Bei uns im Regenwald

Wir erleben gerade das großflächige Scheitern von Politikern, die gehofft haben, Probleme durch den Wunsch zu lösen, sie würden verschwinden. 

Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, der slowenische Ministerpräsident und Vorsitzende der Freiheitsbewegung (Gibanje Svoboda, GS) Robert Golob und der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer am 22. März 2024 in Brüssel am zweiten Tag des EU-Gipfels im Europa-Gebäude, dem Sitz des EU-Rates. Das Bild illustriert einen Kommentar über magisches Denken in der Politik.
Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo, der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, der slowenische Ministerpräsident und Vorsitzende der Freiheitsbewegung (Gibanje Svoboda, GS) Robert Golob und der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer am 22. März 2024 in Brüssel am zweiten Tag des EU-Gipfels. © Getty Images

Wenn irgendwo im Regenwald Angehörige eines abgelegenen Stammes früher ein Problem lösen wollten, pflegten sie sich des traditionellen „magischen Denkens“ zu bedienen, also im Wesentlichen der Methode, die Wirklichkeit durch Wünschen oder das Beschwören von Geistern verändern zu wollen. 

Die Politik in großen Teilen Europas, nicht zuletzt in Österreich oder Deutschland, hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel anders verhalten, auch wenn sie nicht im Regenwald, sondern in gediegenen Regierungsgebäuden mit Internetzugang und Heerscharen von Beratern residierte.

Denn nichts anderes als „magisches Denken“ ist es, gewaltige Mengen Geld zu drucken und wider jede Logik anzunehmen, dies würde nicht zu hoher Inflation führen; oder aber Millionen Menschen in unsere Sozialsysteme einwandern zu lassen, ohne dass die autochthone Bevölkerung dagegen rebelliert; oder über viele Jahre eine Friedensdividende unter dem Nuklearschirm der Vereinigten Staaten einstreifen zu können, ohne eines Tages hilflos einem Aggressor gegenüberzustehen. 

„Magisches Denken“ in der Politik

In all diesen und einer Reihe anderer Politikfelder haben die Würdenträger des zeitgenössischen Europa nicht viel anders agiert als ihre Kollegen in Busch und Regenwald – sie haben gehofft, dass die Probleme verschwinden, wenn sie sich das nur fest genug wünschen. (Ein Verhalten, das übrigens auch Kinderpsychologen durchaus geläufig ist.)

Dieses magische Denken hat den großen Vorteil, dass es dem Wähler vormacht, die politischen Verantwortungsträger seien so eine Art Magier, die das Unmögliche möglich machen. „Wir schaffen das“ ist das wahrscheinlich beste Beispiel für diese Art von Politik des magischen Denkens.

Das magische Denken versagt stets, und die Magier stehen dann plötzlich als Stümper da.

Was passiert, wenn sich herausstellt, dass nicht kluge Politik gewaltet hat, sondern schiere Scharlatanerie, ist gegenwärtig gut zu beobachten. 

Denn natürlich führt Gelddruckerei zu Inflation, Massenmigration zu wütenden Wählern und die Vernachlässigung der Landesverteidigung zu Erpressbarkeiten aller Art. Das magische Denken versagt stets, und die Magier stehen dann plötzlich als Stümper da, die früher oder später – und in dieser Phase scheinen wir uns gerade zu befinden – von den darob recht wenig begeisterten Stammesangehörigen mit Schimpf und Schande verjagt werden.

Priester und Wähler

Diese dem 21. Jahrhundert nicht ganz angemessen erscheinende Form der Machtausübung ist aber nicht nur von den Hohepriestern des magischen Denkens zu verantworten, sondern vor allem auch von jenen, die daran glauben – auch Wählerinnen und Wähler genannt. Denn wenn diese allen Ernstes wieder und wieder Politiker wählen, die ihnen statt einer Lösung Beschwörungen andrehen, dann haben diese Wähler eben nichts Besseres verdient. 

Das kann in reichen Gesellschaften mit tüchtigen Unternehmern, Mitarbeitern, Wissenschaftlern und Experten aller Art eine Zeitlang gut gehen, aber irgendwann ist Zahltag. 

Und dieses Irgendwann ist jetzt, wenn nicht alles täuscht. Höchste Zeit, das magische Denken durch Denken ohne Attribute zu ersetzen. „Wir schaffen das“ mag eine schöne Hoffnung sein, ist aber keine taugliche Methode.

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