Photosynthese statt Erdöl
Durch Photosynthese holen Pflanzen CO2 aus der Atmosphäre. Kann man das Prinzip nutzen, um all das herzustellen, was wir jetzt aus Erdöl machen?
Auf den Punkt gebracht
- Klimawandel. Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre steigt aufgrund der steigenden Emissionen immer schneller an.
- Ungleichgewicht. Die Natur kann die Menge an menschengemachtem CO2 nicht mehr kompensieren. Die Emissionen müssen schnell sinken.
- Lebensprinzip. Der Weg der Natur, CO2 aus der Atmosphäre entfernen, ist die Photosynthese – ein Prozess, der sich zu kopieren lohnt.
- Potenzial. Mit den Mitteln der Synthetischen Biologie könnte die Photosynthese kopiert, beschleunigt und für industrielle Produktion genutzt werden.
Kohlenstoffdioxid, kurz auch CO2, ist das Schicksalsmolekül unserer Zeit. Das klimarelevante Gas, das den menschengemachten Treibhauseffekt anfeuert und den Klimawandel rasant beschleunigt, ist ein Menetekel für die Menschheit. Dabei könnte CO2 so viel mehr sein. Atmosphärisches CO2 ist nämlich gleichzeitig eine Kohlenstoffquelle, aus der im Prinzip alle Kohlenstoffmoleküle, die wir im Alltag brauchen, abgeleitet werden können. Unser Alltag ist eine Kohlenstoff-Welt. Wenn es uns gelänge, CO2 mithilfe nachhaltiger Energie einzufangen und in Alltagschemikalien, Treibstoffe und Nährstoffe umzuwandeln, wäre uns der Schritt in eine postfossile, kohlenstoffneutrale Welt gelungen.
Mehr über Pflanzen und Energie
- Maria Renate Finckh über produktive Pflanzen: Der Denkfehler der Gentechnik
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Aus dem Klimakiller CO2 einen wertvollen Rohstoff zu machen ist eine kraftvolle Vision: Möglich wäre damit eine Zukunft, in der sich die Menschheit nie wieder Sorgen über fossile Energieträger, Rohstoffe und ausreichende Ernährung machen müsste.
Pflanzen machen seit Milliarden von Jahren vor, wie allein mit der Energie des Lichts aus dem Treibhausgas CO2 ein nutzbarer Rohstoff werden kann. Das ist das uralte biologische Prinzip der Photosynthese, die heute unser Vorbild für einen nachhaltigen Kohlenstoffkreislauf liefert. Jedes Jahr wandelt dieser natürliche Prozess 477 Milliarden Tonnen CO2 um. Leider zu wenig, denn wir Menschen setzen aus Erdöl, Kohle und Gas zusätzliches CO2 frei; im Jahr 2021 waren es über 40 Milliarden Tonnen, Tendenz steigend.
Gestörter Kreislauf
In den letzten zweihundert Jahren haben die Industrieländer mehr als 300 Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich in der Atmosphäre angehäuft. Seit Beginn der Industrialisierung hat sich damit global der CO2-Gehalt in der Luft von 0,03 Prozent auf 0,04 Prozent erhöht. Ein Bruchteil eines Prozentpunktes – das klingt nicht nach viel, dennoch sind die Folgen dramatisch. Der menschengemachte CO2-Ausstoß kann von der Natur nicht mehr kompensiert werden. Der Klimawandel ist Realität, der globale Kohlenstoffkreislauf ist außer Balance.
Zahlen & Fakten
Können wir den Klimawandel aufhalten, indem wir mehr Bäume pflanzen? Ganz so einfach ist die Lösung nicht, vor allem nicht in einer Welt, in der wir noch immer täglich Flächen versiegeln und damit den Treibhauseffekt weiter verstärken. Allein Deutschland verbraucht so mehr als 50 Hektar Fläche pro Tag.
Deshalb lautet ein Lösungsansatz der Wissenschaft, die natürliche Photosynthese zu verbessern, damit wir auf weniger Fläche mehr CO2 einfangen können. Damit uns das gelingt, müssen wir aber zuerst einmal verstehen, warum Pflanzen nicht so viel CO2 verarbeiten und für ihr Wachstum einsetzen, wie ihnen zur Verfügung steht. Pflanzen lassen in ihrer Photosynthese sehr viel Lichtenergie ungenutzt.
Der Motor stottert
Was also begrenzt die natürliche Photosynthese? In der Pflanze ist es jener Prozess, der das CO2 in den Stoffwechsel einspeist. Dies geschieht durch einen Biokatalysator, ein Enzym namens Rubisco. Rubisco ist sozusagen der Motor der Photosynthese.
Allerdings wandelt das Rubisco-Protein lediglich fünf CO2-Moleküle pro Sekunde um, was zehn- bis hundertmal langsamer ist als andere Stoffwechselprozesse in der Zelle. Dazu kommt, dass die Rubisco ungefähr jedes fünfte Mal anstatt eines CO2-Moleküls ein Sauerstoffmolekül einfängt.
Anders ausgedrückt: Der Motor der Photosynthese ist kein Rennwagen, er tuckert nur langsam vor sich hin und hat jede Menge Fehlzündungen. Kein Wunder, dass diese Ineffizienz das Pflanzenwachstum limitiert.
Letztendlich wird nur etwa ein Prozent des eingefangenen Sonnenlichts in Kohlenstoff gespeichert. Bei einem durchschnittlichen Sonnenlichteintrag von 120 Watt je Quadratmeter in Deutschland entspricht das in etwa einem Watt je Quadratmeter. Eine äußerst geringe Licht-zu-Energie-Ausbeute, zumindest nach technischen Maßstäben.
Ist es möglich, den Photosynthese-Motor zu „tunen“? Wer sich damit beschäftigt, findet sich schnell in einer Zwickmühle. Der zentrale Motor der Photosynthese kann zwar schneller gemacht werden, sodass er mehr CO2 pro Zeiteinheit einfängt, aber gleichzeitig wird damit seine Fehlerrate erhöht. Verringert man umgekehrt die Fehlerrate und macht den Motor präziser, verlangsamt sich dadurch automatisch das Einfangen von CO2.
Wissenschaftlich gesprochen handelt es sich hier um ein Pareto-Optimum: Keiner dieser Parameter des Photosynthese-Motors kann verbessert werden, ohne dass der jeweils andere negativ beeinflusst wird. Warum hat die Natur keine andere Lösung gefunden? Das liegt im Wesen der Evolution, die nun einmal mit den Elementen und Bausteinen arbeitet, die bereits vorhanden sind. Wenn einmal eine Lösung gefunden ist, wird diese zwar bis zu einem gewissen Punkt verbessert, allerdings kaum noch nach einer komplett neuen Lösung gesucht.
Enzyme vom Reißbrett
Sprunginnovationen sind im Laufe der Evolution somit leider rar. Und so kommt es, dass Pflanzen über Jahrmilliarden zwar einen robusten Photosynthese-Prozess hervorgebracht haben, der für ihr Überleben genügt, aber für unsere menschlichen Bedürfnisse in einer hochzivilisierten und -technisierten Welt nicht ausreichend ist. Doch aus Sicht der aktuellen Forschung steckt der Ansatz keineswegs in einer Sackgasse.
Ein noch junges Forschungsfeld eröffnet neue Lösungen: die Synthetische Biologie. Hier geht es darum, biologische Prozesse neu zu denken und den Lösungsraum der Natur um neue Möglichkeiten zu erweitern. Das Ziel der Synthetischen Biologie ist hierbei nicht, einen existierenden natürlichen Prozess zu optimieren, sondern (im Idealfall) eine neue, bessere Lösung zu finden. In unserer Forschung geht es um nichts weniger als um ein neues Betriebssystem für die Photosynthese.
Dazu entwerfen wir buchstäblich am Reißbrett einen Bauplan für eine neue Photosynthese, bevor wir dann im nächsten Schritt die einzelnen Bauteile zusammensuchen, die wir brauchen, um unseren Entwurf zu verwirklichen. Diese Bauteile sind Biokatalysatoren, also Enzyme wie die erwähnte Rubisco.
Diese Enzyme und Umwandlungsprozesse finden sich vor allem in den Mikroorganismen, von denen es Milliarden verschiedener Spezies auf unserem Planeten gibt. Erst in den letzten Jahren haben wir gelernt, dass all diese Mikroorganismen eine Stoffwechselfülle besitzen, die jene der Pflanzen- oder Tierwelt um ein Vielfaches übertrifft. Diese Vielfalt an Stoffwechselprozessen ist ein Schatz der Natur, mit dessen Hilfe wir die Photosynthese 2.0 zusammenbauen.
Eine künstliche Kopie
Tatsächlich fand unser Team am Max-Planck-Institut in Marburg die besten Enzym-Kandidaten für die neue Photosynthese in ganz unterschiedlichen Organismen. Der natürlichen, in drei Milliarden Jahren entstandenen Photosynthese konnten wir mithilfe der Synthetischen Biologie innerhalb weniger Jahre mehrere alternative Lösungen aus dem Labor entgegensetzen.
Eines unserer neuen Betriebssysteme für die künstliche Photosynthese ist der sogenannte CETCH-Zyklus. Dieser künstliche Umwandlungskreislauf oder Stoffwechsel nutzt 17 verschiedene Enzyme für die Umwandlung von CO2 in Kohlenstoff. Der CETCH-Zyklus kann CO2 etwa zwanzigmal schneller fixieren als die natürliche Photosynthese und braucht dafür nur die Hälfte an Energie, was verdeutlicht, wie viel Potenzial grundsätzlich in der Synthetischen Biologie steckt.
Zahlen & Fakten
Wie die Natur Licht in Materie umwandelt
Aus Licht wird Zucker: Die Magie passiert in den Chloroplasten, winzigen Einheiten in den Mesophyll-Zellen grüner Blätter. Dort werden Wasser und CO2 mit der Energie der Sonne in Glucose und Sauerstoff verwandelt. Die Energie wird in Adenosintriphosphat-(ATP-)Molekülen gespeichert und im Calvin-Zyklus zu Kohlenstoff. Tobias Erb ersetzt den Calvin-Zyklus durch den CETCH-Zyklus.
Natürlich ist die „künstliche Photosynthese“, der CETCH-Zyklus, zuerst einmal eine Machbarkeitsstudie. Noch läuft der Prozess nur im Reagenzglas, und die größte Herausforderung steht noch bevor: Funktioniert das neue Programm auch in lebenden Zellen? Dafür verwenden wir Mikroorganismen und Mikroalgen, die sich einfacher manipulieren und handhaben lassen.
Ein wichtiger Organismus für uns ist das Laborbakterium Escherichia coli, in das wir den CETCH-Zyklus schrittweise einbringen, um das neue Betriebssystem im lebenden Organismus zu testen. Das Bakterium ist nicht nur ein wichtiger Test für unser Design, sondern bietet auch die Möglichkeit, die Kraft der Evolution zu nutzen, um den CETCH-Zyklus im Zusammenspiel mit dem Stoffwechsel der Zelle zu verbessern. Unsere Hoffnung ist es natürlich, die Ergebnisse mittelfristig auf landwirtschaftlich nutzbare Pflanzen zu übertragen, auch wenn dafür noch viel Grundlagenforschung, Methodenentwicklung und Folgenabschätzung notwendig sein werden.
Die Kraft der Evolution
Wir arbeiten daran, technische und biologische Lösungen zu verknüpfen. So könnte man Wasserstoff erzeugen, der direkt von Bakterien oder im Umweg über Methanol verwendet werden kann, um CO2 einzufangen. Die künstliche Photosynthese könnte Teil einer Gesamtlösung im Kampf gegen den Klimawandel sein, wenn sie ökonomisch und gesellschaftlich akzeptiert wird.
Das uralte Prinzip der Photosynthese ist unser Vorbild für einen nachhaltigen Kohlenstoffkreislauf.
Bei allem Optimismus gibt es viele Fragen: Ist die künstliche Photosynthese „unnatürlich“? Die einzelnen Bausteine entnehmen wir der Natur und setzen sie wieder neu zusammen, so wie es die Evolution über Milliarden Jahre schon immer gemacht hat. Der entscheidende Unterschied ist, dass wir nun gezielter kombinieren und nicht auf evolutionäre Zufälle angewiesen sind. Wir können den Innovationszyklus der Natur damit deutlich beschleunigen. Natürlich muss garantiert sein, dass die Mikroorganismen, Pflanzen und Produkte, die wir mit künstlicher Photosynthese erzeugen, sicher sind – wie bei jeder Technologie.
In jeder Krise steckt auch immer eine Chance, bisherige Herangehensweisen neu zu denken. Ich bin der Überzeugung, dass Synthetische Biologie eine der größten Chancen für die Menschheit darstellt, die Klimakrise zu bewältigen. Wir Menschen werden nicht gegen, sondern nur mit der Biologie und im Bund mit der Natur eine Lösung finden können. Dazu braucht es aber eine Vision – und vor allem den Mut, diese neuen synthetisch-biologischen Ansätze weiterzuentwickeln.
Conclusio
Den natürlichen Prozess der Photosynthese mit anderen Enzymen nachzubauen und effizienter zu machen wäre eine Möglichkeit, den Klimakiller CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Das fixierte Kohlendioxid könnte dann das Ausgangsmaterial für zahlreiche Produkte und Prozesse sein, für die wir heute Kohlenstoff, zum Beispiel in Form von fossilem Öl, verwenden. Das wäre der Weg in eine klimafreundliche Zukunft. Erste vielversprechende Ansätze gibt es bereits: Es wurde ein Umwandlungsprozess gefunden, der schneller und effizienter arbeitet als die Natur. Bis dato funktioniert dieser Prozess nur im Labor. Nun geht es darum, ihn in einem natürlichen System, zum Beispiel in einem E.-coli-Bakterium, am Laufen zu halten. Gelingt das, wird man ihn später auch in großem Maßstab anwenden können.