Wie real ist das Metaverse?
Wenn die Prophezeihungen stimmen, leben wir bald alle in virtuellen Welten. Aber wo die Grenze zwischen Virtualität und Realität verläuft, ist keineswegs eindeutig.
Was bedeutet es, dass etwas „real“ ist? Das ist eine seltsame Frage. Aber es ist die Art von Frage, die Philosophen oft zu beantworten versuchen. Sie klingt seltsam, weil die Antwort offensichtlich zu sein scheint. Im Gegensatz zu Fragen über Physik, Biologie oder Politik ist es unwahrscheinlich, dass diese Art von Frage „in freier Wildbahn“ auftaucht – also in der Welt jenseits eines Philosophieseminars, eines Buches oder einer Fachzeitschrift.
Wenn die Frage doch auftaucht, dann vielleicht aus dem Mund eines Kleinkindes (Kinder sind bekanntlich gut darin, philosophische Fragen zu stellen). Und Eltern, die mit solchen Fragen konfrontiert werden, wissen vielleicht, wie schwierig es ist, eine zufriedenstellende Antwort zu geben. Vielleicht etwas in der Art von: „Du bist real, und Mama und Papa sind real, aber das Monster unter deinem Bett ist es nicht.“
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Warum bin ich real und das Monster nicht?
Philosophen sind jedoch daran interessiert, streng durchdachte und gut begründete Antworten auf solche Fragen zu geben. Wir versuchen, sie klar und deutlich zu beantworten und notwendige und hinreichende Bedingungen aufzustellen. Ein Philosoph könnte behaupten, dass etwas dann real ist, wenn es die richtigen Kriterien erfüllt.
Aber was sind das für Kriterien? Und warum glaube ich, dass ich real bin? (Und bin ich das tatsächlich?) Warum ist es auch angemessen, den Schreibtisch vor mir und die Themse als real zu bezeichnen? Und warum scheint es falsch zu sein, das Monster, von dem ich früher glaubte, es lebe unter meinem Bett, als real zu bezeichnen?
Der Stein des Anstosses
Im 18. Jahrhundert gab der Intellektuelle Samuel Johnson seine berüchtigte eigene Erklärung ab, was es bedeutet, dass etwas real ist, als er mit der „immateriellen“ Philosophie von George Berkeley (dem vielleicht berühmtesten irischen Philosophen) konfrontiert wurde. Nachdem Johnson erzählt wurde, dass Berkeleys Argument gegen die Existenz von Materie unwiderlegbar sei, trat Johnson einfach gegen einen Stein und verkündete: „So widerlege ich es!“ Was Johnson damit sagen wollte: Dass es offensichtlich ist, welche Art von Dingen real sind: Sie sind fest, physisch; die Art von Dingen, gegen die wir stoßen oder die wir treten.
Was ist mit Zahlen: Sind sie real? Oder Gedanken?
Aber ist es offensichtlich, dass reale Dinge diese Kriterien erfüllen müssen? Was ist mit Zahlen: Sind sie real? Oder Gedanken? Im antiken Griechenland vertrat Platon die Ansicht, dass die wirklichsten Dinge diejenigen sind, die im Reich der Formen existieren – einer Welt, die von den perfekten Exemplaren jener groben Kopien der Dinge bewohnt wird, die wir in der alltäglichen Welt der Sinneserfahrung finden; einschließlich der Objekte der Mathematik und Geometrie. Im 17. Jahrhundert argumentierte Descartes angesichts des – seiner Meinung nach unüberbrückbaren – Unterschieds zwischen unserem Geist und unserem Körper, dass es zwei Möglichkeiten gibt, wie ein Ding wirklich sein kann: Es kann ein ausgedehntes, physisches Ding sein, wie ein Körper, oder es kann ein denkendes, immaterielles Ding sein, wie ein Geist.
Ist ein virtuelles Leben besser?
In seinem neuen Buch „Reality+“ geht der in New York lebende australische Philosoph David Chalmers der Frage nach, wie diese Art von Fragen mit den Entwicklungen in der Virtual-Reality-Technologie zusammenhängen. Chalmers ist überzeugt, dass innerhalb des nächsten halben Jahrhunderts viele von uns in virtuellen Welten leben und dort viel Zeit verbringen werden. Diese Vorhersagen gehen oft mit düsteren, dystopischen Visionen einher, in denen die virtuelle Realität allgegenwärtig ist, wie etwa in Ernest Clines Roman Ready Player One (und Steven Spielbergs Verfilmung davon).
Für viele scheint die Vorstellung, dass wir unser „echtes“ Leben – unser Leben aus Fleisch, Blut, Schweiß und Tränen – für ein virtuelles Leben aufgeben könnten, einfach falsch zu sein, selbst wenn die Qualität eines virtuellen Lebens deutlich besser ist. Dies wirft die moralische Frage auf, ob wir (wenn es möglich wäre) unser Offline-Leben gegen ein Online-Leben eintauschen sollten. Bei der Beantwortung dieser Frage kann uns ein Gedankenexperiment des amerikanischen Philosophen Robert Nozick helfen, das er in seinem 1974 erschienenen Buch Anarchy, State, and Utopia publizierte. Nozick behauptet, dass wir selbst dann, wenn wir uns in eine Maschine einklinken könnten, die uns ein Leben voller angenehmer Erfahrungen simulieren würde, immer noch kein richtiges Leben führen würden.
Ich denke, also bin ich?
Nozick ermutigt uns auch darüber nachzudenken, wer für solche virtuellen Welten zuständig wäre und ob man ihnen vertrauen sollte. Dies scheint besonders wichtig zu sein, wenn man bedenkt, dass das „Metaverse“ von Facebook die Pole Position im Wettlauf um die Errichtung einer virtuellen Welt eingenommen zu haben scheint; vor allem wenn man bedenkt, dass es allerlei ethische Bedenken in Bezug auf die Sicherheit und das Wohlbefinden der Nutzer bei Mark Zuckerberg und seiner Organisation Meta gibt.
Metaverse: Schöne neue Welt?
Aber lassen wir moralische Fragen vorerst beiseite und beschäftigen wir uns stattdessen wieder mit dem, was Philosophen „Metaphysik“ nennen: Diskussionen über die grundlegende Natur der Realität. Die Metaphysik umfasst Fragen darüber, was existiert, was es bedeutet zu existieren, welche Arten von Dingen existieren und was es bedeutet, dass etwas „real“ ist. Chalmers vertritt die Auffassung, dass die Abneigung, die häufig mit Spekulationen über virtuelle Welten einhergeht, eine Art Voreingenommenheit oder Vorurteil ist. Sie ist seiner Meinung nach irrational. Und er hat ein Argument für die Ansicht, dass virtuelle Welten in der Tat real sind.
Ist real gleich wertvoll?
Chalmers behauptet, dass eine Welt dann real ist, wenn sie für die Menschen wertvoll ist, das heißt, wenn sie ihnen etwas bedeutet. Es erscheine durchaus plausibel, dass eine virtuelle Welt für Menschen wertvoll oder bedeutsam sein könne. Tatsächlich, so könnte man argumentieren, sind weniger ausgefeilte Versionen der „virtuellen Realität“ dies bereits – etwas, das die Nutzer des Spiels „Second Life“ bestätigen könnten. Daraus folgt (wenn Chalmers Recht hat), dass virtuelle Welten real sind.
Die Welten, die wir in unseren Träumen bewohnen, mögen für uns wichtig sein, aber sie sind nicht real.
Die entscheidende Prämisse in diesem Argument ist natürlich die Behauptung, dass eine Welt dann real ist, wenn sie wertvoll oder sinnvoll ist. Das ist nicht, was wir normalerweise im Sinn haben, wenn wir von der „realen Welt“ sprechen und sie mit Welten oder Dingen vergleichen, die nicht real sind. Wie Samuel Johnson (und in der Tat auch Robert Nozick) haben wir vielleicht die Tatsache im Sinn, dass die reale Welt physisch ist, wenn wir ihr die Qualität der „Realität“ zuschreiben.
Die Welten, die wir in unseren Träumen oder beim Lesen eines Buches bewohnen, mögen für uns wichtig sein (ich zum Beispiel fand fiktive Welten in den Covid-Jahren sehr wichtig), aber sie sind nicht real, weil sie nicht physisch sind. Sie haben keine physikalischen Eigenschaften wie Größe, Form, Masse und Ausdehnung. Sie mögen den Anschein erwecken, solche Eigenschaften zu besitzen, aber sie sind es nicht wirklich. Man kann sie auch nirgendwo finden; sie haben keinen physischen raum-zeitlichen Ort.
Die Frage nach der Seele
Im Kontext der Philosophie ist eine Erklärung für diese Voreingenommenheit (wie Chalmers es ausdrücken würde) die Dominanz des „Physikalismus“ oder „Naturalismus“: grob gesagt versteht man darunter die Ansicht, dass die Realität letztlich physisch ist; dass es keine „übernatürlichen“ Entitäten wie Seelen, immaterielle Geister oder okkulte Kräfte gibt. Der Physikalismus ist eine metaphysische Position: Es ist ein Standpunkt zu der Frage, wie die Realität grundsätzlich beschaffen ist. Und Physikalisten behaupten, dass wir diese Ansicht akzeptieren sollten, weil sie mit der Wissenschaft vereinbar ist.
Ein Neurowissenschaftler, der die Ursache einer neurologischen Störung untersucht, wird zum Beispiel niemals nach einer nichtphysikalischen Erklärung für das Phänomen suchen. Warum also sollten Philosophen das tun?
In seiner eigenen Arbeit auf dem Gebiet der Philosophie des Geistes war Chalmers eine Schlüsselfigur bei der Abwehr des Physikalismus und hat alternative Bilder der Realität verteidigt (von denen einige dem Immaterialismus von George Berkeley verblüffend ähnlich sind). Es ist daher nicht überraschend, dass er die physikalistischen Ansätze zu der Frage, was es bedeutet, dass eine Welt „real“ ist, in Frage stellt.
Ein kommender Paradigmenwechsel?
Was können wir aus dieser Debatte mitnehmen? Haben diese scheinbar abstrakten Spekulationen über die Realität irgendwelche Auswirkungen auf unser Leben? In einem wichtigen Werk der Wissenschaftsphilosophie, The Structure of Scientific Revolutions (1962), führte Thomas Kuhn den Begriff des „Paradigmenwechsels“ ein. Dies bedeutet, dass eine Reihe von einst unbestrittenen Annahmen im Lichte neuer Beweise oder Daten zugunsten eines neuen „Paradigmas“ (das wiederum eine andere Reihe von weithin akzeptierten Annahmen darstellt) verworfen werden. Ein historisches Beispiel für einen Paradigmenwechsel ist die kopernikanische Revolution in der Wissenschaft, die die Sonne anstelle der Erde in den Mittelpunkt des Universums stellte.
Wenn wir alle beginnen, virtuelle Welten zu bewohnen, dann wird uns die Vorstellung, dass die Realität physisch ist, vielleicht als Artefakt vergangener Zeiten erscheinen.
Vielleicht wird das Entstehen des Metaversums (und zweifellos vieler anderer virtueller Realitäten) einen neuen Paradigmenwechsel in Bezug auf unsere Ansichten über die „Realität“ einleiten. Wenn wir alle beginnen, virtuelle Welten zu bewohnen – wenn dies der Ort ist, an dem wir mit anderen in Verbindung treten, unsere Familie sehen, Geschäftstreffen abhalten –, dann wird uns die Vorstellung, dass die Realität physisch ist, vielleicht als ein Artefakt einer vergangenen Zeit erscheinen, so wie uns die Vorstellung, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist, heute erscheint. In diesem neuen Paradigma wäre es vielleicht unumstritten – vielleicht wäre es sogar offensichtlich –, dass eine virtuelle Welt real ist.
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