Macht doch einfach, was wir wollen!

Mit ein paar simplen Psycho-Tricks kann man Menschen dazu bringen, die „richtigen“ Entscheidungen zu treffen. Nudging heißt dieses Konzept, das vor allem Politiker gerne anwenden. Doch wir sollten auch über die Nebenwirkungen reden.

Illustration von mehreren Verbotsschildern, das vorderste stellt ein Tempolimit von 100 kmh auf der Autobahn dar.
Mitunter sollen durch Nudging Autofahrer dazu gebracht werden, langsamer zu fahren. Im Gegensatz zu einem Tempolimit fehlt die öffentliche Debatte darüber, wie sinnvoll die Zielsetzung ist. © Michael Pleesz
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Auf den Punkt gebracht

  • Stupser. Menschen verhalten sich oft irrational; „Nudging“ soll das Verhalten verbessern, ohne formell die Freiheit einzuschränken.
  • Techniken. Nudging-Methoden umfassen etwa Propaganda, Framing und Anreize für politisch gewünschte Verhaltensweisen.
  • Hinterfragen. Eine transparente öffentliche Debatte über die Ziele von Nudges kommt viel zu kurz.
  • Nebenwirkungen. Die potenziellen psychologischen Kosten einer „kognitiven Invasion“ durch Nudges werden von der Politik unterschätzt.

Die Leute fahren angeblich zu viel und zu schnell mit dem Auto. Sie ernähren sich ungesund. Sie kaufen Produkte, die sie besser nicht kaufen sollten. Sie sparen zu wenig oder zu viel. Sie tun einfach grundsätzlich nicht, was sie sollten. Wie soll die Politik damit umgehen? Verbote rufen oft Abwehr und Trotzreaktionen hervor. Deshalb wurde in den vergangenen Jahrzehnten das sogenannte „Nudging“ immer beliebter. Der Begriff heißt übersetzt so viel wie Anstupsen, und das Konzept wirkt oft besser als Ge- und Verbote.

Mit Nudging lassen sich individuelle Entscheidungen von Menschen verändern, ohne deren Optionen einzuschränken. Grundlage ist die Idee des „libertären Paternalismus“, die von Richard Thaler, Nobelpreisträger und Ökonom an der University of Chicago, und Cass Sunstein, Professor an der Harvard Law School, stammt.

Vielfalt des Nudging

Menschen verhalten sich häufig unlogisch und ignorieren, was gut für sie ist. „Nudging“ kann ihnen dabei helfen, irrationale Verhaltensmuster zu überwinden und gleichzeitig die individuelle Freiheit jedes einzelnen bewahren. Im Prinzip geht es darum, die Wahrnehmung der Menschen so zu verändern, dass sie von sich aus die „richtige“ Wahl treffen. In der politischen Praxis gibt es drei Möglichkeiten, die Bürger zu „stupsen“:

  • Propaganda: Abschreckende Bilder einer kranken Lunge auf einer Zigarettenschachtel erinnern die Konsumenten daran, dass sie durch Rauchen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Das soll Raucher motivieren, ihr Laster aufzugeben.
  • Framing: Manchmal beeinflusst schon die Art und Weise, wie verschiedene Auswahlmöglichkeiten präsentiert werden, die Entscheidung des Käufers. Gilt etwas als Standardoption, setzt es sich eher durch. Man könnte also beispielsweise Geschäften vorschreiben, gesunde Lebensmittel auffälliger zu platzieren. Oder die Mitarbeiter eines Unternehmens werden automatisch in Pensionsvorsorgepläne eingebunden und müssen ausdrücklich ablehnen, wenn sie das nicht wollen.
  • Perks: Mitunter hilft es, kleine Belohnungen (wie ein Bier oder einen Hamburger) anzubieten, damit Menschen die gewünschte Wahl treffen. Der Mensch neigt dazu, unmittelbaren Nutzen höher zu gewichten als langfristige Folgen. Politiker können diese Eigenschaft nutzen, um Menschen dazu zu bringen, eine „gute“ langfristige Entscheidung zu treffen, die sie ohne Nudging vielleicht nicht treffen würden. Ein Beispiel: Das Ausfüllen eines Formulars der Pensionskasse ist mühsam. Wer dafür einen Gutschein zum Online-Shopping bekommt, wird sich die Zeit vielleicht eher nehmen.

Das intellektuell Elegante am Nudging ist, dass es die individuellen Schwächen der Menschen, um ihnen dabei zu helfen, genau diese Schwächen zu überwinden. Würden wir alle völlig rational funktionieren, wäre es viel schwieriger, uns bestimmte Entscheidungen schmackhaft zu machen. Nudging erscheint als „free lunch“, wie Ökonomen das nennen – bringt also einen Nutzen ohne Kosten. Setzt die Politik auf Framing, kostet das Anstupsen nicht einmal etwas, argumentieren Thaler und Sunstein. Denn unter all den Möglichkeiten, Bürger vor eine Entscheidung zu stellen, muss sich die Politik für eine entscheiden. Und dann kann man gleich diejenige auswählen, die am ehesten zur Korrektur von nachteiligem Verhalten geeignet ist.

Nur zu deinem Besten

Vielleicht liegt es auch am Eindruck des „free lunch“, dass Nudging kaum Gegenstand von kritischen Debatten ist. Regierungen in vielen Ländern setzen auf diese paternalistische Politik, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Dass Nudging überhaupt wirkt, wird anhand verschiedenster kleine Experimente einfach vorausgesetzt. Ob die damit verfolgten Ziele überhaupt wünschenswert sind, wurde bisher kaum erörtert. Außerhalb akademischer Kreise (siehe z. B. mein Buch „The Tyranny of Utility“) gibt es keine ethische und philosophische Diskussion darüber, dass Regierungen die Bürger ständig zu deren vermeintlichem Wohl manipulieren.

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Zahlen & Fakten

Meist wird auch der Umstand ignoriert, dass Menschen unterschiedlich sind und Nudging manchen vielleicht schadet. Man denke zum Beispiel an das Ziel, die Menschen verstärkt zum Sparen zu motivieren, indem man sie standardmäßig in ein Zusatzpensionssystem einschreibt, wie das in Großbritannien geschieht. Diese Maßnahme beruht auf der Vorstellung, dass Menschen ohne diesen Anreiz zu wenig sparen würden.

Es ist jedoch durchaus möglich, dass ein Teil der Bevölkerung zu viel spart und besser dran wäre, wenn er dazu angeregt würde, mehr zu konsumieren. In der Tat weisen einige Forschungsergebnisse auf solche Effekte hin. Wer Menschen dazu bringt, sich in ein zusätzliches Sparprogramm einzuschreiben, betreibt eine Umverteilung von den „Übersparern“ (die so noch mehr sparen) zugunsten der „Untersparer“. In diesem Beispiel nutzt Nudging also nicht mehr jedem, und die Politiker bevorzugen einige soziale Gruppen auf Kosten anderer, ohne es überhaupt einzuräumen.

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Zahlen & Fakten

Nudging in der Praxis

  1. Organspende: In vielen Ländern ist die Standardoption für die Organspende ein „Opt-in”. Das bedeutet, dass davon ausgegangen wird, dass eine Person kein Organspender ist, es sei denn, man registriert sich bewusst dafür. Ein „Nudge” wäre, das umzudrehen und alle automatisch zu Organspendern zu machen, die sich nicht aktiv abmelden. Dadurch soll es viel mehr Organe für die medizinische Versorgung geben.
  2. Gesunde Ernährung: Einige Schulen und Arbeitsplätze haben ihre Kantinen so umgestaltet, dass gesündere Lebensmitteloptionen auf Augenhöhe oder am Anfang der Schlange platziert werden, was die Menschen dazu anregt, gesündere Entscheidungen zu treffen.
  3. Energiesparen: Manche Energieversorger teilen den Kunden mit, wie ihr Energieverbrauch im Vergleich zu jenem ihrer Nachbarschaft ist, um sie dazu anzuregen, Energie zu sparen.
  4. Altersvorsorge: Im Vereinigten Königreich zum Beispiel wurde bewusst auf automatische Anmeldung zu betrieblichen Sparplänen für die Pension gesetzt, mit der Option für Mitarbeiter, sich abzumelden. Dies führt dazu, dass mehr Mitarbeiter einzahlen.
  5. Recycling: Das Aufstellen von Recyclingbehältern neben Mülleimern und das sichtbare Beschriften dieser, regt Menschen dazu an, mehr zu recyceln.
  6. Impfung: Das Versenden von Erinnerungs-SMS oder das automatische Terminieren von Impfungen kann Menschen dazu anregen, sich impfen zu lassen.

Dazu kommt, dass die Ziele des Nudgings oft nicht das Ergebnis öffentlicher Debatten und der demokratischen Suche nach einem Konsens sind, sondern von kleinen Interessensgruppen innerhalb des Establishments vorangetrieben werden. Zum Beispiel wurden in den vergangenen Jahren viele Maßnahmen ergriffen, um Autos zu verlangsamen – etwa indem ein Teil der Straße weiß gestrichen wird.

Diese Maßnahmen beruhen auf der Vorstellung, dass Geschwindigkeit per se schlecht ist. Ein höheres Tempo hat aber auch Vorteile, da es den Zeitaufwand für den Transport reduziert und den Menschen mehr Freizeit bietet oder die Produktivität steigert. In der Tat werden sukzessive Geschwindigkeitsbegrenzungen und höhere Strafen für Übertretungen selten durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse gerechtfertigt, die belegen, dass die neuen Vorschriften besser sind als die alten. Dass auch höhere Geschwindigkeit Vorteile haben kann, kommt kaum noch zur Sprache.

Wer setzt die Nudging Agenda?

Angesichts der irreführenden, aber weit verbreiteten Annahme, dass es sich bei Nudging um eine milde Intervention handle, die dem Einzelnen erhebliche Vorteile, aber nur geringe oder gar keine Kosten auferlege, ist es für bestimmte Interessengruppen noch einfacher, den Prozess mit ihrer eigenen Agenda zu übernehmen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der von der EU vorgeschriebene Fragebogen zur Finanzkompetenz, den man vor dem Kauf riskanter Wertpapiere ausfüllen muss. Die paternalistische Idee, die dieser Politik zugrunde liegt, besteht darin, dass die Menschen vor ihrem eigenen Unwissen geschützt werden sollten. Der Kauf von Wertpapieren und insbesondere der Kauf von Aktien kann zu Verlusten führen; darauf glaubt man die Konsumenten hinweisen zu müssen. Das Ausfüllen dieses Fragebogens ist umständlich und kann Menschen unter Umständen davon abhalten, in ein Portfolio zu investieren. Einigen wird auch der Inhalt Angst machen.

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Zahlen & Fakten

Es liegt auf der Hand, dass diese Vorgabe als psychologischer Druck interpretiert werden kann, der mehr Mittel in Investitionen lenkt, für die man keinen Fragebogen ausfüllen muss – wie etwa Bankeinlagen, Sparkonten oder Immobilien. Diese Art von Nudging kann Menschen schaden, indem es sie manipuliert, ihre Ersparnisse zu einer niedrigeren Rendite anzulegen. Und sehr wahrscheinlich werden bestimmte Interessengruppen und Organisationen davon profitieren – nicht zuletzt die nationalen Regierungen, die durch höhere Bankeinlagen in die Lage versetzt werden, mehr Schulden auf dem heimischen Markt aufzunehmen.

Während die vermeintlichen Vorteile von Nudging in der öffentlichen Diskussion überbewertet werden, kommen die Nachteile meistens zu kurz. Zu hinterfragen ist jedenfalls auch die These, dass dieses Konzept kaum Kosten verursache. Wie erwähnt basiert Nudging auf der Vorstellung, dass Menschen nicht rational agieren. Sie verzichten oft auf große Vorteile in der Zukunft, weil sie von niedrigen unmittelbaren Kosten abgeschreckt werden, die bei der an sich „richtigen“ Wahl auftreten. Nudging verändert also die Kostenstruktur, indem die „falschen“ Entscheidungen etwas kosten, während die „richtigen“ gratis sind oder sogar eine Belohnung abwerfen.

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Zahlen & Fakten

Die psychologischen Folgen dieser Vorgangsweise können jedoch erheblich sein: die scheinbar verzerrten Entscheidungen, die Nudging austarieren soll, gehen auf die menschliche Tendenz zurück, psychologisch Anstrengendes zu vermeiden. Das kann sein, sich mit Bürokratie herumzuschlagen oder sich mental bei bestimmten Entscheidungen zu verausgaben.

Kognitive Nudging-Invasion

Daher können die „kleinen“ Kosten von Nudge-Interventionen hohe psychologische Kosten verursachen. So gibt es zum Beispiel eine Brücke in Paris, auf der Autofahrer gezwungen sind, die Spur zu wechseln, um auf der linken, statt auf der üblichen rechten Spur zu fahren. Vermutlich handelt es sich dabei um eine Verhaltensintervention, die darauf abzielt, das Bewusstsein für Gefahren bei den Fahrern zu schärfen. Dennoch wird das Gehirn gezwungen, auf einen automatischen, erlernten Prozess zu verzichten und stattdessen einen bewussten Prozess der Aufmerksamkeit auf eine ungewöhnliche Situation anzuwenden, von der wir wissen, dass sie in Bezug auf die mentale Energie viel anstrengender ist.

Die Ausbreitung von Nudging könnte schließlich zu einer Gesellschaft führen, die von einer ständigen „kognitiven Invasion“ des Gehirns durch von der Regierung festgelegte Signale geplagt wird. Viel Raum für persönliche Entwicklung und Zufriedenheit bliebe da nicht übrig. Gleichzeitig könnten diese Signale irgendwann keine Wirkung mehr zeigen – zum einen, weil sie einander oft widersprechen (eine Kampagne gegen „Übergewicht“ würde unweigerlich mit der „Akzeptanz von übergewichtigen Menschen“ in Konflikt geraten), und zum anderen, weil den Menschen irgendwann klar würde, dass sie ständig hin und her gestupst werden. Wenn das passiert, werden die Leute Verhaltensweisen entwickeln, um diese Politik zu neutralisieren. Und dann hat es sich ausgestupst.

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Conclusio

Mit „Nudging“ – englisch für „Anstupsen“ – versucht die Politik Verhalten zu beeinflussen, ohne Freiheiten einzuschränken. Durch kleine Manipulationen sollen Bürger dazu gebracht werden, bessere Entscheidungen in Bezug auf ihre Gesundheit, ihre Finanzen oder ihren Konsum zu treffen. Drei Strategien werden genutzt: Propaganda, Framing und kleine Belohnungen (Perks). Allerdings wird ignoriert, dass Individuen recht unterschiedlich sind und dass es, wenn alle in eine Richtung „gestupst“ werden, Gewinner und Verlierer geben kann. Weil diese From des libertären Paternalismus als harmlos gilt, gibt es keine Debatten zu den richtigen Nudging-Zielen. Zudem könnte eine ständige „kognitive Invasion“ durch von der Regierung festgelegte Signale zu einer Überbelastung führen und letztendlich ihre Wirkung verlieren.

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