axios bereits konkrete Vorbereitungen für ihre Teilnahme getroffen. Auch der iranische Präsident Masoud Pezeshkian hatte seine Bereitschaft signalisiert. Präsident Erdoğan bot sich als Vermittler an, um auch im eigenen Interesse den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
Dass die Konferenz nicht realisiert wurde, war schließlich dem Umstand geschuldet, dass Ayatollah Ali Chamenei aus Angst vor Attentaten in einem Bunker untergetaucht war.
Dass die Konferenz kurzfristig nicht realisiert wurde und es doch zu den Luftschlägen des US-Militärs auf die iranischen Atomanlagen kam, war schließlich dem Umstand geschuldet, dass der oberste Staatsführer des Iran Ayatollah Ali Chamenei aus Angst vor Attentaten in einem Bunker untergetaucht und selbst für Regierungskreise nicht erreichbar war. Präsident Pezeshkian konnte daher ohne Zustimmung des Ayatollahs nicht nach Istanbul aufbrechen.
Nach dem US-Militärschlag liegt die Option einer Istanbuler Konferenz wieder auf dem Tisch. Präsident Erdoğan bekräftigte während des NATO-Gipfels in Den Haag seine Bereitschaft, Präsident Trump bei einem Friedensschluss zwischen Iran und Israel behilflich zu sein.
Türkische Ordnungsmacht
Die Türkei nutzt diese neue Weltlage, um sich als regionale Ordnungsmacht zu inszenieren – nicht zuletzt durch ihren Außenminister Hakan Fidan. Der frühere Chef des türkischen Geheimdienstes MIT ist langjähriger außenpolitischer Berater des türkischen Präsidenten und wird als potenzieller Nachfolger gehandelt. Bereits vor seiner Amtszeit als Minister hatte er sich intensiv mit der iranischen Atompolitik auseinandergesetzt – ein Umstand, der ihn früh zum Feindbild Israels machte. Als Fidan 2010 an die Spitze des MIT rückte, reagierte der damalige israelische Verteidigungsminister Ehud Barak mit ungewöhnlicher Schärfe: Er warf Fidan vor, ein „pro-iranischer Agent“ zu sein, der sensible Informationen an Teheran weiterleiten könne.
Diese Vermittlerrolle zwischen den Machtblöcken übernahm die Türkei, um ihren eigenen Status in der internationalen Politik zu erhöhen.
Israels Skepsis hatte historische Gründe. Fidan vertrat bereits 2009 die Türkei bei Verhandlungen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und positionierte sich dabei gegen die europäische Linie. Er sprach sich gegen die Forderung zur Einstellung der iranischen Urananreicherung aus und betonte explizit das Recht des Irans auf die friedliche Nutzung von Kernenergie. Ankara wolle, so Fidan damals, eine diplomatische Brücke zwischen Iran und dem Westen erhalten.
Diese Haltung trug Fidan das Misstrauen Washingtons ein, wurde jedoch als Ausdruck einer eigenständigen türkischen Außenpolitik verteidigt. Hakan Fidan, ab 2010 Geheimdienstchef, betrachtete eine konfrontative Rhetorik als wenig zielführend und plädierte dafür, dass „der Westen auch ein Gesprächsfenster nach Teheran offenhalten müsse.“ Diese Vermittlerrolle zwischen den Machtblöcken übernahm die Türkei, um ihren eigenen Status in der internationalen Politik zu erhöhen.
Streit mit Teheran
Die Interessen beider Staaten gerieten jedoch durch den anhaltenden Syrien-Konflikt und die Destabilisierung des Iraks in eine neue Phase, die in einem Stellvertreterkrieg mündete. Seit 2020 intensivierten sich verdeckte Konflikte zwischen Teheran und Ankara, insbesondere im Irak. Schiitische Milizen attackierten türkische Stützpunkte im Nordirak und griffen Ölpipelines der Kurdischen Regionalverwaltung an, die mit Ankara verbündet ist.
Das ewige Duell: Iran gegen Israel
Das strategische Motiv Teherans war, den Einfluss der Türkei im Irak zurückzudrängen und die seit 2003 gewonnene schiitische Dominanz im Irak aufrechtzuerhalten. Trotz schwerer Angriffe blieb die türkische Regierung weitestgehend zurückhaltend und vermied es, die Aktionen des Irans deutlich zu benennen.
Die Türkei wollte offenbar vermeiden, die ohnehin spannungsgeladene Lage durch eine offene Konfrontation mit Iran-nahen Gruppierungen weiter zu eskalieren. Der Konflikt zwischen der Türkei und den schiitischen Milizen im Irak verharrte in einem asymmetrischen Stellungskrieg. Der Machtwechsel in Syrien im November 2024, der mit türkischer Hilfe ermöglicht wurde, die Auflösung der kurdischen PKK und die Zerschlagung der schiitischen Achse im Nahen Osten durch Israel haben einen strategischen Paradigmenwechsel herbeigeführt, den die Türkei zu ihren Gunsten nutzen konnte.
Gegenpol zu Israel
Seit Anfang 2025 erhöht Ankara den politischen wie wirtschaftlichen Druck auf Teheran. Die Auseinandersetzungen erreichten ihren bisherigen Höhepunkt im März 2025, als der türkische Außenminister Hakan Fidan Irans Unterstützung für Terrorgruppen scharf verurteilte und indirekt mit türkischer Einflussnahme auf die iranischen Aserbaidschaner drohte.
Die Türkei agiert seither mit einer Doppelstrategie: Ein Sturz der iranischen Machtführung und die Einsetzung einer pro-westlichen, ja pro-israelischen Regierung in Teheran würden die Türkei und ihre Machtambitionen in Bedrängnis bringen. Die Türkei steht heute Israel im Nahen Osten gegenüber und zieht ein geschwächtes Mullah-Regime einer israelfreundlichen Regierung vor, die sie einer politischen Einkreisung aussetzen könnte.
„Die Außenpolitik des Iran, die über Milizen in den Ländern der Region betrieben wird, ist eine Politik, die der Iran seit Langem unter großem Risiko verfolgt.“, erklärte der türkische Außenminister. Für ihn läge der Weg zur Stabilität in einem kontrollierten, nicht in einem revolutionären Wandel.
Atomare Ambition
Dass zwischen Ankara und Teheran auch ein Wissenstransfer zum Atomprogramm stattfand und auch die Türkei als NATO-Mitglied zur Atommacht voranschreiten will, sieht der Sicherheitsanalyst Michael Rubin vom US-Think Tank American Enterprise Institute als zukünftiges Szenario für die NATO und den Nahen Osten. Lange Zeit galt es im Westen als kaum vorstellbar, dass ein NATO-Mitglied wie die Türkei ein eigenständiges Atomprogramm verfolgen könnte.
Einige Länder haben Atomwaffen, nicht nur eine oder zwei. Aber man sagt uns, wir dürfen das nicht. Das akzeptiere ich nicht.
Recep Tayyip Erdoğan, 2019
Doch eine Äußerung von Präsident Erdoğan aus dem Jahr 2019 wirft bis heute Schatten auf diese Gewissheit: „Einige Länder haben Atomwaffen, nicht nur eine oder zwei. Aber man sagt uns, wir dürfen das nicht. Das akzeptiere ich nicht.“ Ankara sieht in der Atommacht Israel den größten Konkurrenten.
Präsident Erdoğan warnte bereits die türkische Bevölkerung, dass Israel auch vor der Türkei nicht haltmachen werde und es zu einer militärischen Auseinandersetzung kommen könne. Wie sehr sich die Türkei darauf vorbereitet, zeigt der Anstieg der Rüstungsproduktion, der Plan eines eigenen Iron Domes und die Entwicklung neuer Verteidigungssysteme. „Wenn die türkische Armee es will, ist sie in 72 Stunden in Tel Aviv”, erklärte kürzlich der Geoanalyst Hakan Bayrakci vom türkischen Institut Sonar.
Trump als Schlichter
Auch Israel sieht sich durch die Türkei einer großen Gefahr ausgesetzt. Yossi Cohen, ehemaliger Mossad-Direktor, hatte bereits 2020 gewarnt, dass „die Türkei langfristig eine größere Bedrohung für Israel darstelle als der Iran.“ Mit Blick auf die gegenwärtige Dynamik spiegelt diese Einschätzung die heutige Realität wider.
Premierminister Benjamin Netanjahu versuchte zwar Präsident Trump, die israelischen Sicherheitsbedenken in Bezug auf die Türkei vorzubringen, doch dieser wies ihn direkt ab und nannte den türkischen Präsidenten seinen „großartigen Freund.“ „Ich habe Premierminister Netanjahu gesagt, wenn du ein Problem mit der Türkei hast, werde ich es lösen. Wir haben sehr gute Verhältnisse zur Türkei und ihrem Staatschef.“, so Trump.
Die Türkei agiert zunehmend als autonome Macht mit eigenen Hegemonieansprüchen. Wer in Ankara heute nur den schwierigen NATO-Partner sieht, verkennt die tektonische Verschiebung der geopolitischen Realitäten. Das ist keine Rückkehr zur Realpolitik – es ist ihr nächster Evolutionsschritt.
Conclusio
Die Türkei nutzt systematisch die Schwächung des Iran durch Angriffe Israels und den USA, um ihre Machtposition im Nahen Osten auszubauen, während sie sich gleichzeitig als unverzichtbarer Vermittler für Washington inszeniert und dabei ihre eigenen Atomambitionen vorantreibt. Diese Entwicklung markiert einen fundamentalen Wandel von der Türkei als schwierigem NATO-Partner hin zu einer autonomen Regionalmacht, die von den USA bestärkt wird. Washington bereitet die Rivalität zwischen zwei seiner Verbündeten – der Türkei und Israel – kein Kopfzerbrechen, da sich die USA weniger direkt in anderen Weltregionen einmischen wollen.