Impfstoff-Preise als Geheimsache

Mit den Entwicklungskosten haben die Preise von Impfstoffen eher wenig zu tun: Wichtige Parameter sind die Größe der Märkte, Produktion, Logistik und die Patentlaufzeit.

Illustration eines Geschäftsmannes, der mit einem Magneten Euromünzen anzieht.
Was Impfstoffe letztlich für die Pharmafirmen einbringen, ist auch eine Frage des Marketings und der Distribution. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Viele Jahre. Die Entwicklungszeit für neue Medikamente dauert viele Jahre und ist mit großen Risiken verbunden. Dafür wollen Hersteller belohnt werden.
  • Kurzes Zeitfenster. Neue Medikamente sind patentgeschützt. Pharmafirmen verdienen etwa acht Jahre, dann verfällt der Preis durch Nachahmerprodukte.
  • Zwei Strategien. Entweder Pharma-Firmen verdienen über die Masse und können geringe Margen verkraften. Oder: Teure Medikamente für seltene Krankheiten.
  • Mehr Kooperation. Die Corona-Pandemie hat Wege aufgezeigt, die die Medikamentenentwicklung schneller und kostengünstiger machen könnten.

Die Preisgestaltung von Impfstoffen ist vor allem eines: Verhandlungssache. Am Anfang steht die Zulassung. Sie ist die Voraussetzung für den Markteintritt eines Impfstoffes. Dieser muss sicher und der Nutzen größer als potentielle Nebenwirkungen sein. Im nächsten Schritt wird der Preis verhandelt. Dieser hängt von vielen Faktoren ab: Welche anderen Hersteller bieten ein ähnliches Produkt an? Wie ist die Datenlage hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen? Wie schneidet mein Impfstoff im Vergleich mit anderen ab, die bereits auf dem Markt sind? Mit all diesen Faktoren sinkt oder steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich als Hersteller oder Käufer einen besseren Preis verhandeln kann. 

Viele Interessen

Mit wem ein Impfstoffhersteller verhandelt, ist unterschiedlich. In der Diskussion um den Preis treffen viele Interessen aufeinander. Zwischenhändler, also Arzneimitteleinkäufer, wollen die Kosten minimieren, der Hersteller den Preis maximieren und Regierungen wollen große Reichweite mit ihrem Impfstoff erreichen. Der fragmentierte EU-Markt macht es nicht besser.

In der EU gibt es ein sogenanntes Referenzpreissystem. Deutschland ist zum Beispiel in einem Länderkorb mit acht anderen Ländern, vor allem Nachbarländern. Wenn das deutsche Gesundheitsministerium den Preis aushandelt, wird es versuchen, einen besonders guten Preis zu bekommen und sich dabei auf den Preis in anderen Ländern beziehen. Doch die genauen Preise, die verhandelt wurden, verraten Hersteller und Länder nicht.

Wie profitabel ein Impfstoff am Ende ist, hängt nicht nur vom Preis, sondern auch von der Verkaufsmenge ab. Die Referenzlisten, die zur Verfügung stehen, erfassen nur sogenannte Schaufensterpreise. Das heißt, dass die Rabatte, die im nächsten Schritt noch mit Regierungen, Krankenhäusern oder Versicherungen ausgemacht werden, nicht miteinfließen. Deutschland kann also nicht wissen, welche Rabatte etwa Österreich bekommen hat. Das ist die große Schwäche des Auslandspreisvergleiches. Wie profitabel ein Impfstoff am Ende ist, hängt aber nicht nur vom Preis, sondern auch von der Verkaufsmenge ab. Ist diese groß, können selbst einem relativ tiefen Preis ansehnliche Profite entstehen.

Lange Zeitspannen

Die Frage ist also auch, wer in diesen Verhandlungen am längeren Hebel sitzt. Gibt es eine Alternative, kann der Staat ja auch auf andere Hersteller und Produkte umsteigen. Anders ist das, wenn eine Firma eine Monopolstellung in einem Bereich hat. Dann kann der Hersteller vorübergehend hohe Gewinn erwarten. 

Die Laufzeit für ein Patent beträgt etwa 20 Jahre, doch ökonomisch verwendbar ist das Produkt nur rund acht Jahre.

Ist ein Preis einmal festgelegt, hängt es vom jeweiligen Land ab, was als nächstes passiert. In Deutschland gibt es etwa eine einjährige Phase, in der geschaut wird, was der Nutzen und was der zusätzliche Nutzen zu bestehenden Mitteln ist. Danach macht man den eigentlichen Preis erneut fest.

Die Laufzeit für ein Patent beträgt in den meisten Ländern etwa 20 Jahre, doch ökonomisch verwendbar ist das Produkt nur rund acht Jahre. Denn das Patent beginnt noch während der Entwicklung des Produkts und es dauert oft mehrere Jahre, bis dieses final auf den Markt kommt. Ist das Patent abgelaufen, sinkt der Preis. Dann kommen Generika, also günstigere Nachahmerpräparate, ins Spiel.

Original oder Generikum

Impfstoffe sind generell Originalpräparate. Generika gibt es davon in diesem Sinne nicht. Einige Generikafirmen produzieren und vertreiben allerdings Originalimpfstoffe in Lizenz, das heißt, sie kaufen die Rechte. Bei Arzneimitteln ganz allgemein bringen manche Pharmafirmen noch vor Ablauf ihres eigenen Patents selbst Generika auf den Markt, damit sich die Ärztinnen und Patienten schon mal an den Produktnamen gewöhnen.

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Zahlen & Fakten

Der Preis ist anfangs noch nahe beim Originalprodukt. Doch sobald das Patent abgelaufen ist, und Konkurrenzprodukte auf den Markt kommen, sinkt der Preis oft deutlich. Dank der frühzeitigen Markteinführung bleiben die Käufer dem Generikum des Originalherstellers aber treu, so jedenfalls dessen Kalkül. 

Gehen wir einen Schritt zurück und schauen uns an, wie der Preis in der Produktion zustande kommt. Es besteht der Eindruck, dass Pharmafirmen – und das wird auch von den Firmen selbst gerne betont – viel Geld in Entwicklung und Forschung stecken. An sich kostet es nur wenige Euro, eine Dosis eines Impfstoffs in Großproduktion herzustellen. Wirklich teuer ist der Apparat dahinter: von den Produktionsstätten bis hin zur Logistik.

Forschung oder Marketing

Studien haben gezeigt, dass im Jahr 2014 sämtliche große Pharmafirmen mit Ausnahme der Firma Roche mehr Geld für Marketing als für die Forschung ausgegeben haben. Firmen wie GlaxoSmithKline oder Pfizer gaben etwa doppelt so viel für Marketingposten aus. Die grundlegende Forschung selbst erfolgt oft an Universitäten, privaten Forschungseinrichtungen und durch die Investition privater Stiftungen. Ist ein Produkt in der Endphase, wird das Patent dafür oder gleich das Forschungsunternehmen selbst von großen Pharmafirmen gekauft. Und dies ist insbesondere bei Impfstoffen auch notwendig, weil nur Grossfirmen über das notwendige Know-how verfügen, um Impfstoffe in riesigen Mengen herzustellen und weltweit zu vertreiben. 

Pharmafirmen verfolgen unterschiedliche Strategien. Impfstoffe mit meist geringer Marge und hohen Mengen werden fast nur noch von vier großen Firmen hergestellt: GlaxoSmithKline, Pfizer, Sanofi, und Merck. Die Schweizer Multis Novartis und Roche hingegen, konzentrieren sich auf Arzneimittel mit hohen Margen, zu denen etwa Krebsmittel oder Blutdrucksenker gehören. 

Bei den Preisverhandlungen selbst kann das auch eine Rolle spielen. Der Staat könnte argumentieren, dass ja sehr viel öffentliches Geld in Universitäten, und somit in die Entwicklung von Impfstoffen und dadurch die Basis für die spätere Produktion fließt. Die mRNA-Technologie, die bei den Impfstoffen für Covid-19 ins Spiel kam, fußt zum Beispiel auf 20 Jahren Grundlagenforschung. Große Firmen wie Pfizer bauten auf den Erkenntnissen des kleineren Forschungsunternehmen BioNTech auf und mussten lediglich – unter Anführungszeichen – in die Studien für Wirksamkeit und Sicherheits-Testung investieren. 

Neue Kooperationen

Während der Corona-Pandemie haben sich Forscherteams weltweit zusammen geschlossen, Daten und teils auch Ergebnisse ausgetauscht. Das war in diesem Ausmaß neu und hat den Entwicklungsprozess der Impfstoffe massgeblich beschleunigt. Ob solche Kooperationen auch in Zukunft bestehen werden, bleibt allerdings abzuwarten, da die Forschungsfirmen in Konkurrenz zu einander stehen. Auch dass Staatschefs während der Corona-Pandemie selbst zum Hörer griffen und CEOs von Pharmafirmen kontaktieren, war eine neue Situation. 

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Zahlen & Fakten

Der „Rolling Review“ in der Corona-Pandemie:

  • Der beschleunigte Zulassungsprozess der Corona-Impfstoffe war möglich, weil Experten aus allen europäischen Mitgliedstaaten im Rahmen des Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) mit der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zusammenarbeiteten.
  • Bei einer europaweiten Zulassung werden Arzneimittelbehörden aus zwei Ländern ausgesucht, die eine sogenannte Rapporteurschaft bzw. Co-Rapporteurschaft innehaben. Das bedeutet, dass diese zwei Teams in ihren nationalen Arzneimittelbehörden mit ihren Gutachtern die Daten vorab begutachten. Sie erstellen getrennt voneinander jeweils ein sogenanntes vorläufiges Gutachten.
  • Die Gutachten werden im Fachausschuss präsentiert. Dort wird hinterfragt, geprüft, kommentiert, und ein drittes Mitgliedsland übernimmt das Peer Review-Verfahren, überprüft und korrigiert also die jeweiligen Reports. So werden die zwei getrennten Vor-Gutachten zu einem gemeinsamen Gutachten zusammengeführt.
  • In dem gemeinsamen Gutachten werden Mängel, Fragen und Unklarheiten identifiziert. Die EMA schickt das Gutachten an die Hersteller weiter und verlangt eine Stellungnahme. Wenn alle Unklarheiten ausgeräumt sind, gelangt das CHMP zu einer Entscheidung. Außerhalb einer Pandemie haben die Behörden 210 Tage für diesen Prozess Zeit.
  • Normalerweise gibt es Clock Stopps, also die Möglichkeit, diese Frist von 210 Tagen zu unterbrechen. In der Pandemie waren solche Stopps aufgehoben, überall wurde rund um die Uhr gearbeitet.
  • Nach der Zulassung durch die EMA folgt eine Begutachtung auf nationaler Ebene in den jeweiligen EU-Staaten. Jedes Land kann entscheiden, wie und bei wem ein Produkt eingesetzt wird.

Und auch das Covax-System, das eine Verteilung von Impfstoffen an den globalen Süden anstrebt, ist in diesem Umfang neu- und einzigartig. Das hat auch einen guten Grund: Wir alle haben ein Interesse daran, das Sars-COV-2 Virus einzudämmen – auch in diesen Ländern. Denn bereits jetzt entstehen in Ländern mit tiefer Impfquote laufend neue und manchmal gefährliche Mutationen, die wieder zu uns kommen und den Impfschutz bei uns unterlaufen können.

Es gleicht Kaffeesatzlesen, aber es wäre möglich und auch wünschenswert, dass manche dieser Systemveränderungen – von Forschungskooperationen hin zur globalen Verteilung von Impfstoffen – auch nach dieser Pandemie erhalten bleiben. 

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Conclusio

Arzneimittelproduktion ist ein langer Prozess. Viele bahnbrechende Forschungen werden von jungen Start-up-Unternehmen gemacht. Doch die Studien für die Marktzulassung und die Logistik für Produktionsanlagen können sich nur die ganz großen Pharmafirmen leisten. Bei der Preisgestaltung von Unternehmen spielen viele unterschiedliche Kriterien eine Rolle. Es gibt zwei Strategien: Pharma-Unternehmen verdienen über die Masse ihr Geld und verlangen niedrige Preise, oder sie spezialisieren sich auf bestimmte Erkrankungen und bieten Therapien teuer an. Rund um die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes hat die gesamte Branche bewiesen, wozu sie fähig ist. Die Entwicklungszeiten wurden drastisch verkürzt, neue Formen von Zusammenarbeit waren möglich. Gerade bei Impfungen ist globales Denken entscheidend. Daran muss weiter gefeilt werden.