Die Agrarpolitik und die Landwirtschaft

Die Subventionen fördern ein letztlich schädliches System, sagt der Marktanalyst Florian Freund. Er hat berechnet, was Nachhaltigkeit Bauern, Konsumenten und Wirtschaft bringt – es ist viel.

Tomaten liegen neben einer LKW-Schlange auf der Straße. Das Bild illustriert ein Interview über Landwirtschaft.
Provinz Girones, Spanien, am 27. Februar 2024: Spanische Bauern halten aus Protest gegen die Agrarpolitik auf der Autobahn A7 Transporte aus Marokko auf und leeren Kartons mit Gemüse auf die Straße. Die A7 ist ein wichtiger Transit für landwirtschaftliche Produkte Richtung Frankreich. Im Februar begannen die spanischen Bauern mit einer Blockade der Route. © Getty Images

Florian Freund forscht in einem Bereich, der vor nicht allzu langer Zeit nur Spezialisten interessierte, nun aber im Fokus der erbittertsten politischen Kämpfe steht: die Agrarpolitik. Noch dazu ist sein Thema die Frage, wie Ernährungssysteme nachhaltig werden können. Seine Feststellung: Die hohen Subventionen fördern derzeit in ein ineffizientes System, das Landwirten schadet. Seine Lösung allerdings werden die wenigsten hören wollen: Eine Landwirtschaft mit weniger Fleisch würde Volkswirtschaft, Bauern, Konsumenten und Umwelt guttun. Es braucht bereits aus ökonomischen Gründen einen Paradigmenwechsel in der Subventions- und Steuerpolitik, sagt er: „Das Politikziel müsste ganz klar sein, von den flächenbasierten Subventionen weg zu kommen hin zu mehr Geld für Biodiversität, Umwelt- und Klimaschutz.“

Herr Freund, was beschäftigt Sie gerade?

Florian Freund: Mich beschäftigt die Frage, wie wir zu nachhaltigeren und gesünderen Ernährungssystemen kommen. Ein Ernährungssystem umfasst dabei im Groben alles, was auf dem Weg vom Hof zum Teller passiert, alle Wechselwirkungen zwischen Agrarpolitik, Landwirtschaft, Umwelt, Klima und auch Gesundheit. Ausgangspunkt unserer Forschung ist die Tatsache, dass die Ernährungssysteme für ein Drittel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich sind.

Warum das? Ist in dieser Kalkulation von Agrardiesel bis Dünger alles dabei?

Es ist nicht in erster Linie der Energieverbrauch, der das Ernährungssystem so klimaschädlich macht, sondern die Methan- und Lachgas-Emissionen, die sehr viel potentere Treibhausgase darstellen als das CO2. Die Landwirtschaft ist zusätzlich der größte Faktor bei der Landnutzung, auch der Verlust von Biodiversität geht größtenteils auf die Landwirtschaft zurück, ebenso 70 Prozent des Frischwasserverbrauchs. Und schließlich ist das Ernährungssystem auch noch ein großer Treiber von Umweltverschmutzung: Vom Stickstoff-Eintrag in die Böden und das Grundwasser bis hin zu den sogenannten Todeszonen in den Ozeanen, wo es aufgrund des Sauerstoffmangels kein Leben mehr gibt. Wenn man sich die ganze Problematik genauer anschaut, stellt man fest, dass bei all diesen Problemen der übermäßige Konsum tierischer Produkte eine große Rolle spielt.

Also nicht nur von Fleisch, sondern auch der Konsum von Käse, Milch usw.

Richtig, das muss man auch mit dazuzählen, weil Rinderhaltung viele Emissionen und vor allem die Landnutzungsproblematik mit sich bringt. Vielen ist wahrscheinlich gar nicht klar, dass von dem ganzen Getreide, das zum Beispiel in Deutschland angebaut wird, nur 20 Prozent direkt für die menschliche Ernährung verwendet werden. 60 Prozent wandern in den Trog. Hinzu kommen noch große Flächen für Raps, der hauptsächlich für Tierfutter und für Biodiesel angebaut wird. Das macht natürlich Druck auf die Böden, denn Tiere sind eine relativ ineffiziente Technologie, um Nahrungsmittel zu produzieren, wenn man das so volkswirtschaftlich ausdrückt. Man muss sehr viel Futter reinstecken, um ein bisschen Nahrung rauszuholen. Da könnte man das Getreide natürlich viel effizienter gleich selbst essen. Diese Ineffizienz von tierischen Produkten ist wissenschaftlich gut belegt. Nur hat sich nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Landwirtschaft auf den hohen Konsum von tierischen Produkten eingestellt, und wenn man dann sagt, es müssten aus wissenschaftlicher Sicht weniger Tiere gehalten und weniger Tiere konsumiert werden, dann gehen bei vielen die Alarmglocken los.

Feuer auf einer Autobahn. Mehrere Menschen stehen dabei und schauen auf die Flammen. Das Bild zeigt die Proteste von Bauern in Spanien im Februar 2024.
Bei der Blockade der A7 am Grenzübergang zu Frankreich in Spanien im Februar 2024. Die Proteste der Bauern richten sich gegen billigere Importe in die EU. © Getty Images

Viele Bauern fühlen sich auch persönlich angegriffen ...

Ja die Widerstände sind sehr verständlich: In einen Stall fließen enorme Investitionen, die langfristig getätigt werden. Aber das Überleben der Landwirtschaft hängt nicht an der Massentierhaltung. Im Gegenteil. Das konnten wir in einer Simulationsstudie zeigen, bei der wir uns an einer Ernährungsempfehlung für planetäre Gesundheit orientiert haben. Diese empfiehlt, dass weniger tierische Produkte gegessen werden und dafür mehr Hülsenfrüchte, mehr Gemüse, mehr Obst, mehr Nüsse und so weiter. Der Konsum von rotem Fleisch würde etwa um 90 Prozent, der von weißem Fleisch um 50 Prozent reduziert werden. Der Konsum von Obst und Gemüse würde parallel dazu etwa um 50 Prozent und der von Leguminosen um 500 Prozent ansteigen – ausgehend von dem extrem niedrigen Niveau, das wir jetzt haben – somit würden die Verluste des Fleischsektors sogar überkompensiert. In den allermeisten Regionen, auch in denen, die einen dominanten tierischen Sektor haben, wie etwa Irland, sind die Profitaussichten einer Landwirtschaft mit weniger Fleisch und Milch besser.

Die Landwirtschaft ist stark arbeitsteilig und industrialisiert. Nichts eignet sich zynischerweise so gut für eine fabrikmäßige Produktion wie Fleisch, Fisch und Milch. Wie kann man Landwirten die Umstellung schmackhaft machen?

Das Ernährungsverhalten in Europa verändert sich aktuell. Das heißt, der Markt für tierische Produkte, insbesondere aus der Massentierhaltung, wird gerade kleiner. Es ist natürlich kein plötzlicher Umbruch, sondern ein langsamer Prozess. Die Landwirte, die in dem Fleischsystem arbeiten, muss man in die Lage versetzen, darauf zu reagieren. Sie müssen einschätzen können, ob es sich überhaupt noch lohnt, bestimmte Investitionen zu tätigen und etwa Kapazitäten bei der Schweinemast auszubauen. Sie brauchen auch finanzielle Unterstützung bei der Umstellung. Das ist die eine Politikoption, man würde damit einen Strukturwandel fördern, der aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll ist, weil unter anderem die Gesundheits- und Umweltkosten sinken und Böden freiwerden, was zur Ernährungssicherheit beiträgt.

Und die zweite Option?

Die zweite Option ist die Steuerpolitik. Nach dem Steuerrecht in der EU ist es möglich, einen Mehrwertsteuersatz von Null zu haben. Wir haben das mal mit Modellrechnungen untersucht. Einerseits haben wir unterstellt, dass für Erzeugnisse wie Obst, Gemüse und Nüsse, die nachhaltig erzeugt werden, gesünder sind und auch viel weniger Emissionen verursachen als Fleisch, billiger werden. Diese Maßnahme hätte dann den Effekt, dass mehr Obst und Gemüse gegessen wird. Wir haben dann noch untersucht, wie die Effekte auf Gesundheit und Umwelt sind, wenn auf Fleisch der volle Mehrwertsteuersatz erhoben wird. Im Ergebnis hatte beides sehr große positive Effekte, weil die externen Kosten, die durch die Produktion von Fleisch und Milch entstehen, stark reduziert werden. Die Steuerpolitik ist ein Hebel, den man jedenfalls nutzen sollte, wenn man den Ernährungssektor nachhaltig machen will.

Welche Rolle spielen die Agrarsubventionen? Immerhin fließen 66 Prozent des EU-Budgets in die Gemeinsame Agrarpolitik. Die Landwirtschaft ist einer der am stärksten subventionierten Bereiche.

Mit dem Thema beschäftigen wir uns schon seit mehreren Jahren. Allein in Deutschland bekommen die Landwirte jedes Jahr rund sieben Milliarden Euro aus Brüssel. Zwar werden damit jetzt nicht mehr bestimmte Produkte wie Milch oder Butter subventioniert – was ja zu den berüchtigten Butterbergen und Milchseeen geführt hat –, aber immer noch werden die Gelder mehr oder weniger ohne jede Bedingung an die Landwirte als Einkommensstütze verteilt. Niemand muss seine Agrarpraxis groß umstellen. Wir haben uns angesehen, was passiert, wenn man die Agrarsubventionen an Bedingungen knüpft, sodass für die Gesellschaft ein Mehrwert entsteht. Wir haben für die Modelle unterstellt, dass die Subventionen an den Anbau von Gartenbau-Produkten gebunden werden, weil wir wissen, dass Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte nachhaltiger sind als andere Produkte. Das Ergebnis: Bei Gesundheit, CO2 und ökonomischer Effizienz können deutliche Verbesserungen erreicht werden. Es gibt da also durchaus politischen Spielraum. Nachhaltigkeit wäre eigentlich der Schlüssel, um die Landwirte ökonomisch auf bessere Füße zu stellen.

Dann stellt sich die Frage, warum macht man es dann nicht?

Es ist polit-ökonomisch wahnsinnig schwierig den Agrarsektor zu reformieren. Dazu vielleicht eine Anekdote. Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs gab es die Befürchtung, dass die für die Welternährung bedeutenden Getreideexporte aus der Ukraine wegfallen. Sofort gerieten die für die Biodiversität wichtigen ökologischen Vorrangflächen ins Visier bestimmter Lobbygruppen, die erreichten, dass die Flächen auch bewirtschaftet werden dürfen. Prompt wurde darauf Futtergetreide angebaut und nicht etwa Getreide für die Menschen in Nordafrika und im Mittleren Osten. Es war ein langer Prozess, um diese „Öko-Flächen“ in politischen Programmen zu verankern. Nun besteht die reelle Gefahr, dass diese wichtige politische Maßnahme auch langfristig ausgesetzt wird.

An den ökologischen Vorrangflächen, zu denen auch Blühstreifen zählen, entzünden sich ja auch die Bauernproteste. Die EU-Kommission will die Ausnahme nun beibehalten, um die Landwirte zu beschwichtigen. Auch beim Agrardiesel hat die deutsche Bundesregierung eingelenkt und will die Abschaffung sehr langsam umsetzen. Ist das aus Ihrer Sicht falsch?

Die Frage ist, welche Landwirtschaft bekommt man mit diesen Subventionen? Der billige Agrardiesel und die Befreiung von der KFZ-Steuer für landwirtschaftliche Maschinen sind ja Inbegriffe von klimaschädlichen Subventionen. Wenn Agrardiesel billig ist, ist das kein Anreiz, Energie zu sparen, umgekehrt überlegt man es sich zweimal ob man nochmal losfahren muss, wenn er teuer ist. Genauso überdenkt man die Anschaffung von einem noch PS-stärkeren Traktor, wenn der einfach mehr kostet.

Blick in einen Anhänger am Abend der Proteste der spanischen Bauern auf der A7. Ein Junge sitzt auf einem provisorischen Bett und liest etwas auf seinem Handy.
Während in Spanien der Transit nach Frankreich blockiert wurde, protestierten auch in anderen europäischen Städten Landwirte gegen die Agrarpolitik der EU. Die Kritik dieser Proteste richtet sich gegen den Green Deal der EU und gegen mögliche Kürzungen von Subventionen. © Getty Images

Die Landwirte sagen, dass dann eben keine Lebensmittel mehr produziert werden können.

Die Diesel-Erstattung macht einen geringen Teil der Förderungen aus. Im Durchschnitt pro Betrieb sind das vielleicht etwas mehr als 2.500 Euro im Jahr. Wenn ein Betrieb aufgrund des Wegfalls dieser Subvention Pleite geht, dann bestehen da ganz andere Probleme.

Sie sagen ja, es wäre auch ökonomisch sinnvoller, auf Nachhaltigkeit zu setzen.

Aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive ist es einfach nicht effizient, den Agrarsektor so zu fördern, wie wir das gerade tun. Effizienz bedeutet auf einer sehr vereinfachten Ebene, dass man mit den gegebenen Ressourcen und Technologien das maximal mögliche produziert. Wird ein Sektor subventioniert, dann sinkt die Effizienz, weil Produktionsfaktoren von ihrer besten Verwendung zu einer anderen Verwendung verschoben werden. Eine Verminderung von Subventionen würde also automatisch zu einer höheren Effizienz führen. Daraus den Schluss zu ziehen, dass Subventionen generell falsch sind, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Denn man kann sie auch so einsetzen, dass damit Technologien gefördert werden, die längerfristig zu einer höheren Effizienz beitragen oder indem man Folgen verhindert, die woanders Kosten verursachen, etwa die Umweltverschmutzung oder der Artenverlust. Diese Kosten sind ja nicht umsonst externalisierte Kosten, weil sie im ökonomischen Kalkül eines Betriebs bis jetzt keine Rolle spielen. Man kann sie aber wieder internalisieren, wenn man ihnen einen Preis gibt, etwa eine CO2-Steuer. Die würde es dann umso teurer machen, je mehr man zum Beispiel den Rinderbestand erhöht.

Wie ist das aber in Bezug auf Biodiversität? Ein bäuerlicher Betrieb, der nicht auf den Boden achtet und die Artenvielfalt zerstört, schadet sich damit ja letztlich selbst.

Natürlich waren und sind diese Kosten nie wirklich externalisiert, nicht auf der Ebene des einzelnen Betriebs. Nur sind die Folgen von Überdüngung oder Pestizideinsatz nicht unmittelbar sichtbar. Aber man kann zum Beispiel auch Biodiversität zu einem handelbaren Gut machen. In Australien entsteht gerade ein Markt hierfür. Landwirte, die nachweislich die Biodiversität verbessern wollen, erhalten Geld von staatlichen und nichtstaatlichen Investoren. So entsteht auch in dem Bereich ein ökonomisches Kalkül, das es für Landwirte attraktiver macht, die Artenvielfalt zu schützen.

Muss man nicht von Marktversagen sprechen, wenn der Agrarsektor ohne Einkommenstütze für die Produzenten nicht funktioniert?

Der Agrarsektor ist ja traditionell stark subventioniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es zunächst darum, den Output zu erhöhen. Man hat es zwar angesichts der Überproduktion in den 1980ern ganz gut geschafft, die Agrarsubventionen zu reformieren, aber jetzt wäre ein Paradigmenwechsel gefordert, und das ist schwer. So wie es jetzt in der EU ist, erhält ein Landwirt umso mehr Geld, je mehr Fläche er bewirtschaftet, fast unabhängig davon, was er darauf macht. Das hat zusätzlich den Nebeneffekt, dass Landbesitzer, die möglicherweise nicht einmal in der Landwirtschaft tätig sind, in den Genuss von Geld kommen, dass eigentlich den Landwirten zustünde. Inzwischen müsste das Politikziel ganz klar sein, weg von flächenbasierten Subventionen, hin zu mehr Geld für Biodiversität, Umwelt- und Klimaschutz.

Hat sich schon ein Markt für Subventionen gebildet?

Das nicht, denn diese Förderungen können ja nicht gehandelt werden. Allerdings machen sie es attraktiv, Land zu besitzen. Was man damit macht, ist dann fast zweitrangig. Im Endeffekt muss man sagen, dass die Förderungen grosso modo kontraproduktiv sind, so wie sie aktuell sind. Zu mehr Nachhaltigkeit tragen sie jedenfalls nicht unbedingt bei.

Über Florian Freund

Florian Freund während eines Vortrags über Einkommen in der Landwirtschaft bzw. die Folgen unterschiedlicher Agrarpolitiken.
Florian Freund. © Alexander Schulz-Falkenhain

Florian Freund ist Wissenschaftler am Thünen-Institut für Marktanalyse und forscht ebendort mit dem Schwerpunkt Agrar- und Handelspolitik. Florian Freund ist Autor des Pragmaticus. Seinen Beitrag über die Rolle von Spekulation für die Preisbildung auf Agrarmärkten schrieb er anlässlich der blockierten Getreidelieferungen in die Ukraine.

Über diese Serie

„Was beschäftigt Sie gerade?“ ist eine Interviewreihe des Pragmaticus, in der unsere Expertinnen und Experten von ihrer Forschung und allem, was sie beschäftigt erzählen. Die Themen und der Umfang des Gesprächs sind offen.

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