Die Super-Impfung gegen Grippe

Für immer immun mit nur einer Impfung – das ist die Idee einer universellen Grippe-Impfung gegen das Influenza-Virus. Das ist nicht leicht, aber durchaus möglich.

Illustration eines Arztes mit Superman-Schattenriss.
Dem Impfstoff Superkräfte verleihen: Das ist das Ziel der kniffligen Erforschung universeller Impfstoffe. © Getty Images
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Auf den Punkt gebracht

  • Jährliche Plage. Influenza-Viren machen jedes Jahr viele Menschen krank. Und jährlich sterben auch Infizierte an den Folgen der Erkrankung
  • Permanenter Wandel. Influenza-Viren verändern sich ständig. Jedes Jahr versuchen Wissenschafter vorherzusagen, welche Viren-Stämme dominant sein werden.
  • Dauerhaft geschützt. Wissenschafter arbeiten mit neuen Technologien an einer Super-Impfung, die ein für alle Mal vor einer Infektion schützt.
  • Hohe Kosten. Eine entsprechende Studie würde viele Jahre dauern. Es fehlen die finanziellen Mittel – auch die Pharma-Industrie hat wenig Interesse.

Wissen Sie, was die Jahreszahlen 1918, 1957, 1968 und 2009 gemein haben? Es sind alles Jahre, in denen es eine Influenza-Pandemie gab. Begonnen mit der Spanischen Grippe 1918 und zuletzt mit der Schweinegrippe 2009 kam es jeweils zu großen, globalen Ausbrüchen durch verschiedene Influenza-Viren, die mitunter Millionen an Menschen infizierten und töteten.

Den Menschen betreffen Influenza A und B Stämme. Allein bei Influenza A kennen wir mittlerweile 16 Subtypen, also Varianten. Und es gibt noch C und D Stämme, die in Tieren vorkommen – von Vögeln, bis hin zu Schweinen, Pferden und Fledermäusen. Alles in allem eine riesige Vielfalt an Viren!

Grippe: Alle Jahre wieder

Infektionen mit dem Influenzavirus sind sehr häufig. Während einer Grippe-Saison infizieren sich zum Beispiel in Deutschland zwischen fünf und 20 Prozent der Bevölkerung. Übertragen werden die Viren durch Tröpfchen, also beim Niesen oder Husten. Um uns davor zu schützen, muss der Influenza-Impfstoff jedes Jahr aktualisiert werden.

Schon sechs Monate vor der Grippesaison treffen Wissenschafter und Wissenschafterinnen in Referenzlaboratorien der ganzen Welt Vorhersagen. Sie sehen sich an, welche Influenza-Varianten im jeweiligen Jahr zirkulieren. Dann formuliert die WHO auf Basis dieser Daten eine Empfehlung, wie der Impfstoff für die jeweilige Saison hergestellt werden soll. Bis zur Saison 2012/2013 gab es zum Beispiel einen Dreifach-Impfstoff, der Bestandteile von zwei Subtypen des Influenza A-Virus und eines des B-Virus beinhalteten. Seither gibt es auch Vierfach-Impfstoffe mit einem zusätzlichen Bestandteil einer zweiten B-Virus-Linie.

Doch die einzelnen Virusvarianten verändern sich recht oft. Das passiert zum Beispiel, wenn ein Organismus von zwei Virusvarianten infiziert wird, Genmaterial ausgetauscht wird und der Virus sich so neu zusammensetzt. Ein Subtyp kann sich gegen einen anderen durchsetzen und sich so stärker verbreiten.

Selbst in der kurzen Zeit von sechs Monaten kann es noch einige Veränderungen geben. Wenn das passiert, wirkt der für die Saison entwickelte Impfstoff schlechter – die Wirksamkeit liegt deshalb beispielsweise unter den Impfstoffen, die bisher gegen das Sars-Cov-2 Virus und anderen Erregern zugelassen wurden. Das ist das große Problem, das wir mit Influenza und der Impfstoffherstellung haben: Es ist ein Ratespiel.

Super-Impfung: Ein Wettlauf gegen die Zeit

Wir wissen außerdem – und Wissenschafter und Wissenschafterinnen warnen hier schon lange –, dass es wieder eine Influenza-Pandemie geben wird. Zwar wird weltweit überwacht, was in Tieren zirkuliert, und wie sich die Virusvarianten verändern, aber es ist nicht klar, welcher Virus auf den Menschen überspringen kann.

Dieses Überspringen nennt man zoonotische Infektion. Oft passiert das in offenen Märkten, auf denen Menschen mit Wildtieren in Berührung kommen, die dort gehandelt werden. Da es eine riesige Diversität an Viren gibt und wir mit den übertragenden Tieren stark in Berührung kommen, ist eben nicht klar, wann die nächste Pandemie stattfinden wird. Und zum Beispiel auch nicht, welcher Subtyp sie hervorrufen wird.

Vielleicht haben wir 50, vielleicht auch nur fünf Jahre Zeit, ehe es soweit ist. Epidemien, zum Beispiel Grippewellen, breiten sich lokal aus und infizieren etwa zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung. Bei einer Pandemie hingegen verbreiten sich Viren rasch über den gesamten Globus und infizieren bis zur Hälfte der Bevölkerung.

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Zahlen & Fakten

Gewappnet sein

Um beide Probleme zu lösen, also den Impfstoff nicht ständig anpassen zu müssen und neue Pandemien zu vermeiden, arbeiten wir an einem universellen Influenza-Impfstoff. Universell heißt in diesem Fall, dass er einen Schutz gegen alle Subtypen und mögliche neue Influenzaviren garantiert. Im Idealfall müsste dieser Impfstoff auch nicht jedes Jahr aktualisiert und neu angepasst werden. Stattdessen würde man einmal als Kind und 15 Jahre später zur Auffrischung geimpft werden.

Wie aber macht man das? Schon 1982 wurde die erste Studie zu universellen Influenza-Impfstoffen veröffentlicht. Seither wird konstant daran geforscht. Was genau bisher herausgefunden wurde, klingt ein wenig kompliziert, ist aber entscheidend, um das große Potenzial der Superimpfung gegen Influenza zu verstehen: Der große Fortschritt kam 2008, als die Technologie sich verbesserte und man Antikörper aus einzelnen B-Zellen rausklonieren, sprich gentechnisch erzeugen konnte. B-Zellen sind neben T-Zellen die Immunzellen unseres Körpers. Sie produzieren Antikörper, also Proteine, die gegen Antigene (eine Struktur, an die Antikörper binden können) eines Virus oder eines anderen Erregers wirken. Um einen solchen zu attackieren, binden diese Antikörper aber nicht irgendwo, sondern an spezifische Stellen des Antigens.

Oft ist das Gute leider der schlimmste Feind des Besseren.

So fand man, dass B-Zellen gelegentlich Antikörper produzieren, die unterschiedliche Influenza-Subtypen neutralisieren können. Das ist extrem außergewöhnlich. Daraufhin musste man herausfinden, an welcher Stelle der Virusoberfläche diese B-Zellen binden. Man fand sogenannte Hämagglutinine und Neurominidasen – das sind Proteine, die es auf der Oberfläche von Influenzaviren gibt. Diese können sich auf verschiedene Weisen zusammensetzen und so neue Virus-Kombinationen schaffen. Wir müssen also Strukturen auf dem Antigen finden, die es auf allen Subtypen gibt, und die man angreifen kann. Es müssen Strukturen sein, die sich nicht so schnell verändern, also konserviert sind, wie wir es nennen.  

Die konservierten Strukturen sind meistens ein bisschen versteckt. Nehmen wir zum Beispiel ein Hämagglutinin-Protein auf der Oberfläche des Virus. Dieses teilt sich in eine Kopf und in eine Stamm-Domäne. Man kann sich das vorstellen wie einen Pilz: Die Kappe, also die Kopf-Domäne, steht ab und verändert sich oft. Der Stiel, also die Stamm-Domäne, ist näher an der Membran des Virus und relativ konserviert. Wir kreieren im Labor nun Antikörper, die genau gegen diesen Stamm wirken und machen daraus einen Impfstoff. Das ist ein recht kompliziertes Prinzip.

Der Markt als Hürde

Meine Arbeitsgruppe am Mount Sinai Hospital in New York hat es nun erstmals geschafft, einen Impfstoff mit diesem Ansatz in die erste Phase einer klinischen Studie zu bringen. Das heißt, dass wir die Methode in Tierversuchen mit Mäusen, Frettchen und Schweinen bereits testen konnten. Und das mit Erfolg: Der Impfstoff war sicher und wirksam.

Nun beginnen wir, das in einer kleinen Gruppe an Menschen zu testen. Erst in der dritten Phase der klinischen Studie findet man aber heraus, ob es im Menschen auch mit Sicherheit einen Schutz hervorruft. Das heißt, wir testen den Impfstoff an einer größeren Gruppe an Patienten, um zu sehen, ob sich die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei vielen unterschiedlichen Patienten bestätigen lässt. Neben der Wirksamkeit liegt das Hauptaugenmerk auf Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Der Prozess wird nicht so schnell ablaufen wie beim Impfstoff gegen Sars-Cov-2, aber es kann schon sein, dass es in fünf bis zehn Jahren einen Impfstoff am Markt gibt.

Bis dahin gibt es viele Herausforderungen. Und oft ist das Gute leider der schlimmste Feind des Besseren: So gibt es ja schon heute Impfstoffe gegen Influenza am Markt, die funktionieren – nicht perfekt, aber sie funktionieren. Wieso sollte also ein Markt, der schon ein Produkt hat, ein komplizierteres Produkt anbieten? Was wäre der Anreiz? Noch dazu würde man unseren Impfstoff nur einmal, und nicht wie im Moment üblich jedes Jahr aufs Neue verkaufen. Das würde für manche wohl weniger Profit bedeuten.

Wieso sollte ein Markt, der schon ein Produkt hat, ein komplizierteres Produkt anbieten?

Und auch die Zulassung ist nicht so einfach: Man müsste beweisen, dass der Impfstoff über Jahre hinweg wirkt – auch gegen neue Mutationen des Influenzavirus. Dabei vergleicht man den neuen Impfstoff mit dem bereits verfügbaren. Wir müssten dafür eine mehrjährige Studie machen, die auch ein Jahr abdeckt, in der der herkömmliche Impfstoff aufgrund einer Mutation oder falschen Prognose nicht so gut wirkt.

Aus Verteidigungsbudget finanzieren

Eine solche mehrjährige Studie wäre auch entsprechend teuer. Man müsste also zunächst eine Pharmafirma finden, die dieses Geld in die Hand nimmt und noch dazu für eine Krankheit, gegen die es ja schon einen Impfstoff gibt. Ich denke, wir müssen hier unsere Denkweise ändern: Wenn man sich die weltweiten Verteidigungsbudget anschaut, wäre die Finanzierung solcher Studien vergleichsweise billig.

Wir sollten tödliche Viren also auf die Liste der Dinge setzen, gegen die wir uns schützen wollen. So wäre die Forschung Teil des Verteidigungsbudgets. Nur so können wir womöglich eine neue Pandemie verhindern – und wir wissen, welchen Schaden die aktuelle anrichtet.

Solche universellen Impfstoffe sind übrigens auch für die Familie der Coronaviren denkbar. Es gibt bereits Aufrufe und verfügbares Budget innerhalb der Forschungsgemeinschaft, daran zu arbeiten. Wir stehen hier jedoch noch ganz am Anfang und kennen spezifische Antikörper-Bindungsstellen, auf die man sich fokussieren müsste, noch nicht. Und die Diversität der Coronaviren ist noch viel größer als die der Influenzaviren. Es ist nicht unmöglich, einen Super-Impfstoff gegen Corona zu entwickeln. Aber es wird eine Zeit dauern.

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Conclusio

Die Impfforschung arbeitet daran, schwere Infektionserkrankungen zu verhindern. Das gelingt mit Impfungen. Das große Problem bei Viren ist die Tatsache, dass sie sich ständig verändern. Vor allem die Influenza ist besonders wandelbar. Die Forscher arbeiten an ganz neuen Ansätzen für eine Super-Impfung, die Geimpfte ein für alle Mal immun gegen Grippe macht. Doch für die mehrjährige klinische Studie, die die Wirksamkeit dieser Impfung beweist, fehlen die Mittel. Forscher warnen vor neuen Pandemien.