Die Macht der Intrige
Der Intrigant agiert im Verborgenen, und weder seine Mitmenschen noch er selber geben ihm die Schuld. Über die heimliche Niedertracht am Beispiel des Jago aus Shakespeares „Othello“.

Verleumdung und Intrige gehören zu den hässlichsten Hässlichkeiten, die der Mensch seinem Charakter antun kann. Die Verleumdung muss ausgesprochen werden, auch wenn ein Anonymus das tut. Es muss einer da sein, der auf einen anderen zeigt. Der Verleumder muss zudem den Anschein erwecken, er habe recht, er kläre auf, er rücke die Dinge zurecht. Die Intrige zeigt sich nur in den Folgen.
Mehr von Michael Köhlmeier
Der geschickte Intrigant richtet seine böse Tat so her, dass sie wie ein unbeeinflussbares Schicksal erscheint. Dem Verleumder kann detektivisch nachgeforscht werden. Oftmals zeigt er sich sogar freiwillig, er möchte zu seinem Werk stehen, er hasst und leidet und hält Ersteres wegen Letzterem für gerechtfertigt. Der Intrigant hingegen kommt selten zu Fall. Oftmals sehen wir ihn mitten in den Reihen jener stehen, die sich laut über ihn empören, und oft ist er der lauteste unter ihnen.
Shakespeare hat uns in seiner Tragödie „Othello“ den Prototyp des Intriganten vorgeführt: Jago. Und er hat unserem Vergeltungsbedürfnis Rechnung getragen – Jago überlebt die Geschichte nicht, ganz am Ende des letzten Aktes fliegt er auf. Der größte aller Dichter wusste, dass er das Publikum in seiner Empörung nicht allein lassen darf: Wir wollen Rache. Wenn sie in unserem Kopf geschieht, werden wir vom Bösen gereinigt – sagt zumindest Aristoteles, er nennt diesen Vorgang Katharsis.
Hätte Shakespeare den Jago davonkommen lassen, wir würden ihn in unseren Gedanken verfolgen, wir würden ihm eine Falle stellen, wir würden selbst zu Intriganten, um den Intriganten zu bestrafen. Wir ertragen Geschichten nicht, in denen das Böse siegt. Es gibt auch nur wenige solche. Fragen Sie mich, fällt mir nur der Western „Il grande silenzio“ (deutsch: „Leichen pflastern seinen Weg“) von Sergio Corbucci ein. Da reitet Klaus Kinski am Ende zufrieden davon, nachdem die Guten erschossen wurden. Der Zuschauer bleibt zwei Minuten sitzen, weil er wartet, dass noch etwas kommt: die Vergeltung.
Die Niedertracht des Jago
Dass Jago am Ende büßen wird, ist wieder einmal ein Beispiel für den subtilen shakespeareschen Zynismus: Nicht ein Opfer seiner Intrige bringt ihn zu Fall, nicht Michael Cassio, nicht Othello, sondern die eigene Frau. Sie ist nicht Opfer seiner Intrigen, sie ist Opfer des ganzen Mannes. Sie rächt nicht Desdemona, deren Dienerin sie war, sie übt die Rache im Namen der ganzen Menschheit, der ihr Mann diesen Charakterzug angetan hat. In einer kleinen Szene in der Mitte des Stücks, in der sich Jago unbeobachtet fühlt, zeigt er offen seine Niedertracht – dabei geht es in dem Dialog um nichts, es ist nur die Art, wie er mit seiner Frau spricht.
Der Posten eines Leutnants soll neu besetzt werden, die Kandidaten sind Michael Cassio und Jago. Ohne Gründe anzugeben, zieht General Othello den Cassio vor. Jago wäre der logische Nachfolger gewesen, er wird übergangen. Der Verleumder würde sich auf Cassio einschießen, er würde Lügen, Halbwahrheiten über ihn verbreiten, halb versteckt, halb offen. Es lässt sich sogar denken, dass er vor Othello hintritt und ihn vor Cassio warnt. Dem Verleumder geht es darum, einer Person zu schaden. Ein Intrigant wie Jago will Vernichtung, er zielt gar nicht auf den Gegner, den Feind.
Die Intrige ist ein Spiel; erst wenn ein gewisses Regelwerk geschaffen ist, kann sie funktionieren.
Michael Cassio spielt in seinem Rachefeldzug eine Nebenrolle. Er will in Wahrheit die Welt vernichten, auch wenn die Welt nur die enge Welt der Tragödie ist, die uns im Theater vorgeführt wird. Er gibt sich vor seinem General tüchtig und absolut loyal. Othello dankt ihm für seine Treue. In einem Hauch von Nebenbei deutet Jago an, Michael Cassio könnte in Desdemona, Othellos geliebte Gattin, ebenfalls verliebt sein. Als Othello auffährt, nur ein wenig, nicht gleich mit der ganzen Gefühlsartillerie, da beruhigt ihn Jago: Nein, nein, es gibt keinen Grund zur Eifersucht. Und damit ist das Wort ausgesprochen: Eifersucht. Dass es keinen Grund dafür gebe, ist für Othello der Beweis, dass es eben doch einen gibt.
Die Intrige ist ein Spiel; erst wenn ein gewisses Regelwerk geschaffen ist, kann sie funktionieren. Dann läuft sie ab wie von selbst. Manchmal ist nicht mehr nötig als ein Taschentuch, ein wertvolles. Othello hat es Desdemona als Liebesgabe geschenkt. Jago schmuggelt es unter Michael Cassios Sachen. Mehr braucht es nicht. Die Tragödie rauscht unaufhaltsam los. Am Ende erdrosselt Othello seine Frau. Eine ganze Welt geht unter.
Der unschuldige Intrigant
Die Intrige wird immer von unten nach oben geführt. Undenkbar, dass der Herr gegen den Diener intrigiert. Das könnte der Stoff für eine Komödie sein, aber da müsste schon ein Molière als Dichter her. Die Intrige ist die Boshaftigkeit gewordene Feigheit. Immer darf sich der Intrigant sagen: Ich war’s nicht. Ich habe Othello nicht gezwungen, seine Frau zu erwürgen. Das hat er schon selber getan. Dafür bin ich doch viel zu klein. Ich könnte das ja gar nicht.
Kein Gericht der Welt kann einen Intriganten verurteilen. Den Intriganten mit schmutzigen Händen, den gibt es nämlich nicht. Den Intriganten mit schlechtem Gewissen, den gibt es auch nicht.