Die großen Reformlücken der Regierung

Gähnende Leere bei Föderalismus und Verwaltung, wenig Greifbares bei Gesundheit und Pensionen. Die Dreierkoalition hat sich die Latte nicht sehr hoch gelegt.

Angelobung der neuen Regierung. Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen, der neu ernannte Bundeskanzler Christian Stocker, der neue Vizekanzler Andreas Babler, die neue Außenministerin Beate Meinl-Reisinger weitere Minister in den Räumlichkeiten des Bundespräsidenten am 03. März 2025 in Wien, Österreich. Die neue Regierung ist eine Drei-Parteien-Koalition, bestehend aus der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der Partei NEOS.
Die Angelobung der neuen Regierung am 03. März 2025 in Wien. © Getty Images

Wenn drei Parteien sich zu einer Koalition zusammenfinden und Kompromisse erarbeiten, macht es der kleinste gemeinsame Nenner schwer, große Schritte zu setzen. Es bedarf keiner großartigen Erklärung dafür, dass Konservative, Sozialdemokraten und Liberale unterschiedlich auf die Probleme der Republik blicken, andere Lösungswege sehen und in Bezug auf manche Fragen verschiedener Ansicht sind, ob überhaupt ein Problem vorliegt. Daher ist gut beraten, wer seine Reformerwartungen an die Dreierkoalition bescheiden hält.

Eine Föderalismusreform, die große Fragen des Zusammenspiels unserer Gebietskörperschaften neu regelt, sucht der Reformeifrige im Regierungsprogramm vergebens. Weiterhin wird der Bund den wesentlichen Teil der Steuern einheben, während sich Länder und Gemeinden vor allem aufs Ausgeben beschränken. Auf dem Reißbrett für eine neue Republik würde man heute wohl die Verantwortung für Einnahmen, Ausgaben und Aufgaben je Kompetenzbereich zusammenführen: Wer die Gesundheitsversorgung gesetzlich regelt, bezahlt auch die Strukturen und hebt die Steuern dafür ein. Im real existierenden Föderalismus würden jedoch die mächtigen Landeshauptleute ihren Parteikollegen in der Bundesregierung etwas pfeifen, wenn die auf solche Ideen kämen.

Das führt schon zum Gesundheitskapitel im Regierungsprogramm. Die Aufteilung der Gesundheitsinfrastruktur in eine überwiegend durch die Sozialversicherung finanzierte niedergelassene Versorgung, die eine vor allem von den Ländern bezahlte Spitalsstruktur ergänzt, wird mit „Ausbau des niedergelassenen und ambulanten Versorgungsangebots“ verschämt angesprochen. So lange jedoch die Gesundheitslandesräte in den Ländern gleichzeitig die Eigentümervertreter der Landeskrankenhäuser sind, wird deren Interesse an vollen Spitalsbetten alle Versuche im Keim ersticken, dasselbe Niveau der Gesundheitsversorgung mit günstigeren Strukturen zu erzielen. In logischer Konsequenz beschränkt sich das Regierungsprogramm in der Aufzählung zahlreicher kleiner Punkte vor allem auf einen nicht näher spezifizierten „Ausbau“ und das „Weiterentwickeln“ von Bestehendem.

Wenn die Sozialversicherung den Ärzten keine Telemedizin vergüten will, wird es keine geben.

Geradezu bedrohlich ist in dieser Aufzählung allerdings die vorgesehene „Erleichterung der Errichtung eigener Einrichtungen der Sozialversicherung“. Dieser Form der Patientenversorgung, z. B. in den Ambulatorien der Kassen, hat der Rechnungshof schon mehrfach finanzielle Schieflage attestiert. Solche Strukturen sind deswegen problematisch, weil Leistungserbringer und Zahler zusammenfallen und niemand mehr den anderen fragt, ob es nicht auch billiger ginge.

„Telemedizin-Ausbau und direkte Online-Terminbuchung ermöglichen“ findet sich auch in der Auflistung. Wenn die Sozialversicherung allerdings den Ärzten keine Telemedizin vergüten will, wird es keine geben. Die Zersplitterung des Gesundheitswesens äußert sich eben auch in der Machtlosigkeit der jeweiligen Regierung.

Nicht nur die Gesundheitsausgaben wachsen stark. Bekanntlich gilt das auch für die Zuschüsse zu den Pensionen. Wenn, wie programmatisch vorgesehen, das Zugangsalter für die Korridorpension schon 2026 um ein Jahr auf 63 angehoben wird, ist das ein wichtiges Signal. Finanziell wird der Unterschied für das System kaum spürbar sein, weil die Versicherten dadurch zwar ein Jahr später, dafür aber mit weniger Abschlägen und einem zusätzlichen Versicherungsjahr und – daraus folgend – einer deutlich höheren Pension in den Ruhestand treten. Die Maßnahme verschafft dem System nur ein Jahr Luft, weil ein Jahrgang der erste ist, der ein Jahr später in den vorzeitigen Ruhestand tritt.

Der zwischen den Regierungsparteien ebenfalls vereinbarte „Nachhaltigkeitsmechanismus“ soll Reformen erzwingen, wenn der Budgetpfad nicht eingehalten wird. Er ist aber erst für 2030 vereinbart, fällt also jedenfalls in die nächste Legislaturperiode.

Das Grundproblem, dass die Pensionsberechnung die steigende Lebenserwartung außer Acht lässt, bleibt unberührt. Solange, vereinfacht gesprochen, für € 10.000 pensionsversichertes Einkommen ein PV-Beitrag von € 2.280 fließt, der wiederum eine Pensionsleistung von € 178 auslöst, amortisiert sich jeder Beitragseuro in 12,8 Jahren (2.280 / 178). Diese Formel müsste die gestiegene Lebenserwartung einbeziehen, um strukturell etwas zu verbessern.

Einen Lichtblick bildet die festgeschriebene „Teilpension“, mit der Versicherte einen Teil der Pension abrufen und daneben in Teilzeit weiterarbeiten können, statt zur Gänze in Frühpension zu gehen. In Schweden hat dieses System dazu geführt, Menschen länger in Beschäftigung zu halten. Aber, wie erwähnt, führt das bei gleichbleibender Berechnungsformel der Pensionen nur zu einer Verschiebung des Problems.

Weniger konkret abgesteckt als die Reformfelder Gesundheit und Pensionen ist die Verwaltung. Wie könnte eine Verwaltungsreform aussehen, die diesen Namen verdient? Die Regierung hat sich programmatisch selbst „Einsparung in der Verwaltung der Bundesministerien“ auferlegt. Ein Rückbau des Apparats um die 4.700 zusätzlichen Dienstposten, die ihre Vorgängerregierung aufgestockt hat, wäre eine solche Einsparung, aber noch lange keine Reform.

Fair wird es sein, die Dreierkoalition an ihren Ergebnissen zu messen. Mit dem Regierungsprogramm liegt die Latte auf erreichbarem Niveau.

Große Würfe, wie z. B. die Einsparung einer Verwaltungsebene (Bezirke) gehören wohl auch für die nächsten Jahre ins Reich der Utopie. Dennoch könnte jedes Regierungsmitglied im eigenen Bereich Maßnahmen setzen, um die Verwaltungsstrukturen zu reduzieren. Erfolgreiche Beispiele der Vergangenheit waren z. B. die Verlagerung der An- und Abmeldung von Kraftfahrzeugen an die Haftpflichtversicherer oder die Grunderwerbsteuer-Selbstbemessung.

Weitere Handlungsfelder sind bei Doppelstrukturen zu finden: Beispielsweise hätte die Pendlerförderung durch verschiedene Bundesländer rasch ein Ende, wenn solche Zahlungen der Länder auf die Pendlerpauschale nach dem Einkommensteuergesetz angerechnet würden. So ließen sich unnötige Mehrfachstrukturen reduzieren. Dazu wiederum müsste die Transferdatenbank endlich in den Vollausbau gelangen. Für die diversen Familienförderungen der Länder gilt das analog.

Auch auf Bundesebene gibt es einige Dinge mehrfach: Neben der Außenwirtschaftsorganisation der Wirtschaftskammer unterhält das Wirtschaftsministerium große Abteilungen für Außenwirtschaft, handelspolitische Analysen, Internationales usw. Was davon eine Regierung neben einem Außenministerium tatsächlich braucht, bleibt seit Jahrzehnten unhinterfragt.

Wenn uns also keine großen Reformen erwarten, wäre auch im Kleinen vieles möglich. Fair wird es sein, die Dreierkoalition an ihren Ergebnissen zu messen. Mit dem Regierungsprogramm liegt die Latte auf erreichbarem Niveau.

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