Wie das Metaverse uns entmenschlicht
Das Metaverse verspricht viel, aber es lauern auch viele Gefahren. Die größte: Dass der Mensch auf einen permanenten Datenproduzenten reduziert wird.
Auf den Punkt gebracht
- Fehlstart. 2021 hat sich Facebook in Meta umbenannt und will Vorreiter im Metaverse werden – und seitdem ist eigentlich alles schiefgegangen.
- Sinnfrage. Viele Nutzerinnen und Nutzer stellen sich zur Zeit die (keineswegs unberechtigte) Frage: Was bringt mir das Metaverse?
- Schatzkiste. Für die Unternehmen ist der Vorteil klar: Das Metaverse ist eine niemals leere Schatzkiste voller Userdaten.
- Selbstbestimmung. Wenn wir nicht nur Datenproduzenten sein wollen, müssen wir unsere Geschicke im Metaverse selbst in die Hand nehmen.
Es sollte ein Paukenschlag sein, als im Oktober 2021 der Vorstandsvorsitzende des Technologieunternehmens Facebook, Inc., Mark Zuckerberg, die Umbenennung seiner Firma in „Meta Platforms, Inc.“ – kurz: „Meta“ – verkündete. Denn „Facebook“ war ein seit mehr als einem Jahrzehnt fest verankerter Markenname, nicht zuletzt dank des gleichnamigen sozialen Online-Netzwerks, das weltweit rund zwei Milliarden Nutzerinnen und Nutzer hat.
Mehr zum Thema Künstliche Intelligenz
- Bernhard Winkler schreibt über die Furcht der Autoren vor KI
- Sepp Hochreiter macht den Test: Ist ChatGPT besser als seine Schöpfer?
- Anne Foerst erklärt, warum die Roboter dumm bleiben
- Oliver Bendel beantwortet die Frage, ob Computer eine Moral brauchen
Da verwunderte es viele Beobachter, dass diese etablierte Marke namentlich nun so in den Hintergrund der Firma rücken sollte. Doch Zuckerberg machte in seinem begleitenden PR-Video deutlich, worum es ihm ging. Die Umbenennung sollte das „Metaverse“ stärker in den Fokus des Unternehmens rücken – das „Metaverse“, in dem das Unternehmen Facebook nach eigenem Verständnis bereits seit Längerem aktiv war und das es in der Zukunft weiter zu seinem Kerngeschäft ausbauen will.
Metaverse? Vielleicht war es die eher spröde Persönlichkeit Zuckerbergs, die die in dem Video verkündete Aufbruchsstimmung nicht recht übertrug – andere Unternehmenslenker im kalifornischen Silicon Valley treten mit deutlich größerem Aplomb auf als der jungenhaft wirkende Meta-Chef. Vielleicht war es auch der etwas im Sinkflug begriffene, doch einst so schillernde Name Facebook – jüngere Nutzerinnen und Nutzer laden ihre Botschaften und Filme inzwischen ja bevorzugt bei Kanälen wie TikTok hoch, von deren zentralen Funktionen sich Zuckerbergs firmeneigene Plattform Instagram fast schon verzweifelt inspirieren lässt.
Big Tech träumt von der Unsterblichkeit
Noch wahrscheinlicher für die sich nicht einstellende Begeisterung war wohl auch schlicht die Tatsache, dass die Idee vom „Metaverse“ gar nicht so neu ist und der Facebook-Konzern sich mit seiner Umbenennung an ein Schlagwort anhängt, das bereits etwas schal geworden ist. Inzwischen lässt sch jedenfalls konstatieren, dass der Technologieriese allein innerhalb der ersten zwölf Monate nach seiner Umbenennung einen erheblichen Teil seines Börsenwerts verlor, viele Mitarbeiter entließ und der Funke des Neubeginns nicht recht gezündet hat.
Was ist eigentlich das Konzept des Metaverse?
Meta Platforms, Inc. befindet sich, betrachtet man alle Börsenindikatoren, in einer Unternehmenskrise. Die Fokussierung auf das Metaverse sollte die Rettung sein, steht bisher aber nur für den recht erfolglosen Versuch des Unternehmens, sich neu zu erfinden. Die Umfirmierung war wohl kein Paukenschlag, sondern bloß das kurze Klingeln einer Triangel, um im musikalischen Bild zu bleiben.
Doch was eigentlich ist das Metaverse überhaupt? Was ist sein Konzept, was sind seine Versprechungen? Ist das nur „heiße Luft“ aus dem sonnigen Klima Kaliforniens, also das in der Tat übliche Marketinggeklingel? Oder was davon könnte dereinst sinnvoll umgesetzt werden? Wem könnten diese Ideen nutzen? Und nicht zuletzt: Was ist davon zu halten?
Das Metaverse soll die immersive Online-Eintauch-Umgebung für Arbeit, Sport und Spiel sein, schöner als die Wirklichkeit.
Das Konzept des Metaverses ist noch nicht klar definiert. Der Investmentberater Matthew Ball, der ein viel beachtetes Buch und diverse Essays zum „Metaverse“ geschrieben hat, umreißt es eher spekulativ. Das Metaverse soll die dritte Ausbaustufe des Internets werden, also Nachfolger des ursprünglichen ersten Internets, das auf statischen Websites basiert, und des „Web 2.0“, also des interaktiven Internets, das insbesondere auf Social Media aufbaut. Es soll die immersive Online-Eintauch-Umgebung für Arbeit, Sport und Spiel sein, das 360-Grad-Rundum-Erlebnis, noch schöner als die Wirklichkeit: effizient, agil, bunt und bequem. Hier kommen also gleich mehrere klassische Versprechungen der Digitalität zum Tragen.
Permanent online
Da sich die Nutzenden dank Facebook seit zirka 2005 ohnehin daran gewöhnt haben, permanent online zu sein und ihre alltäglichen Handlungen und Verrichtungen (und ihre Hobbies, Meinungen, Gefühle, Kaufabsichten und andere Sehnsüchte) breit gestreut ihren Freunden, Bekannten und ganzen Netzwerken von „Friends“ zu präsentieren und mit aller Welt zu teilen, und sie dies seit etwa 2007 mit dem Smartphone quasi von jedem erdenklichen Ort aus tun, soll für die Userinnen und User der Schritt zum Metaverse fast nur noch ein kleiner sein.
Online bis zur Erschöpfung
Das Metaverse soll überall, stets drumherum und die neue Wirklichkeit sein, die man durchwandern kann: ein kollektiver virtueller Raum, in dem man mit anderen Menschen interagieren und eigene schöpferische Produkte anbieten kann. In jedem Fall stimmig ist die Vorstellung, dass virtuelle Realität „nicht mit bloßer Illusion oder Scheinwelt identisch ist, sondern eine Realität eigenen Rechts markiert, die immer mehr selbstverständlicher Teil unserer Lebenswelt wird“, wie der Philosoph Jörg Noller schreibt. Nur folgerichtig erscheint, dass just die Firma des Facebook-Netzwerks dieses „neue Internet“ an vorderster Front mit aufbauen möchte.
Mark Zuckerberg, ein seltsam beinloses Wesen
In Zukunft sollen wir unter dem Schirm der Dachmarke Meta – jedenfalls wenn wir dieser Unternehmensvision folgen – nicht nur im Netz stöbern, Botschaften versenden (wie etwa bei WhatsApp) und uns mit anderen per Bild- und Filmbotschaften vernetzen (wie über Instagram), sondern auch in Büroumgebungen kollaborativ miteinander arbeiten, einkaufen, Produkte testen, Kleidung anprobieren, Brillen anpassen, Games spielen, virtuell verreisen, uns für Jobs bewerben, digitale Kunstwerke kaufen und ausstellen, den Partner oder die Partnerin fürs Leben finden – also gleichsam alles.
Der Meta-Konzern nennt das „die Zukunft der Vernetzung“. Im Metaverse „neue Erfahrungen teilen und mehr zusammen machen“, so lautet die Devise, folgt man den leicht schwammigen Verheißungen auf der firmeneigenen Website.
Alles, was man dafür braucht, ist entweder eine Brille für „Augmented Reality“, also eine durch computerbasierte Bildgebung erweiterte Wahrnehmung von realen Welten, oder einen Augenaufsatz für „Virtual Reality“, das heißt für komplett künstliche Welten, in die man eintauchen und durch die man navigieren kann, einem Computerspiel nicht unähnlich. Nutzerinnen und Nutzer werden dabei als „Avatare“ dargestellt, also als Computersimulationen ihrer selbst – bei Meta bisher als comicartige und seltsam beinlose Wesen.
Da nimmt es kein Wunder, wenn in der Branche das Gelächter groß war, als Mark Zuckerberg im Herbst 2022 freudig einen ersten Avatar mit Beinen vorstellte, und zwar seinen eigenen. Die Programmiertechnik schreitet mutig voran, ließe sich lapidar formulieren; doch andere immersive Online-Welten sind allein optisch schon längst viel weiter – man schaue bloß einmal auf avancierte Computerspiele, wie sie Menschen weltweit spielen.
Manchmal riechen Menschen unangenehm
Was dieses kleine PR-Debakel auf einer ernsteren Ebene offenbarte, war schlichtweg die Sinnfrage. Wer soll und will die oben beschriebenen Angebote nutzen? Oder in den Worten des Münchner Soziologen Armin Nassehi: Welches Problem löst die Digitalisierung eigentlich? Auf das Metaverse bezogen: Welche menschlichen Bedürfnisse sollen mit dieser technischen Innovation befriedigt werden? Oder ist die Nachfrage nach dem Metaverse, wie so oft in einer marketinggetriebenen Absatzwirtschaft, bloß künstlich?
Es ist ja nicht so, dass man die oben beschriebenen Aktivitäten nicht auch bisher schon hätte unternehmen können oder es keine Anwendungen gäbe, mit denen man sich vernetzen kann. Manches lässt sich sogar gänzlich ohne Datenverbindung erledigen, falls man sich das noch vorstellen kann (manche Menschen können und wollen das), etwa Kleidung kaufen oder Meetings im Büro abhalten.
Digitale Interaktionen muten recht antiseptisch und distanziert an. Vielen Menschen kommt das gelegen.
Zugegebenermaßen ist es im Netz oft einfacher, bunter und faszinierender – und man spart sich aufwändige Fahrten und die ja oft anstrengenden Begegnungen mit realen Menschen, die gerne auch mal Widerworte geben, lästig sind oder gar unangenehm riechen. Reale Vergesellschaftungen sind nicht immer einfach oder konfliktfrei.
Digitale Interaktionen muten dagegen recht antiseptisch und distanziert an. Vielen Menschen kommt das durchaus gelegen und sie haben sich daran gewöhnt – gerade dank Facebook, WhatsApp, Instagram und Co. „Connecting people“, Menschen miteinander verbinden, das war lange Facebooks zentraler Werbeslogan. Jetzt sollen Userinnen und User also auch im Metaverse „die Zukunft der Vernetzung“ erfahren.
Cyberpunk als Lehrbuch
Metas ureigene Idee ist das Metaverse nicht. Der Name geht auf einen Science-Fiction-Roman von Neal Stephenson zurück, „Snow Crash“ aus dem Jahr 1992 (die deutschsprachige Erstausgabe von 1994 ist mehrfach neu aufgelegt worden). Die recht rasante und leicht verworrene Geschichte liest sich wie ein Cyberpunk-Roman, in dem die Figuren in Multi-Player-Umgebungen als Avatare fast magisch miteinander kommunizieren und in einer virtuellen Realität Konflikte austragen können.
Zahlen & Fakten
Was ist eigentlich… Cyberpunk?
- Cyberpunk ist ein Subgenre der Science-Fiction, das in gesetzlosen, von der Computertechnologie beherrschten Gesellschaften der Zukunft spielt.
- Ein Großteil des Cyberpunk hat seine Wurzeln in der New Wave-Bewegung der 1960er-1970er Jahre, als Autoren wie Philip K. Dick, John Brunner und J. G. Ballard die Auswirkungen von Drogenkultur und Technologie untersuchten und sich den utopischen Tendenzen der früheren Science-Fiction widersetzten.
- Zu den typischen Merkmalen von Cyberpunk zählen ein urbanes, düsteres Setting, die gewaltsame Unterdrückung des Menschen durch Technologie, der Zerfall politischer Systeme, die Monopolstellung einzelner Konzerne und anti-autoritäre Anti-Helden.
- Ridley Scotts Film Blade Runner aus dem Jahr 1982 (der auf Philip K. Dicks Buch Träumen Androiden von elektrischen Schafen? von 1968 basiert) kann als Paradebeispiel für den Stil und die Thematik des Cyberpunk angesehen werden. Die Matrix-Trilogie (1999-2003) und Judge Dredd (1995) sind weitere erfolgreiche Cyberpunk-Filme.
Die Faszination, die für libertär gesinnte Unternehmer wie Zuckerberg (und andere) aus dem Buch spricht, liegt wahrscheinlich in der jämmerlich schwachen Rolle des Staates begründet, der in dieser Story praktisch untergegangen ist und nur noch von einer ineffizienten und bürokratischen Geheimdienst-Behörde repräsentiert wird – ein Standardmotiv des Cyberpunk-Science-Fiction-Genres.
Im Metaverse dagegen wirkt alles anders, vor allem bunter und cooler. Mark Zuckerberg hatte Stephensons Roman firmenintern zur Pflichtlektüre gemacht. Die Handlungslinien und Hauptmotive des Buchs sollten zur Richtschnur für die Firma Facebook werden und sie ganz neu aufstellen. Große Bewegungen berufen sich ja gerne auf große Schriften (auch wenn das besagte Buch literarisch eher bescheiden daherkommt). Daher tritt das Unternehmen nun also unter dem entstaubten Namen „Meta“ auf.
Innovation? Fehlanzeige
Wäre da bloß nicht die Konkurrenz. Denn natürlich bieten auch andere Firmen seit Jahren Arbeits-, Shopping-, Freizeit-, Gaming- und Vernetzungsmöglichkeiten an, die auf dem Prinzip des Eintauchens in virtuelle Realitäten basieren. Apple, der Google-Konzern Alphabet und Microsoft haben sich neben Meta schon längst in Stellung gebracht, ebenso kleinere und spezialisierte Anbieter. Der Spieleanbieter Epic Games, am bekanntesten wahrscheinlich für das kooperative Spiel „Fortnite“, ist einer der treibenden Kräfte für das Austesten von virtuellen Umgebungen, die das Metaverse dereinst prägen könnten.
Meta scheint in alten Denkschablonen gefangen zu sein: selbstverliebt und siegesgewiss, aber ohne echte Neuerungen.
Nüchtern betrachtet, hat die fortgesetzte Pandemielage seit Anfang 2020 viele Menschen ohnehin bereits ganz ohne Brimborium in ein Metaverse hineingezogen, und zwar schlicht der Notwendigkeit der Situation gehorchend. Die Menschen mussten weiterarbeiten und funktionieren. Viele taten das, indem sie neue und innovative Anwendungen ausprobierten, die Teamarbeit für den Beruf genauso wie virtuelle Vernetzung in der Freizeit ermöglichen.
Dass der Facebook-Konzern Ende 2021 auf diesen fahrenden Zug aufspringt und das sich längst abzeichnende und wachsende „dritte Internet“ gewissermaßen neu erfinden will, mutet beinahe anmaßend an. Der Meta-Konzern scheint in seinen alten Denkschablonen gefangen zu sein: ziemlich selbstverliebt und siegesgewiss, aber ohne echte Neuerungen. In einem virtuellen Metaverse, dessen vage Geschäftsidee bisher noch seine Anwendungen und seinen spezifischen Nutzen sucht.
Wir arbeiten gratis für Facebook
Was also wollen die Technologie-Unternehmen im Metaverse? Ein Unternehmensziel zumindest eint sie alle: Geld verdienen. Darin war Facebook lange Zeit ein Meister. Die Werbeumsätze spülten über Jahre hinweg zuverlässig Geld in die Kassen. Hinzu kam das große Geschäft mit den wertvollen Daten. Auch für Alphabet, Amazon, Apple und Microsoft war dies stets lukrativ und ist es bis heute. Daten entstehen immer, wenn Menschen etwas im Netz machen, etwa das Gerät ein- und ausschalten oder eine bestimmte Anwendung nutzen.
Datendiebstahl: Die versteckte Gefahr
Daten sind Verhaltensspuren. Nicht nur wissen die Anbieter so, wer ihre Kundinnen und Kunden sind, wo sie leben, welche Geräte sie haben und wann sie die Software und Plattformen nutzen. Sie kennen durch Verknüpfung von Datensätzen auch rasch ihre hinterlegten Konto- oder Kreditkartennummern, ihre finanzielle Bonität, ihr sozioökonomisches Profil, ihre Vorlieben und so weiter.
Noch einfacher funktioniert diese Verknüpfung, wenn man sich auch bei Drittanbietern mit seinem Meta-Konto einloggt (Google, Apple und Microsoft etwa bieten einen ganz ähnlichen Service an). Die Nutzenden produzieren so bei ihrer Nutzung der Plattformen und ihrer verknüpften Dienste täglich eine Art „elektronischen Text“, der detaillierter ist, als ihnen wahrscheinlich selbst bewusst ist und auf deren Grundlage Menschen beobachtet und ihre zukünftigen Verhaltensweisen vorausgesagt werden können.
Hierbei geht es kaum vorrangig um den einzelnen Menschen an sich. Vielmehr ist der Einzelne im Geflecht eines größeren, sehr großen Datensatzes von Interesse: „Big Data“, die auf der Basis von statistischen Wahrscheinlichkeitskalkulationen das Erkennen und Prognostizieren von individuellen und kollektiven Handlungsmustern erlauben. Genau an der Produktion solcher riesigen Datensätze arbeitet jeder mit, der onlinebasierte Anwendungen nutzt – Tag für Tag und letztlich unbezahlt. Die Wertschöpfung erfolgt für die Tech-Unternehmen sozusagen gratis frei Haus.
Ein Schlaraffenland für Datenauswerter
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff hat dafür den Begriff „Überwachungskapitalismus“ geprägt, und er trifft den Kern des Geschäftsmodells des Silicon Valley recht gut. Die großen Technologieunternehmen verfügen bereits jetzt über riesige und detaillierte Datensammlungen, mit denen sie das Leben ihrer Kundinnen und Kunden auf breiter Basis auslesen können – und sie gieren nach mehr.
Dafür müssen sie allerdings Angebote schaffen, die den Nutzenden im wahrsten Sinne des Wortes mehr Nutzen versprechen. Im Gegenzug hinterlassen die Menschen durch ihre Nutzung der Dienste wiederum mehr Datenspuren, die ins Eigentum des Unternehmens übergehen – und gespeichert, verarbeitet, zu Pakten gebündelt und an viele weitere Unternehmen weiterverkauft werden.
Und kaum etwas verspricht eine so dichte Datenproduktion wie das Arbeiten, Shoppen, Spielen, Chatten, Treffen und allgemeine Tummeln in einem zukünftigen Metaverse, Tag für Tag, millionenfach. Die Firma, die diese Aktivitäten und die aus ihnen resultierenden Datensätze unter ihrem Dach bündeln kann, hat einen umfassenden Zugriff auf eine sich nie leerende Schatzkiste. Ein Schlaraffenland für Datenauswerter, denen der nachwachsende Rohstoff niemals ausgeht. Doch was heißt das für die Produzenten der Daten, deren Spuren eines (online) gelebten Lebens tagtäglich ausgebeutet werden?
Der datafizierte Mensch
Folgt man dem Jenaer Soziologen Hartmut Rosa, könnte die zunehmende Verlagerung von Alltagsaktivitäten in virtuelle Umgebungen dazu führen, „dass wir Welt und Erleben nicht mehr als Resonanzsphäre wahrnehmen, sondern als ein Feld voller Instrumente“. Und das habe, so Rosa, „Konsequenzen. Dann wird alles zum Mittel.“ Man selbst miteingeschlossen.
Prinzipielle „Unverfügbarkeit“ ist ein wesentliches Merkmal der Selbstbestimmung und somit der Freiheit des Menschen.
Aus ethischer Perspektive ist diese Reduktion problematisch: Wenn alles, einschließlich der privaten Lebensführung, zu einem datafizierbaren Ausbeutungsobjekt wird, zu einem Mittel zum Zweck, der in eine technologisierte Totalität eingefügt ist, kann der Mensch keine „Resonanz“ mehr erfahren: Er schwingt dann gewissermaßen nicht mehr in seiner Gesellschaft mit, sondern wird von ihr entfremdet.
Die Individuen begreifen sich vor diesem Hintergrund nicht mehr als Mitglieder einer Gesellschaft mit gemeinsamen Orientierungen und Wertvorstellungen, sondern als atomisierte Handlungsträger. Der zuvörderst als permanenter Datenproduzent gesehene Mensch ist zunehmend verfügbar. Prinzipielle „Unverfügbarkeit“ aber ist nach Rosa ein wesentliches Merkmal seiner Selbstbestimmung, seiner Autonomie also, und somit der Freiheit des Menschen.
Bequem ausgebeutet
Diese Freiheit ist konstitutiver Bestandteil eines gelingenden oder erblühenden Lebens, wie es etwa Aristoteles bereits in der Antike vorgeschwebt ist. Menschen suchen diesem Philosophen zufolge während ihres ganzen Lebens nach dem richtigen Weg für eine angemessene Lebensführung, die nicht nur gut für sie selbst ist, sondern auch ihrem Zusammenleben mit anderen Menschen förderlich ist. Indem die Existenz (und produktive Ausbeutung) des Menschen im Metaverse mangels anderer Optionen im Netz kaum noch nicht protokollierte, nicht überwachte Räume zuließe, mündete diese neue virtuelle Umgebung allerdings in Zwang.
Ode an eine kaputte Welt
Sollte sich das Metaverse dereinst als das neue „Normal“ und als neuer kollektiver Steuerungsmechanismus etabliert haben, würden Menschen vor allem als Datenproduzenten für Verwertungszwecke einer technisch-instrumentellen Instanz leben. Sicher, Meta und all die anderen Technologieunternehmen wollen nur „Menschen verbinden“, wie sie immer kundtun, aber tatsächlich wollen sie eben Datenspuren sinnvoll miteinander verknüpfen, um diese Daten zu verkaufen. Je komplexer und angereicherter diese Datenpakete sind, desto wertvoller sind sie. Die Vorstellungen von einem Metaverse sind, egal von welchem Tech-Unternehmen sie formuliert werden, Ausdruck einer Zentralisierungsfantasie – und somit der Macht.
Weniger dystopisch formuliert, verspricht das Metaverse den Endkunden auch Vorteile. Wenn alle Online-Aktivitäten unter einer Dachmarke, also bei einem Anbieter gebündelt sind, hat man „alles an einem Ort“, muss sich wahrscheinlich auch nicht mehr allzu viele Passwörter merken und hat allgemein auch Effizienz- und Bequemlichkeitsvorteile. Aber mit den oben beschriebenen Ausbeutungsprozessen im Blick wäre durchaus kritisch zu fragen: Was für ein Mensch wäre man? Und in welcher Art von Gesellschaft lebte man dann? Ist dies Leben, das man sich gerne vorstellen mag?
Eine neue Feudalgesellschaft
Treffend ließe sich eine solche von Tech-Konzernen und ihrer Datenschürflogik bestimmte Gesellschaft als eine neue Art der Feudalgesellschaft charakterisieren. Die Unternehmen stellen die Betriebsmittel bereit – die Plattformen für Arbeit, Spiel und Vernetzung – und kontrollieren den Zugang zu ihnen. Ist das Netzwerk erst einmal groß genug, ist es für einzelne Nutzerinnen und Nutzer schwierig, es nicht zu nutzen oder es zu verlassen: Der individuelle Verlust wäre schlicht zu groß.
Die Vorstellungen von einem Metaverse sind Ausdruck einer Zentralisierungsfantasie – und somit der Macht.
So beugen sich die Nutzenden also den Teilnahmebedingungen der Anbieterfirmen. Diese wiederum können in bestimmten Bereichen Monopole oder Oligopole ausbilden, also sehr marktdominant werden. So wie Alphabet mit Google Search den Markt für Suchmaschinen und mit YouTube den Markt für Netzvideos recht weitgehend beherrscht, Microsoft den Markt für Betriebssysteme und Meta (jedenfalls bisher) weitgehend den Markt für Vernetzungsplattformen und Messengerdienste.
Für die Gesellschaft ist das keineswegs immer von Vorteil, man blicke nur einmal auf Facebooks kläglichen Umgang mit Fake News, Desinformation und Hassrede auf seinen Servern; andere Plattformen wären hier ebenso zu nennen und haben zu einer erheblichen Polarisierung des gesellschaftlichen Diskurses beigetragen. Wenn das fabulierte Metaverse vor allem eine Fortsetzung dieser Trends sein sollte, möchte man dort vielleicht eher nicht arbeiten, spielen, sich austauschen oder anderweitig seine Zeit verbringen.
Wie Fake News Feindbilder schaffen
Kein egalitärer Raum für alle
Feudalisierung steht im beschriebenen Kontext auch für eine gesellschaftliche Spaltung auf einer anderen Ebene. Denn bereits jetzt ist der Trend ablesbar, dass diejenigen User, die über größere monetäre Ressourcen – lies: Geld – verfügen, sich teilweise von der sehr umfänglichen Datenausbeutung freikaufen können, etwa indem sie bezahlte Abonnements abschließen oder hochwertigere Premium-Versionen laden können. Wer die Anwendungen „gratis“ nutzt, zahlt ja bekanntlich mit seinen Daten und verliert sehr weitgehend seine Privatheit im Netz.
Das Metaverse ist in diesem Kontext doppelt rücksichtslos: Indem es, so jedenfalls die Vision der Betreiberfirmen, eine große Überwelt für alle denkbaren Online-Aktivitäten sein soll, werden viele Menschen, die über keine großen finanziellen Spielräume verfügen, kaum umhinkönnen, als die Dienste in der Basisversion zu nutzen, also inklusive der entsprechenden Datenausbeutung.
Für die avancierteren Dienste im Metaverse – man denke nur an komplex modellierte Arbeitsumgebungen fürs virtuelle Büro – wird man ohnehin recht teure Brillen für Augmented und Virtual Reality benötigen. Wie passend, dass die inzwischen in den Meta-Konzern integrierte Tochterfirma Oculus solche Gestelle anbietet. Auch Hardware mit den neuesten Prozessoren sowie schnelle, breitbandige Internetverbindungen wird man brauchen: Softwareentwickler optimieren ihre Programme erfahrungsgemäß für den technisch ausgereiftesten Standard.
Die Mitgliedschaft im Metaverse muss man sich also leisten können, will man alle pfiffigen oder bequemen Features nutzen. Ein egalitärer Raum „für alle“ wird es nicht sein – und dies entgegen den ursprünglichen Versprechungen des Silicon Valley, dank Vernetzung werde alles einfacher, transparenter und „demokratischer“. Hier darf man zumindest skeptisch bleiben.
Welches Metaverse wollen wir?
Am Ende bleibt die Ausgangsfrage: Ist das Metaverse bloß heiße Luft, aufgeblasen vom glitzernden Marketing-Sprech eines Technologieunternehmens, das verzweifelt nach neuen Geschäftsfeldern sucht? Oder die logische, quasi „natürliche“ Fortführung bereits bestehender Technologietrends? Denkbar ist, dass eine Art „Metaverse“ sich aus den digitalen Praxen vieler Netzbürgerinnen und -bürger ausbildet. Dass dies unter der Führung der Firma Meta Platforms geschieht, ist keine Zwangsläufigkeit.
Was deren Marketinggeklingel angeht: Nun, mit heißer Luft kann man große Ballons fliegen lassen. Sie kann aber auch einfach im Nichts verpuffen. Bisher jedenfalls sucht die Geschäftsidee vom Metaverse noch seine sinnstiftenden Anwendungen und seinen Nutzen, der alltagsweltliche Probleme lösen kann. Insofern ist das Metaverse eine interessante Projektion unserer Gegenwart in die Zukunft.
Die Frage, welche Art von Social Media wir haben wollen, ist kollektiv bisher kaum beantwortet worden.
Die Debatte hierüber allein den Technologie-Unternehmen zu überlassen, wäre fahrlässig. Was für ein „Metaverse“, wenn überhaupt, wollen die Nutzenden? Was könnte den Menschen dienen, die es dereinst nutzen sollen? Bei der Beantwortung dieser Frage ist letztlich jeder und jede Einzelne gefordert. Zu befürchten ist allerdings, dass die Antworten in dieser Debatte am Ende letztlich wieder von den Anbieterfirmen formuliert werden, basierend auf ihren Visionen von technischer Innovation und Profitorientierung.
Ähnlich lief es auch bereits beim „Web 2.0“ ab. Was hatten soziale Online-Netzwerke Mitte der 2000er-Jahre nicht alles sein sollen und sein können – und was ist aus ihnen geworden? Die Frage, welche Art von Social Media wir haben wollen, ist kollektiv bisher kaum beantwortet worden. Vielmehr haben Nutzerinnen und Nutzer die Angebote im vorgegebenen Sinne der Tech-Unternehmen verwendet, und diese Zweckrealisierung hatte mehr oder weniger klägliche Auswirkungen.
Ein gutes Leben im Metaverse
Die Vorstellung, mit den Netzwerken ein „gutes Leben“ im Sinne Aristoteles‘ zu führen, oder wenigstens ein besseres Leben zum eigenen Wohl und zum Voranbringen einer gemeinwohlorientierten und offenen Gesellschaft, taucht in öffentlichen Debatten fast nur noch am Rande auf. Den eminent wichtigen Freiheitsgedanken – wie kann der schöpferische Mensch befähigt werden, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten? – haben wir im Daten- bzw. Überwachungskapitalismus weitgehend aus den Augen verloren.
Dieses Versäumnis könnte sich beim Metaverse wiederholen. Dass seine Vision noch nicht umgesetzt worden ist, ist vor diesem Hintergrund als ein gutes Zeichen zu werten: Noch kann es gestaltet werden, und zwar in eine Richtung, die den nutzenden Menschen dient und nicht bloß die Menschen vernutzt. Doch für eine solche Umsetzung Sorge zu tragen, bedarf es einer kollektiven Anstrengung und Willensbekundung. Fangen wir also an.
Conclusio
Das Metaverse ist in aller Munde, aber welchen genauen Zweck es erfüllen soll, ist nach wie vor ungeklärt. Allein für jene Unternehmen, die es betreiben werden, ist der Nutzen klar: Sie können Unmengen an Daten schöpfen, die auch in Zukunft als lukrative Geldquellen dienen werden. Der Nutzen für die Userinnen und User hingegen ist noch nicht klar definiert. Das ist im Grunde eine Chance: Solange es noch die Option zur Mitbestimmung gibt, müssen wir sie auch nutzen. Das Metaverse muss so gestaltet werden, dass es uns die Möglichkeit bietet, dort ein gutes Leben zu führen.
Weiterlesen
Metaverse: Schöne neue Welt?
Verreisen im Cyberspace? Freunde nur noch online treffen? Das Metaverse verspricht eine neue Welt, die sich fast so anfühlt wie die richtige, nur perfekter. Bis zur Perfektion ist es aber noch ein weiter Weg.