Make War Great Again
Mit Donald Trumps Avancen in Richtung Russland wird der Krieg normalisiert. Das Völkerrecht wird damit nicht irrelevant, aber seine Regeln werden neu geschrieben. Die neue Weltordnung führt uns in das 19. Jahrhundert zurück.

Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angriff, reagierte der Westen schnell: Sanktionen wurden erlassen, Waffen geliefert, scharfe Kritik geäußert. Selbst neutrale Länder wie Österreich und die Schweiz wiesen das Vorgehen von Putin und seiner Armee entschieden zurück: „Wir sind militärisch neutral, aber nicht, wenn es darum geht, Verbrechen zu benennen und dort hinzugehen, wo tatsächlich Unrecht passiert“, verlautbarte der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer bei einem Besuch in Kyjiw im April 2022. Auch die Schweiz positioniert sich eindeutig: „Die militärische Aggression Russlands auf die Ukraine stellt eine schwerwiegende Verletzung elementarer Völkerrechtsnormen dar und ist in der neueren Geschichte Europas einzigartig.“
Der Westen und die anderen
Im Rest der Welt sah es etwas aus. Kein nicht-westlicher Staat verhängte Sanktionen und die anderen BRICS-Staaten standen mehr oder weniger an der Seite Russlands: China oder Indien kauften bereitwilligst seine Rohstoffe, Südafrikas Marine nahm (mit China) an gemeinsamen Militärübungen teil und Brasiliens Staatschef Lula da Silva zufolge mache es „keinen Sinn, zu sagen, wer Recht hat“, weswegen er Gesuche, Waffen an die Ukraine zu verkaufen, zurückwies.
Zumindest in der rechtlichen Beurteilung blieb die Sache jedoch einigermaßen klar. 2022 nahm die UN-Generalversammlung mit den Stimmen von 141 bzw. 143 ihrer insgesamt 193 Mitglieder zwei Resolutionen an, die Russlands Vorgehen eindeutig verurteilten und einen Abzug seiner Truppen forderten. 35 enthielten sich, einige waren nicht anwesend oder hatten kein Stimmrecht, weil sie ihre Mitgliedsbeiträge nicht gezahlt hatten. Lediglich fünf Staaten stimmten dagegen: Russland selbst, Belarus, Eritrea, Nordkorea und das damals noch von Baschar al-Assad beherrschte Syrien. Wirtschaftlich war Putin zwar nie isoliert, wie manch westliche Schlagzeilen oder Politiker suggerierten, aber sein Krieg fand so gut wie keine Zustimmung.
Trumps Zeitenwende
Das ist geopolitischer Schnee von gestern. Anlässlich des dritten Jahrestags von Russlands Großangriff brachte eine Reihe von Staaten eine weitere Resolution ein, die vor einer Eskalation – nicht zuletzt durch Nordkoreas Beteiligung am Krieg – warnte und eine Reihe von Forderungen enthält: ein Ende der Kampfhandlungen, diplomatische Bemühungen, den Abzug der russischen Truppen, die Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere zum Schutz von Kindern, Frauen und kampfunfähigen Soldaten, Rechenschaft für schwere Verbrechen, die im Zuge des Krieges begonnen wurden und globale Zusammenarbeit, um die Auswirkungen auf den Rest der Welt abzumildern.
Die USA haben unter Trump einen radikalen Kurswechsel vollzogen, er gibt der Ukraine sowohl am Ausbruch als auch an der Dauer des Krieges die Schuld.
Man würde meinen, dass ein solcher Text eine Selbstverständlichkeit darstellt, er wurde auch angenommen. Nur: Dieses Mal haben 18 Staaten dagegen gestimmt, darunter nicht nur Regime, die Russland nahestehen bzw. von ihm abhängig sind, sondern auch die USA, Israel und Ungarn. Darüber hinaus ist die Zahl der Enthaltungen auf 65 gestiegen. In Summe haben lediglich 93 und damit weniger als die Hälfte der UN-Mitglieder dafür gestimmt. Die Annahme stand zwar außer Frage, weil es keine wie auch immer geartete Mehrheit dagegen gab. Aber überzeugend war das nicht.
Die Normalisierung des Krieges
Die USA haben unter Trump einen radikalen Kurswechsel vollzogen, er will Russland nicht als Aggressor bezeichnen und gibt der Ukraine sowohl am Ausbruch als auch an der Dauer des Krieges die Schuld. Damit gibt er das russische Narrativ von der Schuld des Westens und dem Regime in Kiew wieder. Selenskyi hat daher offen davon ausgesprochen, dass Trump von Desinformation umgeben ist, Elon Musk und sein Umfeld haben Russland Sichtweise schließlich schon vor Jahren übernommen.
Daraus folgt eine Normalisierung des Krieges. Dass die USA bei ihren Kriegen und sonstigen Militäroperationen das Völkerrecht missachtet haben, ist allgemein bekannt. Allen voran der Irakkrieg. Er ist aufgrund seiner bis heute anhaltenden Auswirkungen im globalen Gedächtnis geblieben. Auch Trump hat bei den Präsidentschaftswahlen 2016 noch damit kampagnisiert, immer dagegen gewesen zu sein (auch wenn das, wie so viele seiner Behauptungen nicht ganz stimmt).
Und dennoch wandelt sich derzeit etwas: Die USA haben in der Vergangenheit zumindest versucht, rechtliche Argumente, so hanebüchen sie auch gewesen sein mögen, zu bemühen. Selbst im Irak haben sie während der Besetzung mit den Vereinten Nationen zusammengearbeitet und eine Annexion seines Staatsgebiets nicht einmal angedacht.
Trump spricht hingegen offen davon, Kanada zum 51. Bundesstaat machen zu wollen oder den Panama-Kanal und Grönland unter US-Kontrolle zu bringen. Die Anwendung von Waffengewalt schloss er dabei nicht aus, es gehe schließlich um die „nationale Sicherheit“, die eben über allem steht.
Oh, wie schön ist Panama
Imperialismus 2.0
Dahinter steckt ein eigentlich altbekanntes Mindset: Imperialismus, also „das Streben von Staaten, ihre Macht weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus auszudehnen“. Trump reiht sich in die Tradition von früheren imperialistischen Präsidenten ein, allen voran William McKinley, der nach dem „splendid little war“ mit Spanien 1898 Kuba, Puerto Rico und die Philippinen unter US-Kontrolle brachte.
Daher hat Trump auch mehr Verständnis für Russland als für die Ukraine, als mächtigster Mann im mächtigsten Staat der Welt steht er Imperialisten ideologisch näher als ihren Opfern. Schon in seiner ersten Amtszeit fand er mehr Worte des Lobes für Autokraten als für seine demokratischen Amtskollegen. Es gab nur wenige Präsidenten, die die weit verbreiteten Vorurteile gegen die USA dermaßen bestätigten.
Der Krieg ist zurück
Das wirkt sich auch auf das internationale Staatensystem und seine Regeln aus. Die USA haben die Gründung der Vereinten Nationen vorangetrieben, beherbergen sämtliche ihrer Hauptorgane mit Ausnahme des Internationalen Gerichtshofs und sind der wichtigste Beitragszahler.
Die offensichtlichste Konsequenz von Trumps Kurs können wir gerade in Echtzeit beobachten: Die Erosion des völkerrechtlichen Gewaltverbots. Gemäß Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charter darf kein Staat gegen einen anderen militärisch vorgehen. Ein Eckpfeiler der Staatenordnung, der auf den Erfahrungen der beiden Weltkriege beruht, wie die Präambel der UN-Charter betont. Dass Staaten sich nicht immer daran gehalten haben, liegt auf der Hand. Aber zu einem anno 1945 und in den Jahren danach befürchteten Dritten Weltkrieg ist es nicht gekommen, die Zahl zwischenstaatlicher Kriege war lange tendenziell rückläufig.
Das ändert sich mittlerweile. Der Krieg wird nicht nur faktisch, sondern auch rhetorisch wieder zu einer „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, wie es der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz in seinem berühmten Dictum nach den Napoleonischen Kriegen ausdrückte. Damit wären wir wieder im Völkerrecht des 19. Jahrhunderts, das mit dem Ersten Weltkrieg eigentlich an sein Ende gekommen war. Zeit, sich darauf einzustellen.